World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Who I am

von Marion Kirchner, Stefan Rackow

Kapitel 8

Kapitel 8 : Vaterliebe





Als ich in die Tiefgarage rannte, wusste ich nicht einmal richtig ob ich träumte oder wach war. Ich fühlte mich komisch, so als würde ich unaufhörlich verfolgt. Ich rannte und rannte, hatte bereits heftiges Seitenstechen als ich unten ankam und mich fragte was um Himmels Willen mich so ermüdet hatte. Völlig erschöpft lehnte ich mich schließlich gegen eine der Säulen und starrte auf meine Hände hinab, die das Aktenbündel noch immer fest umklammert hielten.



Als ich meinen Kopf hob hätte ich mir ab liebsten selbst in den Bauch getreten: Was wollte ich in der Tiefgarage, wo ich doch meinen Wagen aus Angst vor einer Manipulierung vor der Lagerhalle gelassen hatte?



Ich schüttelte den Kopf und schwenkte ihn durch die Garage, niemand schien hier unten zu sein. Kurz flackerte der Gedanke einen Wagen zu knacken in mir auf, doch ich ließ ihn gleich wieder erlöschen. Ich war verrückt, vollkommen verrückt. Ich wünschte mir meine alte Skepsis zurück. Ich wünschte mir Mulder niemals begegnet zu sein. Dieser Gedanke erschreckte mich und ich drehte meinen Kopf beiseite, als wäre der Gedanke ein Bild vor meinen Augen. Ich erschrak ein zweites Mal, als ich erkannte worauf ich blickte. Es war eine Absperrung. Hinter ihr war alles verwüstet, Asche lag verstreut auf dem glatten Boden, getrocknete Blutflecken schimmerten bedrohlich im schwachen Licht der Deckenlampen und Metallteile säumten die Fläche. Verkohlt und einsam lagen sie neben einem Loch in der Wand, das notdürftig mit einer Art Karton abgedeckt worden war. Wie Zähne ragten die Metallbalken aus der Wand und schienen nur darauf zu warten jemanden aufzuspießen. Ich schauderte. Hatte Skinner nicht gesagt: "In der Nähe des FBI-Gebäudes."? War etwa noch etwas passiert von dem ich noch nicht wusste? Oder war etwa Miller direkt hier zu Tode gekommen? Der arme Agent Miller, ich war froh ihn nicht gekannt zu haben. Ich hasste dieses Loch, wie es, wie eine klaffende Wunde von etwas berichtete, vielleicht von einem Mord, vielleicht sogar von dem Agent Millers. Hätte mir Doggett nicht von einem anderen Mord berichtet, verdammt hatte ich ihm überhaupt genug Zeit dafür gelassen? Ich stand da, versuchte mich zu bewegen, wollte auf die Absperrung zugehen, doch ich konnte es nicht. Ich spürte etwas, so wie einen Sog, der mich von diesem Ort wegzog.



Tief durchatmend wandte ich meinen Blick schließlich ab und schwor mir, den Menschen, der dies getan hatte, zu fassen. Wenn Krycek es gewesen war, würde ich ihm den Hals umdrehen und ein ganzes Magazin für ihn leeren, um ganz sicher zu sein, dass er wirklich tot war.



Da stand ich nun in einer Tiefgarage ohne Auto, meinen Blick auf eines der Gitterfenster gerichtet, durch das ich die Sterne leuchten sah und dachte an Will. Wo mochte er sein und warum konnte ich ihn nicht finden? Suchte ich überhaupt nach ihm oder machte ich mir bloß etwas vor indem ich nutzlose Akten durch das halbe FBI-Gebäude schleppte? Ich sank auf die Knie und spürte, wie langsam Tränen meine Wangen hinabliefen. Ich versuchte mich dagegen zu wehren, doch mein inneres Auge zeigte mir immer wieder Bilder von Will, immer wieder zog sein niedliches Lächeln an mir vorbei, immer wieder hörte ich das Glucksen, das er immer von sich gab, wenn er spielte und ständig sah ich das diamantene Glänzen in seinen Augen, wenn er sich freute. Verdammt, wieso musste ich all diese Bilder in mir sehen, was hatte ich getan, dass es mir nicht mehr vergönnt war, sie vor meinen eigenen Augen zu sehen, lebendig zu sehen?

Wieder kam diese Ohnmacht in mir hoch, wieder bemerkte ich, dass sich alles im Kreis drehte. Ich wollte schreien, doch nur ein elender Seufzer verließ meine Kehle. Doch ich hatte irgendetwas abgelassen, eine überflüssige Energie. Ich fühlte mich besser. Zitternd wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und den Augen und erhob mich.



Unentschlossen schlenderte ich an den Autos vorbei und fragte mich wie es wohl sei, mir eines von ihnen unter den Nagel zu reißen und einfach von hier zu verschwinden, für immer. Vor all dem wegzulaufen. Ich wünschte mir eine Gehirnwäsche, etwas, das mich alles vergessen ließ. Mir wäre es egal ob ich sterben würde, sterben würde ich sowieso. Und es war besser sorgenlos zu sterben, als im Voraus zu wissen, dass man bald sterben müsste. Ich hatte in meinen Leben weiß Gott genug getan, mir stand eine langverdiente Ruhe zu.



Ich ging noch ein paar Schritte und lehnte mich gegen die Wand. Meine Augen geöffnet, schlief ich ein, versank in einem wirren Traum, der mir weismachen wollte ich sei in Sicherheit, vereint mit William und Mulder. Ich sah Doggett, wie er lächelte und Witze über Außerirdische machte und ich sah meine Mutter wie sie stolz über mich sprach. Jeder Mensch, der mir jemals etwas bedeutet hatte, war bei mir. Ich fühlte mich wohl, wohler als jemals zuvor in meinem Leben. Frischer Wind wehte über die Grünfläche auf der wir feierten. Gelächter drang von überall her, Frieden herrschte überall.

Quiiieettsch



Erschrocken sprang ich auf und merkte erst jetzt, dass ich eingeschlafen war.

Ein schwarzer Ford fuhr so eng an mir vorbei, dass ich die Zähne zusammenbiss und ihm Idiot hinterher rufen wollte. Doch mir fiel auf, dass ich in einem Winkel lag, in dem er mich unmöglich hatte sehen können.

"Scheiß drauf.", brummte ich, erschrocken darüber, so zu reden.



Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte mir, dass es kurz nach Mitternacht war. Die Tiefgarage war fast leer, nur noch vereinzelte Wagen standen wie Inseln in dem riesigen, grauen Raum. Ich fühlte mich einsam zwischen all dem leblosen Metall und beschloss, nach Hause zu gehen. Ich musste einen klaren Kopf bekommen, mit meiner Mutter über meinen Weggang reden und mir Sachen zurechtlegen. Doggett würde ich anrufen, wenn ich bereits aufgebrochen war. Ich wollte auf keinen Fall, dass er mir folgte.



Gedankenverloren griff ich nach den Akten und vergewisserte mich, dass die Ausgabe des Lone Gunmen, die ich hatte mitgehen lassen, noch da war. Ich würde sie später brauchen, dessen war ich mir sicher. Und so schlenderte ich, als sei es das Normalste der Welt aus der Tiefgarage. Noch ein schneller Blick auf die Stelle an der das Loch in der Wand prangte, ein wenig Wut, die mir in den Kopf schoss und ich schritt entschlossen auf die Straße. Ich würde meinen Weg gehen, koste es was es wolle!



************************************************************************



Verwirrt und unendlich müde stand ich vor meiner Haustür. Allein der Gedanke, dass sich in meiner Wohnung ein Bett befand munterte mich wieder auf. Doch mein Verstand wies mich zurecht und sagte mir, dass ich mich auf keinem Fall ausruhen durfte. Nebenher fragte ich mich, wie ich in diesem Zustand Autofahren konnte, aber ich verwarf diesen Gedanken wieder, ein starker Kaffee würde mich schon wieder auf die Beine bringen.



Hastig öffnete ich die Tür und trat ein. Heute Morgen hatte es hier anders ausgesehen. Es war dunkel, trostlos und die Möbel warfen seltsame Schatten in das Zimmer. Irgendwie kam ich mir vor wie in einem endlosen Wald, aber auf der anderen Seite fühlte ich mich auch sicher. Ich verspürte den Drang mich für immer hier zu verbarrikadieren, als ich mich in den Sessel fallen ließ und für eine Sekunde meine Beine hochlegte. Ich fühlte mich schrecklich ausgelaugt und musste mich bemühen, nicht einzuschlafen. Nur mit viel Willenskraft schaffte ich es, mich nach zwei Minuten aus dem Sessel zu hieven und in die Küche zu gehen. Während ich den Kaffee aufsetzte, machte ich mich auf den Weg ins Schlafzimmer. Mein Herz hämmerte und ich wollte die Augen schließen, als ich es betrat. Es war noch kälter als das Wohnzimmer und schien schon seit Ewigkeiten nicht mehr beheizt worden zu sein. Ich konnte kaum glauben, dass ich am Morgen noch hier gewesen war.



Meinen Blick zwanghaft von Williams Kinderbett fernhaltend, ging ich zum Kleiderschrank und stand eine Weile nur ratlos vor den Kleidern, die gewaschen und geordnet an der Kleiderstange hingen. Zum allerersten Mal in meinem Leben wusste ich nicht, was ich mitnehmen sollte. Was würde mich noch erwarten? Brauchte ich nur Freizeitkleidung oder auch Anzüge? Ich kratzte mich am Kopf und kämpfte die ganze Zeit gegen die Versuchung an, mich ins Bett zu legen. Immer wieder rief ich mir den Countdown in Erinnerung, so oft, dass ich die Sekunden beinahe schon einzeln vorbeifliegen sah und glaubte, das leise Ticken einer Bombe wahrzunehmen. Ich schüttelte mich und schauderte. War ich schon total durchgedreht?



Um endlich aus diesem Zimmer zu verschwinden, nahm ich hastig ein paar Jeans, irgendwelche Oberteile, Unterwäsche und zur Sicherheit eine elegante Hose und einen Blazer mit und stopfte sie achtlos in eine Reisetasche. Ich wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden, ich hasste diese Wohnung. Beinahe schon hysterisch warf ich die Tasche auf den Sessel, rannte noch einmal zurück ins Schlafzimmer, kramte eine alte Decke aus dem Schrank und stopfte sie ebenfalls in die Tasche, sicher war sicher.



Langsam ging ich nun in die Küche hinüber. Der Kaffee war bereits fertig. Ohne auch nur darauf zu achten wie heiß er war, schüttete ich die eine Hälfte in eine Thermoskanne und kippte die andere meinen Hals hinunter. Es brannte erbärmlich und ich fragte mich warum ich ihn überhaupt getrunken hatte, Kaffee war schließlich irgendwie dazu da um ihn zu genießen. Nachdem sich mein Hals einigermaßen beruhigt hatte, suchte ich nach etwas essbaren, das man über mehrere Tage hinweg aufbewahren konnte. Ich nahm schließlich einen Laib Brot (ein paar Scheiben beschmierte ich auch), Obst, irgendwelche seltsamen Energieriegel, die ich mir letzte Woche zugelegt hatte, und ein paar Süßigkeiten zum Aufmuntern mit. Bepackt mit mehreren Flaschen Wasser, der Thermoskanne und der Tüte mit dem Essen kehrte ich ins Wohnzimmer zurück und packte sie in einen Rucksack. Die Akten steckte ich in das hintere Fach des Rucksackes, damit ich sie, falls irgendetwas dazwischen kam, mit dem Proviant mitnehmen konnte.



Beruhigt ließ ich mich nun noch einmal auf dem Sessel nieder und langte nach dem Telefon. Zuerst bestellte ich mir einen Mietwagen, um unerkannt durch Washington zu kommen. Später, die Nummer meiner Mutter wählend, hielt ich inne, als ich bemerkte, dass das Licht des Anrufbeantworters blinkte. Ich hatte zwei Anrufe erhalten und befürchtete schon, Doggett hätte mich angerufen, um mich aufzuhalten, als die Stimme meiner Mutter erklang:

"Dana, ich muss unbedingt mit dir reden. Ich weiß, ich hätte es dir schon früher sagen müssen, ich hätte es dir schon so viel früher sagen können, aber ich habe einfach nicht gewusst wie wichtig es war. Hör zu, Dana, ich kenne dich zu gut um zu glauben, dass du dir von deinen Kollegen hast helfen lassen, jetzt hoffe ich, dass du dir wenigstens von mir helfen lässt."

Hier brach die Nachricht ab, ohne wirklich zu enden. Irgendwie gefiel mir der zweideutige Unterton meiner Mutter nicht, sie klang besorgt, ernst, aber es kam eine leichte Ironie in ihrer Stimme hoch, so als würde sie das, was sie sagte nicht ganz ernst nehmen. Sie hatte niemals so mit mir geredet, ja, ich kannte diese Betonung gar nicht. Plötzlich war ich fest entschlossen, vor meinem Aufbruch noch einmal bei ihr vorbeizuschauen. Ich war ihr das irgendwie schuldig. Außerdem war es in diesem Moment fast so, als wollte mir jemand sagen, dass sie mir weiterhelfen konnte. Also sprang ich vom Sessel auf, packte meine Sachen und machte mich mit dem bereits eingetroffenen Mietwagen auf den Weg zu meiner Mutter.



**************************************************************************



Ich stand unsicher vor der Tür des Hauses und wollte eigentlich nur eines: So schnell wie möglich von hier verschwinden. Ich spürte den Drang der vergehenden Zeit im Nacken und betete darum, dass meine Mutter sich kurz fassen würde. Genau in diesem Moment wurde die Tür hastig zurückgezogen und ich sah, zu meiner Besorgnis, die angespannten Augen meiner Mutter. Sie musterte mich so eingehend, dass ich das Gefühl hatte sie wolle mich mit ihrem Blick ins Haus ziehen.



"Dana, Gott sei Dank, dass du gekommen bist." Es war deutliche Erleichterung in ihrer Stimme zu hören, doch sie wirkte noch immer etwas seltsam.

"Komm rein Dana.", sagte sie langsam und geleitete mich ins Wohnzimmer. Die Vorhänge waren weit nach hinten gezogen und sie hatte alle Fenster geöffnet, so dass das ruhige, blasse Licht des Mondes über die Möbel tanzte. Mich beruhigte dieser Anblick und mein Atem verlangsamte sich. Ich war bereit, hier einen Moment zu verweilen. Während ich mich gelassen auf das Sofa sinken ließ, spürte ich den trüben Blick meiner Mutter, die mir meinen plötzlichen Frohsinn anscheinend übel nahm.

"Dir geht es also gut, Dana?", fragte sie vorsichtig, es hörte sich beinahe an wie eine Fangfrage. Ich nickte, schnell, wenn auch ein wenig unentschlossen und drehte mich so, dass ich sie ansehen konnte.

"Mom, ich denke, wir sollten jetzt nicht zuviel über die Dinge nachdenken, die passieren. Ich weiß, ich könnte mich jetzt irgendwo verkriechen und weinen, aber glaube mir, es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich habe Aufgaben zu erledigen, Dinge, die mich vielleicht näher zu William (jetzt war es ausgesprochen) bringen könnten. Wenn ich jetzt den Kopf hängen lasse, hilft es mir auch nicht viel, Ok?" Ich war unsicher und ließ mir das auch anmerken.

"Es.. es geht nicht nur um William, du benimmst dich so komisch in letzter Zeit. Als… als du einfach verschwunden bist habe ich mir Sorgen gemacht, Dana."

"Mom, ich hatte eine schwere Zeit. Ich konnte dir danach einfach nicht in die Augen sehen… ich... es tut mir leid.", stammelte ich und versuchte mich wieder zu sammeln. "Wie steht es eigentlich um William, also um die Ermittlungen?", fragte sie mit trister Stimme.

"Wir sind nahe dran." Ich betonte das „wir“ übermäßig, und dabei lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Ja, wie standen die Ermittlungen eigentlich? Übermäßig schlecht, redete mir eine Stimme in meinem Hinterkopf ein, und sie hatte recht. Ich hatte nichts getan, mich an niemanden gewendet, nur weil ich der verrückten Überzeugung war, ich könne ihn über dem normalen Wege nicht finden, aber was, wenn ich es doch konnte? Ich sah meine Mutter ratlos an.

"Man wird ihn also finden?" Ich atmete tief ein: Würde ich das?

"Ja, das… das werden wir."

"Übernimmst du dich nicht? Ich meine …Dana…er ist dein Sohn."

"Ich weiß, Mom, aber, glaube mir, ich muss ihn suchen, ich kann nicht sitzen und so tun als wäre nichts. Bitte versteh das." Sie nickte. Musterte mich plötzlich viel eindringlicher als vorhin. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wir über das falsche Thema redeten. "Du hast mich doch mit Sicherheit nicht hierher gerufen, weil du über Will reden möchtest, oder?" Ich sah wie ihre Augen aufleuchteten, sie freute sich offenbar, dass ich sie aus dieser Unterhaltung befreite und ich freute mich meinerseits, dass ich mich daraus befreit hatte. Meine Mutter trat nun näher. Sie bewegte sich sehr langsam, es sah aus, als hätte sich diese Situation schon tausende Male in ihrem Kopf abgespielt, und dieser Aspekt machte mich misstrauisch. Sie atmete schnell, stoßweise, und schien Angst zu haben. Ich merkte, dass ein enormer Druck auf ihr lastete und in diesem Moment fragte ich mich zum ersten Mal ernsthaft, was sie mir sagen wollte. Sie schien gebieterisch, beinahe prophetisch, als sie sich in den Sessel mir gegenüber setzte. Doch so stark sie eben auch gewirkt hatte, als sich unsere Blicke trafen sackte sie in sich zusammen und drückte ihren Rücken tief in die Lehne. Wir sahen uns eine Weile nur an. Die Blicke streng aufeinander gerichtet, doch trotzdem sahen wir in die Ferne. Erst nach einer guten Viertelstunde bemerkte ich, wie sich meine Mutter plötzlich aufrichtete und ein wenig der Wärme zurückkehrte, die sie sonst immer ausstrahlte.



"Dana, du hast Recht, ich habe dich keineswegs wegen Will hergerufen. Gut, ich mache mir Sorgen, schreckliche Sorgen, aber das weißt du und ich glaube, ich wäre eine schlechte Mutter, würde ich dir Vorwürfe machen. Du wärst noch eher berechtigt mir die Schuld daran zu geben." Ihre Stimme zitterte und sie betonte jedes Wort übertrieben stark, "Ich weiß nicht, wie ich dir das, was ich dir sagen will, erklären soll. Mir fehlen einfach die richtigen Worte. Sonst… sonst hätte ich es dir schon früher gesagt. Ich.. ich bin immer der Meinung gewesen, dass du damit aufwachsen hättest sollen, doch… doch dein Vater…" Sie zuckte bei Dads Erwähnung zusammen, ich erkannte tiefen Schmerz in ihren Augen, die Wunde, die sein Tod zurückgelassen hatte, begann sich erneut zu öffnen, doch aus irgendeinem Grund hatte es den Anschein, als habe er viel mehr in ihrem Herzen zurückgelassen als bloß Gefühle, "Weißt du, Dana, du… du bist immer seine Lieblingstochter gewesen und ich denke, das weißt du. Aber Kind… es ... es hat einen noch besseren Grund, als… als bloß Liebe gegeben, sich…sich mehr um… um dich zu kümmern." Sie zuckte zusammen, wehrte sich dagegen, weiterzureden. Ich sah sie bedrückt an, wollte ihr helfen, wusste aber nicht wie, "Dana. ich… ich kann es dir nicht sagen. Ich… wir haben dir so viel angetan." Ich weitete die Augen, was sagte sie da?

"Mom, wovon redest du? Du und Dad haben mir niemals etwas angetan, im Gegenteil, ihr wart wundervolle Eltern. Was versuchst du mir zu sagen?" Sie versuchte zu lächeln, ich erkannte, dass sie versuchte mich mit ihrem Blick zu beruhigen, mich mehr zu beruhigen als sich selbst, und das machte mir Angst. Langsam sickerte eine Träne von ihrer Wange. Meine Muskeln verkrampften sich und ich saß nun kerzengerade im Sessel, lauschte ihre Atemzüge, die mich zu verschlingen begannen. Ich wollte zu ihr hinübergehen, doch ich konnte es nicht.

"Ich kann nur hoffen, dass dein Vater das Selbe gesagt hätte. Dana, du hast bei weitem mehr getan und erreicht als er jemals von dir erhofft hatte. Weißt du, all seine Hoffnung beruhte anfangs auf Bill. Er dachte immer, Bill würde seine Taten weiterführen, doch… doch Bill begriff nicht, von Kindesbeinen an verstand er die Motive deines Vaters nicht. Ich habe sie auch niemals verstanden, aber er sagte, dass er spürte, dass du sie verstehst. Er war als du Medizin studiertest in Wahrheit frustriert und gab es nur nicht zu. Er wollte, dass du kämpfst, dass du seinen Kampf weiterführst. Als du zum FBI gingst wusste er, dass du nun auf ihn treffen würdest, und dass dein Kampf nun seinen Anfang finden würde. Dana, er war nicht wütend auf dich, glaub mir, er war stolz, unglaublich stolz, dass er eine solch wundervolle Tochter hatte. Aber er hatte gleichzeitig auch schreckliche Angst, dich zu verlieren. Er wusste, dass sie dich jagen würden, von Beginn an, da du seine Tochter bist, da sie dachten, er hätte dir alles erzählt. Doch er hat es nie, er brachte es nicht übers Herz dir alles zu nehmen an das du glaubtest. Dein Herz schlug für die Logik, für die Wissenschaft. Das Handwerk, das du hättest betreiben sollen, hätte im Glauben gelegen, im tiefen Glauben." Sie stockte wieder und ich starrte sie nur mit offenem Mund an. Sie hatte mir in diesem Absatz mehr verrückte Dinge gesagt, als sie mir bisher in meinem gesamten Leben erzählt hatte. Ich verstand ihre Worte nicht, sie hatten für mich keinen Zusammenhang. Alles schien das genaue Gegenteil von dem zu sein, was ich bisher gedacht hatte. Ihre Worte waren so verwirrend, so anders, dass ich das Gefühl hatte irgendwo zu schweben, wo ich bisher mein ganzes Leben verpasst hatte.



Meine Mutter schien meine Ratlosigkeit zu bemerken. Sie war bleich und verschwitzt. Das, was sie gesagt hatte, hatte ihr unendlich viel Kraft gekostet, doch in diesem Moment begriff ich die Ausmaße von dem, was sie mir gesagt hatte noch nicht. Sie beugte sich plötzlich ruckartig nach vorne und fuhr fort. "Das ist noch nicht alles, was ich dir zu sagen habe, Dana. Es gibt so viele Dinge in deinem Leben, die du anders kennst, als sie in Wirklichkeit sind. Es… es geht darum, dass dein Vater dich belogen hat, mich belogen hat und mir die Wahrheit erst kurz vor seinem Tod erzählte. Er erzählte mir, dass du etwas Besonderes sein sollst. Ich habe nicht genau verstanden was er damit meinte, bis ich mich an einen Anruf erinnerte. Die Szene, die sich vor meinem inneren Auge abspielte war schon sehr lange her. Es ist an einem ruhigen Morgen passiert. Ich habe mich sehr wohl und erfrischt gefühlt, als das Telefon klingelte und mich aus meinen Träumen riss. Am Apparat war ein junger Mann, ein Mietglied der Navy, der mir berichtete, dein Vater sei spurlos verschwunden. Als ich fragte, was passiert sei, antwortete er mir nicht und redete nur um die Dinge herum. Er wich ihnen aus, und das nicht einmal elegant. Als er auflegte war ich vollkommen verzweifelt. Ich setzte mich mit jedem in Verbindung, der irgendetwas mit deinem Vater zu tun hatte. Doch es war nutzlos. Er blieb verschwunden, eine ganze Woche lang, eine schreckliche Woche lang. Als man ihn wiederfand, war er vollkommen verwirrt, und man brachte ihn zurück an Land. Zuhause schwieg er wochenlang nur. Er versuchte, so zu tun, als sei nichts geschehen. Aber ich sah, wie er sich quälte, mit diesen seltsamen Bildern, die ihn in Träumen heimsuchten und all diesen Sorgen, über die er am Tag grübelte. Er sah dich immer so seltsam an. Ging dir hinterher, wenn du draußen spielen wolltest, und es schmerzte ihn im Herzen, wenn er dich auch nur eine Sekunde lang außer Augen hatte. Ich machte mir Sorgen um ihn. Eines Abend, als du einmal wieder Unsinn gemacht hattest sprach ich ihn darauf an. Erst wich er meiner Frage aus, doch schließlich erzählte er mir langsam und zitternd eine verrückte Geschichte. Er sprach von zwei Männern in aufpolierter Navykleidung, die am Morgen als er verschwand in sein Büro traten. Sie zwangen ihn, mitzukommen und schleiften ihn gewaltvoll über Deck bis sie ihn schließlich in einen schwarzen Hubschrauber zwängten. Die anderen Leute beobachteten dies alles vollkommen beruhigt und hatten nichts unternommen. Er erzählte, man habe ihn in einen großen, weißen Raum gebracht und hätte ihn dort ausgefragt. Über seine Arbeit, sein Leben und vor allem über…." Sie stockte und sah mir tief in die Augen. Ich zitterte." Über dich, Dana. Jedes Detail, wie du dich benahmst, wie alt du jetzt warst, ob du intelligent bist, welche Schule du damals besuchtest. Er meinte, er hätte all dies nicht sagen wollen, doch er konnte sich nicht wehren, sie schienen ihn vollkommen im Griff gehabt zu haben. Am Ende des Verhörs wäre der größere der beiden Männer zu ihm gekommen. Er habe eine recht wirre Unterhaltung mit ihm geführt, an die er sich kaum noch erinnern konnte. Er habe gesagt, dass er jetzt gehen könnte. Im Weggehen habe er geflüstert, dass er auf dich aufpassen sollte, denn würde er auch nur eine falsche Bewegung machen, könne dies das Ende der Menschheit bedeuten. Er sagte, du seiest kein normales Mädchen, dass die dich jagen würden und dir nach dem Tod trachten. Auch erzählte er irgendetwas von Fähigkeiten, die er beobachten sollte. Dann habe er auf dem Absatz kehrt gemacht und das nächste an das dein Vater sich erinnern konnte, war, wie er im Krankenhaus aufwachte. Er hatte einen Zettel bei sich, mit einem Satz und einem ihm unbekannten Namen." Sie stand auf, nahm einen kleinen weißen Zettel aus einer Schublade und hielt ihn mir hin. Ich ergriff ihn mit zitternden Händen.



Bringe zu Sohn, er wird helfen, sie muss kämpfen, du musst kämpfen.

Mulder



Ich verdrehte die Augen, konnte nicht fassen, was dort geschrieben stand. Mulder? War es etwa möglich, dass mein Vater Kontakt zu William Mulder gehabt hatte, Mulders Vater?

"Dana, ich weiß, dass du den Autor dieses Zettels kennst, oder zumindest weißt wer er ist.", sagte meine Mutter mit leiser Stimme, "Dein Vater hatte noch öfter Kontakt mit ihm. Vor seinem Tod erzählte mir dein Vater, dass sie etwas geplant hatte, irgendein Programm um das Herz der Welt wieder am richtigen Fleck schlagen zu lassen, so wie er es nannte." Wieder liefen Tränen ihre Wangen hinab, "Dana, ich … ich glaube dein Vater… er… er kannte die Leute, die dir all dies antaten, er… er hat nach diesem Vorfall für sie gearbeitet. Er … er hat zu spät erkannt, was sie wirklich von ihm wollten, was sie von dir wollten. Dana, er hat es nur aus Liebe zu dir getan." Ich sah sie mit geweiteten Augen an. Mein Kopf war leer. Ich verstand nicht das Geringste von dem, was sie mir eben gesagt hatte. Ich wollte es nicht verstehen. Ich kam mir betrogen vor, von meinen Eltern, von mir… von der ganzen Welt. Ich sank in den Sessel zurück und schloss die Augen. Ich war mir sicher, dass ich träumte, ich musste träumen, oder ich war verrückt.



Ich weiß nicht, wie lange ich nachgedacht habe. Alles kam mir wie Sekunden vor, ob es nun Minuten oder gar Stunden waren. In meinem Kopf war so viel, dass ich mich selbst kaum fähig fühlte es in irgendeiner Form zu ordnen. Es schwirrte umher, drehte sich um mich, so schnell, dass ich es nicht mehr wahrnehmen konnte. Alles was ich glaubte ergab auf einmal keinen Sinn mehr, alles, dem ich vertraut hatte. Wenn mein Vater in diese Sache verwickelt war. Der Mensch, dem ich immer getraut hatte, der Mensch, mit dem ich so viel gelacht, von dem ich so viel gelernt hatte. Wie konnte er die ganze Zeit auf der anderen Seite gewesen sein? Plötzlich kam ein viel schlimmerer Gedanke in mir hoch. Wie viel hatte er ihnen von mir verraten? Und wie lange hatte er das getan? Hatte er vielleicht nach seinem Verhör noch einmal mit ihnen geredet, ihnen noch mehr verraten? Auf welcher Seite war William Mulder gewesen als er mit meinem Vater geredet hatte? War mit dem Herzen im Syndikat oder schon in seiner Idee der Revolution, des "Projekts"? Ich wusste keine dieser Fragen zu beantworten. Egal wie ich sie drehte und wendete, egal welche mögliche Antwort ich auf sie gab, sie blieben schlimm genug.



"Dana… Schatz… ist alles in Ordnung mit dir?" Ich spürte, dass meine Mutter sich über mich gebeugt hatte. Ich spürte ihren Atem und wurde ruckartig wieder in die Realität zurückgezogen. Ich öffnete die Augen. Das Licht der Lampen brannte. Ich schloss sie wieder, blinzelte, so als würde ich das erste Mal sehen können. Ja, meine Mutter sah anders aus als ich sie in Erinnerung hatte. Nicht ihr Gesicht, nein, ihre Ausstrahlung. Sie wirkte so doppeldeutig, so kalt. Ich hatte das Gefühl, gerade eine neue Margret Scully kennen zu lernen. Die Magaret Scully, die ihrer Tochter ein schreckliches Geheimnis verraten hatte, die Margret Scully, die so viele wichtige Dinge vor ihrer Tochter verheimlicht hatte und sie ihr erst präsentierte, wenn es zu spät war. Was hätte ich alles unternehmen können, hätte ich gewusst, dass ich von Anfang an eine Figur in diesem Spiel war? Dass ich das Spielbrett nicht erst mit dem Eintreten in Mulders Büro betreten hatte? Ich wurde gejagt, von einer Organisation die vielleicht nicht mehr bestand, aber die mir verdammt noch mal in voller Besetzung jahrelang nach dem Tod getrachtet hatte. Und ich hatte nichts davon gewusst. Doch das war noch nicht einmal das Schlimme daran. Die Worte meiner Mutter bestätigten die einer Frau, die an sich schon ein paranormales Phänomen war: Jaqueline Adams. Ich schüttelte den Kopf, es konnte also wirklich wahr sein? Es war wahr?



"Dana, hörst du mich?" Ihre Stimme durchbohrte mich. Ich wollte weg von hier, der Stimme meiner Mutter nicht mehr ausgesetzt sein. Ich wünschte mir meinen Vater her, Mulders Vater her, damit sie mir all diese verrückten Geschichten erklären konnten. Ja, damit mir vor allem mein Vater erklären konnte, warum er seiner Tochter so etwas antat. Mein Vater war nie der spontane Handler gewesen. Er hatte alles überprüft, bevor er sich auf etwas einließ. Er war abenteuerlustig gewesen, aber nicht leichtsinnig. Wie hatte er seine Seele nur an solch eine skurrile Organisation verkaufen können?



"Dana, bitte, es tut mir so leid. Ich weiß, es war ein Fehler es dir erst jetzt zu sagen. Ich.. ich verachte mich dafür." Ich sah sie wieder an, sah wie sie ihren Kopf sinken ließ. Sie schämte sich, und das löste ein unangenehmes Gefühl in mir aus.

"Es.. es ist schon in Ordnung, Mom. Ich…" Mir fehlten die Worte. Sie nahm meine Hand, ich sah wie Tränen ihre Wangen hinunterrannen. Ich spürte wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. "Es.. es tut mir so leid.", stammelte sie ein zweites Mal. Ich beugte mich zu ihr und umarmte sie. Ich ließ mich einfach in ihre Arme sinken und weinte. Ich weiß nicht wie ich das, was ich in diesem Moment fühlte in Worte fassen soll. Es war eine Mischung aus tiefer Verzweiflung, Sehnsucht und kalter Angst. Die Zeit tickte wieder vor meinem inneren Auge als ich mich von meiner Mutter löste und mir die Tränen aus den Augen wischte. Ich ließ meinen Blick ruhelos durch das Wohnzimmer wandern. So als würde ich es in mich aufsaugen. Ich hatte das Gefühl, dies hier vielleicht nicht sehr bald wiederzusehen. Mein Blick blieb schließlich an einem Bild von meinem Vater und mir hängen. Wir strahlten beide miteinander um die Wette, und ich konnte kaum glauben, dass dies derselbe Mann war, von dem mir meine Mutter eben erzählt hatte. Ich schüttelte mich, drehte mich wieder zu meiner Mutter und setzte zum Sprechen an:



"Mom, ich denke, ich sollte jetzt gehen."

"Bist du dir wirklich sicher?" Ich nickte langsam und entschlossen. Ich weiß nicht, was genau ich gemacht habe, aber der Blick meiner Mutter wurde ruckartig skeptisch.

"Dana, wo möchtest du hin?" Sollte ich es ihr nun sagen oder nicht? Würde sie mich aufhalten?

"Mom…ich, ich werde wohl eine Weile nicht in der Stadt sein."

"Eine Weile? Wohin wirst du gehen? Hat es etwas mit William zu tun, Dana?"

"Ja, das hat es. Ich weiß noch nicht wie lange es dauern wird und ich kann dir leider auch nicht sagen, wohin ich gehen werde, aber…aber ich werde mit William zurückkommen, ich verspreche es." Sie verdrehte die Augen. Die mütterliche Ausstrahlung war zurückgekehrt. Es schien, als habe sie mir heute Abend nichts gesagt. Das beruhigte mich und ich spürte Mut in mir, Mut der hochstieg wie Lava in einem Vulkan.

"Geht jemand mit dir?"

"Ja.", log ich und versuchte mir vorzustellen, Doggett würde mich begleiten. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Ich war dagegen, keinesfalls abgeneigt, aber ich glaubte nicht so recht daran, dass er mir auf dieser Reise wirklich behilflich sein könnte.

"Na gut, dann …dann bis irgendwann." Sie lächelte, "Möchtest du vielleicht noch einen Kaffee oder einen Tee?" Ich spürte die Bombe ticken.

„Nein danke, Mom, aber wenn ich wiederkomme, dann kannst du mir einen starken Kaffee bereithalten."

"Gut, das werde ich." Wir sahen uns noch eine Weile an, bis ich schließlich in den Flur ging, meine Mom noch kurz umarmte und das Haus verließ. Langsam ging ich auf den Mietwagen zu, meinen Blick stets auf das Haus gerichtet. Als ich wegfuhr spürte ich, dass ich nicht nur meine Mutter, sondern auch einen Teil meines Vaters dort zurückgelassen hatte.
Rezensionen