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Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Gegenwart der Vergangenheit

Alex hatte das Geschehene wortlos verinnerlicht und war schockiert über das Ausmaß dieser emotionalen Kälte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihr gesamtes Leben so verbringen wollten und auf gewisse Art und Weise fühlte er sich nun mit verantwortlich für diesen Bruch. Doch wusste er wiederum auch, dass es nicht alleine seine Schuld war, denn Amber hatte ihm vorweg vieles von dem was sie bedrückte anvertraut. Ihm, der doch eigentlich ein Fremder für sie war.

Einige Tage später konnte sie das Krankenhaus wieder verlassen. Inzwischen hatte sich Amber mit dem Gedanken anfreunden können Mutter zu werden, wenngleich sie hin und wieder das Gefühl hatte als träumte sie.

Den Kontakt zu ihren Eltern mied sie, nicht zuletzt deshalb, da es sie selbst schmerzte wenn sie Alex sah und den Bluterguss in seinem Gesicht. Sie dachte er würde sie seither anders behandeln, sich von ihr distanzieren, doch er tat nicht dergleichen, sondern hielt noch immer zu ihr.

Es hatte zu regnen begonnen und Alex stellte Ambers Tasche in den Kofferraum. Sie stand neben ihm mit gesenktem Kopf und strich über den Stoff seiner Jacke. Er spürte ihre Berührung und nahm sie wohlwollend auf. Dann sah er zu ihr hinunter. Ihr Gesicht war blass und elfenhaft und der Regen durchnässte ihr tizianrotes Haar. Zärtlich strich er über ihre Wange, schenkte ihr ein zarghaftes Lächeln und neigte sich zu ihr, um sie sanft auf Stirn und Mund zu küssen. Sie schloss die Augen und genoss diesen Moment, der sie für einen Augenblick alles Schlechte vergessen ließ. Müde sagte sie:

,Ich will jetzt nur noch nach Hause...'

Amber versank im Beifahrersitz und ihrer Strickjacke, sodass sie gerade noch mit den Augen über diese aus der Frontscheibe des Autos sehen konnte. Sie umschlang ihren Körper und dachte über das nach, was in der vergangenen Zeit geschehen war. Es war viel. Viel zu viel, um überhaupt einen klaren Gedanken fassen zu können. Und was sie nun am nötigsten brauchte, waren Abstand und Ruhe.

Sie stiegen direkt vor dem Haus aus und überquerten eine Straße, auf der sich inzwischen zahllose, schmutzige Pfützen gebildet hatten. Ihre Farbe wirkte ebenso trist und trübe wie die Stimmung, die derzeit Ambers Gemüt beherrschte. Sonst schien sie immer diejenige zu sein, die übel gelaunt und mürrisch war, doch nun hatte sich das Blatt gewendet und offenbarte ihre Angst und Verletzlichkeit, welche jedoch nur Alex, der ihr näher als alle anderen stand, kannte und erkannte.

Sie fuhren mit dem Aufzug in die oberste Etage. Alles kam ihr wieder so vertraut vor und löste kurzzeitig ein Gefühl von Behaglichkeit in ihr aus. Langsamen Schrittes folgte sie Alex über den, mit Teppichboden ausgelegten, Flur. Plötzlich fiel ihr der Geruch von frischem Zigarettenrauch auf, je näher sie der Tür seines Apartments kamen. Sie blieb eine Weile stehen, da sie wusste, dass Rauchen hier verboten war und auch Alex nicht rauchte. Er bemerkte ihre abrupte Bewegung aus dem Augenwinkel und drehte sich um, während er in der Brusttasche seiner Jacke nach dem Wohnungsschlüssel suchte.

,Ist irgendwas?' fragte er sie und runzelte dabei die Stirn.

Amber hielt kurz inne, bevor sie antwortete:

,Nein, … ich meine ja. Findest du nicht, dass es nach Rauch riecht?'

Alex sah auf und streckte seinen Kopf in die Luft, während er ein- und ausatmete. Dann zuckte er kaum merklich mit den Schultern und sagte:

,Ja schon. Vielleicht konnte ja jemand nicht lesen.'

Aus einem unerfindlichen Grund beschlich Amber plötzlich ein eigenartiges, mulmiges Gefühl.

Alex zwinkerte ihr jedoch nur kurz zu, zog einen Mundwinkel nach oben und ging dann weiter.

Sie schnaufte und folgte ihm weiter.

Plötzlich bemerkte sie, wie er ruckartig vor seiner Wohnungstür stehen blieb und etwas aus dem Spalt zog. Dann ging er einen Schritt zurück und ließ Ambers Tasche auf den Boden fallen. Sein Gesichtsausdruck wurde ernst.

Etwas außer Atem nährte sie sich Alex, um genau sehen zu können was er in der Hand hielt.

,Was ist das?' fragte sie verwundert.

Sein Hals wurde trocken und sein Herz begann schmerzhaft in seiner Brust zu pochen.

Flüsternd und mit rauer Stimme antwortete er Amber:

,Morleys. Es gibt nur einen verdammten Schweinehund, den ich kenne, der diese Marke raucht.'

Sie zog eine Braue nach oben und öffnete den Mund, um zu einer Frage anzusetzen, denn sie verstand nicht was Alex ihr damit sagen wollte.

Langsam ließ er seinen Blick zu ihr schweifen und sah sie mit durchdringendem Blick an. Plötzlich wirkte der Ausdruck seiner Augen ungewöhnlich kühl und hasserfüllt, sodass Amber kurzweilig erschrak. Jedoch ahnte sie, dass es nichts mit ihr zu tun hatte, denn schließlich war sie diejenige, die bewusst unwissend gehalten wurde und nun, wo sie erwachsen war, alles nach und nach schmerzhaft erfuhr.

Er wollte ihr antworten, doch plötzlich deutete er mit einer Kopfbewegung an, dass sie beiseite gehen sollte. Dann griff er unter seine Jacke in die Schlaufe seines Gürtels und holte eine Pistole unter dieser hervor.

Amber schnappte hektisch Luft durch den Mund, wich einige Schritte zurück und umfasste schützend ihren Bauch.

Dann sah sie wie Alex ausholte, um gegen die Wohnungstür zu treten. Als sein Fuß diese beinahe mit vollkommener Schlagkraft erreicht hatte, öffnete sie sich wie durch Geisterhand, sodass er daraufhin zurück stolperte.

Von weitem konnte Amber nur einen Schwall von Zigarretenrauch erkennen und nährte sich entgegen aller Vernunft diesem Szenario. Der Schreck, den Alex bekommen hatte, übertrug sich, ohne das sie es wollte, auch auf sie. Sie begann zu frösteln und strich sich mit den Handflächen über ihre Oberarme.

Alex schien für einige Sekunden erstarrt zu sein. Dann kniff er die Augen zusammen und sagte:

,Ich hätte es wissen müssen, dass auf Menschen wie sie immer Verlass ist. Sollten sie nicht schon längst tot sein und irgendwo in der Gosse verrotten?'

Amber nährte sich noch ein Stück, bis sie schließlich das faltenzerfurchte Gesicht eines alten Mannes mit kurzem grauen Haar erkannte. Sein Anblick widerte sie an und sorgte dafür, dass sich ihr Magen zusammen zog.

,Aber Alex,' antwortete der alte Mann mit tiefer, sonorer Stimme und fuhr dann fort:

,... begrüßt man denn so einen Freund?'

Sein Gesichtsausdruck wirkte amüsiert und es schien ihn ebenso wenig zu berühren, dass Alex sich wieder so weit gefangen hatte, dass er nun den Lauf seiner Waffe auf ihn richtete.

,Was wollen Sie hier?' zischte Alex mit gefletschten Zähnen, jedoch nicht in der Lage von seiner Pistole tatsächlich Gebrauch zu machen.

Der Mann nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und trat dann aus der Tür hervor. Sogleich fiel sein Blick auf Amber, die wie paralysiert neben Alex stand. Dieser bemerkte ihre Nähe, griff sie jedoch harsch am Oberarm und stieß sie unsanft beiseite, sodass sie ihren Sturz gerade noch abfangen konnte, indem sie mit den Ellbogen gegen die Wand des Flurs stieß. Sogleich suchten ihre Augen die Seinen und für den Bruchteil einer Sekunde konnte sie an ihrem Ausdruck ausmachen, dass das, was Alex eben getan hatte, in der besten Absicht geschah.

Ihr Arm schmerzte und doch vernahm sie, was der Mann sagte:

,Die Vergangenheit stirbt niemals, Alex. Manchmal holt sie einen ein und wird zur Gegenwart. Dann, wenn man nicht mehr damit gerechnet hätte. Sie haben doch nicht allen Ernstes geglaubt, dass der Verrat, den sie begangen haben ein Leben lang ohne Folgen bleiben würde. Und gerade jetzt wo ich sehe, dass sie sich noch mit dem Feind verbünden... '

Alex kniff die Augen zusammen und forderte ihn dann barsch auf:

,Verschwinden Sie sofort von hier!'

Die Lippen des Mannes kräuselten sich zu einem zynischen Lächeln, mit dem er an Alex vorüberging.
Er blieb kurz vor Amber stehen, betrachtete sie von oben herab, zog an seiner Zigarette und pustete ihr den Rauch ins Gesicht.

,Mrs. Scully.' war das Einzige, das er von sich gab, bevor er verschwand.

Sie hustete und nährte sich Alex. Ihre Augen tränten. Er stand regungslos vor der Tür seines Apartment und doch schien es, als durchstößen zahllose Gedanken seinen Kopf.

,Wer war das und woher kannte er meinen Namen?' fragte sie leise und mit zitternder Stimme.

Alex Körper durchzog ein starkes Zucken, nachdem er Ambers Frage verinnerlicht hatte, fast so, als hätte sie ihn aus einer Art Stasis geholt.

Zunächst senkte er den Kopf, dann steckte er seine Waffe wieder ein. Es wirkte als versteckte er sie vor Amber. Er holte tief Luft und sah zur Seite, direkt in ihre Augen, die so fragend wirkten und Verletzlichkeit spiegelten.

Alles was er ihr jedoch antwortete war nicht mehr als:

,Der Krebskanidat.'

Daraufhin hob er Ambers Tasche vom Boden auf und betrat sein Apartment. Sie folgte ihm und schloss die Tür hinter sich.

Alex ließ sich langsam aufs Bett sinken und vergrub sein Gesicht hinter den Händen, während er kaum merklich den Kopf schüttelte und flüsterte:

,Warum jetzt und warum hier?'

Vorsichtig ließ sich Amber neben ihn sinken und legte ihre Hand auf seine Schulter.
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