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Nox Aeterna - Triologie Part I

von NightFright

Kapitel 3

C a p i t u l u m I I - ERROR FATALIS





8. JULI, 20.52 UHR

IN DEN WÄLDERN VON CLEVELAND, NAHE DEM LAKE ERIE

CLEVELAND, OHIO



EIN sechsköpfiges Journalistenteam, ausgestattet mit Handkameras, Scheinwerfern und Richtmikrofonen, marschierte eilig durch eine sehr breite, endlos lang erscheinende Talsenke, deren zerklüftete, bröckelnde Wände zu beiden Seiten steil emporragten. Wo auch immer man hinsah, überall dampfte die heiße, aufgewühlte Erde, und beißender Brandgeruch hing in der Luft – doch weit und breit war nicht der geringste Schimmer eines Feuers in dieser sternklaren Sommernacht zu erkennen. Überhaupt war es ein merkwürdiges Tal; keine einzige Pflanze war hier gewachsen, nicht einmal ein paar Grasbüschel – stattdessen lagen überall riesige Felsbrocken sowie Teile von grobem Wurzelwerk verstreut. Beklemmende Stille umgab die Männer und Frauen, die an ihrer Ausrüstung schwer zu schleppen hatten.

Nach einer Weile blieb einer der Leute erschöpft stehen, stellte seine Kamera auf einem der großen herumliegenden Steine ab und drehte sich keuchend um.

„Jack, was ist denn jetzt wieder los, Mann?“, stöhnte einer der weiter vorne Laufenden und hielt gezwungenermaßen mit dem Rest der Truppe ebenfalls an. „Wir latschen hier schon ewig in diesem beschissenen Tal umher, und dieser Dreck will einfach kein Ende nehmen!“, fluchte Jack und wischte sich mit dem Ärmel seines Holzfällerhemdes den Schweiß von der Stirn. „Irgendwann wird es aufhören, da bin ich mir ganz sicher“, versuchte ihn eine Frau mit langem blonden Haar zu vertrösten. Wie die meisten ihrer Begleiter trug auch sie dunkle, unauffällige Bekleidung und führte ein Funkgerät am Hosengürtel mit sich. „Hmm... ich weiß ja nicht, wie es euch geht, Leute“, meinte Darren, der Anführer der Gruppe, zum Rest der Mannschaft, „aber ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass dieses ohnehin recht seltsame Tal, das aus reinem Dreck und Geröll zu bestehen scheint, überhaupt keines ist.“ „Sondern?“, fragte die blonde Frau mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis. Stirnrunzelnd blickte sie Darren an. „Leslie“, begann dieser nach kurzer Pause langsam, „ist dir denn bislang noch nicht aufgefallen, dass überhaupt keine Geräusche außer unseren eigenen Schritten und Stimmen zu hören sind, schon die ganze Zeit über nicht?“ „Was soll denn daran bitteschön unnormal sein?“, warf Eric ein, der einen Großteil der Beleuchtungseinrichtung zu schleppen hatte. „Der nächste Highway liegt nun mal bereits einige Kilometer zurück, und unser höchst... geländetüchtiges Vehikel steckt irgendwo da hinten im metertiefen Dreck fest. Wir als Großstadtmenschen sind eben den Straßenlärm gewohnt, und jetzt, da wir diesen eher unfreiwilligen Spaziergang durch die launige Mutter Natur machen, fehlt er dir, so sieht’s doch wohl aus, oder?“ „Ich habe schon oft im Sommer in dieser Gegend hier gezeltet“, erwiderte Darren nachdenklich, „da war um diese Zeit immer ein Wolfsgeheule, Eulenrufen und Grillengezirpe, dass man beinahe dran verrückt werden konnte. Und Schakale... von denen hat es nur so gewimmelt, zum Teufel! Wo sind all die Viecher?“



„I-ich glaube, nach d-deinen Schakalen suchen wir b-besser erst später…“, entfuhr es Jack plötzlich, welcher kreidebleich anlief und mit zitternder Hand nach vorne zeigte. Instinktiv drehten sie sich alle um – und erstarrten vor Schreck, als sie feststellten, dass sich das vermeintliche Tal, in dem sie die ganze Zeit über achtlos herumgestiefelt waren (in der Dunkelheit hatten sie eher darauf geachtet, nicht zu stolpern, anstatt den Weg im Voraus zu überblicken), schnurgerade durch das Gelände zog, ohne auch nur die geringste erkennbare Biegung oder Kurve. Riesige Erdwälle türmten sich vor ihnen zu einer Schneise auf, und es sah so aus, als habe sich eine ungeheuer große Masse durch das Erdreich gebohrt, alles zur Seite schleudernd, was sich ihr in den Weg gestellt hatte – unübersehbare Mengen an geborstenen, zermalmten Baumstämmen lagen wild verstreut auf den Kuppen der Dreckhügel, welche beide Seiten der Senke flankierten.

„Scheiße, Mann!“, kam es von Christina, der zweiten Frau in der Gruppe, die sich entgeistert eine lange, braune Haarsträhne aus dem Gesicht strich. „Warum ist uns das nicht schon früher aufgefallen?“ Sie erhielt keine Antwort. Stattdessen blies ihr mit einem Mal ein ungewöhnlich warmer, heftiger Windstoß entgegen, der ihr den Atem nahm und sie beinahe von den Füßen warf. Fast zeitgleich setzte ein gedämpftes mechanisches Surren ein, welches den Boden heftig erzittern ließ, obwohl es doch aus einiger Entfernung kommen musste. Malcolm, mit seinen 20 Jahren der mit Abstand Jüngste im Team, brachte als erster wieder einen Satz zustande: „Hört sich an, als ob... irgendwo vor uns Turbinen angeworfen würden... oder zumindest so was ähnliches...“ „Ja... aber wenn, dann verdammt große!“, ergänzte Jack, während ihm Leslie beim Aufstehen aus dem knöcheltiefen Schlamm half, in den er gerade rückwärts hineingefallen war. „Weswegen hat man uns gleich noch mal hergeschickt?“, murmelte Darren nervös, „Wir sollten... über anomale tektonische Beben berichten, die vor kurzem in dieser Gegend stattgefunden hätten?“ „Wenn das tektonische Beben sind, ernähr ich mich ein Jahr lang freiwillig bloß noch von frisch Ausgekotztem!“, kam es von Malcolm, dem bei der Sache allmählich flau im Magen wurde. „Merkt ihr auch, dass es immer wärmer wird, je weiter wir vorwärts kommen? Dass diese gigantische Schneise unmöglich auf natürliche Art entstanden sein kann und die Erde glühend heiß ist, wie von extremer Reibung? Leute, da muss was ganz Großes runtergekracht sein, da möcht ich meinen Arsch drauf verwetten!“ „Schwall doch keinen Scheiß, Alter!“, wies ihn Jack zurecht und versetzte ihm mit der flachen Hand eine angedeutete Kopfnuss. „Selbst der größte je von Menschenhand erbaute Jumbo-Jet würde bei einem Absturz kein derartiges Ausmaß an Verwüstung anrichten, und das Militär besitzt allein schon aus taktischen Gründen keine riesigen Flugzeuge, die im Falle eines Versagens ganze Wälder einebnen, so wie es hier passiert ist! Und zudem: Wie erklärst du dir die markerschütternden Maschinengeräusche vor uns? Wenn da tatsächlich was abgestürzt sein sollte, wäre es doch mit Sicherheit in tausend Fetzen geflogen!“ „Normalerweise schon...“, begann Christina zögernd. „Aber was, wenn nicht? Wenn... es vielleicht etwas anderes ist? Kein Flugzeug? Ich meine: Keines... von uns...?“

„Natürlich! Das musste jetzt ja kommen, darauf hab ich nur gewartet!“, grölte Eric höhnend und lachte die sichtlich eingeschüchterte Frau ungehemmt aus. „Chris denkt wohl, die kleinen grauen Aliens, die damals vor elf Jahren ihren Vater in einen geistigen Krüppel verwandelten, wären zurück, was? Selten so gelacht, Mann!“ Die Frau mit dem braunen, hochgesteckten Haar strafte ihren taktlosen Kollegen mit einem verächtlichen Blick. „Die Ärzte haben niemals feststellen können, was für seinen urplötzlichen Gedächtnisschwund verantwortlich gewesen war!“, verteidigte sie sich trotzig. „Man sprach von einer unerklärlichen Reststrahlung in seinem Gehirn, wie man sie noch nie zuvor...“



In diesem Moment erhellte ein schwaches, bläuliches Schimmern den Nachthimmel und tauchte die gesamte Umgebung schlagartig in ein mattes, gespenstisches Zwielicht. Ungläubig starrten alle nach vorne, sich die Handflächen aufgrund der abrupten Helligkeitsveränderung schützend vor die Augen haltend. Vor ihnen pulsierten in einiger Entfernung unzählige Lichter, und ihre Anordnung war alles andere als zufällig: Deutlich zeichnete sich am Horizont ein dreieckiges, geradezu gigantisches Objekt mit abgeflachten Seitenkanten ab. Scheinwerferähnliche Bahnen zogen sich wie dünne, glimmende Fäden durch die Struktur und verliefen in abwechselndem Aufleuchten (zumindest scheinbar) auf das Zentrum der Konstruktion zu, welches kreisförmig angestrahlt wurde. Ein mächtiges Grollen setzte ein, durch dessen verursachte Erschütterungen große, schwere Erdmassen an den beidseitigen Abhängen des >Tals< ins Rutschen gerieten. Darren erkannte als erster die ihnen drohende Gefahr. „Freunde, wer von euch wenig Wert auf ein vorzeitiges Ableben legt, der nimmt jetzt besser die Beine in die Hand... und läuft, was er nur kann!“

In hastiger Eile warfen sie fast ihre gesamte mitgenommene Ausrüstung hin (nur Leslie behielt eine Kamera in der Hand) und rannten wie der Teufel, geradewegs auf die Lichter zu. Hinter ihnen krachten Felsbrocken von mehreren Tonnen Gewicht und entwurzelte Baumstümpfe, mitgerissen in matschigen, dampfenden Drecklawinen, zu Boden, alles unwiderruflich unter sich begrabend. Zunächst ging alles gut, und sie waren ihrem offensichtlichen Ziel schon beträchtlich näher gekommen, als der Letzte der Gruppe – Malcolm, der ohnehin nie der Schnellste gewesen war – über eine hervorgetretene Wurzel stolperte und stürzte. „Mist!“, brachte er noch heraus, bevor sein Kopf hart auf dem Boden aufschlug und er bewusstlos liegen blieb. Schon überschüttete den Jungen der erste Schlamm, als sich der ganz vorne rennende Darren umdrehte und die brenzlige Situation erkannte. Abrupt bremste er ab und spurtete ohne langes Nachdenken zurück, vorbei an seinen Kameraden, die ihm fassungslos nachsahen. „Bist du denn verrückt?“, schrie Jack, der noch versuchte, seinen Vorgesetzten im Vorbeilaufen am Ärmel zu schnappen und zurückzuhalten. „Für den ist es zu spät, Mann! Rette dich lieber selbst, du Idiot!“ Darren, der inzwischen beim gestürzten Malcolm kniete und damit begann, den Bewusstlosen hastig aus dem lockeren Erdreich, welches ihn bereits bedeckte, heraus zu wühlen, brüllte zurück: „Ich bin der Leiter dieses Unternehmens und für jeden von euch verantwortlich! Hier habe ich das Sagen, und bei mir wird keiner im Stich gelassen, Jack! Auch nicht, wenn es der Entbehrlichste wäre, klar? Und nun lauft zu, ihr dummen Kerle! NA LOS DOCH!“ „Das schaffst du nicht!“, ermahnte ihn Leslie. Tränen glitzerten in ihren Augen. „Das kannst du gar nicht schaffen! Nicht allein!“ Das erste Gestein prasselte bereits auf die Zurückgebliebenen nieder, während sich Darren unbeirrt damit abmühte, sich den Jungen über die Schulter zu werfen und aufzustehen. „Leslie... du... blöde Kuh!“, zischte er fluchend zwischen den Zähnen hervor, „Wenn du und die anderen nicht augenblicklich abhauen... werd ich hier einfach stehen bleiben, verdammt!“ Eric packte die aufgebrachte Frau an der Schulter und riss sie gewaltsam zurück. „Komm, er wird´s schon hinkriegen! Wir müssen weiter, schnell!“ Widerwillig setzte sich Leslie gemeinsam mit den übrigen wieder in Bewegung.



Darren sah den Flüchtenden einen Moment lang nach, bevor er sich mit dem noch immer regungslosen Malcolm durch den bereits mehr als knöcheltiefen Schlammteppich kämpfte. „Kommt mir bloß heil zurück!“, murmelte er

keuchend und schleppte sich weiter – zu langsam, wie er selbst wusste. Ein neues Beben durchfuhr das Tal, noch stärkere Lawinen auslösend. Erschöpft versuchte er noch, sein rechtes Bein aus dem Matsch zu ziehen, als er bemerkte, wie sich hinter ihm ein mehrere Meter hoher Berg aus Geröll drohend erhob und rasend schnell näher kam. Sich darüber im Klaren, dass es für ihn keine Chance des Entkommens mehr gab, blieb er stehen und wandte sich der tödlichen Gefahr zu. Ich hab mich nie getraut, es dir zu sagen, dachte er bei sich, aber ich will es wenigstens ein einziges Mal laut ausgesprochen haben... auch, wenn es umsonst sein sollte...

„Leslie... ich... ich liebe dich!“, schrie er verzweifelt in die Nacht hinaus, bevor eine grausame, unbarmherzige Welle des Vergessens und der Finsternis über ihn hinwegdonnerte.

Eric, Jack, Christina und Leslie hetzten durch die Schlucht, bis sie entkräftet zusammenbrachen. Keuchend und nassgeschwitzt fielen sie beinahe gleichzeitig hin und erwarteten, dass sie in wenigen Sekunden dasselbe Schicksal ereilen würde wie Darren und Malcolm. Leslie schluchzte leise. „Er... er war so ein lieber Kerl...“, wimmerte sie. „So selbstlos, so ehrlich...“ „Eric, bring diese heulende Ziege doch bitte dazu, wenigstens für einen Moment das Maul zu halten!“, schrie Jack, um das nunmehr unerträglich laute, pochende Brummen zu übertönen. „Ihr nerviges Geflenne sollte nicht unbedingt das Letzte sein, was ich in meinem Leben zu hören kriege!“ Gerade wollte Eric den unfreundlichen Kameramann zurechtweisen, als mit einem Mal das infernale Getöse um sie herum ohne Vorwarnung verstummte – womit auch das Beben zur Ruhe kam. Ungläubig blickte Christina auf und drehte sich um. Hinter ihnen war die lang gezogene Schlucht völlig zusammengestürzt. Keine dreißig Meter hinter ihnen endete der riesige Schuttwall, der sie um ein Haar das Leben gekostet hätte. Vereinzelt kullerten noch einige Steine den steilen, frisch aufgetürmten Abhang herunter, dann war es still. Totenstill. „Großer Gott...“, seufzte die Frau erleichtert. „Und ich dachte, wir...“

Eric stand langsam auf, sich den Schmutz von der Kleidung klopfend. „Junge, Junge, hier ist´s ja tierisch... heiß...“ Als er den Kopf hob, blieb ihm fast das Wort im Halse stecken. Taumelnd trat er ein paar Schritte vor und stürzte dann fassungslos zurück auf die Knie. „Hey, Alter!“, lachte Jack dreckig und rappelte sich auf, um nach seinem Freund zu sehen. „Hast du grad ´nen Hitze-Flash, oder...?“ Weiter kam er nicht. Staunend hielt er mitten in der Bewegung inne und starrte wie hypnotisiert auf das, was sich da vor ihm befand. Auch die beiden Frauen glaubten, ihren Augen kaum trauen zu können.



Mehrere hundert Meter von ihnen entfernt endete die breite Schneise, welche sie die ganze Zeit über durchquert hatten. Dort, in der vor Hitze flimmernden Luft, lagerte ein bläulich-metallisch glänzendes Objekt, das eine Fläche von wenigstens sieben Quadratkilometern abdeckte. Mit einer seiner drei Kanten hatte es sich tief in die Erde voraus gebohrt und dadurch die gesamte Konstruktion weit in die Höhe gehebelt, so dass die dreieckige Grundform deutlich auszumachen war. Blaue Positionsleuchten flackerten unentwegt hoch über ihnen an der schimmernden Außenhaut entlang auf, die seitlich von einer Unzahl an Schläuchen, Rohren und Kabelleitungen durchzogen wurde. An zahlreichen Stellen waren offensichtliche Beschädigungen zu erkennen: Grelle Funken regneten immer wieder wie ein Sylvesterfeuerwerk herab, um noch auf ihrem Weg zum Boden in der Luft zu verglühen. Weiße Fontänen aus Dampf schossen unter hohem Druck aus sternförmig über die Oberfläche verteilten Ventilen. In der Mitte der angehobenen Unterseite (zumindest schien sie es zu sein) befand sich eine breite, kreisförmige Vertiefung mit etwas in ihrem Zentrum, das im entferntesten Sinne an ein kompliziertes, rundes Schott erinnerte. Auf der gesamten Rumpffläche waren große, runenartige Symbole eingraviert, welche die im einfallenden Mondschein glitzernde Hülle fast durchgehend bedeckten.

Gegen die beinahe unvorstellbare Dimensionierung dieser Anlage wirkten die regungslos davor verharrenden Menschen wie vier winzige, kaum wahrzunehmende Ameisen, ja Mikroben sogar, machtlos und schwach.



„Mir... mir platzt der Arsch...“, stotterte Jack benommen, zog seine verdreckte Baseballmütze vom Kopf und schluckte schwer. „Wirklich unglaublich!“, pflichtete ihm Christina bei. Sie wollte sich an dem Schauspiel, das sich ihr da bot, einfach nicht satt sehen. Trotz der enormen Hitze, die auf rätselhafte Weise von dem havarierten Objekt ausgestrahlt wurde, wagten sie sich noch ein Stück näher heran, bis sie es gerade noch ertragen konnten. Schließlich platzte es aus Jack heraus: „Leute, wir sollten nicht vergessen, weshalb wir gekommen sind! Dieses... Ding hier dürfte wohl mit ziemlicher Sicherheit der Verursacher jener mysteriösen Erdstöße sein, wegen denen wir hergeschickt wurden, denkt ihr das nicht auch?“ Stummes, betretenes Nicken war die einzige Antwort, die er erhielt. Ansonsten würdigte ihn keiner auch nur eines Blickes. „Exzellent!“, meinte er enthusiastisch und setzte eine triumphierende, fast schon feierliche Miene auf, tippte Leslie auf die Schulter und fragte sie: „Du... du hast doch noch dein Funkgerät und die Kamera von vorhin, oder?“ Schweigend zog sie ihr Walkie-Talkie vom Gürtel, das die haarsträubenden Geschehnisse wie auf wundersame Weise überstanden hatte, und überreichte es ihm zusammen mit der Handkamera, die ebenfalls keinen größeren Schaden genommen zu haben schien. Siegessicher aktivierte er das Sprechfunkgerät und tönte hinein: „Zentrale, hier Team Cleveland, kommen.“ Er vernahm daraufhin nichts weiter als rauschende, knisternde Statik. Mehrere Male wiederholte er den Funkspruch, jedoch ohne Erfolg. „Was ist bloß los mit diesem Scheißding?“, fluchte er verärgert. „Das muss an der Hitze liegen“, erklärte Eric kurz. „Der empfindliche Empfänger in dem Gerät verträgt wahrscheinlich derart hohe Temperaturen nicht.“ „Na klasse!“, stöhnte Jack enttäuscht. „Wollen wir hoffen, dass wir beim Filmen mehr Glück haben – Leslie, darf ich bitten?“ Verstört starrte ihn die junge Frau an. „Wir... wir haben gerade Darren und Malcolm verloren, sind von der Außenwelt in jeglicher Hinsicht abgeschnitten und wissen noch nicht einmal, ob wir das alles hier überstehen, und du... denkst allen Ernstes ans Filmen? Was für ein kaltherziger, gefühlloser Kerl bist du?“ Ablehnend verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust. „Versteh doch, Leslie: Sollten wir durchkommen, gibt das eine Story, die das ganze Land – ach, was red ich, den gesamten Erdball erschüttern wird, und wir sacken den Ruhm dafür ein! Gott, welche Konsequenzen das nach sich ziehen wird...! Tja, und wenn es anders kommen sollte... dann werden wir zumindest alles dokumentieren, damit diejenigen, die nach uns suchen, erfahren, was mit uns geschehen ist.“ Christina wiegte überlegend den Kopf. „Hmmm... wenigstens sein zweites Argument klingt einigermaßen plausibel, Les...“ Eric nickte zustimmend. Erwartungsvoll blickten die drei daraufhin zu der Blondine hinüber, die schließlich nachgab, wenn auch unter Protest. In Windeseile richtete sie provisorisch ihre Frisur, reinigte ihr Gesicht vom gröbsten Schmutz und gab Jack, der bereits die Kamera positionierte, ein Zeichen zum Starten der Aufnahme. „Läuft“, bestätigte er. Die Frau nahm eine für Reportagen typische, wenn auch unter diesen Umständen recht aufgesetzt wirkende Haltung ein und versuchte, dynamisch einen Text herunterzuspulen, der sich gerade erst in ihrem Kopf zu entwickeln begann: „Guten Abend, meine Damen und Herren! Ich bin Leslie Ashton von TV-23 und melde mich heute live aus den Wäldern von Cleveland, um sie über eine atemberaubende, womöglich weltverändernde Entdeckung in Kenntnis zu setzen. Es ist die Nacht auf den 9. Juli, und wir haben...“ Flüchtig checkte sie ihre Armbanduhr für eine Zeitangabe, stutzte kurz und fluchte dann leise: „So ein Mist, scheint stehen geblieben zu sein...“ Hektisch fuchtelten Eric und Christina hinter dem filmenden Jack herum, ihr zu verstehen gebend, dass sie unbeirrt weitermachen sollte. Nervös fuhr sie fort, einen neuen Satz beginnend: „Jedenfalls... hmm... scheinen die starken Erdstöße, die vor wenigen Stunden sämtliche Regionen in der näheren Umgebung des Lake Erie völlig überraschend erschütterten, keineswegs natürlichen Ursprungs zu sein, sondern vielmehr...“







„Und? Waren das die bald 24 Stunden Autofahrt nun wert oder was? Also ganz ehrlich: Für die Show hier würde jemand, den ich gut kenne, selbst seine extrem heilige Jenna Jameson-Videokollektion hemmungslos mit Teletubbies-Folgen überspielen! Aber komplett!“ „Mulder... es... es fällt mir zwar schwer, das zuzugeben, aber... jetzt steht definitiv und unwiderlegbar fest, dass ich mich in all den Jahren, die wir uns schon kennen, wirklich grundlegend geirrt habe. Du warst immer derjenige von uns beiden gewesen, der die ganze Zeit über Recht gehabt hatte, und ich versuchte aus Unwissenheit ständig, dich von der richtigen Fährte abzubringen... Ein Fehler, der sich kaum wieder gut machen lassen dürfte. Schätze, damit stehe ich vom heutigen Tage an tief in deiner Schuld!“ Dana Scully lag neben ihrem Freund am Rand einer Klippe, von der aus sie den abgestürzten Flugkörper aus einiger Entfernung gut beobachten konnten. Beide blickten durch Infrarot-Nachtsichtgeräte (dauerhaft entliehene Überbleibsel aus ihrem früheren FBI-Fundus) und kamen aus dem Staunen kaum noch heraus – selbst der sonst so leichtgläubige Mulder nicht. Nach den Worten seiner Freundin jedoch, deren Aufmerksamkeit bereits wieder der Absturzstelle galt, ließ er den Restlicht-Verstärker langsam zu Boden sinken, setzte sich auf und musterte die fast regungslos daliegende Frau an seiner Seite – bis ihm kurzzeitig der Blick leicht wässerig wurde. Bevor er seinen spontanen Gefühlsausbruch aber heimlich wieder hinunterschlucken konnte, hatte sie diesen aus dem Augenwinkel heraus bemerkt und runzelte verwundert die Stirn. „Mulder?“, fragte sie sanft. „Was ist denn? Hab ich gerade eben etwa was Falsches gesagt?“ „Nein“, erwiderte er, ein Zittern in der Stimme mühsam unterdrückend, „ganz im Gegenteil, liebe Dana. Zum ersten Mal... in diesen inzwischen mehr als zwölf Jahren Freundschaft und enger Zusammenarbeit... gibt keine Geringere als die ewige Skeptikerin und notorische Zweiflerin Dana Katherine Scully exakt die Worte wieder, die ich ihr seit der ersten gemeinsamen Stunde sehnlichst entlocken wollte... nämlich ihren Irrtum einzuräumen und... die Richtigkeit meiner von ihr stets angefochtenen Thesen endgültig anzuerkennen... kann das wahr sein?“

Sie musste schmunzeln. „Ich hoffe doch sehr, bei dir klinkt´s jetzt nicht gleich aus, mein Bester, nur weil wir endlich einmal uneingeschränkt einer Meinung sind...?“ „Also wirklich keinerlei wissenschaftliche, alles abstreitende Interpretationen diesmal?“, hakte er unsicher nach. „Keine Luftspiegelung? Halluzinationen? Oder vielleicht gar späte Nachwirkungen meines Abendessens?“ „Mulder... was ich da unten sehe, lässt sich wohl schwer leugnen – und eine plausible Erklärung will mir ebenfalls keine einfallen. Offen gestanden... bin ich mit meinem Latein am Ende.“ Seine Augen glitzerten hell auf wie die eines Kindes kurz vor der Bescherung. Erwartungsvoll saß er vor ihr, woraufhin sie hörbar aufseufzte.

„Na schön, es wird zwar sein, wie wenn man Öl ins Feuer gießt, aber ich will dir den Gefallen tun: Mulder, da mir sämtliche gängigen wissenschaftliche Quellen weder schlüssige Erklärungen noch Deutungshinweise zu liefern vermögen für das, was da vor uns liegt, kann es sich meiner Meinung nach nur um ein... (sie holte tief Luft) Nicht identifiziertes Fliegendes – oder zumindest flugtaugliches – Objekt handeln, welches durch äußere Einflüsse scheinbar zu einer Art Notlandung gezwungen wurde. – Nun, zufrieden?“

In genießerischer Verzückung stöhnte er: „Oh nein, bitte Gnade, das ist zuviel auf einmal, du Grausame! Zügele dich, oder ich garantiere für nichts mehr...“ „Willst du mir etwa drohen, hm?“, wollte sie sichtlich amüsiert wissen. „Bevor du da gleich was überstürzt, warne ich dich lieber: Im Notfall weiß ich mich nämlich durchaus zu wehren!“ „Darauf wette ich. Frauen wollen ja wehrlos und schwach wirken, um Beschützerinstinkte zu wecken. Und wenn unsereiner dann ungefragt den Zugriff wagt, gibt´s doch den Frack voll! Uralter Trick – der leider seit den Anfängen der Menschheit durchaus erfolgreich Anwendung findet“, grinste er augenzwinkernd und spähte wieder durch sein Nachtsichtgerät, um die momentanen Aktivitäten des Reporterteams zu verfolgen, welches sich seit geraumer Zeit in der Nähe des Schiffes aufhielt und eifrig dessen hell beleuchteten Rumpf filmte.



Alles hätte ich in diesem Moment dafür gegeben, auch nur einen flüchtigen Blick in Danas Herz werfen zu dürfen – jawohl, mir wäre eine Einsicht in ihre Gefühle mehr wert gewesen als das geheimnisvolle Raumschiff, das in so greifbarer Nähe vor uns lag, selbst sogar mehr als eine mögliche Enthüllung der Wahrheit in der Öffentlichkeit. Und da benutze ich es ungewollt schon wieder, dieses verhängnisvolle Wort... „Wahrheit“... Inbegriff meines Verhängnisses, meiner fehlgeleiteten Ideologie, die ich in meiner Arroganz bis zum Äußersten verfolgte und mich dadurch völlig dem Glück verschloss, das ich in Dana hätte finden können. Blind und dumm rannte ich stattdessen direkt in mein Verderben – und riss meine arme Freundin mit hinein...



Ein scharfer Knall hallte durch die Nacht. Er kam so unvermittelt, dass die Beiden vor Schreck instinktiv zusammenzuckten. „Was in aller Welt war das?“, keuchte Scully aufgeregt und suchte die Absturzstelle fieberhaft nach möglichen Ursachen für das plötzliche Geräusch ab, welches der ohnehin viel zu trügerischen Stille ein jähes Ende gesetzt hatte. „Ich... ich kann’s mir zusammenreimen, fürchte ich...“, antwortete Mulder, während er bereits das Nachtsichtgerät von sich warf, wild entschlossen seine Waffe aus dem Schultergurt zog und durchlud.

Nun erkannte auch sie, was den Knall eigentlich verursacht hatte: Von den vier Reportern, die eben noch vor dem Wrack ihre Dokumentation gedreht hatten, fiel soeben einer – der mit der Kamera – leblos zu Boden, aus einer Kopfwunde blutend. Seine drei Kollegen gerieten sofort in helle Panik, hasteten planlos davon und versuchten wohl, irgendwo eine schützende Deckung zu finden. „Oh nein...“, hauchte sie sichtlich bestürzt. „Diese elenden Dreckschweine!“, schrie Mulder jähzornig. „Die gottverdammten Hurensöhne müssen sich da drüben am Waldrand verschanzt haben – von dort hat man ein optimales Schussfeld!“ Er deutete hinab auf eine kleinere, im Halbdunkel liegende Baumgruppe unweit des Schiffes, wo die Riesenfurche, die das niedergegangene Flugobjekt in die Landschaft gefräst hatte, auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Höhe abgeflacht war. Von dieser Stelle aus konnte man die vier Besucher in der Tat hervorragend ins Visier nehmen, ohne dass unten sofort jemand festgestellt hätte, woher die Schüsse abgefeuert worden waren. „Ich sehe niemanden, beim besten Willen nicht!“, ließ Scully nach einer sorgfältigen Sondierung des Terrains verlauten. Da peitschte erneut Gewehrfeuer auf die wehrlose, nunmehr um ihr Leben rennende Gruppe ein, wobei viele der Kugeln ihre Ziele oft nur um Haaresbreite verfehlten, meterhohe Dreckspritzer in die Luft schleudernd. Überdeutlich vernahm Scully die verzweifelten Angstschreie der Gejagten – Schreie, die ihr in der Seele wehtaten.

„Okay, jetzt reicht´s!“, brüllte der vor Wut rasende Mulder und sprang auf. „Ich schau doch nicht tatenlos einfach dabei zu, wie es wieder passiert, wie unschuldige Menschen im Zuge einer weiteren rücksichtslosen Vertuschungsaktion der Regierung ihr Leben lassen müssen, einzig und allein zur Wahrung eines scheinheilig propagierten globalen Friedens! Nein, nicht dieses Mal!“ Bevor sie ihn daran hindern konnte, hechtete er über die Klippe, fing den metertiefen Sturz noch in der Fallbewegung durch eine seitliche Flugrolle ab, landete einigermaßen unversehrt auf dem Rücken und rutschte noch ein Stück weiter den steilen, kiesigen Abhang hinunter, bis seine Füße endlich einen Halt fanden. Hastig rappelte er sich auf und eilte schnurstracks auf das Wäldchen unter ihm zu. „Um Gottes Willen, was gibt das denn, Mulder?“, rief Scully ihrem amoklaufenden Freund erschrocken hinterher. „Ist dir klar, dass du gerade eine perfekte Zielscheibe für die abgibst?“ „Drauf geschissen!“, kam es bloß postwendend von ihm zurück. Dass er mir aber auch nie eine andere Wahl lässt, dachte sie kopfschüttelnd bei sich, zog ebenfalls ihre Pistole und sprintete ihm hinterher.

„Irgendwann müssen wir zwei wirklich mal ein paar ernsthafte Wörtchen wechseln“, japste sie atemlos an seiner Seite, nachdem sie ihn schließlich eingeholt hatte, „vor allem in Bezug auf das so genannte koordinierte Vorgehen!“ „Weiß gar nicht, worüber du dich aufregst!“, konterte er grinsend, während er im Dauerlauf über einen quer liegenden Baumstamm sprang. „Klappt doch alles hervorragend, fast wie früher beim Bureau: Ich gehe vor, du kommst nach – noch koordinierter geht´s überhaupt nicht! Unsere Gedanken sind praktisch eins!“



„Sir, aus südwestlicher Richtung nähern sich soeben zwei weitere Personen!“, raunte eine schwarz vermummte Gestalt aus einer provisorisch eingerichteten Stellung am Waldrand heraus hinter sich ins Dickicht. Sie hielt ein hochmodernes Scharfschützengewehr mit neuester Nachtzieloptik im Anschlag und war behängt mit unzähligen Ausrüstungsgegenständen, die an einem Koppeltragegestell baumelten. Links und rechts neben ihr fielen aus flachen Mulden immer wieder vereinzelt gedämpfte Schüsse, sorgfältig abgezielt auf das jetzt nur noch drei Mann zählende Reporterteam knapp 200 Meter schräg voraus.

An einem vermoderten Baumstumpf hinter den ausgehobenen Stellungen kauerte ein schwarz gekleideter, grob-schlächtig gebauter Kerl in der Dunkelheit und verfolgte das Geschehen aus der Perspektive eines Beobachters. Auf seinen breiten Schultern wurden im bläulichen Schein, welcher von der nahe gelegenen geheimnisvollen Konstruktion ausging, für einen Moment die Abzeichen eines Lieutenant Colonel des US-Marine Corps sichtbar.

„Ganz ausgezeichnet, Corporal Prescott!“, lobte er den Untergebenen zufrieden, nachdem er sich von der Richtigkeit seiner Aussage vergewissert hatte. „Alles läuft wie geplant! McGuire, Tasker, Johnson, her zu mir!“ Sofort lösten sich drei Schatten aus ihren gut getarnten Stellungen und huschten praktisch geräuschlos zu ihrem Befehlshaber, schweigend auf Instruktionen wartend. „Die zwei dort drüben“, wies er seine Leute rasch ein und deutete auf den Abhang zu ihrer Rechten, „sind die angekündigten Zielsubjekte. Ich will, dass exakt so vorgegangen wird wie besprochen – und wenn ich exakt sage, dann meine ich das auch so! Wurde ich verstanden, Männer?“ „Sir, jawohl, Sir!“, wisperte es ihm wie aus einem Munde entgegen. „Gut, dann vorwärts! Ach ja, noch was: Ein etwaiges Versagen Ihrerseits ist selbstverständlich völlig indiskutabel, klar?“ Übereinstimmend nickend zogen sich die jungen Soldaten zurück und begaben sich leise zu ihren vorgesehenen Positionen. „Okay, jeder von euch weiß hoffentlich, was er zu tun hat!“, flüsterte Johnson, der liegend bereits das Visier seines Gewehrs hochklappte, den beiden Kameraden zu, welche durch geschickte Tarnarbeit in Sekundenschnelle mit dem Erdboden zu verschmelzen schienen. „Als ob dies unser erster Einsatz wäre!“, grummelte McGuire genervt. „Wird schon passen, Alter!“ „Wir sollten dennoch auf der Hut sein“, gab Private First Class Tasker – ein Neuzugang – zu bedenken. „Ich kenne die beiden. Das sind Fox Mulder und Dana Scully, die abtrünnigen FBI-Agenten – die waren schon früher stets für Überraschungen gut! Vor allem er... Wenn auch nur einer von uns geringfügige Scheiße baut, könnt ihr’s in die Tonne treten!“ Er erntete höhnisches Gelächter für seine skeptischen Äußerungen. „Hey, der Kleine hat die Hosen ja schon voll, bevor es überhaupt losgeht!“, gluckste McGuire amüsiert. „Mein Freund, wir sind hier die Profis, schon vergessen?“, erinnerte er den Grünschnabel neben sich, selbstzufrieden vor sich hin grunzend. „Wirst sehen, die ziehen wir ab!“



Inzwischen schlichen Mulder und Scully geduckt weiter, dankbar um jeden niedrigen Strauch, hinter dem sie sich kurzfristig verstecken konnten. „Ich weigere mich entschieden, da noch näher ran zu gehen!“, protestierte sie flüsternd. „Sicher, was hier gerade geschieht, ist in höchstem Maße verachtenswert, doch was können wir denn zu zweit gegen die erreichen? Das sind keine Anfänger, sondern todsicher Scharfschützen einer US-Marine-Einheit! Und bei dem Gehampel, das du vorhin am Berg abgezogen hast, sind wir bestimmt schon längst...“ In dieser Sekunde erschien auf ihrer Stirn – ohne dass sie es selbst bemerkte – ein leuchtend heller, blinkender kleiner Lichtpunkt. Mulders Augen weiteten sich.

„Runter, verdammt!“, schrie er heiser – und schaffte es gerade noch, sie an der Schulter zu packen, ihren Körper in das weiche Gras zu drücken, als die ersten Kugeln bereits an ihr vorbeiheulten. „Mich belehren wollen und selbst den Dickschädel hinhalten!“, schimpfte er vorwurfsvoll, während er mit der Hand vorsichtig durch ihr Haar strich, ihren Kopf auf etwaige Verletzungen untersuchend. Er verkrampfte sich, als seine Finger warmes, klebriges Blut zu spüren bekamen, das zähflüssig an ihrer linken Schläfe entlang wanderte. Angst um seine Freundin ergriff ihn, schrecklich beklemmende Angst, die ihm die Kehle zuschnürte, ihn alles Andere um sich herum von einer Sekunde auf die nächste vergessen ließ. Instinktiv tastete er nach ihrer Halsschlagader, das Schlimmste befürchtend. Seine Anspannung wich unbeschreiblicher Erleichterung, als er einen kräftigen, gleichmäßigen Puls fühlte. Dana schlug mühsam die Augen auf. „Autsch!“, stöhnte sie gequält. „Alles okay bei dir?“, fragte er besorgt. „Ich... ich glaube schon – obwohl es doch ein wenig... knapp gewesen sein muss. Offenbar nur ein Streifschuss.“ „Meinst du, du kannst laufen?“ Sie nickte und richtete sich leicht benommen auf, behielt jedoch den Kopf auch weiterhin unten. „Dann möchte ich jetzt, dass du die Beine in die Hand nimmst und so schnell wie möglich unsere in Bedrängnis geratenen Freunde in Sicherheit bringst. Schaff die Leute in einen toten Winkel, den die Schützen nicht einsehen können, am besten direkt unter das Wrack! Wir brauchen die und ihr Filmmaterial um jeden Preis!“ „Schön, und... und du? Was machst du?“, wollte die Frau wissen, vorausahnend, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde. „Ich? Ich reiße diesen Schießbuden-Figuren gleich mal richtig den Arsch auf! Zur Ablenkung!“ „Auf gar keinen Fall!“, widersprach sie ihm entschlossen, „das würde an reinen Selbstmord gr...“ Ohne sie ausreden zu lassen, riss er sie mit sich auf die Füße, versetzte ihr einen kräftigen Schub, der sie weit von ihm weg auf den schmalen Schneiseneinschnitt zusteuerte, und stürzte dann unter infernalischem Schlachtgebrüll auf den Waldrand zu, wild dabei um sich feuernd.



„Das hat uns echt gefehlt!“, zischte Johnson zwischen den Zähnen hervor und lud hektisch sein Gewehr neu. „Der Kerl ist ja komplett lebensmüde!“ „... und alles nur, weil du gottverdammter Arsch das kleine rothaarige Miststück um ein Haar ins Jenseits befördert hättest!“, warf ihm McGuire wütend vor, während er aufgeregt versuchte, den heranstürmenden Mann einigermaßen treffsicher ins Visier zu nehmen. „Da bläut uns der Colonel noch extra ein, dass der Frau kein Haar zu krümmen ist – und >Jumpjet-Johnson< musste mal wieder allen zeigen, wie knapp er an ihr vorbeiballern kann!“

Schüsse peitschten über sie hinweg, zwangen sie immer wieder, ihre Zielversuche abzubrechen und in Deckung zu gehen. Mulder war ihrer Stellung inzwischen bedenklich nahe gekommen. „Auch egal!“, murmelte Johnson leise und rollte sich blitzschnell hinter einen großen Felsbrocken neben ihm, „Jetzt wird er jedenfalls abserviert!“ Im Fadenkreuz seiner Visieroptik erschien Mulders Gestalt messerscharf – der Schnittpunkt der beiden schwarzen Linien war genau auf sein Herz gerichtet.

Tasker, der sich die ganze Zeit über weder gerührt noch geschossen hatte, hob mit einem Mal den Kopf und blickte zunächst zu McGuire, dann zu Johnson hinüber – beinahe so, als ob er durch deren Zielfernrohre sehen könnte, abschätzend, wer von beiden als erster den tödlichen Schuss abfeuern würde.



Und wieder einem die Zeit auf Erden verkürzt, dachte Johnson triumphierend bei sich, als er den Zeigefinger am Abzug langsam zu krümmen begann.







Sie vermochte es unmöglich zu erklären, weshalb sie nicht augenblicklich abgebremst hatte und ihrem Freund zu Hilfe geeilt war, sondern stattdessen unbeirrt weiterrannte, direkt in die Schlucht hinein – auf dieses riesige, irgendwie unheimliche und bedrohlich wirkende Objekt zu, das vor ihr hoch emporragte. Mehrmals versuchte sie anzuhalten, umzukehren zu ihrem in Bedrängnis geratenden Mulder, für den sie doch sonst immer bedenkenlos ihr Leben geopfert hätte – doch sie schaffte es nicht. Ihre Beine verweigerten ihr schlichtweg den Gehorsam, trugen sie immer weiter von ihm fort, hin zu den schreienden Menschen bei dem bläulich schimmernden Wrack, das sie auf unerklärliche Weise magisch anzuziehen schien. Je mehr sie sich weigerte, widersetzte und verzweifelt wehrte, desto schneller lief sie darauf zu. Sie kam sich fast vor wie eine um ein Licht schwirrende Motte. Dass inzwischen erneut (wenn auch erstaunlich ungenau) auf sie geschossen wurde, nahm sie kaum wahr, und auch an den Gebrauch der eigenen Waffe dachte sie nicht mehr. Nur ein einziger Gedanke beherrschte sie noch: Sie musste dieses Schiff erreichen – um jeden Preis.



„Großer Gott!“, schrie Leslie in Panik und zeigte zitternd in die Richtung, aus der Scully angelaufen kam. „Jetzt schicken sie sogar jemanden, um uns aus nächster Nähe umzubringen!“ Eric und Christina, denen die Erschöpfung bereits überdeutlich ins Gesicht geschrieben stand, blieben sofort stehen und erhoben die Hände.

„Das war’s dann wohl“, meinte Eric resignierend. „Niemand wird jemals erfahren, was wir...“ „Keine Angst, Sie haben von mir nichts zu befürchten!“, rief da die Frau plötzlich, als sie mit gezogener Waffe atemlos die auf drei Mann dezimierte Reportergruppe erreichte. „Ich bin Dana Scully! Mein Partner und ich sind… vorläufig suspendierte FBI-Mitarbeiter! Eigentlich ist es auch gleichgültig – jedenfalls sind wir hier, um Ihnen zu helfen!“ Erleichtert senkten alle die Arme wieder. „Dem Himmel sei Dank!“, seufzte Christina. „Was sollen wir tun, Miss Scully?“ „Zwei Dinge“, erklärte sie hastig. „Zum einen Ihre Videoaufzeichnungen sicherstellen, und zum anderen unbedingt überleben.“ Leslie begann zu weinen. „Jack... Jack hat das Band noch“, schluchzte sie. Scully begriff sofort. Die Leiche des Kameramanns lag mehrere hundert Meter entfernt von ihnen an einer für die Scharfschützen gut einsehbaren Stelle. Die Videokamera mit dem wichtigen Band befand sich ebenfalls dort – man konnte sie im Licht des Schiffsrumpfes matt schimmern sehen. Entschlossen legte die „suspendierte“ FBI-Frau die Prioritäten fest: „Ich hole das Tape, und Sie rennen dort rüber in den Schatten dieser... Installation! Da sind Sie vorerst sicher!“ „Wo es noch heißer ist als hier?“, gab Christina zu bedenken. „Zum Teufel, willst du schwitzen oder sterben? Wir haben schon drei Leute verloren, Chris! Reicht dir das etwa noch nicht?“, schrie Eric, packte die Frau am Arm und befolgte Scullys Anweisung. Leslie folgte ihnen.



Während Scully zu dem toten Jack hinüberspurtete, fiel ihr etwas auf, das sie sowohl verwunderte als auch beunruhigte: Seit geraumer Zeit fielen bereits keine Schüsse mehr. Nur noch das stetige, markerschütternde Brummen des Wracks war zu hören. Was geschah gerade in dem Waldstück vor ihr? Weshalb wurde sie nicht angegriffen? Lebte Mulder noch? Diese und unzählige weitere Fragen jagten in Sekundenbruchteilen durch ihren Kopf, konnten sie jedoch nicht an ihrem Vorhaben hindern. Schließlich erreichte sie ihr Ziel völlig unversehrt (womit sie nicht im Geringsten gerechnet hatte) und kam atemlos zum Stehen. Eilig fiel sie auf die Knie, griff nervös nach dem daliegenden Recorder und riss das Kassettenfach auf, in jeder verstreichenden Sekunde mit einer überraschenden Attacke aus dem Hinterhalt rechnend.

Erschrocken hielt sie in ihren Bewegungen inne, als ihre suchenden Finger...



... ins Leere tasteten.



Ungläubig vergewisserte sie sich – und musste stirnrunzelnd feststellen, dass das Band tatsächlich fehlte. Es steckte weder im Laufwerk noch lag es im näheren Umkreis auf dem Boden. Sollte vor dem Filmen etwa vergessen worden sein, eines einzulegen? Hatte jemand noch vor ihr das Gerät geöffnet und die Aufzeichnungen entwendet? Beide Möglichkeiten erschienen ihr höchst unwahrscheinlich. Das Zählwerk am Recorder einerseits ließ nämlich erkennen, dass definitiv eine Aufnahme erfolgt sein musste – und die war ausschließlich bei eingelegter Kassette möglich; andererseits wäre niemand unbemerkt bis zu Jacks Leiche vorgedrungen, denn die breite Schneise, die das Schiff durch die Ebene gezogen hatte, bot keinerlei Deckung für etwaige Anschleichaktionen.

Während sie noch so vor sich hin rätselte und allmählich an ihren eigenen Überlegungen verzweifelte, setzte schlagartig ein hochfrequentes Pfeifgeräusch ein, welches das Glas ihrer Armbanduhr knackend bersten ließ. Um ein Haar hätte sie das Bewusstsein verloren, so qualvoll schrill und durchdringlich war es. Nach einigen Sekunden, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, verstummte der gellende, unerträgliche Ton dann endlich wieder. Zu Tode erschrocken und verstört blickte die junge Frau auf.



Kalter Schweiß perlte von ihrer Stirn, und eine Welle aus Verwirrung, lähmender Furcht und Panik durchfuhr ihren Körper, als sie bemerkte, auf welch merkwürdige Weise sich ihre Umgebung zu verändern begann.



Das ständige Hin- und Herwiegen der Bäume im Wind, die am Nachthimmel vorbei ziehenden Wolken, die weit hinter ihr auf das Wrack zurennenden Kameraleute – alles... verlangsamte sich. Immer zeitlupenartiger wurden die Bewegungen, und auch das eindringliche, ohrenbetäubend laute Maschinengeräusch im Hintergrund wurde immer tiefer und leiser (Scully fühlte sich dabei an ein laufendes Radio erinnert, bei dem plötzlich die Batterien versagen), bis es schließlich völlig verstummte. Kreidebleich stand die Frau auf und fand keine treffenden Worte für das, was sich da vor ihren Augen abspielte. Zuvor aufgewirbelte Staubpartikel schwebten jetzt regungslos in der Luft; Tausende von Sandkörnern funkelten wie winzige Diamanten rings um sie herum. Wie unter einem hypnotischen Zwang wollte sie die Arme ausstrecken, mit den Händen in dieses glitzernde Meer eintauchen – doch sie konnte sich ebenfalls keinen Millimeter mehr von der Stelle rühren, egal, wie sehr sie sich auch anstrengte. Jeder einzelne Muskel ihres Körpers versagte ihr den Dienst.

In diesem Moment wurde sie von einem schmalen Lichtkegel angestrahlt, der von einer Vorrichtung nahe der emporragenden Spitze des summenden Metallriesen ausging. Ein seltsames Schwindelgefühl erfasste sie, und an einer bestimmten Stelle ihres Nackens setzte ein furchtbarer, stechender Schmerz von unbeschreiblicher Intensität ein, der sie unter starken Krämpfen zusammenzucken ließ. Ohne es selbst zu wollen, streckte sie die Arme langsam nach oben, dem Ausgangspunkt des Lichtes entgegen, welches sie mit einem geheimnisvollen, bläulichen Schimmer einhüllte. Sie spürte, wie irgendetwas sie sanft anzuheben begann, eine unsichtbare Kraft, für die sämtliche Gesetze der Physik offenbar nicht zu gelten schienen. Ruckartig verloren ihre Füße den Kontakt zum Boden. Stück für Stück wurde sie von dem Leitstrahl empor getragen, geradewegs auf das große, kreisrunde Schott zu, das sich im Zentrum der Unterseite des Schiffsrumpfes befand. Obwohl vor ihren Augen alles immer stärker zu verschwimmen anfing, vermochte Scully unter sich noch das rasch kleiner werdende Tal zu erkennen, das sich geradlinig durch die Landschaft zog. Das Ausmaß der durch den Absturz verursachten Schäden war beträchtlich: Riesige Waldflächen waren eingeebnet, und an den Rändern der inzwischen zum größten Teil zugeschütteten, lang gezogenen Schneise lagen überall herausgerissene, nunmehr auf die Größe von Reißzwecken zusammengeschrumpfte Bäume. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie hoch sie sich bereits über der Erdoberfläche befand. Mühsam gelang es ihr, den Kopf leicht anzuheben. Der Lichtstrahl steuerte sie direkt auf die Schleuse des Schiffes zu, von deren Oberfläche sie nun keine hundert Meter mehr entfernt war. Krachend öffnete sich das Schott – ähnlich der Blende eines Fotoapparates – ein wenig, bis eine winzige, kreisförmige Öffnung entstand, aus der sogleich ein weiteres Strahlenbündel ausgesandt wurde und die lautlos schwebende Frau traf. Nachdem das ursprüngliche Leitlicht erloschen war und seine Aufgabe, Scully zu halten, auf das neue übertragen hatte, schwoll das bedrohliche Grollen der noch immer in Betrieb befindlichen Aggregate des Wracks zu einem infernalischen Tosen an und versetzte die gesamte Oberfläche dadurch in starke Vibrationen. Dort, wo ein Großteil des Rumpfes im Boden steckte, begann die Erde zu beben, und tonnenweise rutschten Schlamm und Geröll die leicht abgeschrägten Seitenflächen der Konstruktion herab, um sich donnernd in die angrenzenden Wälder zu ergießen.

Sie begriff schnell, welchem Zweck dieses Manöver dienen sollte.



Man wollte sie fortbringen.



Nur noch wenige Armlängen trennten sie davon, in das Schiffsinnere gezogen zu werden. Verzweifelt kämpfte sie gegen die Kraft an, die sie unaufhaltsam auf diese unheilvolle, schmale Kreisöffnung zusteuerte, jedoch ohne Erfolg. Wie zur Bestrafung für ihren Widerwillen verstärkten sich die Schmerzen in ihrem Nacken, steigerten sich ins Unermessliche. Unter einem letzten gequälten Aufschrei verdrehte sie die Augen – und flehte in ihren letzten Gedanken, die ihr Geist zu formen imstande war, bevor sie eine erlösende Ohnmacht ereilte, inständig:



Mulder, bitte... hilf mir... falls du noch am Leben bist...







Langsam und schwerfällig öffnete Mulder die Augen – und konnte zunächst absolut gar nichts erkennen. Reine Schwärze, wohin er den Kopf auch drehte. Erschrocken fuhr er zusammen und wollte sich aufrichten, doch seine Gliedmaßen waren taub, gelähmt. Er spürte sie kaum. „Was... was geschieht hier?“, gelang es ihm, leise zu raunen.

Da merkte er, dass eine Hand auf seinem Brustkorb ruhte, sanft und unbeweglich. Ein Hoffnungsschimmer keimte in ihm. „Dana? Bist du das?“ Doch statt der erwarteten Frauenstimme ertönte die eines jungen Mannes, welche ihm in einem leisen, beruhigenden Ton antwortete: „Ihre Freundin? Ist nicht hier.“ Krampfhaft riss Mulder die Augen weit auf, um sein Sehvermögen zur Rückkehr zu zwingen. Tatsächlich nahm er allmählich wieder Konturen wahr, deren Schärfe rasch zunahm. Ein Mann in schwarzem Kampfanzug kniete neben ihm auf dem Waldboden und hatte seine Hand auf die Brust des daliegenden Mulder gelegt. Eine merkwürdige, irgendwie elektrifizierend wirkende Welle des Wohlbefindens breitete sich in seinem Körper aus, und der Ausgangspunkt dieser angenehmen Empfindung schien sich genau dort zu befinden, wo die Hand des Fremden auf seinem Brustkorb ruhte. In wenigen Sekunden fielen die bedrückende Müdigkeit und das Schwächegefühl auf wundersame Weise von ihm ab. Das Leben kehrte in seine Beine zurück, und auch die Arme ließen sich mit einem Mal wieder bewegen. Zögernd setzte er sich auf. Der Mann an seiner Seite war nun eindeutig als ein Soldat zu erkennen; Rangabzeichen auf seinen Schultern wiesen ihn als einen Private First Class aus, und ein schmales Schild über der linken Brusttasche verriet seinen Namen: Tasker. Schlagartig erinnerte sich Mulder wieder an alles, was passiert war. Sofort packte er den vermeintlichen Feind jähzornig am Kragen, riss ihn zu Boden und stürzte sich auf ihn. „Ihr elenden Hurensöhne, ihr!“, schrie er den Soldaten an, der sich nicht einmal andeutungsweise zur Wehr setzte. „Unschuldige Zivilisten abknallen im Auftrag der Regierung, wie? Damit euer dreckiges Geheimnis gewahrt bleibt, das ihr jetzt schon seit über fünfzig Jahren so erfolgreich vertuschen konntet? Mir könnt ihr nichts mehr verheimlichen! Ich weiß alles über eure Pläne, über eure Übereinkunft mit den Kolonisten, die eines Tages den Planeten zurückfordern und den Großteil der Menschheit vernichten wollen! Wie lautet Ihr Auftrag, Private Tasker? Sämtliche Zeugen ausschalten und das Wrack anschließend vernichten – ihr übliches Vorgehen? Wo versteckt sich der Rest Ihres Haufens? Und wo steckt Scully?“

Der daliegende Mann mit kurz geschnittenem, braunem Haar gab keine Antwort. Vielmehr zog er es vor, seinen Angreifer schweigend aus seinen graugrünen, hellwach funkelnden Augen heraus zu mustern.

„Na schön, dann eben die zweite Methode!“, zischte Mulder, zu der Einsicht kommend, dass Reden allein offenbar zu nichts führen würde. Schonungslos presste er dem Private den Unterarm auf die Kehle, während er sich in Windeseile eine Pistole aus dessen Gürteltaschen angelte und sie ihm an den Kopf drückte. „Ich kriege, was ich wissen will, so oder so!“, drohte der aufgebrachte Ex-Agent und verstärkte den Druck auf den Hals seines Kontrahenten weiter – dieser jedoch zeigte zu seiner Verblüffung keinerlei Anzeichen eines einsetzenden Atemluftmangels; weder lief sein Gesicht rot an noch röchelte er. Ungläubig drückte Mulder immer fester zu, bis er an die Grenzen seiner Kräfte stieß. Jedem normalen Menschen hätte er bereits längst den Kehlkopf eingedrückt, doch Tasker schien dies vollkommen unberührt zu lassen – im Gegenteil sogar: Er begann, laut und höhnisch zu lachen. Irritiert fuhr Mulder zurück und gab seine offensichtlich zwecklose Attacke auf. „Wie soll man bloß jemandem helfen, der einen gar nicht zu Wort kommen lässt?“, fragte Tasker vorwurfsvoll, während er wieder aufstand. „Scheinbar interessiert es Sie ziemlich wenig, dass niemand mehr auf Sie schießt, dass diese seltsamen blauen Lichter und das donnernde Gedröhn des Kolonistenschiffes fehlen... und dass Sie gerade eben – noch ziemlich tot waren!“

Mulder schluckte schwer. „W-was? Ich...“ Seine Finger tasteten zitternd über seine Brust. Er hielt den Atem an, als er das kleine, ausgefranste Loch in seiner Kleidung fand, genau über dem Herzen. Nass und klebrig fühlte sich die Stelle an. Langsam hob er die Hand – sie war verschmiert mit Blut. Seinem Blut. Mühsam unterdrückte er einen Schrei, fuhr hastig mit dem Arm unter sein Hemd... doch er ertastete nichts, keine Wunde, keinen Kratzer. „Tja, eines muss man den Kerlen ja lassen“, erwiderte Tasker auf den mehr als verwirrten Blick hin, der ihm zugeworfen wurde, lief einige Meter weiter und deutete vor sich ins Gras, „die wissen, wie man einen tödlichen Schuss anbringt!“ Noch immer wortlos rappelte sich der nunmehr bleiche Mulder hoch und stolperte dem Soldaten nach, um zu prüfen, was es da zu sehen gebe. Vor ihm lagen in einigem Abstand die Leichen zweier weiterer Angehöriger der US-Marines, die Körper und Gliedmaßen unnatürlich verkrümmt, die Gesichter verstümmelt, überströmt von einem Gemisch aus weißlichem Schaum und verkrustetem Blut. Was auch immer diesen Männern zugestoßen sein mochte, es war gewiss schnell, grausam und qualvoll geschehen. Angewidert wendete sich Mulder ab. „Ich muss zugeben, ich war nicht schnell genug, um sie rechtzeitig aufzuhalten. Johnson hatte seinen Schuss bereits abgegeben, als die temporale Verschiebung stattfand. Mir blieb nichts übrig, als schnellstmöglich das Kommando, in welches ich mich eingeschleust hatte, zu eliminieren und dann Ihnen zu helfen, solange Sie und die Anderen im Zeitfeld eingefroren waren.“



Fassungslos stürzte der rückwärts gehende Mulder über einen Stein und landete unsanft wieder auf dem Gesäß. „Was reden Sie da, Mann?“, brachte er dann endlich heraus. „Sie texten mich hier voll und meinen wohl, ich nehme das einfach mit einem gefälligen Nicken hin, als ob’s eine Selbstverständlichkeit wäre! Ich... ich wurde erschossen? Von denen?“ Tasker nickte. „Und Sie wollen mich...“ „... zurückgeholt haben, genau.“ „Aber wie denn, zum Teufel?“ Der Private gab einen lang gezogenen Seufzer von sich. „Und einen wie Sie nennt man leichtgläubig!“, sagte er kopfschüttelnd, und bevor Mulder noch weiter nachhaken konnte, änderte der vor ihm stehende Mann in Sekundenbruchteilen ohne Vorwarnung seine Gestalt. Man hörte ein schleimiges, Ekel erregendes Geräusch, als ob irgendwer in eine zähe Breimasse greifen würde, und vor Mulders entsetzten Augen stand auf einmal nicht mehr länger ein Soldat, sondern eine etwas kleinere, ebenfalls schwarz gekleidete Frau mit langem roten Haar, das sie sich mit einer lässigen Handbewegung über die schmalen Schultern warf.

„D-Dana?“, stotterte der inzwischen endgültig ratlose Mulder heraus. Die Frau blinzelte ihm zu, kicherte leise und antwortete ihm, während sie sich zu ihm herunterbeugte, mit einer ihm nur allzu gut vertrauten, zarten weiblichen Stimme: „Wie ich Ihnen bereits sagte, Mister Mulder: Ihre Partnerin ist nicht hier!“

Ein zweites Mal gab es einen schleimigen Laut, und im nächsten Moment stand an Scullys Stelle ein älterer Mann mit krausem, schütterem dunkelgrauen Haar, traurigen, glasigen Augen und faltigem Gesicht. „Dad?“, schrie Mulder und fuhr zusammen. „Sind Sie aber schwer von Begriff! Wissen Sie nicht mehr? Ihr Vater ist tot! Schon lange!“, krächzte die Gestalt im selben Tonfall wie einst der echte Bill Mulder. „Wann begreifen Sie endlich, wer ich wirklich bin? Was ich bin?“ Aus dem alten, gebrechlichen Mann wurde schließlich wieder Private First Class Tasker, der eilig auf den eingeschüchtert dahockenden FBI-Agenten zuschritt, ihn – an den Schultern packend – auf die Beine zurückholte und nahe an sich heranzog.

„Ein Alien-Mensch-Hybrid, das ist es, was Sie sind, nicht wahr?“, entfuhr es diesem schließlich. „Geklont aus menschlicher DNA und außerirdischem Genmaterial, ausgestattet mit übernatürlichen Kräften, eingesetzt zur Überwachung der Vorbereitungen für die Rekolonisierung der Erde durch die außerirdische Gründerrasse! Ich hatte schon früher mal das Vergnügen mit ein paar von eurer Sorte. Das erklärt es... Ihre Fähigkeit, die Gestalt beliebig zu verändern, wie Sie mich trotz meiner tödlichen Verwundung heilen konnten. Wie Sie all diese Menschen hier so schnell und effektiv zu töten vermochten.“ „Sieh einer an, Mister Mulder!“, grinste Tasker zufrieden und gab sein Gegenüber wieder frei, der allmählich seine Fassung zurückgewann. „Für den Anfang nicht schlecht! Zwar bin ich noch etwas mehr als das, aber im Moment wollen wir es dabei belassen. Die Zeit drängt.“ „Sie haben mir immer noch nicht erzählt, was mit Scully und den Kameraleuten geschehen ist!“, drängte Mulder ungeduldig. Sein Blick folgte einer flüchtigen Kopfbewegung Taskers.



Zu seiner Rechten klaffte jenseits des weit entfernten Waldrandes ein gigantisches, pfeilförmiges Loch in der Erde, das wohl weit mehr als einen Kilometer tief sein musste, von seinen Ausmaßen in die Breite ganz zu schweigen. Riesige Erdmassen lagen zu Wällen aufgetürmt rings um den Krater, aus dem lang gezogene, zischende weiße Dampffontänen in den nächtlichen Himmel empor schossen.

Kreidebleich wirbelte Mulder herum. „Wo ist es hin? Wo ist das Schiff?“ „Nachdem die hatten, was sie wollten, gab es für sie hier nichts mehr zu erledigen“, erklärte Tasker und verschränkte die Arme vor der Brust, demonstrativ abwartend, wie Mulder nun reagieren würde. Der begriff nur allzu schnell.

„Jetzt verstehe ich. Die waren die ganze Zeit bloß an ihr interessiert, nicht wahr? Das Ganze war eine hinterhältige, geschickt inszenierte Falle, in die allein Scully tappen sollte!“ Ein kurzes Nicken bestätigte seine Vermutung. „Einen Absturz hat es nie wirklich gegeben, Mister Mulder. Alles sollte danach aussehen, als ob das Schiff manövrierunfähig sei; tatsächlich jedoch war es jederzeit startklar. Die waren es auch, die den Fernsehsender informierten, denn sie wussten, dass Ihre Quellen die Neuigkeit von dort her mühelos beschaffen und an Sie weiterleiten konnten.“ „Ein paar Fragen bleiben da aber noch offen“, stellte Mulder grübelnd fest. „Zunächst einmal wäre zu klären, wieso die nur Scully und nicht mich wollten, wieso ich sterben sollte und weswegen Sie mich gerettet haben.“ „Darüber darf ich Ihnen leider keine Auskunft erteilen, Mulder“, blockte Tasker schroff ab, „denn sobald ich Ihnen zu viele Informationen zukommen lasse, gefährde ich den Ablauf zukünftiger Ereignisse, die sich genau so zutragen müssen wie vorgesehen. Welche Pläne die Kolonisten mit der Entführung Ihrer Freundin verfolgen, darüber bin auch ich mir nicht ganz sicher. Möglicherweise wollen sie die Effizienz des Chips erproben, den man ihr damals in den Nacken implantierte – immerhin trägt sie ihn nun schon erheblich länger als jede andere Frau, der er jemals eingesetzt wurde.“ „Ja, und zwar deswegen, weil ihn alle übrigen >TestobjekteSchwarze Öl< bekannt – verabreicht werden kann, aus dem dann anschließend die Organismen heranreifen. Ihre Studien ergaben, dass nur menschliche Weibchen über die genetische Veranlagung verfügen, derartige Eingriffe lange genug durchzustehen, bis der Reifungsprozess vollständig abgeschlossen ist. Bei infizierten Männern kam es zu vorzeitigem Schlüpfen, was überwiegend mit unerwünschten Mutationen und Fehlentwicklungen einherging. Daher die vielen Experimente mit Frauen. Sie brauchten eine Steuervorrichtung, der sie die Geschwindigkeit des Wachstumsprozesses regulieren lassen und zugleich verhindern konnte, dass der heranreifende Organismus den Wirt bis zu dem Grad aufzehrte, ab dem eine erneute Befruchtung unmöglich würde.“ „Sie... Sie meinen damit wohl... den Tod der infizierten Frau“, entfuhr es Mulder, der immer stärker gegen ein in ihm aufsteigendes Gefühl der Abscheu, des Ekels und des unbändigen Zorns zu kämpfen hatte. Wohlweislich äußerte Tasker sich zu dieser Aussage nicht weiter, sondern fuhr unbeirrt (zumindest tat er so) fort: „Mit dem Implantat gelang es, eine Frau bis zu 50 mal zu befruchten, bevor die Zerstörung ihrer inneren Organe und des Gewebes zu weit fortschritt – ausreichend genug, um eine überwältigende Übermacht heranzuzüchten, welche zur annähernd vollständigen Auslöschung der gesamten Bevölkerung des Planeten innerhalb weniger Wochen imstande sein sollte. Nur wenige von euch werden sie am Leben lassen, um ihnen zu dienen, die Brutzentren zu warten, die Leichen zu entsorgen und die unterirdischen Anlagen zu bauen, in denen sie leben, denn sie ertragen kein direktes Sonnenlicht. Für diejenigen von euch, für die sie keine Verwendung finden – und das werden die meisten sein, wird es hingegen keine Gnade geben.“



Mulder badete inzwischen in einem Gemisch aus Schweiß und Tränen der Verzweiflung. „Was erzählen Sie mir das denn überhaupt noch, wenn es ja doch keinerlei Hoffnung für uns gibt, wie Sie sagen? Wenn alles bereits feststeht und nichts mehr daran geändert werden kann, verdammt?“, schrie er Tasker an, sprang zu ihm hin und ging ihm erneut jähzornig an die Kehle. Er entlockte dem Wesen (die Bezeichnung „Kreatur“ hätte Mulder passender gefunden) durch sein unkontrolliertes, impulsives Verhalten nur ein angedeutetes Lächeln. „Wenn Sie wüssten, wie viele verschiedene Tode Sie bereits gestorben wären, würden Sie in diesem Moment nicht mit mir, sondern mit einem Kolonisten oder gar Kopfgeldjäger reden!“



Mulder hielt in seiner Attacke inne. „Sie... sind gar kein Kopfgeldjäger? Auch keiner dieser Super-Soldaten?“

„Und jemand wie Sie will von Aliens entführt worden sein?“, schnaubte Tasker sichtlich aufgebracht. „Die Kolonisten setzen die doch extra unseretwegen ein, um uns zu finden und auszurotten! Schon lange haben wir uns von den Zielsetzungen unserer ehemaligen Befehlshaber und Verbündeten distanziert. Zu Beobachtungszwecken hatte man uns hier vor vielen Jahrhunderten auf der Erde überall ausgesetzt, um die sich entwickelnden Lebensbedingungen zu erforschen und insgeheim bereits erste Vorkehrungen für eine Invasion zu treffen. Eine Invasion, die erst deshalb notwendig wurde, da die Eiszeit das zuvor auf natürlichem Wege in Umlauf gebrachte Purity unwirksam machte. Zunächst erfüllten wir unseren Auftrag auch gewissenhaft – bis wir allmählich den Eigenwert dessen begriffen, was hier über die Jahrtausende und Jahrmillionen hinweg entstanden war. Jedes einzelne Lebewesen, jede Pflanze, selbst jedes Molekül an sich war schlichtweg einzigartig. Wir fanden eine unglaubliche Vielfalt an Fauna und Flora vor, die wir bis dahin von unserer Heimatwelt her bei weitem nicht gekannt hatten. Wir fingen an, uns zu fragen, ob eine Zerstörung dieser faszinierenden Welt wirklich gerechtfertigt sei – wie wir uns letztlich entschieden, dürfte Ihnen klar sein: Seit damals haben wir uns geschworen, alles Erdenkliche zu unternehmen, um die bevorstehende Invasion zu vereiteln, um den Zeitplan zu sabotieren und die Kollaborateure in den mächtigen Regierungssystemen zu lokalisieren, um sie auszuschalten, solange die Kolonisten auf ihre Hilfe angewiesen sind. Wir mussten denen Scully leider widerstandslos überlassen, damit sie sich in Sicherheit wiegen und annehmen, alles würde auch zukünftig erwartungsgemäß ablaufen. Nach deren Willen hätten Sie sterben sollen, Mulder – doch dies ist nicht, was wir, die >Alien-RebellenBlair Witch Project III< vermarkten oder was?“

„Auf der Kassette steht eine Adresse. Sie werden dort einen unserer Kontaktmänner treffen, der Ihnen weiterhelfen wird. Vermeiden Sie auf Ihrem Weg dorthin unter allen Umständen, irgendwo offen gesehen zu werden – die dürfen nicht in der Lage sein, Ihre Spur aufzunehmen! Und jetzt gehen Sie!“ „Ich habe aber noch sehr viele Fragen! Wie war es zum Beispiel möglich, dass die ganze Umgebung vorhin, kurz bevor die Kugel mich traf, auf einmal so merkwürdig langsam...“, begann Mulder hektisch, doch Tasker unterbrach ihn energisch. „Es wird keine weiteren Antworten für Sie geben, Mister Mulder. Zumindest nicht hier und jetzt. Sie kommen nicht von alleine zu Ihnen – Sie werden sie schon selbst finden müssen!“



Ich wollte ihm noch nachrennen, diesem Alien-Rebellen namens Tasker, der mir zwar viel erklärt, aber dennoch auch so einiges im Unklaren gelassen hatte – doch mit einem Mal verschwommen seine Konturen auf höchst seltsame Weise – es schien in der Dunkelheit fast so, als ob sich sein Körper in einzelne Moleküle zerlegen würde, die blitzschnell in alle Richtungen verschwanden... Er löste sich einfach auf! Urplötzlich stand ich alleine

in diesem düsteren Wald, und die eintretende Stille bereitete mir schnell großes Unbehagen. Immerhin waren mir das Band mit dieser ominösen Adresse sowie drei Gleichgesinnte geblieben, denen ich mich anvertrauen konnte und die es nunmehr zu holen galt. Nach kurzem Zögern spurtete ich los. Immer wieder schoss mir durch den Kopf, was der Hybrid über dich, Dana, gesagt hatte. Ich vermochte mir keinen Reim darauf zu machen. In meiner Eile verdrängte ich schließlich diese Gedanken aus meinem Kopf, in der festen Annahme, dass er sich geirrt haben müsse, dass meine Scully nicht wirklich eine Verräterin war. Warum solltest du auch? Du warst für mich bis dahin das Liebste, was ich hatte, und für mich bestand kaum Zweifel, dass du mir gegenüber ähnlich empfandest. Dieser leichtsinnige Entschluss, die Überlegungen einfach hinauszuzögern, war aber nur einer meiner zahlreichen Fehler – im Rückblick wahrscheinlich sogar noch einer der harmloseren.

Mein schlimmster Fehler – der eigentlich verhängnisvolle – war jedoch der, dich alleine zu lassen; zuzulassen, dass man uns trennte. Wäre das nicht geschehen, wer weiß – womöglich wäre alles anders gekommen...



Mulder hatte kaum das Waldstück verlassen, als sich weit hinter ihm im Dunklen ein paar Zweige teilten und sich stöhnend eine Gestalt zwischen den Baumreihen hervorquälte. Sie trug eine Uniform in Tarndruck, die jedoch stark zerfetzt und an vielen Stellen von feucht glänzendem, noch frischem Blut durchtränkt war.

Das fast völlig abgerissene Rangabzeichen eines Lieutenant Colonel hing lose vom linken Ärmel der Jacke herab.

„Tasker... oder wer auch immer Sie in Wirklichkeit sein mögen, Sie elender Hurensohn... ich rate Ihnen, sich gut zu verkriechen, denn sollte ich Sie finden, dann hilft Ihnen auch keine Formwandlerei mehr – ich zerlege Sie wieder in jenen grünen Urbrei, aus dem Sie zusammengepanscht wurden, ich schwör´s!“, grummelte die Gestalt wütend, taumelte einige Schritte weiter vor, trat auf eine etwas abgelegene Lichtung hinaus und hob blinzelnd den Kopf zum Sternenhimmel empor, beobachtend, wie nahe dem Sternbild des Kleinen Bären ein schnell kleiner werdender Lichtpunkt pulsierte und schließlich mit einem hellen, letzten Aufflackern vom Firmament verschwand. Für einen Moment erhellte sich die Miene des Colonel ein wenig. Hastig wischte er sich mit dem Handrücken Blut aus den Augen, das ihm aus einer breiten Platzwunde auf der Stirn langsam übers Gesicht strömte. „Immerhin - wenigstens das hat geklappt“, krächzte er zufrieden und schöpfte aus dieser Feststellung irgendwie neue Zuversicht. Womöglich waren die schlimmsten Folgen des durch Tasker angerichteten Schadens ja doch noch zu verhindern. Fest die Zähne zusammenbeißend, machte er kehrt und humpelte mühsam zurück ins Dickicht. Kurz darauf vernahm man von dort das statische Rauschen eines Funkgerätes.

„Basis 03, hier Leader Talon-Alpha, kommen!“ „Hier Basis 03“, antwortete nach einigen Sekunden eine verrauschte, gepresste Stimme, „sprechen Sie.“ „Primärauftrag erfolgreich abgeschlossen.“, flüsterte der Colonel hektisch, „Konnten jedoch zweites Missionsziel wegen unvorhersehbaren... Komplikationen nicht erfüllen! Subjekt bewegt sich jetzt weiter in südwestlicher Richtung und muss unbedingt aufgehalten werden! Sämtliche verfügbaren Einheiten in den Bereitschaftsräumen mobilisieren und unverzüglich in Marsch setzen! Ich wiederhole: Zu eliminierende Zielperson flüchtig, vermutlich in südwestliche Richtung! Sofortiger Einsatz aller Einheiten!“ „Verstanden, Talon Leader. Verstärkung wird umgehend bereitgestellt. Sollen wir die Kommando-zentrale benachrichtigen, Sir? Kommen.“ „Nein, nicht notwendig, Basis 03!“, erwiderte der verwundete Colonel,

sich erschöpft und schwerfällig von einem Baumstamm zum nächsten schleppend, grimmig. „Das werde ich schon selbst übernehmen... Leader Talon-Alpha, Ende.“ Ein kurzer Pfeifton beendete den Funkkontakt.



„Nur zu, freuen Sie sich ruhig über Ihren kleinen, aber letztlich doch bedeutungslosen Triumph, Mulder!“, redete der Offizier, der immer stärker gegen das durch den Blutverlust verursachte Schwindelgefühl ankämpfen musste, keuchend vor sich hin. „Viel Zeit dazu wird Ihnen nämlich kaum mehr bleiben...“







Mit rasenden Kopfschmerzen und unbeschreiblich peinigendem Stechen in allen Gliedmaßen erwachte Scully aus ihrer Ohnmacht. Wie lange sie bewusstlos gewesen, was ihr an Schrecklichem widerfahren war – sie erinnerte sich nicht daran, egal, wie angestrengt sie auch darüber nachdachte. Gleißend helles, weißes Licht strahlte ihr ins Gesicht und schmerzte so sehr in ihren Augen, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.

Erst jetzt merkte sie, dass sie auf einer Art Untersuchungstisch lag, hart und unbequem, in seiner Form ähnlich einem Kreuz. Am Kopfende waren zahlreiche kompliziert aussehende Apparaturen befestigt, chromartig glänzend und ein gedämpftes, auf die daliegende Frau aber bedrohlich wirkendes Brummen aussendend. Ab und zu warfen schwarz eingefasste, konvex geformte Linsen zu beiden Seiten ihres Kopfes ein gitterförmiges Raster aus rotem Licht auf ihre Schläfen, das dort immer für einige Sekunden tastend auf- und abwanderte, bevor es wieder für eine Zeitlang verschwand. Jegliche Versuche Danas, aufzustehen oder sich sonst irgendwie zu bewegen, scheiterten an einem unsichtbaren, dicht über ihrem Körper liegenden Energiefeld, das jedes Mal, wenn sie es irgendwie berührte, in einem schwachen Blau knisternd aufflackerte und sie energisch zurück auf den Tisch warf. Wäre es ihr in jenen Augenblicken nicht selbst widerfahren, hätte sie allein schon die Möglichkeit einer Existenz dieser neuartigen, geradezu futuristischen Technologie mit aller Entschiedenheit angezweifelt, ja sogar aufs Heftigste abgestritten. Ungläubigkeit mischte sich mit blanker Angst – Angst sowohl vor denen, die sie hierher gebracht hatten als auch davor, was nun wohl mit ihr geschehen würde.

Einen Moment später fiel ein breiter Schatten auf sie. Im blendenden Widerschein der großen Leuchte über ihr konnte sie jedoch lediglich eine verschwommene, menschliche Gestalt erkennen; vermutlich die eines Mannes. Nach und nach wurde die Lichtquelle in ihrer Helligkeit herunter gedimmt, so dass ihre Augen allmählich immer mehr von der Umgebung wahrnahmen, in der sie sich befand. Offenbar lag sie in einem sehr großen, weiten Raum, dessen Wände und Decken aus glatt poliertem, matt schimmerndem und bläulichem Metall bestanden, durch das sich vereinzelt in wirr verschlungenen Bahnen dicke Rohrleitungen und Kabelstränge wanden. An bestimmten Stellen waren rätselhafte Schriftzeichen eingraviert, runenartig verziert und fremdartig wirkend. Der große Tisch, auf dem sie lag, sowie die sie umgebenden Maschinen schienen ansonsten offenbar die einzige >Innenausstattung< dieses Raumes zu sein, der ihr in seiner Kargheit und Düsternis einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Jedes von den Geräten erzeugte Geräusch zog einen sekundenlangen Echoeffekt nach sich, der Scully in der ansonsten vorherrschenden Stille zunehmend unruhiger werden ließ.



„Angst, wie?“, meinte auf einmal eine leise, mitfühlend klingende männliche Stimme über ihr, in ihrem belegten, rauen Ton irgendwie vertraut anmutend. Eine knochige Hand mit dünnen, zittrigen Fingern wanderte über ihren Kopf hinweg an eine der Schalttafeln zu ihrer Linken, betätigte einen Taster, und mit einem kurzen, elektrischen Summen wurde das sie festhaltende Kraftfeld abgeschaltet. Sofort fühlte sie die Beklemmung (oder zumindest einen Teil davon) von ihr abfallen, die ihr die ganze Zeit über das Atmen erschwert hatte. „Das alles muss Ihnen wohl wie ein schlimmer, sich wiederholender Albtraum vorkommen, meine Liebe. Ich wünschte für Sie wirklich, dass dem nicht so wäre. Leider ging es aber nicht anders... alle übrigen Optionen wurden bereits ausgeschöpft“, begann die Stimme wieder.



Scully gefror um ein Haar das Blut in den Adern, als sie zu erahnen begann, wer da zu ihr sprach.



Vor dem dunklen Hintergrund des Raumes glimmte schwach der rötliche Schein einer angezündeten Zigarette auf. Ein dünner, grauweißer Rauchschleier verströmte sich langsam in die klinisch saubere Luft, um sich allmählich unter Verbreitung des typischen, unangenehmen Geruches mit ihr zu vermischen. Obwohl ihr Bewegung nach wie vor große Schmerzen bereitete, brachte Scully es fertig, sich unter Aufbietung all ihrer Willenskraft auf beide Ellbogen zu stützen, um mit halb aufgerichtetem Oberkörper ihrem Gegenüber ins Gesicht blicken zu können. Ein fahl schimmerndes, müdes graubraunes Augenpaar, welches sie, tief in die Augenhöhlen eingefallen, anstarrte, war umrahmt von einer hohen, runzligen Stirn mit eng anliegendem, zur Seite gekämmtem graumelierten Haar sowie knochigen Wangen, durchzogen von tiefen Falten. Der Mund mit seinen bleichen, schmalen Lippen verzog sich zu einem angedeuteten, gekünstelt wirkenden Lächeln, während erneut ein breiter, übel riechender Rauchteppich gepresst daraus hervor geschossen kam.



In Danas Kopf kollidierten Welten.



„Sie?“, hauchte sie erschrocken. Ihre ohnehin schon blasse Haut nahm eine noch geringfügig hellere Farbe an.

Ein leises kehliges Lachen, unterbrochen von mehrmaligem kurzem Hüsteln, kam als Antwort. „Ich hatte geglaubt, wir wären Sie in New Mexico damals bei dem Helikopter-Angriff ein für allemal losgeworden!“, entfuhr es Scully mit einem Unterton des Zweifels, aber auch einer schwer zu überhörenden Prise Verachtung.

„Ach ja, der Angriff, stimmt – eine eigenartige Geschichte. Wissen Sie: In derselben Sekunde, in der mich jene Rakete traf, wurde ich an Bord eines in der Wüste verborgenen Kolonistenschiffes geholt. Ein faszinierendes Erlebnis – ich spürte, wie ich verbrannte, wie meine Knochen zu glühender Asche zerfielen… und doch lebte ich, als ich mich im nächsten Moment unter meinen Rettern wieder fand. Es war eine überaus gerechte, angemessene Strafe dafür gewesen, Jahrzehnte lang gegen meine eigentlichen Verbündeten gearbeitet zu haben. Ein solches Erlebnis kann einen Mann wirklich zur Besinnung bringen, das können Sie mir glauben! Meine Fähigkeiten wurden noch benötigt, daher durfte, ja musste ich letzten Endes weiter leben. Jemand mit so vielen Verpflichtungen wie ich lässt sich in seinen Bestrebungen durch etwaige Nebensächlichkeiten wie den Tod eben niemals aufhalten, meine Schöne. Wenigstens dies sollten Sie in all den langen Jahren gelernt haben, die Sie auf Ihrer lächerlichen Suche nach Antworten sinnlos vergeudeten! Sie wie auch ich haben dem Tod schon mehr als einmal direkt in sein hässliches Antlitz blicken müssen, doch beide waren wir immer wieder imstande, ihn auszutricksen, ihm stets aufs Neue das eigene, kostbare Leben zu entreißen, das er bereits fest umklammert hielt. Und heute, da sitze ich einmal mehr hier in diesem Raum und muss, wie zuletzt vor drei Jahren, um ein Schicksal bangen. Doch ist es nicht etwa meines, um das ich fürchte – sondern Ihres.“



Mühsam unterdrückte Scully die in ihr keimende Furcht, konnte jedoch nicht verhindern, dass sich auf ihrer Nasenspitze kleine Schweißperlen zu bilden begannen, die im gedämpften Schein der Deckenlampe verräterisch glitzerten. „Was... was m-meinen Sie damit?“, stotterte sie nervös. „Haben Sie etwa vor, mir... etwas anzutun?“ „Ich? Nicht einmal im Traum käme ich auf einen solch perversen Gedanken!“, beteuerte der Mann mit dem zerfurchten Gesicht und machte mit den Armen eine abstreitende Geste (...das werden zum Glück andere für mich übernehmen, ergänzte er zugleich jedoch insgeheim). Vorsichtig berührte seine Hand ihre linke, unbekleidete Schulter. Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Eisig kalt fühlten sich die rauen Finger auf ihrer glatten Haut an, welche sanft bis zu der Kuhle ihres Schlüsselbeins hinunter und wieder zurück glitten. Ein erneuter Schauer durchfuhr sie. „Obwohl ich zugeben muss, dass Sie noch genau denselben wunderschönen, makellosen Körper haben wie damals, als wir Sie erstmals zu einer Untersuchung zu uns holten...!“



Erst jetzt bemerkte sie, dass sie völlig unbekleidet und ihr Körper lediglich von einem dünnen, strahlend weißen Laken bedeckt war, das ihr von den Zehenspitzen bis knapp unterhalb des Brustansatzes reichte. Da glaubte sie zu verstehen. Ihre Augen nahmen einen weinerlichen Glanz an und füllten sich bis zum Rand mit Tränen, die sie vergeblich zurückzuhalten versuchte. „Sie gottverdammtes, mieses Dreckschwein...!“, schluchzte sie hasserfüllt und schlug in ihrer Verzweiflung nach dem Raucher – doch ihr kraftloser Arm versetzte ihm nur einen schwachen Knuff in die Magengegend. Er belächelte ihre armselige Aktion mild. „Ich glaube, Sie haben mich eben gehörig missverstanden, Scully – ich würde Sie übrigens gerne >Dana< nennen, doch dieses Privileg bleibt in Ihrem Leben wohl sehr wenigen Männern vorbehalten. Schade eigentlich... aber um auf Ihre Befürchtungen zurück zu kommen: Vor einer etwaigen Vergewaltigung brauchen Sie nun wirklich keinerlei Angst zu haben! Und wie ich bereits sagte – ich werde Ihnen sowieso nichts tun.“ Diese Worte konnten sie nicht im Geringsten beruhigen (obwohl zumindest seine letzte Aussage ausnahmsweise stimmte). „Weshalb bin ich dann hier? Haben Sie mir denn nicht schon genug Leid zugefügt? Wollen Sie mich jetzt endgültig zugrunde richten?“, wimmerte sie kläglich und suchte in den Augen des über sie Gebeugten verzweifelt eine Spur von Menschlichkeit, von Mitgefühl oder Bedauern – sie fand jedoch nichts außer Leere. Endlose Leere, gemischt mit einem Hauch von Gleichgültigkeit. Der Frau wurde plötzlich erneut klar, dass sie diesem Mann nie würde trauen können – so, wie es schon früher gewesen war, jedes Mal wenn sie mit ihm zu tun gehabt hatte. Ihr flehender Blick ließ ihn unberührt und kühl, so dass sie jedwede Hoffnung darauf, dass er sie auf eindringliches Bitten hin vielleicht gehen ließe, aufgab. „Ich werde die darauf ansprechen, die schmerzhaften Prozeduren auf morgen zu verschieben, damit Sie wieder ein wenig zu Kräften kommen“, versprach er gnädig.



Sie beide wussten, dass es bei dem Versprechen alleine bleiben würde.



„Vor sieben Jahren, wissen Sie noch, was Ihnen damals widerfuhr, Scully?“, fragte er sie schließlich prüfend und nahm einen weiteren, für ihn erleichternden tiefen Zug aus seiner abbrennenden Zigarette. Sofort kehrte die Erinnerung in ihr Gedächtnis zurück, und sie war alles andere als angenehm.

„Wie könnte ich das jemals vergessen? Ich war infiziert von einem neuartigen, biogenen Virus, das durch die Stiche von Bienen übertragen wurde, schnell wirkend und nach Ablauf von 96 Stunden unheilbar. Man... brachte mich in eine große Lagerstätte (ihr war sichtlich unwohl bei dieser unglücklich gewählten Formulierung), wo mich Mulder letztlich fand und durch die Verabreichung eines Impfstoffes rettete.“ „Ganz genau“, kommentierte der Raucher zufrieden. „Womit wir auch schon beim Punkt wären. Sie haben das Virus lange erforscht, nicht wahr, Scully? Sie untersuchten es in der Hoffnung, seine Struktur und Herkunft zu verstehen sowie auf eigene Faust das Vakzin zu reproduzieren.“ Verblüfft sah sie zu ihm auf. „Wie können Sie darüber wissen? Ich habe niemanden jemals darüber in Kenntnis gesetzt, nicht einmal...“ „Es ist alles da oben drin!“, unterbrach er sie, lächelnd auf ihre Stirn deutend, „Man kann fast wie in einem offenen Buch darin lesen.“ Skepsis und Verwirrung waren ihrem Gesichtsausdruck zu entnehmen. „Okay, dann beweise ich es Ihnen eben. Denken Sie an etwas – ganz gleichgültig, was es auch sein mag.“ Eigentlich versprach sie sich nichts von diesem höchst dubiosen Spielchen, doch aus Neugier ging sie trotzdem darauf ein. Schon wenige Momente später grinste der Raucher hämisch. „Also, eigentlich hatte ich ja darauf gehofft, eine Ihrer zügellosen Fantasien zu erhaschen, in der Sie und Mulder gemeinsam skandalöse Tätigkeiten praktizieren... stattdessen versuchen Sie mich durch eine so oberflächliche, banale Beleidigung zu brüskieren! Was versprechen Sie sich denn bitte davon, mir die brennende Zigarette ins Auge zu drücken?“ Schockiert rutschte Dana von den Ellbogen ab und landete wieder flach auf dem Kreuztisch, dessen Oberfläche in einem matten Weiß leuchtete. Er hatte tatsächlich ihre Gedanken gelesen und korrekt wiedergegeben!

„Bevor Sie sich noch lange Ihr zartes Köpfchen zerbrechen und Ihr Gesicht die selbe Farbe annimmt wie Ihr Haar, kläre ich Sie lieber auf“, gab er schließlich seufzend nach. „Sagen wir einfach: Das genetische Material, welches sich damals im Kopf Ihres Freundes Mulder nicht so recht wohl fühlen wollte, hat endlich ein endgültiges, glückliches Zuhause gefunden...“ Unter sichtlicher, unverhohlener Selbstzufriedenheit tippte er sich mehrere Male an die eigene Stirn, seine neue, übernatürliche Fähigkeit verherrlichend.

„Erwarten Sie jetzt etwa, dass ich vor Bewunderung dahinschmachte?“, zischte sie abfällig. Schon beabsichtigte sie, ihn mit weiteren solcher Gehässigkeiten zu strafen, als plötzlich ein Geräusch unzähliger tippelnder, in rascher Folge auftretender nackter Kinderfüße, die sich ihrem Tisch aus der Richtung des Rauchers zu nähern schienen, an ihre Ohren drang und sie schlagartig in panische Angst zurückversetzte. Für einen Moment drehte sich der alte Mann von ihr weg, als ob er mit jemandem etwas besprechen würde. Sie konnte jedoch weder ein einziges gesprochenes Wort hören, noch sah sie irgendjemand anderen aus ihrer liegenden Position heraus. Bevor sie aber genügend Zeit erhielt, sich nochmals aufzurichten, um die vermutlichen Besucher zu erkennen, wandte sich der Raucher wieder ihr zu, zog eine eher aufgesetzt wirkende Miene des Mitgefühls und flüsterte der eingeschüchterten Frau scheinheilig zu: „Ich bedauere außerordentlich, meine Kleine, aber es scheint, als ob unsere Freunde hier nicht mehr länger warten wollen. Ach ja, was ich Ihnen vorhin zu sagen versuchte, während wir über den Impfstoff sprachen: Sie waren dem Heilmittel sehr viel näher gewesen, als Sie vermutet hatten...“ Wortlos tätschelte er ihr ein paar Mal über den flachen Bauch. Verstehend zog sie eine Augenbraue hoch. „Leider... steht das Vakzin den Plänen meiner neuen Verbündeten im Weg, Scully. Erfreulicherweise gibt es aber auch ein Gegenmittel zum Gegenmittel... und Sie, meine Teuerste, sind der Schlüssel zu seiner Herstellung! Komisch, nicht? Wie sich der Kreis nach so langer Zeit schließt.“



Ein letztes Mal tauschten sie Blicke aus – dann schoss sein Arm blitzschnell zu der Konsole an ihrem Kopf, betätigte einen bereits altbekannten Taster und brachte das zuvor abgeschaltete Kraftfeld mit einem unheilvollen Knistern zurück. „Ich komme später vorbei und werd nach Ihnen sehen“, murmelte er noch, bevor er sich erhob und eilig fortging. „Nein, bleiben Sie noch, bitte!“, rief sie ihm verängstigt hinterher, obwohl sie seine Gesellschaft gerade eben noch nicht unbedingt genossen hatte. „Diesen Gefallen kann ich Ihnen leider nicht tun“, entschuldigte er sich, ohne stehen zu bleiben. „Es bleiben noch einige unerledigte Angelegenheiten zu regeln. Ach ja, und Scully... hören Sie bitte endlich auf, fortwährend über Mulders Schicksal nachzudenken – damit bereiten Sie sich nur unnötigen Kummer! Gegen die Übermacht, die in Cleveland auf ihn angesetzt wurde, dürfte selbst ein Wunderknabe wie er nicht den Hauch einer Chance gehabt haben. Inzwischen wird der Gute wohl längst tot sein, genau wie diese viel zu neugierigen Journalisten. Äußerst tragische, aber notwendige Opfer für die Zukunft. Sehen Sie’s positiv: Keiner von ihnen hatte lange zu leiden. Gerade eine Medizinerin wie Sie müsste eine derart humane Methode doch zu schätzen wissen, oder etwa nicht...?“

Hinter sich vernahm er (wie erwartet) das vielsagende, laute Donnern unzähliger heftiger Energieentladungen des Eindämmungsfeldes, begleitet von einem lang gezogenen, herzzerreißenden Wimmern, das nicht mehr enden wollte. Schnellen Schrittes verließ er den Raum durch ein sanft zur Seite gleitendes Schott, das sich hinter ihm genauso geräuschlos wieder schloss, wie es sich geöffnet hatte.



Grauenvolle Furcht packte sie, als die Schritte des geheimnisvollen Rauchers allmählich verhallten und dafür das leise Tippeln kleiner, feuchter Füße ständig lauter wurde, bis es unmittelbar vor ihrem Tisch aufhörte. Mit einem Schlag kehrte das grelle, blendende Licht über ihr zurück, was sie zwang, ihre Augen fest zusammenzukneifen. Sie spürte, wie zahlreiche Schatten sich über sie beugten und unruhig hin und her huschten. Zirpende, auf unerträglichen Lärmpegel anschwellende Laute erfüllten den Raum, überlagerten sich, wurden in einem nervenzerfetzenden Echogewirr von den Wänden reflektiert. Ihre Kopfschmerzen kehrten zurück, schlimmer und quälender als jemals zuvor, begleitet von sehr starken Krämpfen in allen größeren Muskelpartien.

Nur noch ein einziger Wunsch hielt sie bei Bewusstsein: Sie wollte wenigstens dieses eine Mal ihren Peinigern ins Angesicht sehen, erfahren, mit wem sie es zu tun hatte.



Ruckartig riss sie die Augen auf.



Was sie zu sehen bekam, ließ sie nicht nur an ihrem Verstand, sondern an schlichtweg allem Grundsätzlichen zweifeln, an was sie jemals geglaubt, was sie jemals für richtig oder falsch, gut oder böse, herrlich oder schrecklich gehalten hatte.



Es war ein Anblick des Grauens an sich.



Dutzende kleiner Wesen mit feucht glänzender, lederartig gegerbter graufarbener Haut und breiten, nach hinten verlängerten, ohrenlosen Köpfen standen rings um sie herum und starrten sie aus großen, pechschwarzen Augen heraus an, die eher wie Löcher denn Sehorgane wirkten. Nasen im eigentlichen Sinne schienen diese Gestalten fast überhaupt keine zu besitzen; nur zwei kleine schräge Kerben deuteten auf deren Vorhandensein hin. Ihre schmalen, lippenlosen Münder blieben konsequent geschlossen und unbeweglich – trotzdem hörte Scully fortwährend dieses eigenartige Zirpgeräusch, durch das die Wesen in irgendeiner Form kommunizieren mussten, wie sie in den wenigen Sekunden, in denen sie ein letztes Mal einigermaßen klare Gedanken zustande brachte, vermutete.

Dann streckte eine der Gestalten, die ihrem Kopf am nächsten stand, einen dürren, langen Arm aus und tastete mit dünnen, feingliedrigen Fingern durch die summende Energiebarriere, welche für sie kein Hindernis darzustellen schien.

In dem Moment, als Dana sechs feuchte Druckpunkte auf der schweißüberströmten Haut ihrer Stirn spürte, stieß sie einen ohrenbetäubend lauten, gellenden Schrei aus – einen Schrei, in den sie all ihre Angst, all ihre Schmerzen, all ihre Verzweiflung und all ihren Zorn einfließen ließ. Ein letzter Protest gegen das, was man ihr in den nächsten Momenten anzutun beabsichtigte.

Bruchteile von Sekunden später verstummte sie. Jegliche Kraft verließ fluchtartig ihren Körper. Ihre Augenlider flatterten, bevor ihr Wahrnehmungsvermögen endgültig versagte. Langsam sank ihr Kopf zur Seite.



Eine letzte Träne schaffte ihren Weg über die Wange der nunmehr wehrlosen Frau auf den angeleuchteten Untersuchungstisch, wo sie schillernd in unzählige, winzige Tröpfchen zersprang.
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