World of X

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Zero Hour

von Mona

Kapitel 1

Teil 1: Prolog


Irgendwo in Washington DC, ungefähr im Oktober 2014



Ich lag auf dem sandigen Boden, eingerollt in eine alte, zerfetzte Decke, die kaum noch in der Lage war mich vor der klirrenden Herbstkälte zu schützen. Jeder meiner Atemzüge erschien für ein paar Sekunden in der Form von kleinen Rauchwolken in der kühlen Nachtluft, bis sie sie schließlich völlig aufzehrte. Ich zitterte am ganzen Körper und schon seit Wochen wurde ich von einem schmerzhaften Husten gequält, den ich wohl nie wieder los zu werden schien. Doch was konnte ich schon tun, außer mich meinem Schicksal zu fügen? Ich hatte die Gelegenheit gehabt, alles zu ändern, doch hatte versagt und jetzt musste ich - und die ganze Menschheit - die Konsequenzen tragen. Seit jenem schicksalhaften Tag im Dezember 2012, an welchem sich die Prophezeiung erfüllt hatte und an welchem die Menschen die Sklaven einer fremden Rasse wurden. Die Meisten wurden einfach überrascht, konnten in keiner Weise begreifen, was überhaupt geschah. Ich hatte den irren, verständnislosen Ausdruck in ihren Augen gesehen, musste erleben, wie viele durchdrehten und andere starben. Wie meine Heimat in Schutt und Asche gelegt wurden, wie ich die Menschen verlor, die mir am meisten bedeuteten. Die, die das Inferno überlebten, fristeten seit jeher ein Leben in Knechtschaft, eingesperrt wie Tiere und gebraucht als Arbeiter für die SIE. Ich fragte mich, weshalb ich überhaupt noch darüber nachdachte, mir das Hirn zermarterte und verzweifelt nach einer Lösung suchte, wenn ich doch wusste, dass es nicht die geringste Hoffnung gab. Es hatte natürlich Menschen gegeben, die sich widersetzen, die für ihre Freiheit kämpfen wollten, doch sie lebten schon lange nicht mehr. Mit allen, die sich IHNEN in den Weg stellten, wurde kurzer Prozess gemacht. Mittlerweile hatten sich die Menschen in ihr Schicksal gefügt, und einige arbeiteten sogar mit IHNEN zusammen, nur um ein bisschen besser leben zu können, doch ich wusste, dass es einzig der Selbsterhaltungstrieb war, der aus ihnen sprach und ohne den sie wohl schon längst alle jämmerlich zugrunde gegangen wären.

Ich drehte langsam den Kopf auf die Seite und ließ meinen Blick über die vielen Menschen schweifen, die um mich herum auf dem Boden lagen und versuchten, sich irgendwie warm zu halten. Viele waren noch Kinder, andere Greise, oder Frauen. Viele waren krank, oder verletzt. Alle waren sie schwach, gebrechlich und dünn. Und alle hatten sie denselben hoffnungslosen Ausdruck in den Augen. Sie waren müde. Müde von diesem „Leben“, von diesen Qualen. Ich drehte meinen Kopf wieder gen Himmel und sah in die Sterne. Sie waren das Einzige, das sich zumindest nach außen hin nicht verändert hatte. Sie strahlten noch genauso wie in früheren, besseren Zeiten. Und immer noch schien etwas Beruhigendes von ihnen auszugehen. Doch auch sie waren nicht mehr dieselben. Nicht für mich. Mein Leben lang hatte ich da oben nach der Wahrheit gesucht, die mir alles erklären würde. Diese Suche war alles für mich gewesen, sie bedeutete mir mehr als mein eigenes Leben, sie war mein Kreuzzug. Doch heute wünschte ich, es hätte sie nie gegeben. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Vielleicht würde ich mit Dana in einem kleinen Haus mit Garten und einem kleinen Pool wohnen. Wir könnten zusammen Joggen gehen und in den Urlaub fahren, wie eine glückliche Familie doch so . . . so wusste ich nicht einmal, wo sie war, wie es ihr ging, oder ob sie überhaupt noch lebte. Als wir in diesem Hotelzimmer in Roswell waren, als wir vor dem Militär flüchteten und nachdem uns der Raucher alles über die Kolonialisierung enthüllt hatte, hatten wir den Entschluss gefasst, nie aufzugeben, weiter zu kämpfen – weil wir an etwas glaubten, das stärker war, als SIE, das stärker war, als alles andere. Etwas, das das Leben nicht als umsonst darstellte, sondern den Tod nur als einen Übergang zu etwas viel Besserem sah. Doch wie sollte ich heute noch daran glauben? Wo war dieser Gott in der ganzen Zeit? Hatte er die Menschen abgeschrieben, weil sie ihn schon lange zuvor abgeschrieben hatte? Hieß es denn nicht: deine Sünden seien dir vergeben? Sollten so viele Menschen für meinen Fehler bezahlen? Hatte ich überhaupt einen Fehler gemacht? Hätte ich anders handeln sollen? Ich wusste es nicht. Ich hatte schon zu oft darüber nachgedacht. Alternativen durchgespielt, Lösungen gesucht, doch was half das alles schon? Ich hatte alles verloren, was mir etwas bedeutet hatte, was mich als Menschen ausgemacht hatte: meinen Glauben, meinen Kampfgeist und vor allem Scully.



„Woran denkst du?“, riss mich plötzlich eine leise, helle Stimme aus den Gedanken.



Ich drehte meinen Kopf und sah in das Gesicht eines vielleicht 14 – jährigen Jungen, der mich neugierig musterte und mir gegenüber mit dem Rücken gegen das hohe Sicherheitsgitter lehnte, das eine Flucht so gut wie unmöglich machte.



Ich blickte den Jungen kurz an. Er war dünn und das, was er anhatte, konnte man kaum noch als Kleider bezeichnen. Vielmehr schienen es spärlich zusammengenähte Lumpen zu sein, die ihn vor der Kälte schützen sollten. Und wie alle anderen auch, war er in eine dicke Decke gehüllt.



„Ich habe daran gedacht, dass ich auch einen Sohn habe – hatte – der jetzt in deinem Alter sein müsste“, sagte ich leise und blickte wieder gen Himmel.



„Was ist mit ihm passiert?“, fragte der Junge neugierig weiter.



Ich schwieg eine Weile. Dann zuckte ich mit den Schultern.



„Du weißt es nicht?“, redete der Junge weiter. „Und wo ist seine Mutter?“



Ich sah ihn wieder an. Aus seinen dunklen Augen sprudelte neben dem verzweifelten Ausdruck, der wohl nie ganz schwinden würde, die pure Neugier. Ich wusste nicht, woher dieser kleine Junge diese enorme Kraft nahm. Doch vielleicht war es für Kinder einfacher, sich an diese Umstände anzupassen. Schließlich kannten sie das frühere Leben nicht so, wie die Erwachsenen.



„Was ist mit deiner Frau?“, fragte der Junge noch mal und in einer drängenden Art, die Mulder erstmals seit langem wieder ein Grinsen auf die Lippen zauberte.



„Willst du die Geschichte wirklich hören?“, fragte ich, setzte mich auf und lehnte mich neben dem Jungen gegen das Gitter.



Er sah mich gespannt an und nickte. Wie ein kleiner Kerl, der darauf wartet, dass ihm eine Gutenachtgeschichte erzählt wird. Doch vielleicht würde es ihm helfen, das hier alles wenigstens für ein paar Stunden zu vergessen und vielleicht würde es mir helfen, alles vielleicht irgendwann verarbeiten zu können. Bisher hatte ich zu niemandem ein Wort gesagt, alles in mich reingefressen. Vielleicht würde es nutzten, wenn ich es mir alles einmal von der Seele reden konnte. Auch wenn mein Zuhörer nur ein kleiner Junge war. Dann nickte ich kurz und begann zu erzählen.
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