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Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Vorahnung

Der Himmel war grau bedeckt und der Regen hatte sich verstärkt. Alles schien zu Ambers gedrückter Stimmung zu passen. Nicht einmal der Luftzug, der über ihr blasses Gesicht strich, konnte die Lebensgeister in ihr wecken. Sie hatte geahnt, dass sie mit keinerlei Verständnis hätte rechnen können und dennoch enttäuschte sie die Reaktion ihrer Eltern zutiefst. Auch schmerzte es sie, dass selbst ihr Dad, zu dem sie sonst ein inniges Verhältnis hatte, nicht zu ihr hielt und sie, ohne es auszusprechen, für unwissend und verrückt erklärt hatte. Es hieß immer, dass sie nicht verstehen würde. Dabei hatten sie ihr niemals die Chance eingeräumt überhaupt einen Blickwinkel entwickeln zu können. Sie kannte zu diesem Zeitpunkt nur Bruchstücke der Vergangenheit ihrer Eltern und diese waren nie ausreichend gewesen um ein komplettes Bild daraus machen zu können. Zu schweigen schien manchmal einer Lüge gleich zu kommen.

So schrecklich Alex Vergangenheit auch sein mochte, er machte es sich nicht so leicht wie es Ambers Eltern getan hatten und kämpfte um ihr Vertrauen, indem er sie keineswegs mit Details verschonte. Ihm war klar, dass er auf Risiko spielte und er Gefahr lief Amber zu verlieren. Sie hätte genügend gute Gründe gehabt ihn im Stich zu lassen, aber sie tat es nicht. Er wusste instinktiv, dass ihr ungeborenes Kind nicht der alleinige Grund ihrer innigen Verbundenheit zueinander war. Es gab noch etwas anderes, das sich jedoch nicht in Worte fassen ließ.

Taumelnden Schrittes ging Amber die Seitengasse entlang, deren Risse sich mit schmutzigem Wasser gefüllt hatten. Ihre Füße schliffen schwer über den Asphalt, sodass sie feucht wurden. Durch den gräulichen Staub des Regens erahnte sie einige Meter von sich entfernt Alex Auto. Sie blieb einen Augenblick lang stehen und sah auf in den Himmel. Regentropfen bahnten sich den Weg über ihr Gesicht und ihr Haar. Ihre Augen brannten.

Als Alex ihre Gestalt erkannte, stieg dieser langsam aus und ging auf sie zu. Dabei zog er seine schwarze Lederjacke aus. Als er sie erreicht hatte, legte er diese sanft um Ambers Schultern, da sie inzwischen vollkommen durchnässt war. Er öffnete ihr die Beifahrertür und half ihr beim Einsteigen. Sie wirkte noch lebloser und bedrückter als sonst, doch er entschied sich vorerst nichts zu sagen, sondern strich lediglich zärtlich über ihre Wange. Ihre Augen wanderten zum ihm und spiegelten in jenem tristen Licht einen tiefen Schmerz wider.

Während der Fahrt vergrub sich Amber tief in Alex Jacke. Diese fühlte sich noch immer warm auf ihrer Haut an und sie mochte den Duft.

Die Abenddämmerung hatte begonnen und düstere Wolkentürme verschlangen bald darauf auch den letzten Fetzen Tageslicht. Alex bog in eine Seitenstraße ein. Amber wusste, dass sein Apartment nicht mehr weit entfernt sein würde. Mit müden Gesten drückte sie sich vom Beifahrersitz hoch, dann räusperte sie sich leise und suchte erneut seine Augen. Er wusste, dass sie ihm etwas sagen wollte, doch er gab ihr die Zeit, die sie brauchte, um überhaupt wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.

Nachdem er eingeparkt hatte, griff er vorsichtig nach ihrer Hand, die sich kalt anfühlte.

,Alles was ich versucht habe, hätte ich mir sparen können. Das ist mir heute bewusst geworden.' brachte Amber schließlich heiser hervor.

Alex sagte noch immer nichts und wartete bis sie weiter sprach.

,Von ihnen kam rein gar nichts rüber. Kein Wort des Mitgefühls, geschweigedenn der Freude. Stattdessen waren es die selben leeren Worte, die ich in der vergangen Zeit so oft gehört habe. Es tut mir so leid, dass du wegen mir all das, was war, jetzt noch einmal erleben musst. Den abgrundtiefen Hass sowie die Verachtung.'

Amber versteckte ihr Gesicht hinter beiden Händen, beugte sich nach vorn und begann bitterlich zu weinen.

Ihr Schmerz übertrug sich auf Alex. Behutsam begann er durch ihr noch feuchtes Haar zu streichen, bevor er antwortete:

,Es ist nicht deine Schuld. Du hast doch getan was du konntest. Du hast versucht auf sie zuzugehen, mit ihnen zu reden. Ich weiß, dass du dich davor gefürchtet hast. Ich weiß aber auch wie viel Mut du heute bewiesen hast. Vielleicht fühlst du dich im Moment noch schwach oder denkst du hättest versagt, aber Amber, … das hast du nicht. Nimm dir Zeit, um Abstand zu gewinnen und gebe sie deinen Eltern, um sie erkennen und verstehen zu lassen.'

Was Alex sagte, klang so leicht und dennoch fühlte es sich so schwer an.

Noch nie zuvor hatte sie eine derartige Einfühlsamkeit erlebt. Sie wünschte sich, dass ihre Eltern diese Seite von Alex hätten sehen können. Doch dieser Wunsch war nunmehr unerfüllbar, denn sie hingen zu sehr an den Schatten seiner Vergangenheit.

Amber war überzeugt, dass er so viel Liebe und Mitgefühl niemals hätten vortäuschen können. Wäre sie für Alex nicht mehr als eine flüchtige Affäre gewesen, hätte er sie vermutlich im Stich gelassen. Doch was sie fühlte, war, dass er kämpfen wollte. Kämpfen für eine Wiedergutmachung, um etwas abzuschließen und um mit sich selbst endlich, nach all den Jahren, ins Reine kommen zu können.

Viel Zeit war seit damals vergangen und Alex und Amber trennten Jahre des Altersunterschiedes. Dennoch begegneten sich ihr Gefühl und ihr Verständnis stets auf einer Ebene.

Er hatte sie vorübergehend trösten können. Hand in Hand gingen sie durch die Flure, bishin zu der Tür seines Apartments. Hier oben war es angenehm still und sie vernahmen nicht mehr als das Rauschen ihres Blutes in den Ohren sowie die Geräusche ihres Atems.

Durch das große Fenster waren verschwommen die Lichter der Hochhäuser in der Ferne zu erahnen. Amber ließ sich langsam auf die lederne Sitzlandschaft sinken und begann ihre feuchten Schuhe auszuziehen. Sie fröstelte noch immer, zog die Beine an und versuchte ihren gesamten Körper mit Alex Jacke zu bedecken. Einerseits fühlte sie sich müde, leblos und hungrig. Andererseits war sie kaum in der Lage schlafen, geschweigedenn etwas essen zu können.

Alex nahm eine weiche, cremefarbene Decke von seinem Bett und brachte sie Amber. Sie nahm sie in beide Hände und hielt sich daran fest. Er setzte sich neben sie und strich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, um ihr Gesicht besser sehen zu können. Sie sah kurz zu ihm und ließ sich dann langsam an seine Schulter sinken, während sie vor sich her starrte und flüsterte:

,Und doch bereue ich nichts von dem was ich getan habe.'

Dann richtete sie sich langsam auf, strich Alex Jacke von sich und ging zu einem der halbhohen, hölzernen Schränke, um sich trockene Kleidung aus diesem zu holen. Ein honigfarbenes Licht erhellte das Apartment geringfügig und Alex beobachtete, wie Amber die feuchten Sachen von ihrer Haut streifte.

Ihre Gestalt wirkte zerbrechlicher als je zuvor und nun, als er wusste, dass ein neues Leben in ihr heranwuchs, spürte er den Drang sie vor all dem Schlechten dieser Welt bewahren zu wollen. Mit zarghaften Schritten nährte er sich Amber. Diese stand ihm mit den Rücken zugewandt und öffnete gerade ihren BH. Alex legte seine warme Hand auf ihre Schulter, beugte sich nach vorne und küsste sanft ihre Wange. Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein, dann griff sie nach einem Shirt, welches sie rasch über ihren nackten Oberkörper zog.

,Du bist sicher hungrig.' stellte er fest, berührte noch einmal behutsam ihren Bauch und ging dann in die Küche.

Amber ließ sich auf das große Bett sinken und strich mit beiden Händen über ihre nackten Beine. Sie hatte das Gefühl sich von den Ereignissen des heutigen Tages ablenken zu müssen, doch was sie auch tat und wie sehr sie auch grübelte, nichts half den Schmerz zu lindern. Langsam stand sie auf, um zu dem großen Fenster des Apartments zu gehen und dieses zu öffnen. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen und sie hoffte, dass ihr die frische Luft helfen würde die Übelkeit zu überwinden. Aus der Küche vernahm sie das Klappern von Geschirr und das Brodeln von kochendem Wasser. Je länger sie jedoch wartete, desto mehr steigerte sich ihr Unwohlsein. Gerade als Alex mit einem Tablett wieder in das Wohnzimmer zurückkehrte, eilte sie an ihm vorbei ins Badezimmer.

Was sie heute gehört hatte und verarbeiten musste, entleerte sich dort schmerzhaft in Form von Magensäure und bitterer Galle.

Mit dem Zeigefinger klopfte Alex gegen die Tür, bevor er sie öffnete und seinen Kopf vorsichtig durch den Spalt schob. Sein Gesicht zeichneten Sorgenfalten.

Amber schöpfte einige kühle Schlucke Wasser von ihrer Handfläche in den Mund und spuckte sie gleich wieder aus. Ihre Augen waren vom Würgen gerötet und tränten. Sie nahm ein Handtuch und tupfte sich damit über Stirn und Wangen.

,Geht es dir wieder besser?' fragte er leise und ging auf sie zu, um sie in seine Arme zu schließen. Amber fröstelte und hielt sich, so fest sie konnte, an Alex wärmendem Körper fest. Dann flüsterte sie, sich eng an seine Brust pressend:

,Ich habe das Gefühl, dass noch irgendetwas geschehen wird.'

,Und was?'

Sie löste sich aus seiner Umarmung, sah zu ihm auf und antwortete:

,Ich weiß es nicht, aber ich spüre, dass es nichts Gutes ist.'
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