World of X

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Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Pakt mit dem Teufel

Ein neuer Morgen graute über Washington D.C. und das Ableben dieses Sommers schien ebenso trostlos wie all das, was gerade um und zwischen Alex und Amber geschah. Sie hatten in dieser Nacht kaum schlafen können, wälzten sich im Bett umher und fühlten sich wie zwei Gefangene an einem Ort, den sie einst ihr zu Hause nennen wollten.

Alex verzog nach wie vor so gut wie keine Miene und auch Amber sah ihn nur wortlos an, wenngleich sie doch so viel zu sagen hatte.

Langsam erhob sie sich von der ledernen Sitzlandschaft, nahm ihre Tasse Tee und setzte sich wieder zu ihm. Sie senkte den Kopf, sodass ihr Haar eine Hälfte ihres Gesichts verdeckte. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie wie Alex sie ansah und darauf wartete, dass sie zu sprechen begann, doch sie brauchte noch Zeit. Insgeheim wusste Amber was sie sagen wollte, doch es war das Wie, das sie nun zermürbte. Sie selbst hatte das Gefühl zwischen zwei Fronten zu stehen und der schwersten Bürde Herr werden zu müssen, der Bürde zwei Seiten zusammen zu führen, die sich, aufgrund der Vergangenheit, keinerlei Vertrauen entgegenbrachten und selbst jetzt, nach so langer Zeit, sämtliche Geschehnisse weder vergeben noch vergessen konnten.

Alex Fingerspitzen zeichneten sanfte Formen auf ihren nackten Rücken, sodass sich ein lauwarmer Schauer über sie ergoss, der aus unerfindlichen Gründen das Eis des so schweren Schweigens brechen konnte.

,Mir ist etwas eingefallen... ', murmelte sie zunächst kaum verständlich vor sich her, bevor sie gebrochen hinzufügte:

,Das klingt jetzt sicherlich schrecklich und wie ein Pakt mit dem Teufel für dich, aber die einzigen Personen, die uns vielleicht auf irgendeine Art und Weise hilfreich zur Seite stehen könnten, wären meine Eltern. Ich meine, sie kennen sich doch aus mit Ermittlungsarbeiten, Personenschutz und tun doch eigentlich nichts anderes als fremden Menschen tagtäglich im Hintern zu schnüffeln, um sie dann für die Delikte, die sie begangen haben, an den Pranger zu stellen... Nur weiß ich im Augenblick nicht wie ich an sie heran treten soll, ohne dass ihre Vorurteile wieder alles eskalieren lassen. Verstehst du was ich meine?'

Seine Hände wurden kalt und feucht, denn ihn durchfuhren sofort wieder sämtliche Erinnerungen, nicht zuletzt die Begegnung mit Fox Mulder, dem er den Bluterguss in seinem Gesicht zu verdanken hatte. Jedoch war der Schlag, den er so schmerzhaft einstecken musste nichts im Vergleich zu der Ungewissheit, was schon heute oder morgen geschehen könnte. Er griff nach Ambers Telefon, das sie stets auf dem Seitenschränkchen neben seinem Bett platziert hatte, nahm ihre Hand, öffnete diese und legte es hinein. Ihre Blicke wirkten zunächst verwirrt und fragend, doch Alex kam ihr zuvor:

,Schlimmer kann es wohl kaum noch werden.'

Ihre Pupillen weiteten sich und sie schnaufte, während sie das Telefon angewidert, wie ein lebloses Stück Fleisch, betrachtete. Erst jetzt wurde ihr bewusst wie viel Überwindung es sie kosten würde Kontakt zu ihren Eltern aufzunehmen. Was für andere selbstverständlich schien, kam für Amber in jenem Moment dem Gefühl von Bloßstellung gleich, doch wenn sie ehrlich war, war dies die einzig vernünftige Option, um das zu verhindern, was sich wie ein Gewittersturm in der Heimlichkeit der Stille, zusammenbraute.

Zögerlich begann Amber die Rufnummer zu wählen, doch bevor sie die letzte Zahl eingab, warf sie den Kopf nach hinten, sah mit gestrecktem Hals an die Decke und sagte mit rauer, leiser Stimme:

,Ich kann das nicht, Alex.'

Er atmete tief durch und fuhr mit seiner Hand in ihren Nacken, den er leicht zu kneten begann, in der Hoffnung es würde sie entspannen.

,Was ist, wenn sie mir wieder nicht glauben oder zuhören? Ich weiß noch genau wie sie darauf reagiert haben, als ich ihnen von meiner Schwangerschaft erzählte und ich habe Angst, dass ich genau dieses Gefühl, versagt und alles falsch gemacht zu haben, nicht noch einmal ertragen will. Aber andererseits... '

Ihr Atem stockte, sie schluckte trocken, sodass ihr Hals stach, dann gab sie die letzte Nummer ein und hüllte sich fröstelnd in den dünnen, weichen Stoff der Bettdecke.

Ein Freizeichen ertönte am anderen Ende, für Sekunden, die sich jedoch wie eine Ewigkeit anfühlten. Amber versuchte in all ihrer Orientierungslosigkeit mit allem zum rechnen, auch damit, dass man sie ignorierte. In diesem Moment wusste sie nicht was sie mehr ängstige, ob es die Ungewissheit war, dass es offenbar jemanden gab, der großes Interesse daran hegte ihr und Alex Schaden zuzufügen oder die Reaktion auf ihren Versuch Kontakt aufzunehmen.

,Geh schon ran!' stammelte sie schließlich leise vor sich her, fast so als müsse sie das, was sie bedrückte, so schnell es ging, los werden, bevor der Mut in ihr schwand es auszusprechen.

Dann wurde es still und sie vernahm eine noch schläfrig klingende Stimme am andere Ende.

,Amber?'

Sie biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor sie antwortete:

,Ja Mum... es ist etwas seltsames geschehen und wir müssen uns treffen und miteinander reden. Es geht um... Alex und mich.'

Das Einzige was Amber daraufhin am anderen Ende der Leitung vernahm, war ein schweres Schnaufen und ein Schweigen, das sich jedoch nicht so eiskalt anfühlte wie sie es befürchtet hatte.

Ohne dass Dana genauer auf das Anliegen ihrer Tochter am Telefon einging, fragte sie sie, ob sie sich noch an jene Örtlichkeit, jenes Lokal, weit außerhalb von Washington D.C. erinnern könne, in dem sie viel Zeit verbracht und häufig zu Abend gegessen hatten. Amber erinnerte sich und manifestierte ihre Erinnerung, den Namen des Ortes, sowie eine Uhrzeit auf einem zerrissenen Zettel, den sie dann Alex zuschob.

Nachdem sie aufgelegt hatte, flammte zum ersten Mal nach langem wieder der Hauch von Zuneigung ihrer Mum gegenüber in Amber auf und auch ihr Gesichtsausdruck spiegelte vorübergehend Erleichterung wieder.

Sie hatte ihre schmalen, knochigen Schultern mit dem zarten Stoff des Betttuchs bedeckt und ging schwebend und taumelnd auf Alex zu, dann setzte sie sich zu ihm und sagte müde:

,Das wird eine lange Fahrt.'

Er strich über Ambers Haar und entgegnete ihr, dass alles gut werden würde, auch wenn er selbst in jenem Moment keineswegs davon überzeugt war.
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