World of X

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Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Vertrauter Feind

Wieder im Büro des Assistent Director angekommen, schloss Fox, der als Letzter den Raum betreten hatte, die große hölzerner Tür.

Dana sank langsam auf das schwarze Ledersofa, starrte stumm mit geöffnetem Mund vor sich her und vergrub dann schluchzend ihr Gesicht in ihren Händen.

Jetzt, erst jetzt, als Amber all jenes zugestoßen war vor dem sie sie immer hatten bewahren wollen, und sie nicht wusste wo ihre Tochter war, wie es ihr ging und ob sie noch lebte, spürte Dana wie sehr sie ihr fehlte und wie augenscheinlich sinnlos und lächerlich doch all die Konflikte waren, die sie Jahre zuvor oftmals lautstark diskutiert hatten. Schließlich war es stets Amber, die ihren Eltern Schuldgefühle vermittelte und nun kam selbst Dana nicht umher sich einzugestehen, dass sie dies zu Recht getan hatte.

Die gut gemeinte Absicht des Schweigens war zu einer Lüge geworden, die sie entzweite.

Die Mauern die sie erbaut hatten wurden höher und der Wind der wehte von Tag zu Tag eisiger. Irgendwann sprach Amber kaum noch, zog sich mehr und mehr zurück, verließ ihr Zuhause vorübergehend und stand doch, ohne Ankündigung, plötzlich wieder vor ihrer Tür.
Damals weinte sie nicht. Sie zog nur stumm einen Koffer hinter sich her, sah tief in die Augen ihrer Eltern, ging wortlos an ihnen vorüber in ihr Zimmer und schloss sich dort ein. Hin und wieder verließ sie es um etwas zu essen oder zu trinken, doch meistens, wenn sie dachte niemand würde sie hören und sie wäre unbeobachtet, verbrachte sie die Zeit damit sich den Finger in den Hals zu stecken und sich zu übergeben. Sie quälte sich selbst, obwohl sie, wie Dana nun bewusst wurde, bereits genug gequält worden war.
Sie verstand, dass es ein nicht zu überhörender Hilfeschrei war, den sie jedoch damals noch nicht imstande war zu begreifen. Umso mehr hatte es sie stets gewundert, dass sich Amber mit ihrer Arbeitskollegin und zugleich besten Freundin Suri so hervorragend verstand. Sie war das komplette Gegenteil und doch waren die Zwei wie Schwestern. Immerhin war sie diejenige, die es geschafft hatte Amber aus ihrer Tristesse zu holen und sie zurück ins Leben zu führen und vorübergehend vergessen zu lassen.

Das Schicksal war seltsam. Unberechenbar. Bitter süß, und verlief in einer düsteren Ironie. Ausgerechnet ein Mörder wie Alex Krycek, ein Lügner und von grundauf zwiespältiger Mensch, war es, der Amber beflügelte. Wie gerne hätte Dana erfahren welche Details er ihrer Tochter tatsächlich offenbart hatte und welche Geheimnisse er noch immer tief in sich verschloss, da sie so grausam und dunkel waren, dass sie sich kaum jemand hätte vorstellen können.

Und wie konnte es geschehen, dass Amber kurz nach ihrer ersten Begegnung schwanger geworden war?

War es Absicht?

Ein Versehen?

Blindheit?

Oder vielleicht doch ein Wunder, dass ihr Leben retten und in eine bessere Bahn lenken konnte?

Aber weshalb musste ausgerechnet Alex Krycek derjenige sein, der die Lebenslust neu in ihr entfachte, um sie und ihr ungeborenes Kind durch die Schattenseiten seiner Vergangenheit doch nur in Gefahr zu bringen, und das schlimmer als je zuvor?

Dana vermutete, dass es das war was Fox mehr und mehr anwiderte. Ambers Unwissenheit machte die Vergangenheit erneut zur Gegenwart und lebendiger als je zuvor.

Noch unerträglicher war für ihn als Vater das Kuriosum, dass er, durch das Kind des Mörders, das in Amber reifte, mehr und mehr unwollend zu einem Verwandten des Selbigen wurde. Diese Gewissheit hatte ihn in den vergangenen Monaten zerrissen und unausstehlich gemacht.

Er konnte Amber nicht mehr erreichen, Amber ihn nicht und nicht einmal Dana war es noch möglich gewesen zu schlichten. Doch eines war klar. Es musste besser werden, damit es gut werden konnte und nun eröffnete sich dafür eine Möglichkeit für sie als Eltern und für Alex als derjenige, dem niemand bis auf Amber vertraute, dies zu beweisen. Kostete es was es wolle.

Fox lehnte sich an den Bürotisch des Assistent Director, starrte auf den Fußboden und strich nachdenklich über sein Kinn. Alex platzierte sich unweit von Dana und beobachtete sie eine Weile lang von der Seite, während er seinen Kehlkopf berührte und noch immer Schmerzen beim Schlucken hatte. Sie tat ihm leid, denn er teilte ihren Schmerz und die damit einhergehende Verlustangst, auch wenn ihm bisher noch immer niemand glaubte dass er Amber tatsächlich liebte.

Director Skinner hatte sich wieder auf seinem Bürosessel platziert und betrachtete die Anwesenden wortlos, während er sich an einem Kugelschreiber festhielt. Inzwischen war ihm klar geworden, dass es in dieser Misere nicht mehr nur einen Schuldigen gab. Sie alle waren inzwischen schuldig an dem was geschehen war, denn sie, mit all ihrem Wissen, hätten genau jenes verhindern können, hätten sie sich nicht derart ihren negativen Emotionen ergeben.

In Fox Kopf überschlugen sich die Gedanken. Eine Idee verschob und blockierte die nächste, bis ihm plötzlich etwas simples vor Augen stieß, er aufsah und in Alex Richtung schaute.

,Krycek, wissen Sie zufällig ob Amber ihr Handy bei sich hatte?'

Alex stütze die Ellbogen auf seine Knie und berührte seine Schläfen. Auch Dana sah mit geröteten Augen auf und wusste zunächst nicht worauf er hinaus wollte.

,Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube schon. Aber wozu soll das gut sein, Mulder?'

,Wir leben im Zeitalter der Handyortung. Das mag in diesem Zusammenhang vielleicht etwas zu einfach erscheinen, gibt uns aber vielleicht eine Möglichkeit, oder zumindest einen Anhaltspunkt herauszufinden wo sie sich zuletzt aufgehalten hat, wenn ihr Telefon nicht willkürlich an irgendeinem Straßenrand entsorgt wurde. Ich habe da so ein Gefühl... '
,Und welches Gefühl ist das?' wollte Alex wissen und sprang von dem Ledersofa auf.

Fox nährte sich ihm bedrohlich, sah ihm tief in den Augen. Alex versuchte in Bruchteilen von Sekunden mit allem zu rechnen. Auch damit, dass er jeden Moment erneut geschlagen werden würde, doch das Einzige was Fox tat war ihn aufzufordern mit ihm zu kommen. Innerhalb von Augenblicken schien sich alles umgekehrt zu haben und Alex wusste nicht ob er ihm trauen sollte. Doch sein Bewusstsein und die Sorge um Amber und ihr ungeborenes Kind übermannte alle Zweifel und Furcht selbst zum Opfer zu werden. Fox ließ Alex den Vortritt, sah sich noch einmal zu Dana und dem Assitent Director um, die noch immer fragend schauten, bis er sagte:

,Ihr bleibt hier! Das ist sicherer. Wenn uns etwas zustößt, könnt immerhin noch Ihr herausfinden was geschehen ist und unsere Spuren bis zum tatsächlichen Ende verfolgen.'

Dana sah erst zu Director Skinner und nickte kaum merklich, dann sah sie zu Fox, eilte zu ihm, gab ihm einen intensiven Kuss und flüsterte:

,Es wird schon richtig sein. Kommt nur wieder zurück... bitte!!!'

Alex hatte Schwierigkeiten mit Fox Schritt zu halten, denn dessen Wut schien sich plötzlich in eine, für ihn mysteriöse Euphorie, umgewandelt zu haben. Vielleicht war es jedoch auch nur der Tatendrang der ihn vorantrieb seiner Tochter nun endlich beweisen zu können wie sehr er sie doch liebte. Doch Alex fragte nicht. Sein Herz schlug bis zum Hals und aufeinmal fürchtete er sich.

Sie waren im Parkhaus des FBI und eilten zu Fox Auto. Er hasste diesen Ort und das diffuse Licht, dass zwar einerseits schützend wirkte, aber andererseits auch den Feind, der sich im Hinterhalt verbarg so gut wie unsichtbar machte. Hier entging er damals nur knapp einem tödlichen Kopfschuss und plötzlich hatte er das Gefühl, als kehrte sich alles um und er erlitt das was er anderen all die Jahre zuvor angetan hatte auf eine ebenso bedrückende, von Furcht durchzogene, Art und Weise.
Bevor er zu Mulder ins Auto stieg atmete er tief ein und aus und sah sich noch einmal prüfend um. Es ging nicht um ihn. Es ging um Amber und doch ängstigte ihn der Gedanke sie vielleicht nie mehr wieder zu sehen.

Niemals sein Kind zu sehen.

Nicht weil man ihr tatsächlich etwas angetan hatte, sondern viel mehr, dass man ihn wirklich umbringen würde, um ihm all das zu nehmen, was ihn hatte zu einem besseren Mensch werden lassen.

Er hatte Verrat begangen als er sich gegen ein Leben als Mörder entschieden hatte und den Preis den er nun dafür bezahlen sollte war ewige Furcht und die Angst davor das zu verlieren was er plötzlich so lieb gewonnen hatte.

Die Emotionen wüteten in Alex, doch er wollte kämpfen.

Selbst wenn er sterben würde, so dachte er, würde er dennoch in seiner Tochter oder seinem Sohn weiterleben. Aber soweit wollte er es keineswegs kommen lassen.

Zwei befeindete Gemüter trafen sich plötzlich in der Mitte, um für das Eine zu kämpfen was ihnen so viel bedeutete und was sie über alles liebten.
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