World of X

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Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Verschwunden

Wären Abneigung und Misstrauen etwas gewesen, das sichtbar wäre, so hätte es vermutlich den Büroraum des Assistent Directors in einen dichten Nebel getaucht. Es wurden so viele Worte ausgetauscht, doch keines schien stark genug um Alex Glaubwürdigkeit genügend zu unterstreichen. Doch er wollte nicht aufhören um diese zu kämpfen, wenngleich sich ihm nun eine gute, wenn auch groteske, Gelegenheit dazu bot.

Noch immer strömten unzählige Vorwürfe auf ihn ein, die er größten teils wortlos über sich ergehen ließ, denn es gab etwas, dass ihn nun viel mehr beschäftigte. Der Verbleib von Amber. In jenem Moment schien er der Einzige zu sein dem auffiel, dass sie schon viel zu lange verschwunden war um sich nur übergeben zu müssen. Er streifte den Ärmel seines Pullovers nach oben um auf die Uhr zu sehen. Dana unterbrach diese winzige Geste mit der Frage ob er ihr überhaupt zugehört hätte. Alex blickte zu ihr auf, denn er hatte das Gefühl dass etwas nicht stimmte, dann erhob er sich, sah allen Dreien abwechselnd in die Augen und fragte fassungslos:

,Fällt Ihnen denn gar nichts auf?'

Ohne eine Antwort abzuwarten machte er sich auf den Weg um das Büro zu verlassen.

,Was soll das werden Krycek?' fauchte ihn Fox aus dem Hintergrund an und Alex blieb einen Moment lang stehen, während er den Kopf in den Nacken legte und kurz darauf die Tür öffnete. Er drehte sich flüchtig um, kniff die Augen zusammen und eilte dann über den diffus beleuchteten Flur.

Irgendetwas musste passiert sein, etwas das im Zusammenhang mit den Ereignissen zuvor stand. Das spürte er und dessen war er sich sicher.

Sein schneller Schritt verlangsamte sich als er die Eingangstür zu den Toiletten erreichte und auf dem Fußboden einige kreisrunde, rote Tropfen ausmachen konnte. Er ging in die Knie, berührte sie und verrieb diese zwischen Daumen und Zeigefinger um sicher zu gehen, dass es tatsächlich frisches Blut war was er sah. Sein Herz begann zu rasen als er erkannte, dass er sich nicht geirrt hatte und plötzlich schien ihm etwas unsichtbares die Kehle zu zuschnüren. Enger und noch enger, sodass er für eine Weile vergaß zu atmen.

Alex verweilte einige Augenblicke in dieser Position, während sein Kopf versuchte die Teile dieses Puzzles zu einem Bild zusammen zu fügen.
Vergeblich.

Nur vage nahm er einen Schatten neben sich wahr, der ebenfalls zu Boden sank um die Blutstropfen zu betrachten. Es war Dana, die ihm gefolgt war. Er sah sie nur flüchtig an und blickte dann wieder zu Boden. Eine Frage begann ihm auf der Seele zu brennen, denn auch er wusste trotz seiner düsteren Vergangenheit um die Dinge die Dana zugestoßen waren und plötzlich ereilte ihn eine Art von Mitgefühl, welches aber so rasch wie es kam in Wut umschlug. Es musste viele Dinge geben, die sie Amber vorsätzlich verschwiegen hatten. Aus Furcht die Vergangenheit wieder zu beleben und aus Furcht vor den seelischen Schmerzen die damit einhergingen. Doch er konnte nicht anders, und, als wäre er in jenem Moment nicht Herr über sich selbst sowie seiner Worte, fragte er sie:

,Wie fühlt es sich an zwei Kinder verloren zu haben?'

Dana erstarrte für einen Moment und ein eisiger Schauer übergoss ihren gesamten Körper. Eine rote Haarsträhne löste sich hinter ihrem Ohr und fiel ihr ins Gesicht. Sie ließ den Kopf sinken und antwortete flüsternd:

,Ich weiß nicht was sie damit meinen Krycek.'

,Wirklich nicht?' entgegnete ihr Alex mit leiser, rauer Stimme. Dann erhob er sich, legte die Hand auf die Türklinke und sah zu Dana herunter. Er war sich sicher, dass sie wusste was er gemeint hatte, denn wie könnte eine Mutter eines ihrer Kinder tatsächlich vergessen?

Vermutlich hatte sie es all die Jahre hinweg erfolgreich verdrängt. Die Hoffnung und den Schmerz, die Horrorszenarien die mit ihrer eigenen Entführung einhergingen und die daraus resultierende Unfruchtbarkeit und der seelenzerreißende Wunsch nach einer eigenen Familie, der schier aussichtslos schien, nachdem man ihr so vieles genommen hatte.

William, der das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung war, war ein Wunder. Er war alles was sie sich jemals gewünscht hatte und doch gab sie ihn kurz nach seiner Geburt in die Obhut von Pflegeeltern. Sie handelte damals nicht im Affekt. Der Weg sich so zu entscheiden war lang und schwer und doch hielt sie es für das Richtige. Dana liebte ihren Sohn und deshalb wollte sie ihn beschützen, ihm ein normales Leben ermöglichen. Eines in dem man nicht vom Jagenden zu Gejagten werden würde und in ständiger Angst leben musste.
Und dennoch verfolgten sie die Gewissensbisse Tag und Nacht.
Sie fühlte sich seit Jahren schlecht, schuldig und als Versagerin. Doch mit ihrer augenscheinlichen Kühle schaffte sie es dies zu überspielen und den meisten Menschen Glauben zu machen, dass es ihr gut ging.
Alex, der ihr alles andere als nahe stand, wusste dass dem nicht so war.

Und Amber?

Sie war ebenso ein Wunder wie ihr Bruder William.

Vielleicht betrachtete Dana sie als zweite Chance eine gute Mutter zu werden und den Fehler, den sie begangen hatte, wieder gut zu machen. Doch alles was sie für ihre Tochter in der besten Absicht tun wollte, wandte sich gegen sie und wurde anstelle von Vertrauen zu Misstrauen.

Vielleicht war es auch nur so, dass Amber intuitiv spürte, dass es noch jemanden gab, der trotz großer Distanz zu ihr gehörte. Vielleicht hätte Dana, nach dem sie William weggegeben hatte und wusste dass es falsch war, alles daran setzen müssen ihn wieder zu bekommen. Aber damals sprachen ihr Herz sowie ihr Verstand einfach nicht dieselbe Sprache, sodass das Rationale über dem Emotionalen stand.

Es war eine dunkle Vergangenheit, eine abstruse Wahrheit, die sie in sich trug und gut verschlossen hielt. Nur Fox wusste wie düster diese wirklich war, denn er gehörte zu den Wenigen, die sie an sich heran ließ und der sie durch die Furchen dieser Zeit begleiten durfte.

Doch wie konnte dann Alex Krycek von diesen sehr persönlichen Dingen wissen?

Es war ihr ein Rätsel, aber sie wollte, dass er aufhörte in diesen verdeckten, noch immer blutenden, Wunden zu stochern und deshalb lenkte sie die Aufmerksamkeit wieder zu den Tropfen auf dem Boden.

Alex wandte seinen Blick wieder von ihr ab, wohl wissend dass er mit wenigen Worten einen Schritt zu weit gegangen war. Dann legte er eine flache Hand auf die Tür und atmete tief durch, bevor er flüsterte:

,Ich will jetzt wissen was hier passiert ist. Sie nicht auch?'

Dana richtete sich auf. Ihr wurde abwechselnd kalt und heiß und die Angst begann eine kaum zu ertragende Übelkeit in ihr zu schüren. Zum ersten Mal überwog das Gefühl der Sorge die Wut, die sie sonst auf Amber hatte und sie betete dass sie sie nun dort finden würden, wenngleich ihre Intuition etwas anderes verriet.

Langsam öffnete Alex die Tür. Sein Herz schlug bis zum Hals. Das kalt-weiße Neonlicht blendete sie für den Bruchteil von Sekunden, dann betraten sie den gefliesten Raum. In der Luft mischte sich der Geruch von Erbrochenem mit dem von Zigaretten und sofort schoss Alex eine Ahnung von dem was geschehen sein musste in den Kopf. Dana umschlang fröstelnd ihren Oberkörper, zog eine Braue nach oben und sah unter die Spaltöffnungen der Kabinen. Obwohl sie wusste, dass ihr niemand antworten würde, warf sie mit zitternder Stimme Ambers Namen in den Raum. Plötzlich wurde ihr so vieles bewusst und die Last, die sie seit Jahren in sich trug, wurde erdrückender und schwerer.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie wie Alex seit einigen Minuten an einer und derselben Stelle neben dem Türrahmen verharrte und hektisch durch den Mund atmete.

,Vergessen Sie es. Sie ist nicht hier.', warf er in den Raum, sah zu Dana auf und zeigte ihr dann das verschmierte Blut an den Fliesen.

Sie fuhr zusammen, drehte sich um und nährte sich Alex langsam und mit wässrigem Blick.

,Und wo ist sie? Wo ist meine Tochter?'

,Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ihr Verschwinden im Zusammenhang mit dem Erscheinen dieses kettenrauchenden Schweinehunds steht. Genau das war es weswegen wir hier her kamen, aber anscheinend hielt es niemand von Ihnen für nötig Amber wirklich ernst zu nehmen, da Sie alle viel mehr mit ihrem Groll gegen mich beschäftigt waren.'

Dana presste die Lippen fest aufeinander und ließ den Kopf sinken. Sie wollte antworten, sich verteidigen, doch der Gedanke, dass Amber etwas zugestoßen sein und jede Minute zählen könnte, brachte sie zum Schweigen.

,Fakt ist, dass wir etwas unternehmen müssen um sie zu finden. Denn wenn tatsächlich der Kettenraucher hinter dem hier und ihrem Verschwinden steckt, weiß ich ehrlich gesagt nicht was die noch mit ihr vor haben oder wie weit sie gehen werden. Beten Sie also zu Gott, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt.'

Alex fühlte sich aufgeweckter als je zuvor, nachdem er und Dana den Raum verlassen hatten. Sie hingegen wirkte schon fast schläfrig und paralysiert. So als erstickten die Selbstvorwürfe ihr Bewusstsein.
Auf der Hälfte des Weges eilten Fox und der Assistent Director auf sie zu, verlangsamten jedoch ihren Schritt als sie Alex und Dana, die die Arme fest vor dem Bauch verschlungen hielt und mühsam ihre Tränen zu unterdrücken versuchte, sahen.

Ihre Geste verriet, dass etwas geschehen sein musste, doch anstatt ihr die Frage nach Ambers Verbleib zu stellen schoss Fox aus dem Hintergrund hervor, an Dana vorbei und stieß Alex mit all seiner Kraft gegen die Wand, um diesem seinen Unterarm brutal in die Kehle zu drücken. Dieser stämmte sich gegen die Wand und suchte nach Worten, während er um Luft rang. Schließlich schaffte er es sich aus dessen Griff zu befreien und stieß Fox, schwer atmend, von sich.

,Was soll das Mulder?' fragte Alex röchelnd, während er seinen Hals berührte und hinzufügte:

,Glauben Sie etwa allen ernstes dass ich etwas mit Ambers Verschwinden und den Blutflecken auf dem Boden zu tun habe? Dann wäre ich wohl kaum hier und hätte versucht das was geschehen ist zu verhindern.'

Ein Gedanke jagte den nächsten, doch der Groll, den Fox gegen Alex hegte, überwog immer wieder. Er konnte und wollte ihm nicht glauben, dass alles was bisher geschehen war zufällig passierte. Dazu hatte er als Mörder zu sehr ihr Misstrauen geschürt und dazu widerte ihn die Tatsache, dass Amber von diesem Mann, dessen Leben seiner Ansicht nach nur von Lügen regiert wurde, ein Kind erwartete, zu sehr an. An einigen Tagen war es manchmal so extrem, dass er nicht nur Alex sondern auch seine Tochter zu hassen begann. Er erinnerte sich nur noch selten an jene sonnigen Momente von früher. Die Augenblicke in denen sie als Eltern jedoch kaum besser waren als Alex. Nicht weil sie Mörder gewesen wären, sondern viel mehr weil sie schwiegen und sich in diesem Schweigen eine ebenso große Lüge verbarg. Viele Gefühle wüteten wie ein Wirbelsturm in ihren Gemütern.

Was hatte Alex Amber bisher offenbart und was hatte er absichtlich für sich behalten.

Was war der tatsächliche Grund für Ambers plötzliche Abneigung ihren Eltern gegenüber?

Es waren so viele Fragen, so viele unausgesprochene Worte, die einen düsteren Pfad bildeten, an dessen Ende sich jedoch nur eine Antwort finden lassen würde.

Die Wahrheit.
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