World of X

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Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Alles geschieht aus einem bestimmten Grund

Amber wollte, trotzdem sie nun ein Stück der Wahrheit kannte und dies vieles in einem vollkommen neuen Licht erscheinen ließ, nicht nach Hause zurück und bat ihre Mum sie bei Alex abzusetzen. Dana hielt dies jedoch für keine gute Idee. Sie sorgte sich um ihre Tochter und befürchtete, dass sie in seinem Apartment leicht wieder zu einem unschuldigen Opfer werden könnte. Andererseits wollte sie keinen Streit mit Amber beginnen, denn sie hatte Angst, dass sie ihr gewonnenes Vertrauen ebenso rasch wieder verlieren könnte.

Klar war jedoch, dass sie noch immer schwach war, da sie so gut wie jegliche Nahrungsaufnahme verweigerte oder nur aß, wenn man sie darum bat oder aufforderte. Schließlich einigten sie sich auf einen Kompromiss und Dana nahm Amber mit nach Hause, damit sie sich frische Kleidung einpacken und kurz ausruhen konnte.

Nach Monaten betrat sie zum ersten Mal wieder ihr Elternhaus. Alles schien so vertraut und doch neu zu sein. Langsamen Schrittes ging sie zum Fenster des Wohnzimmers und sah nachdenklich in die Häuserschluchten, dabei legte sie eine Hand auf ihren Bauch. Sie atmete tief ein und aus, drehte sich um, taumelte zur Couch und ließ sich in die beigefarbenen Polster sinken. Sie war müde und starrte zunächst vor sich her.

,Stimmt irgendetwas nicht?' fragte Dana, während sie eine Decke um Ambers Schultern legte und sich anschließend zu ihr setzte.

,Nein, … ich meine ja... - ich kann, seit du mir von William erzählt hast, einfach nicht aufhören an ihn zu denken. Ich frage mich wo er jetzt ist... '

Dana schaute regungslos in eine Richtung und entgegnete ihrer Tochter dann:

,Diese Frage habe ich mir in den vergangenen Jahren auch häufig gestellt... es ist schwer für dich, nicht wahr? All das was ich dir erzählt habe...'

Amber blickte ihre Mum nur flüchtig an und schenkte ihr ein müdes Lächeln. Gerade als Dana ohne ein weiteres Wort aufstehen wollte, um nach einer Tasche zu suchen, in der sie Ambers Kleidung verstauen wollte, fragte diese leise und kaum hörbar:

,Glaubst du, dass die Leute die mir das angetan haben wieder kommen werden?' In ihren Augen sammelten sich Tränen.

Über Danas Rücken ergoss sich ein eisiger Schauer Gänsehaut, denn sie wusste wie sehr sich Amber fürchten musste. Sie legte beide Hände zusammen und stützte sich, nach vorne gebeugt, mit den Unterarmen auf ihren Oberschenkeln ab. Dann antwortete sie heiser:

,Ich wünschte ich könnte dir eine bessere Antwort geben, aber ich weiß es nicht... Deshalb wollte ich jedoch, dass du mit mir zurück nach Hause kommst. Vielleicht ist es hier sicherer als anderswo... '

Sie machte eine kurze Pause und betrachtete Amber noch einmal von Kopf bis Fuß, deren Gesichtsausdruck jedoch fragend wirkte, bevor sie ergänzte:

,Und wenn ich dich so anschaue, macht mir das ebenso Angst. Dein Untergewicht und Essverhalten. Ich habe bisher nie verstehen können weshalb du das damals getan hast... '

Amber fuhr zusammen, denn sie wusste genau was ihre Mum meinte und begriff, dass diese sich sorgte, jedoch gleichzeitig hilflos war. Dennoch fragte sie:

,Was meinst du?'

Dana sah tief in Ambers Augen, strich über ihre Wange und antwortete mit weicher Stimme:

,Du weißt was ich meine. Und jetzt versuche noch ein paar Minuten zu schlafen!'

Sie stand auf, gab Amber ein Kissen und deckte diese zu. Gerade als Dana das Wohnzimmer verlassen wollte, hörte sie wie ihre Tochter flüsterte:

,Mum, ich habe Angst. Angst vor dem was noch geschehen wird, Angst die Augen zu schließen und zu träumen. Alles was passiert ist, taucht wieder und wieder auf... fast so als hätte es sich tief in mein Unterbewusstsein gefressen. Was ist, wenn ich aufwache und niemand da ist, der mir helfen kann?'

Beinahe klang es so, als ahnte sie, dass noch etwas geschehen würde. Doch sie wusste weder wann, noch was.

Dana öffnete den Mund, zog eine Braue nach oben und antwortete:

,Du bist niemals allein, okay?'

Amber wickelte eine Haarsträhne, um ihren Zeigefinger, blickte starr vor sich her und entgegnete leise:

,Ja, ich weiß.'





Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit pulsierten kochend in seinen Venen. Er war auf der Suche nach etwas und dennoch wusste er nicht genau nach was. Er hatte lediglich eine vage Vermutung, was er finden würde, aber er fürchtete sich ebenso davor. Denn dann hätte er die Gewissheit. Dann würde er wissen, dass sie die ganze Zeit beobachtet worden waren. Die Ordnung, die sonst in seinem Apartment herrschte war inzwischen einem Chaos gewichen. Überall auf dem Fußboden lagen Papiere und auch Schubladen verteilt.

Es ging nun nicht mehr nur um ihn alleine. Es ging um Amber und ihr ungeborenes Kind, das in weniger als drei Monaten das Licht der Welt erblicken würde und das er vor allem Bösen dieser Welt schützen wollte. Wenn er es nur könnte...

Es war ein ungewohnter Anblick. Alex war nicht alleine in seinem Apartment. Jemand, der ihm sonst, so viele Monate zuvor, misstraut hatte, war bei ihm, um ihn bei seiner Suche zu unterstützen. Fox ärgerte sich, dass er nicht schon eher auf die Idee, dass man Alex und Amber bespitzelt haben musste, gekommen war. Deshalb hoffte er, dass es für nichts zu spät sein und sie ihm vergeben würde.

Müde und erschöpft setzte sich Alex auf die Bettkante und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Bisher hatten sie nichts gefunden, was ihren Verdacht erhärten würde. Doch sie gaben nicht auf. Er spürte wie jemand neben ihn trat und etwas von dem Schränkchen seines Bettes nahm und betrachtete.

,Diese Bilder habe ich nie zuvor gesehen... ' sagte Fox und es klang ein Hauch von Traurigkeit und Bedauern in seiner Stimme.

Alex blickte zu ihm auf und sah, dass es einige der Ultraschallbilder waren, die er in der Hand hielt. Dann erhob er sich, trat hinter Fox und blickte ebenso auf die winzige Leibesfrucht, doch er antwortete zunächst nicht und begann stattdessen einen der Schränke beiseite zu schieben. Dann machte er erneut eine kurze Pause und warf leise in den Raum:

,Amber hatte in den vergangenen Monaten auch genügend gute Gründe all dies für sich zu behalten. Eigentlich sollten sie stolz auf sie sein. Auf ihren Mut und ihre Menschenkenntnis.'

,Menschenkenntnis?' wiederholte Fox verwirrt bevor er hinzufügte:

,Meinen Sie damit ihr Vertrauen zu ihnen?'

Alex sah kurz zu Fox auf, blickte dann aber wieder konzentriert auf die Telefondose und schüttelte nur mit dem Kopf.

,Ambers Seele ist voller dunkler Geheimnisse... '

,Ich verstehe. Und Sie sind ihr Retter und Held, Krycek?'

,Nein. Aber ich habe, als wir uns kennenlernten, immer so viel mehr in ihr gesehen als die meisten anderen Menschen. Vermutlich haben Sie noch nicht einmal erkennen können wie verletzt und zerrissen sie war. Sie sahen immer nur ihre scheinbaren Launen, ihre Unzufriedenheit... haben niemals nach dem richtigen Warum gefragt... Letzten Endes war es doch Ihre Geheimniskrämerei, die Ambers Konflikt schürte... '

Fox lauschte jedem seiner Worte genauestens, überging diese jedoch und sprang zu einer anderen, überraschenden Frage um, dessen Antwort er, seit er wusste dass sich seine Tochter einem Mörder und Lügner ergeben hatte, wissen wollte .

,Haben Sie gewusst wer Amber ist, als Sie sie ansprachen?'

Alex sah zu Fox auf und kniff die Augen zusammen, bevor er antwortete:

,Nein, das habe ich nicht. Oder wollen Sie nun erneut damit anfangen mir zu unterstellen, dass ich das alles inszeniert habe, um die Begegnungen und Unzulänglichkeiten unserer gemeinsamen Vergangenheit zu rächen?'

Fox antwortete nicht. Er dachte nach, gestand sich stillschweigend ein, dass es tatsächlich der falsche Zeitpunkt für die, noch immer unausgesprochenen, Dinge die sie in eisiger Kälte verbanden war, kniete sich neben Alex und reichte ihm einen Schraubenschlüssel.






,Und du willst wirklich wieder zurück in sein Apartment?' fragte Dana, während sie und Amber in den Aufzug stiegen.

,Ja, das will ich Mum.'

,Aber nach alle dem was geschehen ist... ich habe dabei kein gutes Gefühl.'

,Ich weiß. Aber Alex hat so viel für mich getan und ich bin es ihm schuldig. Ich kann ihn nicht alleine lassen. Was ist, wenn ihm etwas zustößt? Wenn er sein Kind niemals kennenlernen kann und das nur, weil ich in einem Moment, der so wichtig und von Bedeutung gewesen wäre nicht bei ihm war? Ja, ich habe Angst... aber augenblicklich setze ich dieses Wort mit der Bedeutung von Egoismus gleich.'

Amber klang konfus und ebenso sah Dana sie nach diesen Worten an. Sie krallte sich an dem Griff der Tasche fest, presste kurz die Lippen aufeinander, berührte zaghaft den Bauch ihrer Tochter und entgegnete dieser:

,Ich hoffe das alles gut wird.'

Umso näher sie der Tiefgarage kamen, desto unwohler fühlte sich Amber. Dennoch versuchte sie es sich nicht anmerken zu lassen, da sie fürchtete, dass Dana sie doch umdirigieren könnte zu Hause zu bleiben. Ihr Verlangen und ihre Sehnsucht Alex wiederzusehen waren zu groß und überstiegen jegliche Vernunft. Zu lange hatten sie einander nicht mehr in die Arme nehmen können. Er war bei ihr, als sie fernab jeglichen Bewusstseins war, das wusste sie instinktiv. Und er war es auch, der ihr immer wieder zugeflüstert hatte, dass ihre Zeit noch nicht gekommen sei.

Amber nahm auf dem Beifahrersitz platz und wartete bis Dana die Tasche verstaut hatte, während sie nervös um sich schaute. Seit sie wieder ins Leben zurück gekehrt war, fühlte sie sich ständig beobachtet und verfolgt, doch sie wollte nicht darüber sprechen.

,Irgendetwas stimmt doch mit dir nicht... ' entgegnete Dana als sie auf der Fahrerseite platz nahm und ihre Tochter von der Seite betrachtete.

Sie zuckte jedoch nur mit den Schultern und sah zu ihrer Mum, welche kurze Zeit später los fuhr und sich von Amber durch Washington navigieren ließ.
Diese starrte durch die Fenster des Fahrzeuges und Blitze aus Erinnerungen, wie und wo alles begonnen hatte, stießen ihr lebendig vor Augen.

Als sie an einer roten Ampel hielt, krallte sich Amber fest an den Saum ihres schwarzen, knielangen Kleides und sah zu ihrer Mum, die, ohne es zu sagen oder darum zu bitten, noch immer darauf wartete, dass Amber offenbaren würde, was in ihr vorging.

Sie wusste selbst nicht genau weshalb, doch bevor sie anfing zu sprechen, schmunzelte sie zaghaft.

,Weißt du Mum, es ist irgendwie eigenartig. Wir sind gemeinsam auf dem Weg zu jemandem, den du Jahre zuvor verabscheut hast. Weshalb tust du das?'


Sie sah kurz zu ihrer Tochter, griff fest ans Lenkrad und antwortete dann:

,Weil ich weiß und gelernt habe, dass ich dich ohnehin nicht davon abbringen kann. Ich fühle mich dabei zwar nicht sonderlich wohl, da ich dich mit meiner Nachgiebigkeit auch einem Risiko aussetze, aber ich kann dich ebenso wenig festhalten... '

Sie machte eine kurze Pause, schaute kurz mit gerunzelter Stirn zu der noch immer roten Ampel und fuhr dann fort:

,Manchmal ist das einzig Richtige das man tun kann, wenn man jemanden wirklich liebt, diese Person, die einem so viel bedeutet, gehen zu lassen. Auch wenn dies aller Vernunft zu widersprechen scheint.'

Amber bekam eine Gänsehaut und begann ihre Oberarme zu umfassen, während sie sich, soweit sie es aufgrund ihres Bauches noch konnte, nach vorne beugte und durch die Frontscheibe blinzelte. Dann antwortete sie:

,Deshalb hast du auch William weggegeben... Umso mehr man liebt, umso verletzlicher ist man.'

Jedes Mal wenn Dana den Namen ihres anderen Kindes hörte, traf ihr Herz ein Stich. Ihre Augen wurden feucht und sie fing an für einen Augenblick verwaschen zu sehen. Sie reagierte zunächst nicht auf das was Amber gesagt hatte, sondern ließ einige Sekunden verstreichen. Dann sah sie zu ihr und eine Träne, so voller Gefühle – voll von Reue und Liebe – bahnte sich bitter den Weg über ihre Wangen. Sie strich Ambers Haar mit einer Hand zurück und entgegnete dieser:

,Ich liebe dich und ich habe dich auch all die Jahre zuvor geliebt. Ich hatte vermutlich nur nie den richtigen Weg gefunden es dir zu zeigen und das tut mir leid.'

Amber verinnerlichte diese Worte wohlwollend und griff nach der Hand ihrer Mum, als sie die plötzlich, hinter ihnen ungeduldig, hupenden Fahrzeuge zusammenfahren ließen und sie sich erschrocken ans Dekolté fasste.

Nachdem sich ihr rascher Herzschlag wieder beruhigt hatte und auch das winzige Lebewesen in ihrem Leib wieder zu seiner Ruhe fand und aufhörte mit Händchen und Füßchen gegen die plötzliche Aufregung zu protestieren, schluckte Amber und antwortete:

,Ich weiß Mum, ich weiß es... und ich habe dich auch lieb... ' letztere Worte kamen eher zögerlich über ihre Lippen, denn sie hatte derartige Worte lange nicht mehr sagen können. Zu groß waren die Verletzungen, die sie sich emotional all die Jahre zuvor angetan hatten. Amber hoffte nur eines. Dass sie eine gute Mutter sein würde, dass sie ihrem Baby das geben können würde, was es verlangte. All die Liebe und Zuneigung. Denn sie musste sich eingestehen, dass es nicht gerade ihre Stärke war Emotionen zu zulassen, geschweige denn zu zeigen.

Während der restlichen Autofahrt sprachen sie wenig miteinander. Nur dann, wenn Amber ihre Mum aufforderte abzubiegen. Dabei umschlang sie häufig ihren Bauch und spürte, dass Dana diese Geste aus dem Augenwinkel betrachtete.

,Da wären wir Mum.' sagte sie mit erhobener Stimme und das Auto kam zum Stehen.

Hier hatte alles begonnen. Ihre Begegnung mit Alex und ihre tiefe, innige Leidenschaft die sie zahllose Nächte ausgelebt und genossen hatten. Damals, als alles so neu war.

Sie öffneten die Gurte und stiegen fast gleichzeitig aus dem Wagen. Amber blickte an dem Häuserblock empor und ihr Herz begann in einer Mischung aus Vorfreude und Unbehagen zu rasen, sodass ihr Hals trocken wurde. Erst als Dana den Kofferraum zuschlug, holte der Schreck Amber aus ihrer Träumerei. Ihre Mum griff ihr an die Schulter und sagte dann seufzend, und als ahnte sie dass noch etwas schlimmes geschehen würde:

,Gehen wir.'

Wie es für Dana als Agentin des FBI typisch war, inspizierte sie alles genaustens, während sie von ihrer Tochter durch die Flure geleitet wurde.

Sie warteten vor der Tür des Aufzugs. Nachdem sie eingestiegen war, betätigte Amber den Knopf und sagte, ähnlich wie Alex es damals getan hatte:

,Wir müssen nach ganz oben.'

Während sie warteten, betrachtete Amber immer wieder das Gesicht ihrer Mum. Sie wirkte aufeinmal traurig und in sich gekehrt. Nachdenklich und besorgt.

,Stimmt etwas nicht, Mum? Geht es dir nicht gut?' fragte sie und ging einen Schritt auf sie zu. Doch Dana schüttelte nur den Kopf und umschlang den Griff der Tasche, die sie für ihre Tochter gepackt hatte, fest.

Amber schnaufte und begann daraufhin ihr Kleid zurecht zu ziehen und sich im Spiegel des Aufzugs anzusehen. Ihre Blicke verweilten auf ihrem Bauch, den sie hin und wieder immer noch ungläubig betrachtete, bevor sie sagte:

,Alles im Leben geschieht aus einem bestimmten Grund und die Wege, die anfangs noch verworren und als nicht richtig erschienen, eröffnen manchmal neuen Möglichkeiten etwas zu erkennen, zu verstehen oder zu offenbaren. Ich glaube Mum, dass wir uns niemals wieder hätten so nahe kommen könne, hätten wir uns zuvor nicht derart voneinander entfernt. Und jetzt möchte ich das was auch du willst... William finden.'

Sie war berührt von den Worten ihrer Tochter und sie ahnte, dass es ihre Art war zu sagen, dass sie ihr endgültig vergeben hatte.

Dana ließ den Griff der Tasche für einen Moment los und umfasste Ambers Gesicht. Sie strich ihr Haar hinter die Ohren und drückte ihren Körper an sich.

,Du wirkst aufeinmal so erwachsen. Erwachsener als ich es vermutlich all die Jahre zuvor gewesen bin... '

,Und doch fühle ich mich mit meinen Ängsten und Unsicherheiten klein wie ein Kind.' antwortete Amber, drückte ihre Mum von sich, nahm deren Hand und führte sie zu der Wölbung ihres Bauches.

Ein einzelner hoher Ton mit dem das Öffnen der Aufzugtüren einherging holte sie zurück aus ihrer Versunkenheit. Für gewöhnlich war es in der obersten Etage still sodass man das Fallen einer Stecknadel auf den Teppichboden hätten hören können, doch schon aus einiger Entfernung vernahmen sie dumpfe Schläge und Stimmen.

Amber ging einige wenige Schritte vor und versuchte zu schleichen. Sie drehte sich dabei kurz zu ihrer Mum um und sah sie irritiert an. Plötzliche Zweifel schäumten in ihr hoch und eine Welle aus Furcht übermannte sie für Sekundenbruchteile, aber sie wollte sich dieser nicht ergeben. Sie hielt den Atem an und lauschte an der Tür, während sie mit zusammen gekniffenen Augen zu Dana sah. Ihr Blick war fragend. Es dauerte einen Moment, doch dann ging Amber einen Schritt zurück und klopfte an. Die Geräusche, die sie noch zuvor vernommen hatten, verstummten plötzlich.

Es dauerte eine Weile, doch dann öffnete Alex die Tür seines Apartments. Der Ausdruck seines Gesichts wirkte zunächst verwundert, bevor er fragte:

,Amber, was willst du hier?'

Seine Wortwahl ließ sie erschauern, doch sie ahnte, dass er sich sorgte, deshalb drängte sie sich an ihm vorbei und erhaschte dabei einen Blick in das Wohnzimmer, in welchem sie ihren Dad sah. Dieser stand auf und ging auf Amber und Dana zu, doch auch er schien, ähnlich wie Alex, nicht gerade erbaut über deren Anwesenheit zu sein.

Sie fühlte sich schuldig und schlecht und hatte das Gefühl erneut als Mutter versagt zu haben. Und doch ging ihr Herz weit über ihren Verstand hinaus. Der Bitte ihrer Tochter nachgekommen zu sein, aus Angst davor den zarten Faden des Vertrauens, der sie nun nach so langer Zeit voller Misstrauen wieder verband, zerreißen zu lassen.

Noch bevor jemand fragen konnte, warf Dana seufzend und entschuldigend in den Raum:

,Sie war einfach nicht davon abzubringen hier her zu kommen... '

Amber drehte sich daraufhin kurz zu ihrer Mum um, bevor ihre Blicke zu Alex wanderten.

Sie hatten sich wieder und doch war irgendetwas anders und seltsam. Wirkte beinahe erstickend. Er warnte sie nicht vor, sondern griff nach ihrer Hand und zerrte Amber unsanft und vor den Augen ihrer Eltern in die Küche, deren Tür er mit einem lauten Knall zustieß.

Er ließ sie los und sie betrachtete mit einem schmerzerfüllten Zischen die geröteten Stellen auf ihrer Haut.

,Was hast du dir dabei gedacht hier her zu kommen?' fragte er sie, bemüht ruhig zu klingen.

Ernüchterung verengte Ambers Herz und sie senkte den Kopf und antwortete leise:

,Ich dachte du würdest dich freuen mich wieder zu sehen. Zu sehen, dass es mir und unserem Baby gut geht... '

Dann machte sie eine Pause und fuhr fort, während sie fragend zu ihm empor sah:

,Was ist überhaupt mit deinem Apartment geschehen und was macht mein Dad hier? Es sieht aus als hätte hier einer der schlimmsten Orkane gewütet!'

Alex ahnte dass seine Wortwahl zu harsch und sein Wesen zu aufbrausend gewesen waren, doch er sorgte sich um sie. Er versuchte einen Schritt auf sie zu zu gehen, doch Amber wich zurück und lehnte sich an den Küchentisch. Sie senkte den Kopf und begann mit dem Bernsteinanhänger ihrer Halskette zu spielen und auf diesem zu kauen. Alex entging dies nicht und so wagte er einen zweiten Versuch.

,Das von eben tut mir leid. Aber du musst mich und auch ebenso deine Eltern verstehen. Wir haben dich schon einmal verloren, und das obwohl wir alle bei dir waren, und jetzt fürchten wir uns vor dem was noch kommen mag, wenn davon auszugehen ist, dass das alles erst der Anfang war... '

,Das klingt als wüsstest du, dass noch etwas geschehen wird.' flüsterte Amber und kehrte sich weiter in sich selbst.

,Ich weiß es nicht. Niemand weiß das, aber schon alleine die Ahnung genügt dass einem das Blut in den Adern gefriert.' entgegnete er ihr und versuchte sie zu berühren. Sie ließ es nach einigem Zögern zu und lehnte ihren Kopf an seine Brust.

Er strich durch ihr Haar. Wieder spürte Amber die Bewegungen ihres ungeborenen Kindes. Dieses Mal so stark, das auch Alex diese bemerkte und daraufhin eine Gänsehaut bekam. Das kleine Wesen besaß noch keine andere Sprache um sich mitzuteilen, außer dieser und es schien so als wolle es sie ermahnen stets offen miteinander zu reden.

Nocheinmal fragte Amber:

,Und weshalb sieht es hier nun so verwüstet aus?'

,Wanzen.' entgegnete ihr Alex zunächst nüchtern, bevor er sich langsam setzte nach ihrer Hand griff und über die Rötungen strich. Dann fuhr er fort:

,Dein Dad hat mich auf diese Idee gebracht. Darauf, dass wir die ganze Zeit, seit wir uns zum ersten Mal begegneten, nicht alleine gewesen sind. Ich gestehe, dass auch ich mich irrte als ich dachte, dass die Zeit alles heilen oder vergessen machen würde. Irgendwer hegt offenbar noch immer Rachegelüste an mir und er scheint dich benutzen zu wollen, weil du vielleicht auch etwas weißt, oder durch mich eine Gefahr besteht, dass du es noch erfahren wirst.'

Auch Amber nahm Platz, stütze beide Ellbogen auf den Tisch und fuhr sich schnaufend durch den Haarschopf.

,Das klingt dennoch alles ziemlich verworren. Ich meine unsere Begegnung war doch ein Zufall oder Schicksal, wie auch immer man es nennen mag. Nichts von alle dem war jemals geplant. Es war vielleicht nur eine seltsame Fügung, dass ich zu den Menschen gehörte, die dich zunächst für deine Vergangenheit hassten und verachteten. Weshalb hättest du auch etwas von allem dem planen sollen? Deine Liebe und Fürsorglichkeit mir gegenüber, … unser Baby. Nein, das ist etwas was geschehen ist und das einzige was ich mir vorstellen kann ist, dass hier für jemanden die Geschichte nicht so gelaufen ist wie sie hätte weitergehen oder sogar enden sollen.'

Dann machte sie eine kurze Pause und kaute kurz auf der Unterlippe bevor sie weiter sprach.

,Als ich aus meinem koma-artigen Zustand aufwachte und meine Mum sah, war etwas anders. Ich konnte auf einmal mit ihr reden. Sie sagte mir etwas, dass mich auch noch jetzt verwirrt und dem ich nachgehen möchte... '

Alex Herz begann zu rasen und seine Kehle wurde trocken, doch er ließ Amber weiter sprechen.

,Sie sagte einen Namen, sagte ich hätte einen Bruder. Das ist irgendwie alles noch immer so verdammt verrückt.'

Alex senkte den Kopf, holte tief Luft und antwortete dann:

,Sie hat sicherlich den Namen William erwähnt, nicht wahr?'

Amber zuckte zusammen und bohrte aus lauter Anspannung ihre Fingernägel in Alex' Handrücken bevor sie fragte:

,Du wusstest von seiner Existenz? Hättest du mir irgendwann auch davon erzählt, hätte es meine Mum nicht jetzt getan?'

Ihre Stimme bebte und ihr Atem zitterte. Etwas in ihr war geneigt wütend zu sein, etwas anderes wiederum sagte ihr, dass Alex für all dies nur wenig konnte. Bisher war er ehrlich zu ihr gewesen, das glaubte sie und dessen war sie sich auch sicher. Sie spürte, dass er sie liebte, dass er sich deshalb um sie sorgte und das es Geheimnisse gab dessen Offenbarung eine große Gefahr für denjenigen der sie erfuhr bargen.

Dann lehnte sie sich zurück und flüsterte:

,Ich will ihn finden... ich will William finden! Koste es was es wolle!'

Sie wollte aufstehen, doch Alex zog sie zurück. Jahre trennten sie und er wünschte er hätte in jenem Moment eine weisere Entscheidung treffen können, doch das was er für Amber empfand war zu stark geworden und er konnte und wollte sie nicht enttäuschen. Seufzend warf er in den Raum:

,Ich werde dir helfen ihn zu finden, aber nur insofern ich sicher sein kann, dass ich dich keiner unnötigen Gefahr aussetze, okay?'

Ihre Blicke wurden wässrig. Einerseits war sie erleichtert, andererseits hatte sie noch immer Angst. Angst vor einer Wahrheit von der sie nicht wusste wohin sie sie führen würde.

Amber erhob sich und ging zu Alex, der noch immer auf einem Stuhl saß und betrübt zu Boden sah. Sanft begann sie durch seinen Haarschopf zu streicheln, während er mit beiden Händen ihren Bauch umfasste, seinen Kopf an diesen lehnte und sagte:

,Das Leben ist schon ein eigenartiger, schicksalhafter Pfad und manches findet nur auf Umwegen zu seiner Bestimmung... '
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