World of X

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Nach all den Jahren

von Leyla Harrison

Kapitel 4

Scully:

Ich war gerade dabei, Abendessen zu machen, als es klingelte. Ich legte den Salat zur Seite, wischte meine Hände am Küchentuch ab und lief zur Tür.

Ich öffnete sie. Mulder stand vor mir.

"Oh, mein Gott!" stieß ich hervor, völlig überrumpelt. Jeder Muskel in meinem Körper verspannte sich und jeder Nerv war gespannt. Ich konnte fühlen, wie sich die Haare auf meinem Nacken sträubten und mir liefen kalte Schauer über den Rücken. Mein Gesicht wurde ganz rot vor Aufregung.

"Scully", sagte er, das eine Wort, mein Name, die einzige Begrüßung. Seine Stimme klang ein wenig ärgerlich, aber auch ein wenig neugierig. Seine Stimme brach, als er es sagte.

"Mulder", brachte ich heraus. Ich konnte nicht glauben, dass er hier stand, auf meiner Türschwelle, in meinem Leben. Nein, dachte ich. Nein, nicht in meinem Leben. Innerlich versuchte ich, die Tür wieder zu schließen, die ganzen Erinnerungen zu verbannen, wie ich es immer versucht hatte, doch es ging nicht. "Was machst du hier?"

"Ich war in der Gegend und hab dich herumfahren sehen. Also habe ich mir gedacht, ich schau mal vorbei und sag Hallo." Er war hundertprozentig sarkastisch. Ich sah auf die Auffahrt. Es war niemand zu sehen. Sein Wagen, ein typischer FBI Mietwagen, stand in der Auffahrt hinter meinem.

"Du bist mir gefolgt?" fragte ich.

"Den ganzen Weg vom Flughafen", antwortete er. Ich versteifte mich. Ich hatte meine Mutter heute Vormittag um zehn Uhr zum Flughafen gebracht. Ich konnte nicht glauben, dass er den ganzen Tag in seinem Wagen vor dem Haus gesessen hatte. Doch ich hatte das Gefühl, dass er genau das getan hat. "Wie geht es eigentlich deiner Mutter? Ich habe sie schon Jahre nicht mehr gesehen."

"Es geht ihr gut", antwortete ich knapp.

"Willst du mich nicht hinein bitten?" fragte er.

Stille. Ich stand da und starrte ihn an. Gott, sogar nach fünf Jahren sah er gut aus. Er sah müde aus, aber er sah trotzdem noch gut aus. Nervös strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. "Mulder..." fing ich an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Was soll man in so einer Situation sagen? dachte ich. Was sagt man zu dem Mann, den man verlassen hat?

"Ich möchte wissen, warum du gegangen bist, Scully." Seine Stimme war fest, jedoch konnte ich die Angst darin hören. "Ich glaube, ich verdiene wenigstens das."

Oh Mulder, dachte ich, wie in den ganzen letzten Jahren, du verdienst so viel mehr.

Das Quietschen von Reifen auf dem Kies erschreckte uns beide. Der silberne Altima kam neben Mulders Auto zum Stehen.

Mulder drehte sich nach dem Mann um, der aus dem Auto ausstieg. "Dana? Wer ist das?"

Ich spürte, wie der Kloß in meinem Hals immer größer wurde. Ich räusperte mich. "Joe, dies ist Mulder. Mein Partner, als ich noch beim FBI war.  Mulder, dies ist Joe Harmon. Mein Mann." Ich beobachtete Mulders Reaktion.

Er war weiß wie ein Geist.

 

Mulder:

In dem Moment, als ich Scully sagen hörte, der große, gutaussehende, dunkelhaarige Mann sei ihr Ehemann, fühlte ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust, als ob ich angeschossen worden wäre. Ich fühlte mich schwach.  Ich bemühte mich, nicht nach hinten zu taumeln. Ich konnte Scullys Augen auf mir fühlen. Ich konnte fühlen, wie sie meine Reaktion beobachtete, jede meiner Bewegungen, jeden Atemzug.

Die Beifahrerseite des Wagens öffnete sich und ein kleines Mädchen mit kastanienbraunen Haaren sprang heraus und lief auf Scully zu. Es war klar, wer sie war. Ihr Gesicht war hart wie Stein, bis sie das Kind sah. Dann wurden ihre Gesichtszüge weich.

"Hi, Mami!" rief die Kleine. Scully hob sie in ihre Arme.

"Hi, meine Süße. Hattest du einen schönen Tag?"

"Ja. Ich habe dir ein Bild gemalt. Es ist im Auto."

Scullys Ehemann trat zu mir. "Mulder. Der Mann ohne Vornamen. Schön, Sie nach all der Zeit einmal kennenzulernen." Er bot mir seine Hand an, die ich mit meiner zitternden nahm und so fest wie möglich schüttelte. "Ich habe schon viel über Sie von Dana gehört."

"Nur Gutes, hoffe ich", brachte ich heraus. Es fiel mir extrem schwer zu sprechen.

"Oh, ja", lachte Joe Harmon. "Dana mochte es, mit Ihnen zu arbeiten."

Ich wollte schon antworten, als ich meinen Blick Scully zuwandte. Über ihre Tochter hinweg warf sie mir einen Blick zu, den ich sofort verstand. Ihr Mann wusste nichts von unserer Beziehung. Sie flehte mich mit ihren Augen an, nichts davon zu sagen. Ich hatte einen Bruchteil einer Sekunde, um mich zu entscheiden, was ich als nächstes sagen sollte. "Ich mochte es auch, mit ihr zu arbeiten."

Ich konnte Scully schon fast vor Erleichterung seufzen sehen. "Und dies hier", sagte Joe und trat zu seiner Frau und seinem Kind, "ist unsere Tochter, Samantha."

Ich schluckte. "Das ist ein schöner Name." Ich hatte schon wieder Probleme zu sprechen. "Warum habt ihr euch für diesen Namen entschieden?"

"Dana war fest davon entschlossen, sie Samantha zu nennen, sogar bevor wir überhaupt wussten, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird."

"Alle nennen mich Sam", piepste das kleine Mädchen vom Arm ihrer Mutter. Ich sah zu Scully. Ihr Gesicht sah geradezu schmerzverzerrt aus.

"Also, Mulder", fing Joe an. Er merkte die Spannung zwischen Scully und mir nicht. "Haben Sie hier in der Nähe eingecheckt?"

"Eigentlich nicht, ich war mir noch nicht sicher. Ich denke, ich werde mir ein Hotelzimmer mieten."

"Unsinn. Wir haben doch ein Gästezimmer. Sie können hier bleiben. Ich bin sicher, Sie und Dana haben sich eine Menge zu erzählen. Nicht wahr, Schatz?" Joe beugte sich zu ihr und küsste sie. Ich zuckte zusammen. Nach all den Jahren, in denen ich mir jedes Szenario ausgemalt hatte, wie Scullys Leben jetzt wohl aussah, tat es immer noch weh. Ich hatte ab und zu daran gedacht, dass sie verheiratet sein muss, aber ich hatte nicht geahnt, dass es so wehtun würde, sie mit einem anderen Mann zu sehen.

"Natürlich", sagte sie und zwang ihrer Stimme einen fröhlichen Klang an. Doch sie hatte nicht viel Erfolg. "Ich habe gerade Abendessen gemacht. Warum holst du nicht deine Sachen aus dem Auto und kommst herein?"

Ich nickte und ging zurück zum Wagen, um meine Tasche zu holen. Eine Millionen Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich war aufgeregt, sie zu sehen. Sie sah unglaublich aus. Ich wollte sie in die Arme nehmen...

Sie war verheiratet. Sie hatte ein Kind. Sie hat ihr Leben ohne mich weiter gestaltet. Ich sollte in mein Auto steigen und wie der Teufel von hier wegfahren. Zurück nach DC.

Zurück wohin eigentlich? fragte ich mich. Es gab nichts, wohin ich zurück gehen könnte. Nichts, seit Scully gegangen ist.

Sie ist gegangen, erinnerte ich mich. Sie hat mich verlassen. Eine Welle von Ärger stieg in mir auf bei dem Gedanken, auf welche grausame Weise sie die Stadt verlassen hatte. Es überkam mich und ich musste mich für einen Moment ans Auto stützen.

Wenn ich bleibe, wird sie alles erklären, dachte ich. Und wenn ich sie auch nicht zurück haben kann, weiß ich wenigstens warum.

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