World of X

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Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Verdrängte Erinnerung

Auch Fox war inzwischen aufgewacht und registrierte aufmerksam jeden Schritt Danas, die mit verschränkten Armen vor dem Schlafzimmerfenster auf und ab ging und ihre Blicke über die Häuserschluchten schweifen ließ. Es war als hätte sich das bittere Gefühl, das sie die ganze Zeit unausgesprochen verspürte, innerhalb weniger Wochen in etwas greifbares manifestiert. Sie plagten Gewissensbisse und sie begriff erneut dass, Amber anzuschreien und sie in der Ungewissheit des Schweigens zu lassen, stets der falsche Weg gewesen war. All dies, ihr Versagen als Mutter und auch als Vater, holte sie nun ein und es gab nur einen Versuch diesen Fehler wieder gut zu machen - indem sie ihr und auch Alex jetzt halfen, wenngleich sie ihm noch immer misstrauten und der Hass an ihnen nagte, doch sie wusste, dass sie es ihrer Tochter nach alle dem schuldig war.

Fox fuhr sich langsam mit gespreizten Finger durch sein dunkelbraunes Haar und zog die Stirn in Falten, dann sagte er müde:

,Was auch immer es ist, sage es mir bitte nicht, denn mir hat schon alleine die Vorahnung gereicht, dass etwas geschehen würde, so lange Amber wie ein dummes, gutgläubiges Hündchen an der Seite von diesem Krycek läuft.'

Dieser Satz stach in Danas Herz und dennoch tat sie so als berührte es sie nicht.

Sie suchte ein paar frische Kleidungsstücke aus dem Schrank, hielt diese in der Hand und sank noch einmal auf die Bettkante. Es dauerte einen Augenblick, bis sie das, was sie bewegte in Worte fassen konnte, deshalb warf sie fast atemlos in den Raum:

,Ich denke, dass unsere Vergangenheit schlimm genug gewesen ist und ich möchte einfach nicht, dass unserer Tochter selbiges wiederfährt. Sie ist zwar erwachsen und dennoch haben wir ihr gegenüber eine Verantwortung. Eine Verantwortung der wir uns schon viel früher hätten bewusst sein sollen und stellen müssen.'

,Was meinst du damit?'

Dana warf ihr tizianrotes Haar in den Nacken, drehte sich noch einmal kurz um, schüttelte den Kopf, stand auf und ging dann ins Badezimmer.

Der Sommer schien gänzlich verflossen zu sein und auf den Straßen sammelte sich das erste Laub, das in der Tristesse des Herbstes schwermütig tanzte. Amber sah noch einmal in den Spiegel, betrachtete nachdenklich ihr fahles Gesicht und die Wölbung ihres Bauches. Als Alex hinter sie trat, umwickelte sie sich rasch mit ihrer Strickjacke, fast so als verbarg sie etwas für das man sich schämen müsste. Er drückte ihre Schultern und schob sie dann ohne ein weiteres Wort zur Wohnungstür.

An seinem Auto angekommen warf Alex Amber die Autoschlüssel zu. Sie sah ihn zunächst fragend an, doch dann schloss sie auf und ließ sich langsam in den Sitz sinken. Zunächst starrte sie wortlos vor sich her und umfasste das Lenkrad mit ihren kalten, schwitzigen Händen. Ihr Herz schlug bis zum Hals und sie wusste in dem Momemt nicht was sie mehr ängstigte. Ob es die Begegnung mit ihren Eltern war oder das, was sie noch nicht einmal zu ahnen vermochte.

In ihrem Geist spielten sich die verrücktesten Szenen ab und eigentlich hielt sie es fast für lebensmüde überhaupt mit dem Auto zu fahren. Was wäre, wenn sie sich damit erst recht an diejenigen auslieferten, die Amber und Alex etwas antun wollten? Diese Gedanken ließen sie für Sekundebruchteile erstarren.

Er ließ seine Hand vor ihren Augen auf und ab wandern, dann beugte er sich zu ihr und küsste sanft ihr Gesicht. Sie sah zu ihm, atmete schwer und fuhr dann los.

Während der gesamten Autofahrt sprachen sie nur wenig miteinander, denn Amber hatte mit Konzentrationsproblemen zu kämpfen. Immer wieder fielen ihr die Dinge ein, die geschehen waren, seitdem sie Alex zum ersten Mal sah. Manchmal war sie sich nicht sicher ob es auch so gekommen wäre, wäre sie ihm nie begegnet. Aber sie konnte und wollte es nicht bereuen, denn es gab noch immer etwas, dass sie verband und sie gestand sich ein, so verwirrt sie auch hin und wieder war, dass sie ihn aus tiefstem Herzen liebte.

Die Autofahrt kam Alex und Amber wie eine Ewigkeit vor. Deshalb erlöste es sie, als sie endlich das Lenkrad zum Parken einschlagen konnte. Dabei wirbelte sie eine Wolke aus Sand und Staub auf. Sie wollte aussteigen, doch sie hatte das Gefühl, als hingen tonnenschwere Gewichte an ihren Beinen, die sie lähmten. Alex griff nach ihrer Hand, fasste an ihr Kinn, drehte ihren Kopf zu sich und sah ihr in die Augen. Er brauchte nichts zu sagen. Amber spürte was in ihm vorging.

Seine Finger wanderten langsam zu ihrem Bauch und verweilten eine Weile auf diesem, dann flüsterte er leise:

,Was wir tun, tun wir nicht nur für uns.'

Es begann zu regnen und eine kühle Brise spielte mit Ambers tizianrotem Haar, sodass dieses wie Flammen wirkte. Mit einer Kopfbewegung deutete sie Alex an ihr zu folgen und streckte ihm ihre Hand entgegen.

Dana und Fox hatten sich in der hintersten Ecke des Lokals platziert, da sie von dort alles gut beobachten konnten. Amber blieb aprupt stehen und ließ ihre Blicke einen Moment lang über die zahlreichen Tische und Gäste schweifen, wobei sie dabei so konzentriert war, dass sie sämtliche Geräusche, das Durcheinander der Stimmen sowie das Klappern von Besteck auf Tellern, ausblendete.

Es dauerte nicht lange und sie entdeckte ihre Eltern, die sich gerade angeregt unterhielten, während Dana immer wieder zu ihrer Armbanduhr sah. Nun gab es kein zurück mehr, auch wenn die Anspannung dafür sorgte, dass sich ihr Magen schmerzhaft zusammen zog und ihr übel wurde. Langsam, fast schleichend, gingen sie auf die Beiden zu.

Amber blieb vor dem Tisch stehen, ließ den Kopf hängen und verbarg das Gesicht hinter den Haarsträhnen, die in ihr Gesicht fielen.

Im ersten Moment schienen Dana und Fox sie gar nicht bemerkt zu haben, deshalb räusperte sie sich kaum hörbar.

Beide sahen zu ihr und Alex auf.

Eigenartige Blicke wanderten durch diese ohnehin schon schwere Atmosphäre und plötzlich fühlte sich Amber wieder genauso schlecht und schuldig wie bereits einige Wochen zuvor. Dennoch überwand sie das krampfhafte Gefühl der Angst in ihrem Bauch und setzte sich.

Sie waren die nächsten Verwandten und dennoch fühlte sie sich wie eine Fremde.

Dass sie keineswegs mit Herzlichkeit rechnen konnte war Amber bewusst, jedoch schnürte ihr die augenscheinliche Eiseskälte die Kehle zu, sodass sie nicht wusste wie sie beginnen sollte die Geschehnisse zu schildern.

Die Erlösung kam, als Dana fragte ob sie etwas trinken wollte. Es war zwar kein perfekter Einstieg für ein Gespräch, aber immerhin ein Anfang, um zu erklären was passiert war.

Nachdenklich nippte Amber an ihrem Ginger Ale und hielt sich dem feuchten Glas fest.

Sie atmete tief durch, bevor sie endlich in der Lage war das auszusprechen was sie bewegte. Dana beobachtete aufmerksam jede Mimik und Gestik ihrer Tochter, dabei entging ihr auch keineswegs das starke, übermächtige Pulsieren Ambers Halsschlagader. Alex hielt sich währenddessen bewusst zurück, schwieg und beobachtete das Geschehnis, denn er wusste, dass er mit jeder Aussage, die aus seinem Mund käme, alles was bisher glaubhaft schien wieder in Frage stellen würde und er wollte Amber nicht noch mehr quälen und leiden sehen.

,Ich weiß eigentlich gar nicht, ob es richtig war hier her zu kommen, da ich mir noch nicht einmal sicher bin, ob uns irgendwer gefolgt ist. Aber diese Begegnung am gestrigen Tag war einfach seltsam und bedrohlich. Wie nannte Alex ihn doch gleich? … dieser Krebskandidat stand gestern in seiner Wohnung und gab Dinge von sich, die eigenartig waren. Von wegen ich würde mich mit dem Feind verbünden. Ich meine, ich habe doch überhaupt keine Ahnung von alle dem was vor meiner Geburt geschehen ist. Und nun, so viele Jahre später, werde ich mit etwas konfrontiert, dass ich nicht verstehen kann, da mir grundlegendes Wissen über die Vergangenheit fehlt... '

Amber machte eine Pause und ließ ihre Blicke zwischen Dana und Fox hin und her wandern, bevor sie hinzufügte:

,Ich will Euch dieses Schweigen eigentlich nicht mehr länger vorhalten, aber ich komme auch nicht daran vorbei zu behaupten, dass Ehrlichkeit vielleicht doch einiges verhindert hätte... nur in wen man sich verliebt, kann man nicht kontrollieren.'

Amber wusste wie konfus das was sie sagte klingen musste, aber es erleichterte sie zunehmend und sie versuchte auf jede Reaktion ihrer Eltern gefasst zu sein.

Entgegen all ihrer Erwartungen und Befürchtungen, griff Dana nach ihrer Hand und auch Fox beugte sich leicht über den Tisch. Sie spürte, dass er sie berühren wollte, doch es gab noch immer etwas, dass ihn in diesem Augenblick blockierte. Schließlich ergriff Dana das Wort, bemüht ruhig zu klingen.

,Ich weiß, dass es mit einer Entschuldigung nicht getan ist, Amber. Dazu ist bereits zu viel geschehen. Ich weiß auch wie sehr du dich fürchten musst, zumal du nun mit Dingen konfrontiert wirst, die einem Alptraum gleichen, aber wir werden dir... euch... helfen schlimmeres zu verhindern, soweit es uns möglich ist, denn Unberechenbarkeit ist vermutlich ein Trumpf in diesem Spiel, den diese Leute noch immer nicht verloren haben.'

,Aber wie wollt Ihr uns denn helfen, wenn wir noch nicht einmal wissen welchen Schachzug diese Leute als nächsten unternehmen? Und dabei meine ich, dass ich mich viel weniger um mich als um mein Baby sorge.'

Ihre Stimme brach und sie vergrub kurz ihr Gesicht in ihren Händen, bevor sie über die Wölbung ihres Bauchs strich und dabei plötzlich bemerkte welch emotionale Bindung sie doch zu diesem, eigentlich ungewollten, Kind hatte, das in ihr heranwuchs.

Danas Augen wurden wässrig. Alex und Fox bemerkten ihre Reaktion auf Ambers Aussage und sie wussten genau weshalb sie auf einmal so gerührt war. Sie waren sich sicher, dass es die Erinnerung war, die in ihr aufflammte und plötzlich lebendiger als je zuvor wurde. Nicht zuletzt wegen des Geheimnisses, das sie noch immer fest in sich verschlossen hielt und dessen Offenbarung für Amber schlimmer als alles andere, was sie bisher erfahren hatte, sein würde.

Doch Dana sagte nichts weiter. Ihre Blicke wanderten zu Alex und flehten ihn an in diesem Moment zu schweigen. Er folgte dieser stillen Bitte, wenngleich er sich dabei unwohl und schuldig fühlte.

Kurz darauf blickte sich Fox im Lokal prüfend um, fast so als wollte er sicher gehen, dass sie tatsächlich niemand belauschte oder ihnen gefolgt war bevor er sagte:

,Wir haben bereits Assistent Director Skinner über das was du uns geschildert hast in Kenntnis gesetzt. Seine Möglichkeiten Euch zu schützen sind weitaus größer als die, die wir haben.'

Amber zog eine Braue nach oben und lehnte sich zurück, denn sie wusste, dass Skinner nie viel von ihr gehalten hatte. Dennoch ergab sie sich dem Schicksal ihm gegenüber treten zu müssen, denn sie gestand sich ein, dass nichts schlimmer war, als die nagende Ungewissheit vor dem nächsten Schachzug der unsichtbaren Bedrohung, die sie umgab.

Fox zog einen Zettel sowie einen Kugelschreiber aus der Tasche seines Jackets und notierte einige Stichpunkte auf diesem. Dann schob er ihn Amber zu. Ihre Hände berührten sich als sie ihn entgegen nahm und und kurz darauf las. Mit einem leichten Kopfnicken gab sie ihm zu verstehen, dass sie den Anweisungen folgen würde und auf einmal hatte sie das Gefühl als wären sie sich wieder so nahe wie einst.
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