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Nox Aeterna - Triologie Part I

von NightFright

Kapitel 4

C a p i t u l u m I I I - VERITATEM EXPOSITUS





9. JULI, 9.01 UHR

CHARKOW, UKRAINE



„NEUESTEN Berichten zufolge wird die Bevölkerung der US-Metropole Washington D.C. momentan von einer Serie höchst mysteriöser Vorfälle verunsichert, die sich dort in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli gegen 00.10 Uhr Ortszeit zugetragen haben sollen. Wie ein Pressesprecher des Pentagons mitteilte, soll durch eigenartige, bislang völlig unbekannte Wetterphänomene eine unklassifizierbare Strahlung freigesetzt worden sein, welche einen vorübergehenden und lokal begrenzten >Temporalen Kollaps< verursacht zu haben scheint. Dabei handelt es sich um einen Vorgang, bei dem theoretisch die Bewegung sämtlicher Teilchen im Raum durch entgegengesetzt wirkende Kräfte in jeweils exakt entsprechenden Stärken aufgehoben und zum Stillstand gebracht werden kann, was faktisch ein Anhalten der Zeit bedeutet. Professor Dr. Eugene Maxwell, Dozent an der Oxford University in England und Begründer dieser in Fachkreisen bislang überwiegend belächelten Theorie, äußerte sich daraufhin in einem Statement dahingehend, dass...“

Die Nachrichtensprecherin auf dem Fernsehbildschirm wirkte ausgesprochen aufgeregt und nervös, während sie ihren Text vorlas. Deutlich war zu erkennen, wie schwer es ihr offensichtlich fiel, sich richtig zu konzentrieren und das leichte Zittern ihrer Hände zu verbergen, welche die Blätter mit den sensationellen Neuigkeiten hielten. Nun wurde ein Interview mit einem alten, etwas tatterig wirkenden Mann – tiefe Falten im Gesicht, buschige graue Augenbrauen und dünnes, zerzaustes weißes Haar – eingeblendet, der wild gestikulierend in die Kamera murmelte: „Meiner Meinung nach haben wir es hier mit... ähm... genau dem Phänomen zu tun, das die Wissenschaft die ganze Zeit... hmm... ja, für schlichtweg unmöglich gehalten hat. Doch wie ich schon früher aufzuzeigen versuchte, gibt es Lücken in der Einstein´schen Relativitätstheorie, und ich bin mir fast sicher, dass dieser Vorfall in Washington mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit... ääähhh...“ „...damit zusammenhängt?“, ergänzte der nicht zu sehende Reporter aus dem Off eilig. „Ja, hum, genau.“ „Professor, ist die von Ihnen so genannte >Theorie der Temporalen Ruhe< denn wissenschaftlich gesehen überhaupt haltbar, und welche Auswirkungen könnten die daraus resultierenden Erkenntnisse – gesetzt natürlich den Fall, Ihre Vermutungen würden sich bestätigen – auf uns Menschen und generell das Leben auf dem gesamten Planeten nach sich ziehen?“ Auf diese Frage schien der mitteilungsbedürftige Dr. Maxwell nur gewartet zu haben. Mit erhobenem Zeigefinger begann er: „Nun, wie hinlänglich bekannt ist, setzt die physikalische Bewegung im Allgemeinen ein Bezugssystem voraus, was heißt: Bewegungen sind relativ. Bislang ging man aufgrund der bezeichnenden Relativitätstheorie davon aus, dass es den Begriff der absoluten Bewegung bzw. Ruhe nicht geben könne, da eben kein absolutes Bezugssystem existiert, aus dem heraus sämtliche kinematischen Vorgänge einheitlich erkannt und spezifiziert werden können. Sollten jetzt aber meine als... äh... >Humbug< und >geistige Scharlatanerie< verschrienen Berechnungen entgegen allgemeinen Erwartungen dennoch zutreffen, würde das äußerst weit reichende, wenn nicht sogar revolutionäre Konsequenzen im Gebiet der Temporalmechanik nach sich ziehen. Ist es aber de facto tatsächlich möglich, die Zeit zum... tja, nun... nennen wir’s ruhig beim Namen: Stillstehen zu bringen, so tut sich doch automatisch eine entscheidende Frage auf: Kann sie sich dann nicht auch rückwärts bewegen lassen? Ja, Sie haben durchaus richtig gehört: Ich spreche von der Mutter aller wissenschaftlichen Diskussionen, vom Traum aller... hum... Science-Fiction-Autoren, äh... von...“



„Diese debilen, unfähigen Idioten!“, lachte es aus einem breiten Sessel heraus hervor, der in einem ziemlich elegant eingerichteten Wohnzimmer vor einem großformatigen Fernsehgerät stand. Man glaubte fast, sich in einer Museumshalle zu befinden: Überall hingen kostbare, kunstvoll bestickte Wandteppiche, wertvolle Gemälde in Goldrahmen und Jagdtrophäen unterschiedlichster Art. Breite Regale, die beinahe bis unmittelbar unter die (ungewöhnlich hohe) Decke reichten, standen randvoll mit alten, vergilbten Büchern, und zugezogene rotfarbene Brokatvorhänge, durch deren schmale Schlitze die ersten vereinzelten Strahlen der über Russland aufgehenden Morgensonne ins Zimmer fielen, versperrten die Sicht auf die übergroßen Fenster an der Ostwand des Raumes. Langsam erhob sich eine Gestalt aus dem Sessel in der Ecke und schritt langsam hinüber an einen geräumigen Arbeitstisch, wo auf einem Tablett dampfender Tee und frisches, duftendes Gebäck bereitstand. Ein steifer, ungelenk wirkender Arm streckte sich nach der Tasse aus, und in einem schwarzen Lederhandschuh steckende Finger ergriffen mechanisch den im heißen Wasser schwimmenden Teebeutel, um ihn noch ein paar Mal einzutunken und schließlich zu entnehmen. Es war für die Tageszeit noch recht dunkel im Raum – außer dem laufenden Fernseher erhellten lediglich die wenigen Sonnenstreifen von der Fensterseite her die Umgebung ein wenig. Doch dem, der gerade gemächlich an der Tasse nippte, genügte dies offenbar. Wie in Zeitlupe schob sich sein Kopf in Richtung eines jener hellen Gardinendurchlässe, bis ein tiefbraunes Auge blitzend ins blendend helle Licht rückte. Die Aufmerksamkeit des Teetrinkers galt weiterhin der Nachrichtensendung, deren Mitteilungen aus der gegenüber liegenden Ecke unentwegt zu ihm herüber schallten.



„... glaubwürdigen Angaben zufolge will nahezu die gesamte bisher befragte Stadtbevölkerung kurz zuvor einen lauten, schrillen Pfeifton vernommen haben, der mit einem heftigen, für diese Region höchst untypischen Erdbeben der Stärke 2,9 auf der Richterskala einherging. Die voneinander unabhängigen Seismischen Institute in Philadelphia, Houston und San Diego bestätigen tektonische Aktivitäten, können jedoch keinerlei konkrete Ursachen hierfür angeben. Zudem wurde ein Rückstand sämtlicher Chronometer im Stadtbereich Washingtons um annähernd 29 Minuten und 13 Sekunden verglichen zur normalen Eastern Pacific Time festgestellt – eine Anomalie, die zur Stunde namhaften Wissenschaftlern und Fachkundigen rund um den Globus Rätsel aufgibt und zum Teil sogar Reaktionen im Rat der Vereinten Nationen...“



Seelenruhig stellte der Teetrinker seine Tasse wieder zurück aufs Tablett, ließ den Blick langsam zu einem auf dem selben Schreibtisch stehenden Telefonapparat wandern und nahm dann zögernd den Hörer ab. Er konnte nicht abstreiten, in diesem Moment ein gewisses Gefühl der Überlegenheit zu empfinden – die Überlegenheit, (wieder einmal) mehr zu wissen als andere.

Starr und gefühllos hämmerten steife Finger eine Nummernfolge in den Schnurloshörer. Einige Sekunden bis zum Ertönen des ersten Freizeichens verstrichen, die der Anrufer nutzte, um es sich zwischenzeitlich in einem Bürostuhl bequem zu machen. „Ja, hier ihr Kontakt in Charkow“, meldete er sich schließlich, nachdem sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung endlich abgenommen hatte. „Heute schon Nachrichten gesehen? Sieht ganz so aus, als ob die allmählich in bedenklichem Maße unvorsichtig werden – anders kann ich mir diese höchst fragwürdige Aktion jedenfalls kaum erklären! Glauben Sie, das hat irgendwas zu bedeuten?“ Eine kurze Antwort später entgegnete er beschwichtigend: „Nein, wo denken Sie hin? Ich werde mich hüten, ohne vorherige Absprache mit Ihnen in dieser Sache vorzugehen, schließlich gilt ja unsere Vereinbarung...“



In diesem Moment wanderten die unruhigen Blicke des Telefonierenden zufällig wieder hinüber zum Fernsehschirm, wo immer noch die Sondersendung ausgestrahlt wurde – und was er dort sah, ließ ihn vor Verblüffung förmlich erstarren. „Warten Sie bitte mal einen kurzen Augenblick, ich glaube, die bringen da eben was!“, unterbrach er seinen Gesprächspartner am Hörer verwirrt und schnappte sich die Fernbedienung von der Tischablage, um damit die Lautstärke der gerade laufenden Durchsage drastisch zu erhöhen.



Ein großes Gebäude in der Innenstadt Washingtons war zu sehen, vor dem eine unüberschaubare Anzahl an Einsatzfahrzeugen des Police Departments, des FBI und sogar NSA in einem chaotischen Durcheinander umher-stand, Sirenen und Warnlichter aktiviert. Vor provisorisch eingerichteten Absperrungen drängten sich Menschenmassen in Scharen, die Meisten darunter wohl offensichtlich Schaulustige, aber auch an Journalisten mangelte es keineswegs. Alle versuchten, irgendwie näher an den Eingang des Gebäudes heranzukommen und die bewaffneten Polizisten, welche beim Zurückhalten dieser aufgebrachten Menge alle Mühe hatten, beiseite zu schaffen oder teilweise gar rücksichtslos zu überrennen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde war die Aufschrift über den Glastüren lesbar, doch diese Zeit genügte, um sie zu entziffern: J. Edgar Hoover Building. Nun wurden die Bildeinstellungen zunehmend verwackelter (es handelte sich wohl um Amateuraufnahmen), doch man konnte immer noch deutlich erkennen, wie die breiten Eingangstüren schwungvoll aufflogen und ein Team von Notärzten eine Trage, auf die ein Verletzter geschnallt war, in größter Eile zum bereit stehenden Rettungswagen schleppte und hinein verfrachtete.

„Überdurchschnittlich hohe Konzentrationen der unbekannten Strahlung wurden im Bereich des FBI-Hauptquartiers gemessen, wo sich schon am Nachmittag zuvor ungewöhnliche Vorfälle ereignet haben sollen, wie zahlreiche Mitarbeiter berichteten. Mögliche Auswirkungen der Strahlung auf die menschliche Gesundheit sind noch nicht bekannt, werden derzeit jedoch untersucht.“

Das Bild eines älteren Mannes mit Halbglatze und einer Rundglas-Brille wurde eingeblendet. „Ferner ist unklar, ob die schweren Verletzungen des im Gebäude aufgefundenen Assistant Director Walter Skinner, der sich zur Zeit des Vorfalls allein im Komplex aufhielt, als Folgen einer möglichen Strahlenverseuchung oder eines herkömmlichen körperlichen Angriffes zu werten sind. Dazu der Leiter des eingesetzten Notfall-Rettungsteams, Dr. Amijn Mosuhma...“ Ein dunkelhäutiger Arzt im weißen Kittel fuhr sich extrem nervös mit der Hand über seinen kraushaarigen Kopf. Seinem Gesichtsausdruck war mehr als deutlich tiefe Besorgnis zu entnehmen, die seiner Konzentration schwer zusetzte. Mühsam sprach er, so laut er es in seiner Aufregung zustande brachte, in das ihm vorgehaltene Mikrofon, um das heillose Stimmen-Wirrwarr der Menschenmenge im Hintergrund zu übertönen: „Alles, was ich Ihnen im Augenblick über den Zustand dieses Mannes sagen kann, ist, dass ich derartige Verletzungen noch nie in meinem Leben gesehen habe... es... grenzt an ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt! Es hat den Anschein, als ob massive... Kräfte von außen auf seinen Körper eingewirkt und einen enormen Druck auf ihn ausgeübt hätten... innere Blutungen, starke Quetschungen, komplizierteste Knochenbrüche... Wir tun selbstverständlich unser Möglichstes, haben aber dennoch wenig Hoffnung, ihn durchzubringen. Sollte er allein schon den Transport überstehen, darf man von Glück reden... Entschuldigen Sie mich jetzt, wir müssen dringend los!“ In größter Eile rannte der Doktor in Richtung Rettungswagen zu seinen Kollegen, die alle nur noch auf ihn warteten, schwang sich zu den Insassen in die Fahrerkabine und brauste mit Höchstgeschwindigkeit unter Blaulicht und Sirenengeheule davon, ganze Trauben von neugierigen Gaffern zur Seite schleudernd, die nur zu gerne einen Blick in das Innere des Fahrzeugs geworfen hätten. Daraufhin kehrte die Nachrichtensprecherin auf den Bildschirm zurück. „Sobald uns weitere Informationen zu den Geschehnissen in Washington vorliegen, werden wir natürlich unverzüglich darüber Bericht erstatt...“



Der Unbekannte am Telefon hatte genug gesehen. Mit einem entschiedenen Knopfdruck schaltete er das Fernsehgerät ab. Aus dem Hörer, den er zwischen Ohr und Schulter geklemmt hielt, tönte unangenehm laut die Stimme seines in höchstem Maße beunruhigten Gesprächspartners. „Wozu denn jetzt diese unnötige Aufregung, Sir?“, lachte er gelassen und drehte ein paar Runden in seinem Bürostuhl. „Ich weiß gar nicht, wo hier das Problem liegen soll... Aber auf jeden Fall doch... Nein, Sie brauchen mir keine Unterstützung zu schicken, ich habe schon ganz andere Fälle alleine geregelt, wenn Sie sich zurück erinnern... Ja, ich werde mich melden, sowie ich vor Ort bin und die Angelegenheit bereinigt ist.“ Kopfschüttelnd legte er auf und platzierte den Hörer wieder auf die Ladestation. „Kein Vertrauen mehr selbst in die besten Mitarbeiter, wie jämmerlich“, kommentierte er seufzend, griff sich einen Bleistift von der Ablage und kaute kurz daran. Dann wurde er wieder ernsthaft, rollte mit dem Stuhl an den Tisch zurück und betätigte den Schalter an einer vor ihm stehenden kleinen Sprechanlage. „Sie wünschen, Genosse?“, meldete sich sofort eine angenehm klingende, junge weibliche Stimme durch den Lautsprecher. „Genossin Baranow, bitte buchen Sie mir den nächstmöglichen Flug nach Washington D.C. – mit den üblichen Vorkehrungen, versteht sich“, orderte er in fast übertrieben freundlichem Ton. „Und achten Sie darauf, dass mein Gepäck diesmal ohne Schwierigkeiten durch die Kontrollen geschleust wird... Sie wissen, ich hasse Verzögerungen!“ „Keine Sorge, Sie werden alles zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit vorfinden“, versicherte die Frauenstimme ihm eifrig. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ Der Mann grinste dreckig. „Sicherlich – aber das muss warten, bis ich zurück bin. Die Zeit drängt nämlich leider, Sie verstehen...“ Bevor ihm noch etwas Unüberlegtes herausrutschen konnte, unterbrach er die Sprechverbindung, lehnte sich gemächlich zurück in den Drehstuhl und kratzte sich nachdenklich am Kinn.



„Unser alter Freund Skinner hat also zu tief im Dreck gestochert“, zischte er dann wütend vor sich hin. „Wieder mal. Dabei dachte ich, dass er seine Lektion bereits gründlich gelernt hätte! Kontrolle allein reicht wohl doch nicht aus, um bestimmte Diskretionen zu wahren!“ Er stand auf, ging zu einem der Vorhänge und zog ihn beiseite, durch das Fenster hinaus auf die Straßen der noch mäßig belebten Innenstadt spähend.

„Wenn schon der letzte Vorhang demnächst fallen soll, dann will ich vorher wenigstens diese alte Rechnung beglichen wissen…“







19.04 UHR

PENTAGON

ARLINGTON, VIRGINIA



„Irgendwas wird schief gehen, irgendwas muss schief gehen... man kann´s doch fast schon an den Wänden lesen... noch nie hat bei uns was auf Anhieb hingehauen...“

Nervös und sehr langsam folgte ein recht großer Mann in dreckigen Turnschuhen, abgetragenen Jeans und schwarzer Lederjacke der Besuchergruppe vor ihm, die von ihrem Tourführer geradewegs zum Ausgang geleitet wurde. Als er missmutig die Unheil verheißenden Bögen musterte, durch welche die einzelnen Personen so sorglos hindurchschlenderten, zog er sich seine Baseball-Kappe noch ein ganzes Stück tiefer ins Gesicht (das von langen dunkelbraunen, verfilzten Haarsträhnen ohnehin bereits nahezu vollständig verdeckt war), trat nach einigen Momenten des Zögerns krampfhaft ein paar Schritte zurück und blieb keuchend hinter einem Pfeiler stehen. So unauffällig wie möglich drückte er einen Finger ans linke Ohr (beziehungsweise dorthin, wo man es unter der dichten Haarpracht vermuten konnte) und raunte leise vor sich hin: „Ssst! Hey, Amigos! Ihr seid mir doch nicht etwa eingepennt inzwischen, oder etwa doch?“ Im nächsten Augenblick zuckte der höchst merkwürdige Kerl jäh zusammen, schien fast eine Herzattacke zu bekommen. Besorgt drehten sich einige Besucher im Vorbeilaufen bereits nach ihm um; er aber fuchtelte nur hastig mit den Armen um sich, jedem mühsam zu verstehen gebend, dass ihm nichts fehle und er auch keine Hilfe benötige. „Sorry, Alter“, krächzte eine gepresste Stimme in die winzige, von außen nicht erkennbare Apparatur, welche im Ohr des Unbekannten steckte, „aber mir ist gerade kurz das Mikro runtergerutscht... entglitten, sozusagen.“ „Dadurch wäre ich eben fast abgetreten, du Hammel! Nimm dir in Zukunft wenigstens ein Kopfkissen mit, ja?“ Blitzschnell spähte der Mann hinter dem Pfeiler nach links und rechts, sich versichernd, dass er ungehindert weitersprechen konnte. „Hört mal, haut das auch wirklich hin mit eurer detektionssicheren Verpackung, die ihr mir für unsere... ohne Bestellung abgeholte Ware mitgegeben habt? Da vorne stehen nämlich jede Menge garstige, uniformierte Wichtelmänner vor dem Ausgang, und ich glaube nicht, dass die mich unbedingt freudestrahlend durchwinken, wenn einer ihrer beschissenen Alarme losgeht!“ „Du warst doch selber dabei, als wir´s getestet haben!“, meinte die Stimme im Ohrstecker beschwichtigend. „Hat es da funktioniert oder nicht?“ „Mag ja sein, aber wie uns die Erfahrung leider lehrt, sind Theorie und Praxis zwei Paar Stiefel... und ganz besonders bei uns! Ich will nur äußerst ungern der erste unserer bescheidenen Organisation sein, der eingesackt wird, kapiert ihr?“

Eine andere, zivilisierter und beruhigender klingende Stimme meldete sich daraufhin zurück: „Mir scheint, du gehst das alles ein wenig zu hektisch an. Wir haben dich problemlos rein gekriegt, und sicherlich schaffen wir dich auch einigermaßen unbehelligt wieder raus! Den weitaus schwierigeren Part hast du ja schon hinter dir, der Rest sollte dann bloß noch reine Routine sein. Denk dran: Solange du nicht anfängst, leichtsinnig zu werden, bist du zu hundert Prozent safe. Aber gehen wir´s lieber noch mal durch: Hast Du das Teil inzwischen in die Spezialfolie gesteckt?“ „Ja doch.“ „Und hast du sie danach auch dicht verschlossen – so, wie wir´s geübt haben?“ „Natürlich, verdammt!“, entfuhr es dem allmählich ungeduldig werdenden Typ mit der Mütze genervt. „Bald die halbe verfluchte Rolle Isolierband hab ich drum herum gewickelt, okay?“ „Dann weiß ich beim besten Willen nicht, weshalb du dir derart das Unterhemd befeuchtest!“, lachte es ihm ins Ohr. „Geh endlich durch diesen blöden Metalldetektor und bring die Sache zu einem glücklichen Ende! Dir ist wohl hoffentlich klar, was bei dieser Aktion für uns auf dem Spiel steht...“ „... in erster Linie mal zuerst mein Arsch!“, ergänzte der verlotterte Typ seufzend und kratzte sich an seinem bärtigen Kinn. Ein erneuter Kontrollblick in Richtung Ausgang ergab, dass nun fast die gesamte Gruppe nach draußen geschleust war; wenn er das Gebäude möglichst unauffällig verlassen wollte, so musste er es jetzt tun.

Einmal mehr atmete er tief durch, hoffte, dass er sich danach irgendwie besser fühlen würde... doch das flaue Gefühl in der Magengegend blieb.



Gerade passierten die letzten drei Besucher die Checkpoints.



„Also schön, Freunde, dann auf eure Verantwortung!“, flüsterte er, während er aus der ihn vor neugierigen Blicken schützenden Deckung hervortrat, seine ID-Karte mit dem Aufdruck >VISITOR< an der Brusttasche zurecht rückte und dann beschleunigten Schrittes auf den mittleren der fünf Detektorbögen zusteuerte.



„Hey, Kyle“, meinte einer der vor dem Ausgang postierten Wachleute zu seinem Kollegen neben ihm und stieß diesem seinen Ellbogen sanft in die Rippen, „guck dir mal den verlausten Penner an, der da gerade auf den mittleren Checkpoint zulatscht!“ Nachdenklich kratzte sich der vom langen Stehen reichlich geschlauchte Sicherheitsposten an der Schläfe. „Ja, stimmt – die Type kam mir schon die ganze Zeit recht verdächtig vor! Dass die so einen überhaupt rein gelassen haben... Was meinst Du – ob´s bei dem bellt, wenn er durch die Schleuse will?“ „Na, ich will´s doch mal schwer hoffen!“, erwiderte sein Nebenmann grimmig (dem nach einem langen, ereignislosen Tag eine Prise Action durchaus gelegen gekommen wäre) und lockerte zur Sicherheit schon mal seine Dienstwaffe im Halfter. „Irgendwann muss schließlich heute ja mal was passieren, oder?“

Hoffentlich passiert nichts... hoffentlich passiert nichts..., hämmerte es immer lauter im Kopf des langhaarigen Lederjackenträgers, als dieser sich mit verkrampft geschlossenen Augen unter das Portal stellte, welches in den nächsten Sekunden sein Schicksal bestimmen sollte. Zunächst glaubte er, dass der Plan möglicherweise doch klappen könnte, dass seine Befürchtungen – wie schon so oft – hoffnungslos übertrieben gewesen wären und letztlich doch noch alles gut werden dürfte, bis... ja bis der Super-Gau eintrat, genau das, was nie hätte eintreten dürfen, womit niemand rechnen konnte (und natürlich auch nicht wollte)...



Die Alarmsirenen schrillten los.



Blitzschnell, wie ein gehetztes (und schließlich in die Falle getapptes) Tier, wirbelte der Kopf der obskuren Gestalt nach allen Seiten, die auf sie zukommenden Bedrohungen in Form eines Kontrolleurs mit Handdetektor von links sowie der beiden hämisch grinsenden Security-Männer von vorne in Bruchteilen von Augenblicken registrierend. „In Ordnung, Sir“, begann der sich rasch nähernde Kerl (eine absolute Killermaschine mit Schultern, die mindestens so breit anmuteten wie die eines ausgewachsenen Gorillas) mit dem Spürgerät in den Pranken bereits seinen Standardtext, „wenn ich Sie dann bitten dürfte, den Inhalt Ihrer Taschen in das Behältnis zu Ihrer Rechten zu entleeren und...“ Weiter sollte er nicht kommen, denn in diesem Moment wirbelte der Verdächtige bereits herum, sprang mit einem Riesensatz an ihm vorbei und stürmte in einem Höllentempo durch die riesige Eingangshalle zurück in Richtung der Aufzüge.

„Den Mann sofort aufhalten!“, brüllte es hinter dem Flüchtenden laut, und alles, was gerade eben noch mehr oder weniger untätig am Eingang postiert gewesen war, nahm nun in höchster Eile die Verfolgung auf. Alarme heulten von allen Seiten los, was unter den umherlaufenden Mitarbeitern und Besuchern eine Massenpanik auslöste, die einer glücklichen Flucht des Mannes mit der Lederjacke nicht unbedingt zuträglich war. Ungebremst jeden beiseite schleudernd, der ihm unvorsichtigerweise in den Weg rannte, sprintete er auf den nächstgelegenen rettenden Aufzug zu, während er ungehemmt in den Ohrhörer schrie: „Wir... äähh... müssen, fürchte ich, dezent umdisponieren, Jungs! Erwartet mich NICHT am Ausgang! Wiederhole: Nicht am Ausgang auf mich warten!“ „Na Weltklasse, Langly!“, gratulierte ihm Byers (denn kein Anderer saß am anderen Ende der Funkverbindung) stöhnend. „Wie hast du das denn nur wieder hinbekommen?“ „Das solltet ihr euch lieber selber fragen, denn an mir lag´s diesmal wirklich absolut nicht! Ich hab kein nachweisbares Gramm Metall an mir – außer natürlich unserer kleinen Errungenschaft!“



Byers, der zusammen mit Frohike in einem nahe dem Pentagon geparkten Van saß und inmitten des mit Computermonitoren, Abhörvorrichtungen und Kameras geradezu voll gestopften Laderaums die gesamte Aktion

– bis vor einigen Minuten noch recht erfolgreich – dirigiert hatte, konnte sich in seiner Verzweiflung bloß kopf- schüttelnd die übermüdeten Augen reiben. „Das kann doch alles gar nicht wahr sein! Wir hatten alles so gründlich gecheckt, da konnte eigentlich null Prozent schief laufen!“, stöhnte er ratlos. „Sieh dir mal die Verpackung an, in die du unser Sorgenkind gesteckt hast, Langly!“, forderte er schließlich seinen im Bürokomplex allmählich in ernsthafte Schwierigkeiten geratenden Kollegen auf. „Erkennst du vielleicht an irgendeiner Stelle einen Riss oder eine sonstige Beschädigung?“

Hastig fingerte der maskierte Langly ein rechteckiges, in eine silbern glänzende Folie eingepacktes Objekt aus der Innentasche seiner Lederjacke hervor und untersuchte es während seines Sprintes, so gut er es vermochte. Da

schallte ihm ein lautes Klickgeräusch entgegen, und mit Entsetzen musste er feststellen, dass sich alle Aufzüge vor ihm (die er inzwischen fast schon erreicht hatte) schlossen und statt der digitalen Etagenanzeigen überall die blinkende Warnung >LIFT SECURED< erschien. „Scheiße in Reinform!“, fluchte er, drehte von der nunmehr verbauten Fluchtmöglichkeit ab und stürzte durch eine Seitentür in das angrenzende Treppenhaus. Seine Verfolger, deren Anzahl ständig zunahm, waren ihm bereits dicht auf den Fersen, ihm immer wieder hinterher rufend, dass ein Entkommen schlichtweg unmöglich sei und er sich lieber ergeben solle, bevor von Schusswaffen Gebrauch gemacht werden müsse. Ungeachtet dessen die endlosen Stufen zu den oberen Stockwerken des Komplexes empor stürmend, nahm Langly das kleine Päckchen in seinen Händen einmal mehr unter die Lupe. „Also, beschädigt ist da scheinbar nichts“, keuchte er endlich atemlos, „aber irgendwie scheine ich eine Schrift durch die Folie erkennen zu können... spiegelverkehrt, glaube ich... ja, genau! Steht auf der Innenseite der Hülle, wie´s aussieht... C... R... U… Stopp, Moment mal! >CRUNCHY CRISPIES
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