World of X

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Nach all den Jahren

von Leyla Harrison

Kapitel 9

Scully:

Als ich aufwachte, versuchte ich mich daran zu erinnern, wo ich war. Ich war benommen von dem Beruhigungsmittel und rieb meine Augen. Meine Decke glitt auf den Boden. Joe beugte sich hinunter, hob sie auf und deckte mich wieder zu. Ich lächelte ihn dankbar an. Ich sah zu Sam. Sie sah genau aus wie vorher. Friedlich. Als ob sie überhaupt keine Schmerzen hätte.

Mulder saß rechts neben mir und neben ihm meine Mutter. Ich stand auf und sie kam zu mir und umarmte mich. "Ich bin so froh, dass du hier bist", flüsterte ich in ihren Nacken. Sie hielt mich ganz fest.

"Ich weiß, Dana, ich weiß."

Ich ließ sie los und ging zurück zu meinem Stuhl und setzte mich. Ich fühlte mich überraschend ruhig. "Ich habe geträumt", sagte ich zu allen Anwesenden, "dass ich mit Sam im Park war. Sie war auf der Schaukel und ich gab ihr Schwung. 'Höher, Mami', hat sie gesagt und ich gab ihr mehr Schwung, aber nicht zu viel. Ich wollte nicht, dass sie herunterfällt und sich weh tut, aber sie schien sich gut an den Seilen festhalten zu können.  'Bitte, Mami, noch höher. Ich möchte so nah zum Himmel wie möglich.' Ich schwang sie höher und fester und ich konnte ihr Lachen hören. Sie war so glücklich..." Ich hielt inne für einige Momente und wischte ein paar Tränen von meinen Wangen. "Und ich schwang sie höher. 'Mehr, Mami, bis ganz in den Himmel', rief sie und ich drückte sie einmal ganz fest und Sam und die Schaukel verschwanden plötzlich. Der Himmel war strahlend blau und ich schaute auf. Es war nicht ein Wölkchen am Himmel. Sie war weg und trotzdem konnte ich ihr Kichern hören. Sie klang so glücklich. 'Ich bin im Himmel, Mami, und du wirst es nicht glauben, aber es ist wunderschön!' sagte sie."

Ich sah mich im Zimmer um. Mulder saß mit gesenktem Kopf und weinte. Joe schniefte und meine Mutter rieb sich die Augen.

Der Arzt kam herein. "Hallo zusammen", sagte er leise mit beruhigender Stimme. "Wir fangen jetzt mit dem zweiten EEG an und sehen, was passiert."

Wir standen alle auf und stellten uns im Halbkreis um Sams Bett. Joe an einer Seite von mir, Mulder auf der anderen und meine Mutter neben Mulder.  Joe legte seinen Arm um mich. Mulder nahm meine Hand und meine Mutter hielt seine andere Hand. Ein weiterer Arzt und eine Schwester betraten ebenfalls das Zimmer. Die Schwester hielt Sams Krankenbericht und einen Stift in der Hand. Ich wusste mit einer traurigen Sicherheit, was bevorstand.

Der Arzt schaltete einen Knopf an dem EEG-Gerät ein, an das Sam bereits angeschlossen war. Das Papier lief durch die Maschine und die Nadeln sprangen, als die Maschine eingeschaltet wurde. Doch dann zeichneten sie nichts weiter als eine gerade Linie auf. Es war beklemmend still im Raum.

Sogar das Piepen der Maschinen schien leiser. Wir alle starrten auf die Nadeln auf dem Papier, wartend, hoffend, die Nadeln sogar gedanklich zwingend, irgendeine Form von Kurve auf das Papier zu zeichnen. Irgendetwas, das zeigen würde, dass es elektrische Aktivitäten in Sams Gehirn gab.

Nichts.

Die Nadeln zeichneten eine lange gerade Linie auf das Blatt. Keine elektrischen Aktivitäten in ihrem Gehirn.

Wir alle standen still, sogar die Ärzte und die Schwester, und sagten gute fünf Minuten lang nichts.

Dr. Young räusperte sich und blickte mich an. "Es gibt keine Gehirnwellen", bestätigte er mir.

Ich wusste, was er von mir hören wollte. Ich wusste, was ich tun musste. Ich musste ihm die Erlaubnis geben, Sam gehen zu lassen. Ich sagte nichts für eine ganze Minute. Dann: "Sie können die Maschinen ausschalten", sagte ich leise. "Schalten Sie alles aus."

"Samantha Melissa Harmon wird nach 1737 Stunden am 11. Februar 2001 für tot erklärt", wandte er sich zu der Schwester. Sie schrieb es in den Krankenbericht und ließ ihn dann sinken.

"Ich weiß, es ist für Sie alle sehr schwer, aber ziehen Sie Samantha als Organspenderin in Betracht?" fragte Dr. Young.

Ich nickte sofort. Das war etwas, das ich definitiv befürwortete und ich zögerte nicht eine Sekunde mit meiner Entscheidung. "Sie können alles entnehmen, was in irgend einer Weise von Nutzen sein kann", wandte ich mich an ihn.

"Ich muss Sie bitten, die Formulare zu unterzeichnen, Mrs. Harmon." Ich nickte abermals. "Wir lassen die Maschinen an, bis wir wissen, welche Organe gebraucht werden. Wenn sie noch ein paar Minuten mit ihr haben möchten, gehen wir raus."

"Ok", sagte ich. Ich fühlte mich wieder sehr ruhig, obwohl ich wusste, dass mich die Nachwirkungen später ergreifen würden. Ich musste noch mit so vielem fertig werden, hatte noch so viele Fragen zu beantworten.

Die Ärzte und die Schwester verließen das Zimmer. Meine Mutter verabschiedete sich ebenfalls. Sie trat neben Sam ans Bett und küsste ihre Stirn sanft. "Auf Wiedersehen, mein kleiner Engel", sagte sie sanft, drückte dann meinen Arm und verließ mit Tränen in den Augen das Zimmer.

Joe und Mulder sahen sich an, als ob sie sich nicht entscheiden konnten, wer als nächstes gehen sollte. Joe trat letztendlich neben ihr Bett. Er berührte Sams Hand und sah sie an. "Ich weiß, du warst nicht meine eigene Tochter. Aber ich habe dich wie meine eigene Tochter geliebt. Ich werde dich vermissen, Sam." Bei seinen Worten stiegen abermals Tränen in mir auf und ich hatte Mühe, sie zurück zu halten. Er trat von Bett weg und sah mich an. "Ich warte draußen." Seine Augen waren ebenfalls mit Tränen gefüllt. Er ging aus dem Raum und ließ Mulder und mich allein mit unserer Tochter.

"Als sie geboren wurde", begann ich sehr leise, aber laut genug, dass Mulder mich verstehen konnte, "habe ich Joe nicht in das Geburtenzimmer gelassen. Nur meine Mutter. Sobald sie aus mir heraus war und die Ärzte mir bestätigten, sie sei gesund und es ginge ihr gut, nahmen sie sie an sich und säuberten sie. Als sie das taten kam meine Mutter zu mir und umarmte  mich so gut es auf dem Bett ging. Dann brachten sie Sam zu mir und legten sie in meine Arme." Mulder nahm wieder meine Hand. "Du brauchst mir das alles nicht erzählen, Scully."

"Doch, Mulder, ich möchte es dir erzählen. Ich möchte, dass du es hörst." Er schloss die Augen und ließ es sinken. Dann öffnete er sie wieder und nickte mir zu. Ich fuhr fort. "Ich habe auf sie hinunter geschaut. Sie war dieses perfekte, kleine Baby und sie gehörte mir. Mir und dir. Sie war etwas, das wir beide geschaffen hatten. Und so glücklich ich auch war, so viel Freude ich auch empfand, ich fühlte eine unglaubliche Traurigkeit, dass du nicht da warst, um mit anzusehen, wie sie geboren wird. Ich war kurz davor, dich anzurufen und dir alles zu erzählen. Für eine Sekunde habe ich gedacht, dass alles wieder gut sein würde und ich wieder zurück nach DC könnte..." Ich rieb meine Augen bei diesen Erinnerungen. "Aber ich habe es nicht getan. Ich konnte es nicht tun. Und dann, Mulder, schlug sie die Augen auf. Sam öffnete ihre Augen und sah zu mir und meiner Mutter auf. Weißt du, was Mom da zu mir gesagt hat?"

"Nein", sagte Mulder mit erstickter Stimme.

"Sie sagte, 'Sie hat Fox' Augen, Dana. Sieh nur.' Und sie hatte recht. Sam hatte deine Augen. Genau dieselbe Farbe, genau dieselbe Form... es kam mir fast vor, als würde ich dich ansehen." Mulder drückte meine Hand. "In diesem Moment, Mulder, wusste ich, dass ich von nun an einen Teil von dir immer bei mir hatte. Wir waren getrennt und wir würden uns wahrscheinlich nie mehr wiedersehen, aber ich wusste, dass ich Sam ansehen konnte und einen Teil von dir in ihr sehen konnte."

Meine Tränen rollten nun ungehindert über meine Wangen. Mulder umarmte mich für eine Weile und ließ mich weinen. Ich fühlte, wie sein Körper von seiner eigenen Traurigkeit geschüttelt wurde. Dann ließ er mich los und trat ans Bett.

Ich sah, dass er weinte. Er beugte sich zu Sam hinunter und küsste ihre Stirn genau wie meine Mutter es getan hatte. Er berührte ihre Hand und strich zärtlich über ihr Gesicht. Er murmelte Worte, die ich nicht verstehen konnte, Worte, die nicht für mich bestimmt waren. Dann trat er zurück, schenkte mir ein Lächeln und ließ mich mit unserer Tochter allein.

Ich setzte mich wieder auf den Stuhl am Fußende des Bettes. "Du warst immer mein Lebensinhalt. Meine Schulter zum Anlehnen." Ich blickte auf ihren Körper unter all den Maschinen, die ihr Herz am Schlagen hielten und Luft in ihre Lungen pumpten. Es war falsch, sie so zu sehen, sich so in Zukunft an sie zu erinnern. Ich wollte nicht zurückschauen und mich so an sie erinnern. Ich stand auf und verließ das Zimmer.

 

Mulder:

Die nächsten drei Tage vergingen wie in Trance. Ich checkte in ein Hotel in Greenwich ein. Eigentlich wollte ich in irgend ein billiges Motel einchecken, aber davon gab es nur sehr wenige in der Gegend von Fairfield County. Scully wollte nicht wieder zurück zu ihrem Haus. Joe hatte ohne zu argumentieren Scully, ihrer Mutter und mir Zimmer im wunderschönen Hyatt Hotel von Greenwich gebucht. Ich nahm an, dass Joe selbst wieder im Haus wohnte. Ich konnte mir gut vorstellen, wie das Hotel im Frühling wohl aussehen mochte, mit gepflegten Gärten und Blumen überall. Trotz dem Protest ihrer Mutter nahm Scully sich ein eigenes Zimmer, ein Stockwerk unter meinem. Das Zimmer ihrer Mutter war genau neben ihrem. Scully isolierte sich völlig von uns allen. Mrs. Scully und ich aßen zusammen im Restaurant unten, ohne sie. Sie bestellte den Zimmerservice.

Ich musste beim FBI anrufen und meine Abwesenheit erklären. Ich sprach nur mit Skinner und hoffte und betete, dass er es verstand.

"Agent Mulder. Sie sollten schon vor drei Tagen zurück in DC sein. Wo zum Teufel stecken Sie?"

"Sir, es ist etwas dazwischen gekommen", begann ich. "Ich bin in Connecticut."

"Connecticut? Was machen Sie da?"

"Ich bin bei Scully", antwortete ich. Ihr Name ist Jahre lang nicht mehr in den  Gesprächen zwischen ihm und mir gefallen.

Stille. "Ich habe gedacht, Sie wüssten nicht, wo sie sich aufhält, Mulder."

Er hat mich die letzten Jahre offensichtlich genauer überwacht, als ich angenommen hatte. Ich hielt inne. Ich wusste nicht, was ich sagen und was ich lieber für mich behalten sollte. Es schien äußerst unlogisch, ihm jetzt die Wahrheit zu erzählen. "Sir, es ist eine lange Geschichte. Aber ich bin hier beim Begräbnis von Scullys Tochter."

Ich konnte hören, wie er tief durchatmete. "Bitte richten Sie ihr mein Beileid aus", sagte er und ich wusste, dass er es ehrlich meinte.

"Das werde ich."

"Agent Mulder. Es gibt da offensichtlich etwas, das ich wissen sollte."

Die Wahrheit, dachte ich. "Sir, das Kind... es ist ebenso meines." Ich konnte es ihm genauso gut sagen. Es gab keinen Grund, warum ich es nicht tun könnte.

Wieder Stille. "Ich dachte, Sie und Scully haben sich schon Jahre nicht mehr gesehen."

"Haben wir auch nicht, Sir." Und dann erzählte ich ihm ohne Umschweife die ganze Geschichte. Wie Scully und ich zusammengekommen sind, dass sie schwanger geworden ist, die Stadt verlassen hat, das Baby bekommen hat, geheiratet hat, einfach alles. Ich erzählte ihm, wie ich sie zufällig gefunden hatte. Ich erzählte ihm die Kurzversion der Ereignisse.

Skinner unterbrach mich nicht ein einziges Mal, während ich erzählte. Als ich an der Stelle angelangt war, an der Sam starb, hatte ich die größte Mühe, nicht wieder zu weinen. Letztendlich fasste ich alles zusammen und schwieg. Ich war zu erschöpft, um noch mehr zu sagen. "Agent Mulder", sagte er, räusperte sich und sprach dann leiser in den Hörer, "bleiben sie dort so lange es nötig ist. Ich kümmere mich hier um alles."

"Ich danke Ihnen, Sir." Meine Hände haben die ganze Zeit gezittert, während ich mit ihm sprach, weil ich annahm, dass ich zu hören bekommen würde, dass ich mir gar nicht erst die Mühe machen sollte, zurück zu kommen. "Sir, ich weiß, dass das, was Scully und ich getan haben, gegen alle Regel ist—"

"Agent Mulder, Scully ist nicht mehr beim FBI. Was zwischen Ihnen passiert oder nicht passiert ist, geht das FBI nichts an. Verstehen Sie mich?"

Es rührte mich, dass er gewillt war, unsere Privatsphäre das sein zu lassen, was es ist - eine private Angelegenheit. "Ja", antwortete ich ein wenig schief, "ich verstehe."

"Rufen Sie mich an, wenn Sie wieder in DC sind. Und, Mulder, bitte sagen Sie Scully, dass es mir ihr Verlust sehr Leid tut. Ihr Verlust tut mir ebenfalls Leid, Mulder." Er klang so ehrlich, dass ich es kaum glauben konnte.

Jeden Abend vor dem Zubettgehen rief ich Scully an, um sicher zu gehen, dass es ihr gut ging. "Hi, ich bin's", sagte ich am Telefon eines Abends.  Der Abend vor dem Begräbnis. Ich wusste, dass Scully zurück zu ihrem Haus gegangen war, um Sachen für Sam zu holen, die sie im Sarg tragen sollte, obwohl ich sie nicht gesehen hatte. Was für eine grausame Aufgabe, dachte ich. Ich hatte sie nicht gesehen, seit wir in das Hotel eingecheckt hatten.

"Hi", antwortete sie. Sie klang erschöpft.

"Wie geht es dir?" Toll, Mulder, dachte ich. Ihr geht es wahrscheinlich genauso wie dir. Sie ist wahrscheinlich am Ende.

"Ich bin müde." Sie klang schwach und sehr weit weg, viel weiter als über die eine Etage, die uns eigentlich nur trennte. "Ich habe ausgesucht, was sie tragen wird."

Scully nannte nicht Sams Namen, als wir am Telefon sprachen. "Was hast du ausgesucht?"

"Ein grünes Kleid, das sie an Weihnachten getragen hat. Grüner Samt mit weißer Spitze. Sie sah wunderschön aus an Weihnachten."

"Das bin ich mir ganz sicher", sagte ich und mein Herz brach. Ich wünschte, ich hätte sie sehen können. Mrs. Scully hat mir die Bilder gezeigt, die sie immer in ihrem Portemonnaie bei sich hatte. Eines mit Scully und Joe und Sam vor dem Haus. Eines von Sam, das offensichtlich professionell beim Fotografen gemacht wurde. Sie trug einen blau-weißen Overall und lächelte in die Kamera. Sie sah genauso aus wie ihre Mutter auf dem Bild.

"Mulder?" fragte Scully.

"Ja?"

"Könntest du hier rüber kommen?" fragte sie. "In mein Zimmer? Ich möchte mit dir reden - aber nicht so, nicht am Telefon."

"Ich bin gleich da", sagte ich und sprang vom Bett. "Ich bin schon unterwegs."

Ich flog die Treppen hinunter und klopfte an ihre Tür. Sie öffnete. Sie hatte Jeans und ein altes Flanellhemd an. Eines, das sie bei einem unserer Fälle angehabt hatte. Es muss der Fall gewesen sein, als wir in den Bergen waren oder in der Arktis. Ich wusste es nicht mehr genau, aber das Hemd kam mir sehr bekannt vor. Sie hatte ihre Haare zusammen gebunden und ihr Gesicht war frei von MakeUp. Nicht, dass sie es überhaupt brauchen würde.  Scully war eine der Frauen, die von anderen Frauen beneidet wurden, weil sie von Natur aus wunderschön waren. Scully war wunderschön. Wie sie so in der Türe stand, so müde und traurig sie auch aussehen mochte, sie sah genauso phantastisch aus, wie ich es immer in Erinnerung hatte. Ich erinnerte mich daran, wie sie in Socken und einem von meinen Hemden durch meine Wohnung lief und uns Frühstück machte...

"Komm rein", sagte sie und ich betrat den Raum. Das Zimmer war tadellos, aber was hatte ich anderes erwartet? Scully war schon immer ordnungsliebend. Auf einem der Betten stand ein großer Pappkarton. Sie winkte mich zu ihm. "Ich habe einige Fotoalben und einige ihrer Sachen mitgenommen, als ich im Haus war. Ich möchte, dass du einiges davon bekommst. So kannst du sehen, wie sie gewesen ist."

Sie setzte sich auf das andere Bett und ich setzte mich neben sie. "Ich habe überlegt, was ich jetzt machen soll. Mit meinem Leben, meine ich." Ich nickte. "Ich habe mit Joe geredet und wir halten es für das Beste, wenn wir uns scheiden lassen."

Ich versuchte, mein Gesicht nicht den Ausdruck der Freude annehmen zu lassen, die ich bei diesen Worten empfand. Ich wusste, dass es qualvoll für sie gewesen sein mussten. "Was wirst du tun?"

"Ich weiß es nicht", seufzte sie. "Meine Mutter möchte, dass ich wieder zurück in die Gegend von Washington ziehe, zu ihr womöglich."

"Was ist mit mir?" fragte ich und biss mir auf die Zunge. Ich konnte mir nicht helfen, es kam einfach aus mir heraus.

Sie antwortete für eine Weile nicht. "Du und ich sind weit von einer normalen Beziehung entfernt, Mulder." Ich wusste, dass sie damit Recht hatte. Aber ich war bereit, zehn Runden durchzustehen, wenn sie es auch war. "Ich rede mir ein, dass ich weg möchte, weit weg von dir." Ich wollte fragen warum, doch hielt es zurück. Sie ist in den letzten fünf Jahren vor mir davon gelaufen, physisch und emotional. Es muss für sie jetzt förmlich Routine sein. "Aber ich habe etwas erkannt", fügte sie hinzu. "Ich kann nicht vor dir davon laufen. Du findest mich jedes Mal." Sie schenkte mir ein zögerndes Lächeln.

Ich nahm ihre Hand. "Scully, ich würde alles tun, damit alles zwischen uns richtig ist. Ich weiß, dass wir an vielen Dingen arbeiten müssen. Aber ich möchte daran arbeiten."

"Ich habe es ehrlich gemeint, als ich sagte, dass ich nie aufgehört habe, dich zu lieben."

Plötzlich fiel mir etwas ein. Bei unserer ersten richtigen Verabredung hatten wir uns einen Film ausgeliehen. Die Brücken von Madison County. Ich konnte fast die Kommentare und blöden Bemerkungen der Einsamen Schützen hören, wenn sie jemals erfahren würden, dass ich ihn ausgeliehen hatte. Aber ich hatte ihn ganz zu meiner Überraschung gemocht. Und als Scully am Ende des Films in Tränen aufgelöst auf meiner Couch gesessen hatte, habe ich sie in meine Arme genommen. Sie kuschelte sich an mich, als ob sie schon immer dort hingehören würde. Viel zu lange, dachte ich, wir haben viel zu lange gewartet. Ich lehnte mich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr. "Ich liebe dich, Scully." Mein Herz hatte vor Nervosität gerast.

"Wie bist du dir da so sicher?" hatte sie gefragt, ihr mit Tränen verschmiertes Gesicht in meinem Hemd vergraben.

"Weil", hatte ich ihr geantwortet und zitierte kühn eine Zeile aus dem Film, den wir gerade gesehen hatten, "man sich nur bei einem Mal im Leben so sicher sein kann."

Sie hatte ihren Kopf gehoben, ihre Augen noch feucht. Ich werde ihren Anblick in diesem Moment nie vergessen. Sie war wunderschön. Sie strahlte.  "Oh, Mulder", seufzte sie und sagte nach einem Moment. "Ich liebe dich auch, weißt du."

Und dann haben wir uns zum ersten Mal geküsst. Wir haben uns beide gleichzeitig aufeinander zubewegt und unsere Lippen trafen sich. Vorsichtig und weich. Wir hatten uns Zeit gelassen. Wir hatten schon eher am Abend den Entschluss gefasst, dass was immer auch passiert, passiert einfach. Uns waren die Regeln des FBI egal. Wir wollten unsere Gefühle nicht länger unterdrücken. Wir sind uns an dem Abend darüber einig geworden, dass wir eine Chance haben wollten, um zu sehen, ob wir auch ein Paar sein konnten, und nicht bloß Partner. Innerlich haben wir immer gewusst, dass es das war, was wir immer gewollt haben, FBI Regeln hin oder her.

Und jetzt saßen wir auf diesem Hotelbett nach so vielen Jahren voller Schmerz, und ich dachte an diese eine Zeile aus dem Film. Man kann sich nur bei einem Mal im Leben so sicher sein. Scully *war* dieses eine Mal. Es gab keine andere für mich. "Ich liebe dich auch." Ich wusste, meine Antwort kam einige Minuten zu spät, aber es schien sie nicht zu stören.

"Ich weiß, woran du gedacht hast", sagte sie.

"Das bezweifele ich."

"Doch, ich weiß es. Unser erster Kuss", überraschte sie mich.

"Woher wusstest du das?" fragte ich perplex.

"Ich weiß nicht", gestand sie. "Ich nehme an, nach einiger Zeit kennt man sich eben."

"Sogar nach all den Jahren?"

"Nach den letzten paar Tagen, Mulder, kommt es mir so vor, als ob diese fünf Jahre gar nicht passiert wären. Ich fühle mich dir genauso nahe wie damals."

"Mir kommt es vor, als ob du ganz weit weg bist. Du hast dich von deiner Mutter und von mir isoliert."

"Ich weiß", sagte sie und senkte den Kopf. "Ich bin nur so..."

"Niedergeschlagen", endete ich für sie. Sie hob ihren Kopf und nickte. "Du warst jeden Tag ihres Lebens bei ihr. Ich war es nicht und ich fühle genauso." Ich nahm zuerst eine ihrer Hände in meine, dann beide. Ich legte meine andere Hand auf ihre und drückte sie sanft. "Nach der Beerdigung möchte ich, dass du wieder zurück mit mir nach DC kommst."

Sie nickte. "Das möchte ich auch."

Und so war der Entschluss gefasst.

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