World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Zeit der Offenbarung

Ohne ein weiteres Wort verließen beide die Arztpraxis. Ambers Gesicht war ausdruckslos und ihre Blicke starrten ins Leere, während sie neben Alex her ging. In ihr wüteten jedoch die Emotionen gleich der gigantischen Welle eines Tsunamis. Er sah immer wieder zu ihr und wollte sie ansprechen. Er griff nach ihrer kalten Hand. Sie blieb stehen und hatte das Gefühl, der lange, enge Flur und das kühle Licht würden sie erdrücken.

Zunächst sah Amber eine Weile lang wortlos zu Boden, um die Tränen zu verstecken, die sich in ihren Augen gesammelt hatten, dann blickte sie zu Alex empor und die wässrigen Perlen bahnten sich langsam den Weg über ihre Wangen.

,Weshalb bist du so traurig? Ist es, weil du jetzt die Gewissheit hast oder ist es etwas anderes? Sag es mir Amber!'

Sie schluckte, stellte sich auf die Zehenspitzen und umarmte ihn so fest sie konnte. Dann antwortete sie:

,Ich habe Angst. Aber ich muss jetzt mit jemandem reden. Mit jemandem, der mir inzwischen vollkommen fremd geworden zu sein scheint. Bring mich zum FBI Headquarter!'

Alex Körper durchzog nach ihrer letzten Bitte, eine merkwürdige Bewegung, fast so, als wäre er von einem Stromschlag getroffen worden und plötzlich hatte er eine Ahnung, die dafür sorgte, dass sein Magen schmerzhaft rebellierte, doch er sagte vorerst nichts.

Er parkte seinen schwarzen Wagen unweit des Hauptquartiers in einer unbelebten Seitengasse, deren Asphalt rissig war. Es hatte angefangen zu regnen und außer dem leisen, zarten Klopfen der Regentropfen auf die Frontscheibe, war nichts zu vernehmen. Amber betrachtete nochmals das Ultarschallbild und auch Alex ließ seine Blicke auf dieses gleiten.

,Darf ich dich etwas fragen?' durchbrach er plötzlich die Stille, bemüht sanft zu klingen.

Sie fuhr zusammen und suchte seine grünen Augen. Dann nickte sie. Ihr Puls wurde schneller.

Es fiel ihm schwer einen Anfang zu finden. Einen, der sie weder verletzen noch misstrauisch machen würde. Alex biss sich kurz auf die Unterlippe und wartete jenen Augenblick ab, in dem sein Mut die Furcht überwog.

,Sagen dir die Namen Scully und Mulder etwas?'

Er ahnte bereits ihre Antwort, denn plötzlich wurde ihm die enorme Ähnlichkeit, die Amber mit dieser FBI Agentin von damals hatte, bewusst.

Sie legte das Ultraschallbild beiseite und verschlug die Arme fest vor der Brust. Erinnerungen flammten in ihr auf.

Amber atmete tief ein und aus. Sie vermutete jedoch worauf seine Frage abzielen würde. Es kostete sie Überwindung ehrlich zu antworten, denn sie spürte plötzlich eine Art Verlustangst in sich aufflackern. Dennoch tat sie es, wenngleich es einen Sturm des Unwohlseins in ihr auslöste. Mit zitternder Stimme antwortete Amber:

,Ja, diese Namen kenne ich nur zu gut. Sie sind meine Eltern.'

Für einen Moment traf Alex Herz ein Stich und er lehnte sich langsam zurück.

Sie ahnte, dass sie ihn verletzt hatte und ein Gefühl von eisiger Furcht durchzog nun jede Vene ihres Körpers.

Mit leiser, rauer Stimme fuhr sie fort:

,Sie waren es, die mir von deiner Vergangenheit als Mörder erzählt hatten. Es war das Erste was ich überhaupt von ihnen nach all den Jahren erfahren habe, nachdem sie lange Zeit schwiegen und behaupteten, dass dieses Schweigen nur zu meinem Besten sei. Aber irgendwann scheint einen alles auf gewisse, unvorhersehbar ironische Art und Weise wieder einzuholen... '

Amber holte noch einmal tief Luft, machte eine kurze Pause und ergänzte dann zarghaft:

,Ich weiß wie verwirrend das nun für dich klingen muss und ich könnte auch verstehen, wenn du mich hasst.'

Ihr blieben weitere Worte im Hals stecken und sie beugte sich rasch zu Alex, um in dessen Arme zu flüchten. Entgegen ihrer Befürchtung erwiderte er die Innigkeit ihrer Umarmung und strich durch ihr Haar. Nachdem er einen Moment lang gezögert hatte, antwortete er:

,Ich könnte dich niemals hassen. Aber du wirst sicherlich einen tiefen Groll gegen mich hegen, wenn ich dir jetzt noch etwas anderes offenbare. Aber ich muss es tun, denn ich ertrage diese Gewissensbisse nicht länger!'

Der Klang seiner Stimme verriet, dass er jenes Geheimnis am liebsten für sich behalten hätte und Ambers Blick wirkte plötzlich so, als wüsste sie nicht genau worauf Alex hinaus wollte.

Seine Hand glitt sanft zu ihrem Bauch, doch seine Augen flüchteten immer wieder vor ihren. Sein Herz begann schneller und heftiger in seiner Brust zu pochen und er hatte das Gefühl ohnmächtig zu werden. Ihm wurde übel, als ihn jene Bilder von damals einholten. Die Szenen des Jagenden und Gejagten im tristen Licht der Tiefgarage unterhalb des FBI Headquarters. Alex wusste ituitiv, dass nur seine Ehrlichkeit Ambers Vertrauen zu ihm aufrecht erhalten können würde, so grauenvoll und erschütternd sie auch sein mochte. Aber sie war ein Teil dieser Wahrheit. Seiner Wahrheit.

Er öffnete seinen Mund leicht. Sein Hals wurde trocken und er hatte das Gefühl sich jeden Moment übergeben zu müssen. Er sah Ambers zarte Gestalt und ihren noch immer fragenden, verwirrten Gesichtsausdruck. Doch dann überkam es ihn und er sagte leise:

,Ich wäre beinahe dafür verantwortlich gewesen, dass es dich niemals gegeben hätte.'

Nach diesen herben Worten drehte er seinen Kopf ruckartig weg, fast so als versuchte er vor seiner eigenen Vergangenheit zu flüchten.

,Was?', entgegnte ihm Amber in einem ungewöhnlich barschen Ton und neigte ihren gesamten Körper nach vorne, um wieder eine Sicht auf Alex Mimik zu erhaschen. Ihr Blut schien in Sekundenbruchteilen in ihren Adern zu gefrieren und jeder Atemzug brannte in ihren Lungen.

Er senkte seinen Blick und ballte seine Hände zu zwei so festen Fäusten, dass die Knochen weiß unter der Haut hervortraten, dann sprach er mit zitternder, gebrochener Stimme weiter:

,Das war es, was ich dir vor einigen Tagen sagen wollte, es aber nicht konnte. Es war der Moment, als ich dich nach Hause fuhr. Unser Gespräch in der Tiefgarage. Es war dein Vater, der mir die Pistole an die Schläfe hielt und ich meine in jenem Moment unter meiner Jacke versteckt auf ihn richtete. Dabei war das Ziel, das wir verfolgten, stets dasselbe. Die Suche nach der Wahrheit und die Blosstellung derjenigen, die für all die Jahre langen Lügen und Intrigen verantwortlich waren. Du weißt vermutlich gar nicht wie weit das zurück reicht und es tut mir leid, dass du es jetzt und hier erfahren musst. Aber glaube mir, es ist besser so, auch wenn es dich jetzt sicherlich verletzt und an mir und meiner Glaubwürdigkeit zweifeln lässt.'

Alex Augen wurden feucht und dennoch versuchte er die bitteren Tränen zu unterdrücken. Etwas, mit dem er dachte abgeschlossen zu haben, hatte ihn nun innerhalb kürzester Zeit eingeholt und er fühlte sich in diesem Moment genau so schuldig und schlecht wie damals. Das war der Preis, den er für Ambers Vertrauen bezahlte. Doch er wollte sie nicht verlieren. Koste es was es wolle.

Amber war zunächst sprachlos und sie hielt beide Hände vor den Mund und kniff ihre Augen leicht zusammen. Es war ihr kaum möglich einen klaren Gedanken zu fassen. Vor ihr lag ein bruchstückhafter Weg, der voller Scherben zu sein schien und doch begriff etwas in ihr, dass es jene Wahrheit war, nach der sie so lange gesucht hatte. Es war eigenartig. Eigenartig jemanden zu lieben, der einst Richter über ihre Existenz gewesen war.

Sie sagte nichts. Sah Alex nur an. Langsam lösten sich seine zu Fäusten geballten Hände und er versuchte zarghaft nach Ambers Handgelenken zu greifen.

Sie ließ seine Berührung zu.

Es wurde still.

Keine Worte.

Nach und nach besann sie sich wieder. Als sich ihre Gedanken klärten, murmelte sie beinahe unverständlich:

,Ihr hättet euch töten können und habt es dennoch nicht getan. Vielleicht verband euch mehr als ihr es euch selbst eingestanden hättet. Immerhin war das, wofür ihr gekämpft habt, das Gleiche.'

Sie hielt für eine Weile lang inne, führte ihr Hand langsam zu ihrem Bauch und suchte Alex Augen. Ihr Ausdruck wirkte fragend und abwartend.

,Und was wird jetzt geschehen?' fragte er sie schließlich, auch wenn es ihn ängstigte, nachdem was er Amber offenbart hatte.

Sie presste ihr Lippen fest aufeinander und hielt kurz die Luft an, bevor sie, entgegen seiner Erwartung, sanftmütig antwortete:

,Unser Kind wird geboren werden.'

Alex Herz setzte für einen Moment aus. Er fühlte sich ohnmächtig und erleichtert zugleich. Konnte es wahr sein, dass sie ihm selbst eine solch grauenvolle Tat vergab?

Er schluckte schmerzhaft und wollte wissen:

,Heißt das, dass du mir noch immer vertraust?'

Sie nickte kaum merklich und entgegnete Alex:

,Immerhin hast du den Mut gehabt offen über das, was du getan hast, zu sprechen, um mir somit einen Teil der Wahrheit zu offenbaren, den meine Eltern mir bisher verschwiegen haben. Das genügt mir als Beweis deiner Glaubwürdigkeit vollkommen. '

Amber neigte sich zu ihm und hauchte dann sanft jene drei Worte in sein Ohr, nach denen er sich, selbst damals, so oft gesehnt hatte.
Rezensionen