World of X

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Who I am

von Marion Kirchner, Stefan Rackow

Kapitel 9

Kapitel 9: Die Reise ins Nirgendwo



Ich war müde und lauschte nur mit halbem Ohr der Musik, die leise aus dem Autoradio kam. Ich fühlte mich immer noch ein wenig seltsam, hatte meine Gefühle und Gedanken aber soweit unter Kontrolle bringen können, dass ich sie wieder in meine Zukunft wenden konnte. Etwas halbherzig studierte ich den Artikel aus dem Lone Gunmen noch einmal und versuchte logische Schlüsse daraus zu ziehen. Die beiden Personen auf dem Titelbild schienen mir mehr als eindeutig tot. Wie konnte Jaqueline also behaupten, dass sie noch am Leben waren? Waren sie etwa wirklich auch solche unsterblichen Krieger, die nur so getan hatten als erlägen sie ihren Verletzungen? Waren sie auch über hundertdreißig? Oder war dies alles nur ein seltsamer Schachzug, um mich zu verwirren? Überhaupt hatte ich mir nie genau Gedanken über die drei „Doppelgänger“ gemacht. Ich hatte sie nie genau überprüft, vor allem Jaqueline hatte ich duzende Dinge erzählt.

Ich streckte mich in meinem Sitz, gähnte und kramte einen Apfel aus meinem Rucksack. Ich hatte fast den ganzen Tag nichts gegessen und so lief mir bei dem Anblick der saftigen Frucht das Wasser im Munde zusammen. Ich betrachtete ihn gierig, wischte ihn kurz mit dem Pullover ab und biss herzhaft hinein. Gerade als ich den süßen Geschmack auf der Zunge spürte, vernahm ich ein seltsames Geräusch, das aus den Büschen am Rande der Straße zu kommen schien. Hastig machte ich das Radio aus und lauschte in die sich langsam lichtende Dunkelheit. Nichts. Ich hatte es mir wahrscheinlich nur eingebildet. Plötzlich vernahm ich es wieder. Es war leise. Gleichmäßig summte es in meine Richtung. Es klang wie ein Motor, nein, wie, wie… ich wusste es nicht zu betiteln. Ich lauschte weiter. Wurde ich verfolgt? Ich schüttelte den Kopf. Das Geräusch klang anders, fremd und in dieser Sekunde blockierten mich meine Gedanken wieder. Verschwinde von hier Dana. Fahre in eine andere Richtung falls dich jemand verfolgt. Hier zu warten bringt nichts. Du bist allein. sagte eine Stimme, Dana bleib hier. Du musst erst sicher sein, dass du unentdeckt geblieben bist. sagte eine andere.

Das Geräusch wurde lauter und ich spürte ein unangenehmes Gefühl in meinem Magen. Ich fühlte mich beobachtet und das machte mir Angst. Ich wollte mein Ziel erreichen und der Gedanke, dass mich jetzt jemand aufhalten würde, missfiel mir fast noch mehr als alles andere, was ich in letzter Zeit herausgefunden hatte. Irgendwie tauchte in meinen Kopf Kryceks schiefes Grinsen auf und ich stellte mir vor wie er jeden Moment aus dem Gebüsch springen konnte, um mir noch solch ein seltsames Angebot zu machen. Ich richtete mich kerzengerade im Sitz auf, als ich Schritte vernahm. Sie waren leise, gedämpft und bewegten sich gleichmäßig auf meinen Wagen zu. Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und vernahm einen Schatten, dann zwei, die sich beinahe wie in einem Tanz durch das Unterholz schlichen. Ich griff instinktiv nach meiner Waffe, entsicherte sie und hielt sie dicht an meinen Körper. Lauschte wieder. Dann hörte ich das Summen wieder. Es schien sehr nahe zu sein. Ich glaubte ein Licht zu sehen. Etwas, das auf mich zukam mit einer Geschwindigkeit, die ich nicht bestimmen konnte. Die Gestalten huschten nun wild hin und her und machten mich beinahe verrückt. Ich versuchte sie zu erfassen, sie einzuordnen, doch sie waren so schnell, dass ihre Schatten mit denen der Bäume verschwammen. Plötzlich schien das Geräusch nicht mehr von außen zu kommen. Es schien in meinem Kopf zu sein. Ich schüttelte mich. Sah immer mehr Lichter um mich herum, die so tanzten wie die Schatten im Gebüsch. Ich wollte schreien, hielt mir die Ohren zu, schloss die Augen. Und plötzlich war alles wieder vollkommen normal. Keine Gestalten, keine Lichter, nur ein aufbrausender Motor und ein schwarzes Autor, das kurz darauf an mir vorbeirauschte.



Ich atmete tief aus, ließ meinen eigenen Motor an und raste die Straße entlang in die aufgehende Sonne.

Ich fuhr den ganzen Tag. Schnell und immer mit dem Gefühl einen Verfolger in meinem Nacken zu haben. Als ich das letzte Mal so geflohen bin war ich schwanger gewesen. Ich war mit Agent Reyes durch das Land gerast, um Billy Miles zu entkommen. Wenn ich an ihn dachte überkam mich abermals ein tiefer Hass. Ich hasste sein blankes kaltes Gesicht, das mich so oft angestarrt hatte. Wenn ich mich an den Teenager erinnerte, den Mulder und ich bei unserem ersten Fall kennen gelernt haben, erkannte ich keine Parallele mehr zu dem heutigen Billy. Ich fragte mich, was von seiner Seele noch übrig geblieben war, was von der Seele eines Menschen übrig bleibt wenn „sie“ ihn holen. Ich musste wieder an Will denken. Ob sie ihn jetzt zu sich geholt hatten, wo sie in mir doch bei seiner Geburt gelassen hatten? Nein, das durften sie nicht getan haben und selbst wenn sie es hatten würde ich ihn mir wiederholen! Schließlich waren sie auch nur irgendwelche Wesen und auch Krycek war ein Wesen. Ich würde meinen Sohn finden, egal wer ihn sich geholt hatte.



Ich griff das Lenkgrad fest, so als könne mich jeden Moment jemand von der Straße drängen. Immer einen Blick auf die Landkarte um mich ja nicht zu verfahren. Jede Sekunde, die ich verlor, war ein Punkt mehr auf diesem Countdown, den „sie“ abhakten, hämmerte ich mir ein, ob es nun wahr war oder nicht.



Es war schon spät, als ich in eine kleine Tankstelle abbog, da mir das Benzin ausging. Ich stieg gemütlich aus und tankte den Wagen auf, um schließlich ein paar weitere wertvolle Dollar auszugeben. Als ich den Tankstellenshop verließ, blieb ich abrupt stehen. Kannte ich diesen Wagen nicht? Hinter meinem Mietwagen stand genau derselbe Wagen, der an diesem Morgen an mir vorbeigerast war. Schnell und in geduckter Haltung rannte ich an den Autos vorbei in eine kleine Ecke und beobachtete den Wagen eindringlich. Irrte ich mich auch nicht? Genau in diesem Moment verließ ein großer schwarz gekleideter Mann den Wagen. Seine Haltung war peinlich gerade, seine Bewegungen steif. Er schritt nach vorne und beugte sich interessiert über das Beifahrerfenster meines Mietwagens und schien sich beinahe dreist darin umzusehen. Rechnete er etwa nicht damit, dass ich zurückkam?



Plötzlich fuhr ein weiterer Wagen in die Raststätte. Es war ein Ford und er erinnerte mich etwas zu sehr an die FBI-Dienstwagen, als dass es keiner sein sollte. Der Wagen kam brausend neben dem Schwarzen zum Stehen. Ob dies Absicht war oder der Fahrer nur tanken wollte, vermochte ich nicht zu sagen. Ich schritt noch ein wenig weiter in die Ecke, dies verschonte meine Kinnlade aber nicht davor, ein zweites Mal herunterzuklappen. Denn bei dem FBI-Agenten, der in diesem Moment den Ford verließ, handelte es sich um niemand Geringeren als Doggett. Und damit hatte ich also den handfesten Beweis. Ich wurde anscheinend wirklich verfolgt. Doggett schien jedoch, im Vergleich zu den anderen beiden Männern, durchaus ehrenhafte Gründe zu haben, hier anzuhalten. Er griff nach einem der Benzinschläuche und ließ ihn in den Tank seines Wagens gleiten. In diesem Moment fragte ich mich, warum er sich eigentlich so ein auffälliges Model ausgesucht hatte, schließlich wusste ich sehr wohl, welche Wagen das FBI fuhr. Allmählich wurde ich nervös, und ich fragte mich, wie lange ich noch hier stehen müsste. Ich wollte hier verschwinden, ich fühlte mich frei, zu frei, um mich sicher zu fühlen.

Endlich ging Doggett an den Zapfsäulen vorbei, um zu zahlen, als er plötzlich ruckartig stehen blieb. In diesem Moment stieg der zweite Mann aus dem Wagen aus, der sich bis jetzt nicht einmal gerührt hatte. Er war viel kleiner als sein Begleiter, schien dünn und ungepflegt, so als habe er eine lange Reise hinter sich. Er musterte Doggett genau, dieser musterte ihn und er schien sich vor Erstaunen nicht bewegen zu können. Auf einmal drehte sich der zweite Mann in meine Richtung und ich duckte mich. Für einige Sekunden stand er still da. Aber diese reichten mir um ihn zu erkennen. Es war Jack Orlden, der Verdächtige, den Doggett in die Lagerhalle verfolgt hatte. Meine Augen weiteten sich und ich trat geistesabwesend einen Schritt nach vorne. Ich verfluchte mich dafür, dass ich mich nicht hatte beherrschen können. Er sah mich. Schritt plötzlich ruckartig zurück, sagte seinem Kameraden etwas, das ich nicht verstand und sie steigen beinahe verängstigt in den Wagen und fuhren mit quietschenden Reifen davon.



Nun drehte sich auch Doggett überrascht um und entdeckte mich. Ich kam auf ihn zu, steckte meine Waffe weg und sprach ihn an:

„Haben Sie vielleicht eine Erklärung dafür was Sie hier machen, Agent Doggett?“, fragte ich ihn mit sarkastischem Ton.

„Ich…ähm… ich bin im Auftrag Skinners hier, um Sie vielleicht von einem Fehler abzuhalten.“

„Ach ja, und warum müssen Sie mich dann verfolgen? Sie hätten doch ganz normal mit mir reden können!“

„Nein, das hätte ich nicht. Nur sofern wenn sie mich ausnahmsweise einmal hätten ausreden lassen, wovon ich nicht ausgegangen bin.“ Sein Blick war besorgt.

„Ich lasse Sie nicht ausreden? Seit wann das denn?“

„So ungefähr seit wir uns kennen? Sagen Sie, wie oft haben Sie eigentlich auf mich gehört und nicht das getan, was Sie wollten? Scully, ich hätte Ihnen bezüglich unseres Falls, der nun immer mehr meiner zu sein scheint, schon sehr viel berichten können, aber Sie hatten wohl nichts Besseres zu tun, als davonzulaufen.“

„Ich bin nicht davongelaufen, sondern gegangen, um jemanden zu finden“

„Etwa Mulder? Sie wissen doch gar nicht, wo er ist.“

„Oh doch, das weiß ich. Ich hätte Ihnen nämlich auch eine Menge berichten können.“ Langsam wurde mir das zu blöd.

„Hören Sie Scully, es macht keinen Sinn, wenn wir uns streiten. Ich denke, es gibt wichtige Dinge, die ich Ihnen zu erzählen habe.“ Sein Blick war sehr ernst und ich versuchte mich zu beruhigen. Er hatte mit Sicherheit einen guten Grund, mir zu folgen. Er trat noch näher an mich heran, legte seine Hand auf meine Schulter:

„Geht es Ihnen gut, Scully? Ist das nicht zuviel für Sie?“

„Was soll zuviel für mich sein?“ Ich sah ihn schräg an.

Er atmete tief durch und sagte langsam:

„William? Ich hoffe, Sie sind sich im Klaren, dass ihr Sohn vermisst wird.“

Ich verdrehte die Augen. Was tat ich hier gerade?

„Doggett, ich suche meinen Sohn gerade. Wenn Sie nichts dagegen haben, fahre ich jetzt weiter.“ Ich setzte mich in Bewegung, doch er fing mich ab und sah mir tief in die Augen.

„Wer waren diese Männer?“, begann er erneut.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Das habe ich versuchte herauszufinden, als Sie angekommen sind“, entgegnete ich.

„Es tut mir leid, wenn ich Sie dabei gestört habe.“ Er lächelte. „Ich nehme an, diese Leute haben Sie verfolgt?“

„Ja, davon gehe ich auch aus. Sie sind mir heute Morgen schon einmal begegnet. Sie schienen es ziemlich eilig gehabt zu haben.“ Ich wollte ihm von dem Rest erstmal nicht erzählen.

Doggett sah mich schief an.

„Inwiefern eilig?“

„Ich würde es vorziehen, Ihnen das alles nicht hier zu erzählen. Doggett, wir stehen hier auf einer Tankstelle.“

„Nun, dann. Ich kann wohl nicht damit rechnen, Sie von Ihrer Reise abbringen zu können, richtig? Ich denke, es täte Ihnen gut, wenn Sie sich ein wenig Ruhe gönnen, Scully.“ Er schien mich wohl fast festhalten zu wollen.

„Doggett, es tut mir leid. Ich kann nicht nach Washington zurück. Ich würde es gerne, denn wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich bei dieser Aktion sehr unwohl, aber es… es geht nicht anders“

„Und Sie sind sich also sicher, das allein zu schaffen? Scully, ich kenne Sie schon gut genug. Ich denke, diese Geschichte könnte gefährlich werden.“

Allmählich fragte ich mich, ob nicht auch Doggett so etwas wie einen Hundeblick hatte, oder war er gerade dabei mich weich zu reden? Ich musste dies allein bestreiten. Es war meine Aufgabe. Doch in diesem Moment kamen immer mehr Zweifel in mir hoch, ob ich ihr überhaupt gewachsen war.

„Doggett, ich will mich nicht aufdrängen, aber, ich denke, es wäre gut, wenn wir uns einmal ausgiebig unterhalten könnten. Nicht hier, denn je länger wir hier stehen und reden, desto mehr Zeit verlieren wir. Wir müssen dabei vorwärts kommen und darum denke ich, dass es jetzt nötig wäre, mich wieder in den Fall einzuhaken. Oder besser gesagt, dass Sie sich in den Teil des Falles einhaken, den ich gerade bearbeite.“

„Nun gut. Skinner hat verlangt, ich soll Ihnen folgen und Sie überreden, zurückzukommen, aber da das wohl nicht möglich ist, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Ihr Angebot anzunehmen. Welchen Teil bearbeiten Sie eigentlich?“

„Einen Teil, den ich im Moment nicht unbedingt definieren kann. Es handelt sich um etwas, das sehr persönlich ist und ich denke, ich muss es selbst erst richtig verstehen, um es Ihnen genau erklären zu können.“ Ich starrte ihn etwas ratlos an, eigentlich wollte ich ihm gerne erklären, was ich die ganze Zeit über getan hatte, doch etwas in mir sagte mir, dass er noch nicht weit genug dafür war.

„Hören Sie Doggett, ich denke, wir sollten nun eine Weile alleine weiterfahren und dann irgendwo abbiegen und einen der beiden Wagen zurücklassen. Sind Sie damit einverstanden?“

Er nickte nur, irgendetwas in seinen Augen brannte, es glich Ehrgeiz, aber ich wusste es nicht genau zu definieren. War er mir wirklich nur auf Skinners Befehl hin gefolgt und warum begleitete er mich so einfach, wo er doch eigentlich keine Ahnung hatte, wohin ich wollte?

Noch ehe ich weiter über meine Worte nachdenken wollte, stand Doggett plötzlich mit einer Landkarte vor mir, seinen Zeigefinger auf eine kleine Landstraße gerichtet. Wir nickten beide fast gleichzeitig mit dem Kopf und nachdem Doggett bezahlt hatte, fuhren wir davon. Ich neige wirklich oft dazu, Doggett mit Mulder zu vergleichen, obwohl dies eigentlich recht schwer ist. Die beiden sind jedoch die Partner, zu denen ich bis jetzt die engste Bindung hatte. Nun gut, ich hatte eine Affäre mit einem früheren, aber wenn ich mir Doggett und Mulder ansehe, brauche ich das eigentlich gar nicht, um mich wohl zu fühlen. Es sind eher die stummen Worte, die mich an diesen beiden Beziehungen faszinieren. Ich denke, ich kann sehr glücklich sein, auch wenn sich die Beziehung mit Mulder kurzfristig zu etwas anderem veränderte, äußerlich, aber ich frage mich immer wieder, ob dieses „Spiel“ nun einen Sinn hatte oder nicht.



Gedankenverloren fuhr ich nun den Highway entlang und brannte vor Neugier. Ich konnte es einfach nicht unterlassen, darüber nachzudenken, was Doggett mir erzählen wollte. Ob es mich wohl weiterbringen würde, in der Ansicht auf das Ganze? Ich hoffte es zutiefst, denn ich fragte mich, ob ich das Rätsel um meine genaue Aufgabe wirklich lösen konnte, nur wenn ich Mulder an meiner Seite hatte.



Endlich erreichten wir die kleine Abfahrt, die uns zu unserem Haltepunkt führte. Er bog als erstes ab und ich folgte ihm hastig. Unsere Wagen passierten zuerst eine relativ breite Seitenstraße, bis wir schließlich in einen engen Feldweg abbogen, der nur noch durch zwei Radstreifen zu erkennen war. Doggett lenkte seine Wagen von Beginn an in die Büsche, damit man ihn später verdecken konnte. Langsam kam sein Wagen zum stehen, kurz darauf meiner. Wir warteten einige Sekunden, um sicher zu sein, dass niemand in unserer Nähe war und verließen schließlich auf ein Handzeichen die Wagen. Wortlos stiegen wir wieder in meinen roten Mietwagen und fuhren davon. Ich fühlte mich irgendwie seltsam, schließlich teilte ich jetzt meine „Mission“. Es war jedoch auch besser so, oder anders gesagt: ich fühlte mich sicherer, obwohl ich das Doggett gegenüber nie zugegeben hätte.



Wir fuhren eine Weile still durch die Landschaft. Es war bereits hell und die weiten Felder hinter uns boten ein beeindruckendes Bild. Es erinnerte mich ein wenig an ein Foto auf einer Postkarte, als wir die von Tau besprenkelten Felder passierten. Neben uns erstreckte sich ein kleiner Tannenwald, der den Feldweg, von der Seitenstraße trennte, die wir zuvor verlassen hatten. Langsam betraten wir genau diesen wieder und fuhren der Mittagssonne entgegen.



Nachdem wir wieder auf den Highway getroffen waren, begann ich die Unterhaltung, nach der ich mich schon die ganze Zeit gesehnt hatte:

„Was ist passiert, während ich unterwegs war?“ Ich entschloss mich direkt zu fragen, da ich auch eine direkte Antwort von ihm erwartete.

Er sah mich nur an, schien nach den richtigen Worten zu suchen.

„Es waren zum Teil Dinge, über die ich nicht gerne rede.“ Nach kurzem Schweigen fuhr er fort.

„Sehen Sie Scully, ich kann all die Ereignisse immer noch nicht begreifen, wenn sie verstehen, was ich meine. Es hat einen zweiten Anschlag gegeben, diesmal in der Tiefgarage. Das FBI hält alles geheim, tut so als sei niemals etwas geschehen.“ Wie immer, dachte ich.

„Wir gehen immer noch davon aus, dass es mit diesem Fall zu tun hat, wenn es denn einer ist. Ich habe mit Agent Reyes einige Ermittlungen vor Ort durchgeführt und diese Geschichte scheint verworrener zu sein, als ich erst dachte. Richard Sullivan und Harvey O´Brian wurden gefunden. In einem Waldstück in Ohio, nackt und mit einem seltsamen Mittel übersäht. Sie schienen tot zu sein, bis eine Krankenschwester berichtete, einer von den Beiden sei aus der Pathologie entflohen. Mit einer Frau, die er Jaqueline nannte. Sie habe versucht, sie aufzuhalten, doch sie behauptete, diese Frau habe sie so beeinflusst, dass sie sie habe gehen lassen müssen. Reyes und ich zweifelten erst an der Aussage, da sie recht „abenteuerlich“ klang, doch als kurz darauf auch der Andere spurlos verschwand, bekamen wir so unsere Zweifel.“ Und die waren berechtigt, ergänzte ich.

„Sie sagte, sie hieße Jaqueline. Wäre es möglich, dass es sich dabei um Jaqueline Adams handelt?“

„Scully, Jaqueline Adams existiert nicht, zumindest nicht mehr.“ Er sah mich besorgt an.

„Nun, wollen Sie mir damit etwa unterstellen, ich hätte mir diese Frau nur eingebildet?“ Ich sah ihn schräg an, versuchte ihm irgendwie klar zu machen, dass ich bereits wusste, was er mir erklären wollte.

„Nein, keineswegs. Es geht nur darum, dass diese Frau vor über 50 Jahren gestorben ist, Agent Scully. Ich halte es für möglich, dass sie Sie betrogen hat.“

„Und warum sollte sie das tun?“

„Um Ihre Aufmerksamkeit zu erlangen? Hätten Sie ihr etwa zugehört, wenn sie nicht solche verrückten Geschichten erzählt hätte?“ Sein Blick war herausfordernd, kleine Falten bildeten sich auf seiner Stirn.

„Natürlich, Doggett, warum sollte ich ihr nicht zuhören? Ich meine, nun gut, sie ist in fortgeschrittenem Alter, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie unzurechnungsfähig ist. Wenn ich ehrlich bin, Doggett, weiß ich schon seit einer ganzen Weile, dass die Jaqueline Adams, mit der ich geredet habe, schon seit langem tot sein müsste. Ich habe aber Akten über sie gesehen, Akten, die aus den vierziger Jahren stammten. Damals soll sie 27 gewesen sein.“ Ich erinnerte mich wage daran, dass ich in Erwägung gezogen hatte, dass O´Brian und Sullivan diese Akten nur gefälscht hatten, damit sie mir glaubhaft erschienen, so langsam jedoch, fehlte mir der Glauben daran, dass ich wirklich mit einer 137-jährigen Frau geredet hatte.

„Akten? Sie reden von denen, die Harvey O´Brian und Harrold Sullivan in ihrer Wohnung lagerten?“

„Exakt. Haben Sie sie gefunden, Doggett?“ Ich musterte ihn gespannt und fühlte mich unwohl bei dem Gedanken, dass ich diesen Fall so unbeachtet neben mir herlaufen lassen hatte.

„Ja, ich habe mir, kurz nachdem ich Sie nicht mehr erreichen konnte, einen Durchsuchungsbefehl beschafft, da ich das ungute Gefühl hatte, dass Ihr plötzliches Verschwinden mit diesem Fall zu tun hatte. Erst später erfuhr ich von dem Verschwinden Ihres Sohnes und beschloss Ihnen Zeit zu lassen. Aus diesem Grund holte ich mir Agent Reyes als Unterstützung.“ Ich nickte.

„Wir haben in der Wohnung, bis auf des besagte Buch, das sie im Zusammenhang mit irgendeinem Countdown erwähnten und den Akten, nichts Besonderes gefunden. Es war sehr spartanisch eingerichtet, nur das Wohnzimmer war komischer Weise mit antiken Möbeln ausgestattet. Was Sullivan und O´Brian betrifft, so fanden wir die Information über ihren Tod durch einen anonymen Anruf. Von wem er ausging ist bis jetzt unbekannt, da er aus einer Telefonzelle mitten in Washington getätigt wurde.“

„Haben Sie auch etwas von Ihrem Verschwinden in Erfahrung bringen können?“ Ich sah ihn hoffnungsvoll an. In diesem Moment wurde mir klar wie egoistisch und blind ich doch gewesen war. Ich folgte einer alten Dame, während mein Partner in einen brisanten Fall verwickelt war und vor kurzem noch auf mysteriöse Weise erst verschwunden und dann wieder aufgetaucht war.

„Nur, dass Jack Orlden offiziell immer noch im Hochsicherheitstrakt sitzt, dort wo er hingehört. Er beteuert nicht einem eine einzige Sekunde außerhalb des Gefängnissen gewesen zu sein. Vermutlich verschwand er eben, weil er mich erkannt hat.“ Er sah mich an und die Geschichte schien ihn zu amüsieren, ich fragte mich bloß warum?

„Es… es tut mir Leid, Doggett.“, sagte ich nach kurzem Schweigen und versuchte damit mein Gewissen zu beruhigen.

„Wofür entschuldigen Sie sich?“

„Dafür, dass ich Sie im Stich gelassen habe. Es tut mir leid.“

„Es…es ist in Ordnung Scully. Sie waren verwirrt.“

Ich lächelte, als ich erkannte, dass er mir vergab, obgleich ich nicht erkannte, warum. Ich begann zu grinsen, als ich das, was ich vor nicht allzu langer Zeit erlebt hatte und vielleicht noch erlebte, als Selbstfindungskrise betitelte. Vielleicht war es ja der Beginn einer Midlifecrisis, nur einer etwas seltsamen, nicht dass etwas in meinem Leben nicht seltsam gewesen wäre, seit ich begonnen hatte an den X-Akten zu arbeiten.

„Glauben Sie, Sie stehen das durch, Scully? Wäre es nicht vielleicht doch besser, die Suche nach William jemand anderem zu überlassen?“

„Beginnen Sie bitte nicht wieder damit, Doggett. Ich weiß, was ich mir zutraue, und was nicht, ok?“ Ich hob langsam die Stimme und versuchte sanft zu klingen, obgleich es mich aufregte, dass er schon wieder versuchte mich zum Umkehren zu überreden.

Er nickte nur abwesend und schien mit meiner Antwort wohl nicht zufrieden zu sein.

„Hey, Doggett, ist alles in Ordnung mit Ihnen, das war nicht böse gemeint, ich… ich bin nur durcheinander.“ Ich sah ihn an, wie er dort saß, seine Augen auf die Straße gerichtet. Es gefiel ihm nicht, dass ich diese Reise ins Unbekannte angetreten hatte.

„Doggett, warten Sie kurz, ich möchte Ihnen etwas zeigen.“ Ich beugte mich nach unten und holte die Karten hinaus, die die Lone Gunmen mir gegeben hatten, bevor ich weggefahren war. Sie zeigten den genauen Aufenthaltsort Mulders, das hoffte ich zumindest. Ich ergriff ebenfalls den Zeitungsartikel der Lone Gunmen und betete, dass er mit mehr as bloß einem Grinsen darauf reagieren würde.

„Das hier sind ein Zeitungsartikel über das Auffinden von O´Brian und Sullivan, und das ist die Aufzeichnung von Mulders Aufenthaltsort.

„Hmm… und warum zeigen Sie mir das?“

„Ich dachte nur, Sie sollten wissen, dass ich nicht planlos durch Amerika fahre. Außerdem hatte ich vor mir ein paar Akten…“ Ich hielt mitten im Satz inne. Irgendetwas war komisch, ich fühlte mich komisch. Langsam, wie in Zeitlupe, ließ ich die Blätter zurück auf den Boden sinken und starrte wie hypnotisiert auf die Autobahn. Sie schien mir dunkel, die Umgebung schien mir dunkel, obwohl die Sonne auf das Dach des Wagens knallte. Ich atmete tief durch, als mich ein eiskalter Schauer durchfuhr.

„Was wollten Sie, Scully?“ Ich hörte im Hintergrund Doggetts Stimme reden, leise, sanft, doch er schien nicht in meiner Nähe zu sein. Ich sah ihn neben mir auf dem Fahrersitz, es schien mir jedoch, als sei er Kilometer von mir entfernt. Ich atmete wieder tief ein und dann wieder aus, ein und aus, ein und aus, ganz ruhig Dana, du bildest dir das nur ein. Du bist müde, lehn dich zurück und schließe die Augen, sagte ich zu mir selbst. Ich hörte auf meine Stimme, ließ mich langsam in die Lehne meines Sitzes gleiten und schloss die Augen.



Ich schrie auf, wollte aufschreien, doch es ging nicht. Es war nicht dieses angenehme Schwarz, das ich sah, wenn ich gewöhnlich die Augen schloss. Nein, ich war nicht mehr im Auto. Ich war in einem kahlen weißen Raum. Männer waren um mich herum. Sie stellten Fragen. Redeten schnell, so schnell, dass ich sie kaum verstehen konnte:

„Was machen Sie hier?“

„Wo ist er?“

„Haben Sie ihn dabei?“, fragte ein kleiner Mann, dessen Gesicht verhüllt war.

„Er ist in ihr“, sagte ein anderer, der hinten in einer Ecke stand.

„Holt ihn“, befahl eine tiefe Stimme, die ich irgendwoher kannte.

Ich hörte ein Rauschen. Ich hörte andere Stimmen, die wild hin und her redeten. Mir war kalt, es wurde immer kälter, immer kälter. Plötzlich verließen sie den Raum, ohne durch eine Tür zu gehen. Sie waren verschwunden. Mein Atem rasselte, mein Herz raste. Ich zitterte am ganzen Körper, wollte, dass sie mich freiließen.

„Lasst mich gehen, bitte“, schrie ich, klammerte mich an die Lehne meines Sessels. Ich versuchte ruhig zu bleiben und begann, ein und aus zu atmen, ein und aus, ein und aus, ein und aus, ich spürte, wie immer weniger Luft in meine Lungen kam. Wie die Angst trotzdem noch in mir hochstieg. Etwas kam auf mich zu, ich fühlte es. Es war groß, schlank, ein Mensch. Ein Mann, er hielt eine Spritze in der Hand, deren Nadel in dem grellen Licht funkelte. Er trat nah an mich heran, begutachtete mich, als sei ich ein Ausstellungsstück von enormem Wert. Langsam ließ er seinen Arm sinken, die Nadel blitzte nun in meinen Augen, ihr stählernes Grau ließ mich erneut erzittern. Ich wollte etwas sagen, doch meine Kehle war zugeschnürt.

„Gehe in dich Dana, gehe in dich“, sagte eine kratzige Stimme, die sich direkt neben meinem Ohr befand. Die Nadel senkte sich weiter, war kurz über meiner Haut. Schauer durchfuhren mich, als sie sie durchstach. Ich konnte nicht regieren, schrie auf, als ich die brennende Flüssigkeit in meinen Adern spürte.

„Gehe in dich Dana, gehe in dich.“

„NEIN!!!“



Ich schreckte auf. Saß kerzengerade im Beifahrersitz, als ich meine Augen ruckartig öffnete. Doggett war über mich gebeugt, seine Hände an meinem Schultern. Ich sah ihm kurz in die Augen, blickte mich dann um. Er hatte den Wagen an den Straßenrand gefahren und sah mich erleichtert an.

„Was… was ist passiert?“, fragte ich immer noch zitternd.

„Ich weiß es nicht. Sie wollten mir irgendetwas sagen, starrten mich dann aber nur noch entsetzt an und lehnte sich schließlich zurück. Sie müssen eingeschlafen sein, als sie plötzlich zu zittern begannen und jegliche Farbe aus ihrem Gesicht verschwand. Sie haben geschrieen Scully. Ich dachte, sie hätten eine Anfall.“ Er sah mich immer noch an.

„Ich hatte einen Alptraum, Doggett.“, sagte ich nicht sehr überzeugend und versuchte mich verzweifelt an das zu erinnern, was ich eben gesehen hatte.

„Scully, das eben glich, es gleich beinahe einem epileptischen Anfall.“ Seine blauen Augen wurden dunkel, besorgt sahen sie in meine, vermutlich wollte er, dass ich ihm irgendetwas gestand.

„Doggett, ich…ich…ich….“



„Agent Scully, was ist los? Was wollen Sie mir sagen?“



Es war schwer für mich, die richtigen Worte zu finden. Zu verworren waren die Umstände, zu undurchsichtig die Geschehnisse, als dass man sie klar benennen konnte. Ich nahm all meinen Mut zusammen, blickte meinem Partner tief in die Augen (sie zeigten tiefstes Mitgefühl) und begann zu erzählen:

„Ich höre Stimmen, Agent Doggett. Stimmen, die von niemandem ausgehen und die ich nicht zuordnen kann. Ich sehe Bilder in meinem Kopf umherkreisen wie ein Schwarm Bienen. Sie kommen und gehen wie Ebbe und Flut, ich kann sie nicht kontrollieren. Sie machen mir Angst. Sie sind wie Visionen, wie Bruchstücke eines wirren Traums, den ich mich nicht erinnern kann, jemals geträumt zu haben. Nein, nein, warten Sie: Es ist in etwa so, als sähe ich die Vergangenheit - Dinge die längst passiert sind. Aber ich kann damit keine Gefühle in Verbindung bringen, ich sehe mich leiden, habe schreckliche Schmerzen. Doch ich habe keine Angst vor dem Ereignis, sondern nur vor der Tatsache, so etwas zu sehen. Irgendwie kommt es mir vor, als hätte ich mein Gedächtnis verloren! Als ob mir irgendjemand einen Familienfilm zeigt und so versucht, meine Erinnerung wieder herzustellen.“



Es war raus. Endlich. Nun wusste einer meiner am engsten Vertrauten, was ich durchmachte. Ich schloss die Augen. In einem gewissen Sinne fühlte ich mich erleichtert und sogar geborgen. Doggetts Atem ging ruhig; mir schien es so, als suchte er nach beruhigenden Worten. Doch eine ganze Weile sagte er nichts. Ich öffnete wieder die Augen.

„Agent Doggett?“, fragte ich.

Doch er blickte nur nachdenklich aus dem Seitenfenster, die eine Hand am Lenkrad, die andere unter sein Kinn gestützt. Ich hätte zu gerne gewusst, was er in diesem Moment für Gedanken hegte. Machte er sich Sorgen?

Plötzlich drehte er seinen Kopf zu mir.

„Sie sollten nicht hier sein, Agent Scully. Wir sollten beide nicht hier sein.“ Er war besorgt...

„Das sagten Sie bereits“, entgegnete ich kühl und bereute meine Reaktion im selben Moment. Er sollte nun mal auf mich aufpassen. Warum wollte ich das nicht wahrhaben? Er holte tief Luft.

„Sie nimmt das zu sehr mit, Scully. Die Sache mit Mulder, die Entführung Ihres Sohnes – merken Sie denn gar nicht, wie sehr Sie leiden? Wäre ich vernünftig, müsste ich Sie auf dem schnellsten Wege nach Hause fahren, da Sie möglicherweise Gefahr laufen, schlimme Folgen davon zu tragen.“

„Ich weiß, wie weit ich gehen kann. Wie weit ich gehen muss. Und dazu brauche ich Ihre Hilfe, John.“ Ich hatte ihn nicht oft John genannt.

„Also gut.“



John startete den Motor und fuhr wieder auf die Straße auf. Ich sagte während der Weiterfahrt so gut wie nichts, sondern machte mir Gedanken darüber, wie ich wohl reagieren würde, wenn ich Mulder wieder Auge in Auge gegenüberstünde.



Ich bin am Ende des Weges und jetzt hier, um die Wahrheit zu erfahren.



******



Nach einer Stunde gelangten wir an den Punkt, den die Karte mit einem großen X gekennzeichnet hatte. Doggett bremste ab und lenkte den Wagen vorsichtig an den Straßenrand.

„So“, sagte er und öffnete seine Fahrertür. „Da wären wir.“ Er legte seine beiden Arme verschränkt auf das Autodach und blickte in die Ferne. Ich stieg ebenfalls aus und ließ meinen Blick über die Umgebung wandern. Ich war entsetzt.

„Das kann nicht sein, Agent Doggett! Wir müssen uns verfahren haben. Hier ist doch nichts als...“

„Steppe?“

Steppe! So weit das Auge reichte. Nur wenige Bäume waren mit bloßem Auge zu erkennen. Ansonsten nichts: kein Haus, keine Hütte, nichts. Hatten die Lone Gunmen nicht von einem Ort geredet? Einer Kleinstadt? Verzweifelt hockte ich mich an den Straßenrand und fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. Doggett kam langsam zu mir. Er blieb dicht neben mir stehen, schulterte seinen Mantel und blickte weiter in die Ferne. In meinem tiefsten Inneren erwartete ich eine Aussage wie „Das hätte ich Ihnen gleich sagen können.“ von ihm, doch er verharrte still. Wir beide schwiegen. Ich blickte zu den wenigen Bäumen.

Plötzlich sprang ich auf. Ich hatte ein seltsames Gefühl in der Magengegend.

„Agent Doggett? Was meinen Sie, ist der Wagen geländetauglich?“

Er sah mich verwundert an.

„Keine Ahnung, Agent Scully – ich hatte bisher noch nicht das Vergnügen.“

„Dann werden wir es gleich wissen. Steigen Sie ein. Ich fahre.“

„Sie fahren? Wohin denn?“

Ich stieg ein, startete den Motor und öffnete die Beifahrertür. „Der Wahrheit ein Stück näher. Und nun kommen Sie schon!“



Endlich saßen wir beide im Auto, und ich lenkte den Wagen nach rechts von der Straße hinunter. Es holperte gewaltig. Ich gab mehr Gas. Doggett war alles andere als begeistert. Entsetzt saß er auf dem Beifahrersitz und blickte mich mit seinen blauen Augen an.

„Agent Scully, was machen Sie da?! Sie haben soeben die Straße verlassen!“

„Das haben Sie richtig erkannt, Doggett.“

Holpern.

„Sie durchqueren gerade mit einem FBI-Wagen eine aus Steinen und Sand bestehende Landschaft! Ohne jegliches Motiv! “

Ich musste innerlich schmunzeln. Mir kam es nämlich so vor, als ob Doggett in diesem Moment in mir keinen Geringeren als Mulder sah.

„Sie irren, Agent Doggett. Wir sind hier zwar in der Mitte von Nirgendwo, irgendwo in Amerika, aber bei weitem nicht allein. Jemand ist noch außer uns hier.“

„Noch jemand? Und wo? Hier unten sind doch nur Bäume! Keine Hütte, wo man sich verstecken könnte. Absolut nichts!“

Ich dachte nach.

„Wer hat denn gesagt, dass wir unbedingt nach einer Hütte suchen? Es gibt noch andere Möglichkeiten, unterzutauchen.“

Doggett schwieg.

Ich entschied mich dazu, ihn erst mal in Ruhe zu lassen und konzentrierte mich stattdessen lieber auf die „Straße“.



Nach einer Weile erreichten wir eine Stelle, wo einige wenige, dafür aber gewaltig große Bäume standen, die zudem noch erholsamen Schatten boten. Der Boden schien hier außerdem noch relativ fruchtbar zu sein, denn es waren verschiedene Gras- und Pflanzensorten zu erkennen.

Ich ließ den Wagen vorsichtig ausrollen und stieg nach Ausschalten des Motors aus. Doggett folgte meinem Beispiel. Innerlich schien er zu kochen. Während ich kurz die gesamte nähere Umgebung überblickte, blieb er bei dem Wagen stehen und blickte starr in den Himmel.

„Agent Scully, würden Sie mir bitte erklären, was wir hier machen?“ Er senkte seinen Blick. „Ich kann nämlich beim besten Willen keinen Grund erkennen, warum wir jetzt hier mitten in der Pampa stehen.“

„Die Sonne hat mir einen Tipp gegeben“, entgegnete ich.

„Die Sonne...“

„Um nicht lange drum herum zu reden: ich meine, hier eine Reflektion gesehen zu haben. Eine Blendung – hervorgerufen durch einen hellen Gegenstand, der mit dem Sonnenlicht in Berührung kam.“ Ich blickte in nicht verstehen wollende Augen.

„Eine Blendung also. Aber das kann viele Gründe haben, Agent Scully. Ich ... ich kann es ja verstehen, dass Sie ihn wiedersehen wollen, aber die Karte scheint falsch zu sein. Vielleicht spielt hier jemand mit Ihnen ein böses Spiel, da er weiß, dass Sie im Moment jeder noch so kleinen Fährte folgen würden.“



>Sie sind nur eine Figur im Spiel des Lebens.<



„Agent Doggett, ich bin schon seit meiner Geburt eine Figur in einem weit größeren Spiel. Sie übrigens auch. Wir alle!“ Mein Blick traf seinen. „Verstehen Sie?“ Schweigen. „Sie verstehen es nicht ...“

„Sie machen es mir aber auch nicht gerade leicht, es zu verstehen. Das hier zu verstehen.“ Er machte eine Pause. „Alles zu verstehen...“



„Ich habe Morsezeichen gesehen, Doggett.“



******



Ich lasse mich leiten. Wir lassen uns alle leiten. Die einen folgen Anweisungen, die ihnen von höher gestellten Personen gegeben werden. Man kann dies passives Leiten nennen, denn man selber tut im Grunde reichlich wenig, um auf den rechten Weg zu kommen.

Die anderen hingegen folgen ihrem eigenen Kopf, denken eigenständig, machen sich selbst Gedanken und kommen im Endeffekt auch auf den rechten Weg. Wo gehöre ich hin? Folge ich meinen eigenen Vorstellungen? Oder lasse ich mich durch etwas ganz anderes leiten? Bin ich vielleicht nur leichtgläubig? Man kann sich auch verleiten lassen...



******



„Morsezeichen? Hier? Von wem denn?“ Doggett kam langsam zu mir und blieb dicht vor mir stehen. Er sah fertig aus.

„Einmal lang, zweimal kurz, einmal lang.“, sagte ich. „Mehrmals hintereinander. Und das Signal kam von hier, Doggett.“ Er wirkte verwirrt.

„Einmal lang, zweimal ... – das heißt „X“. Was sollte das bedeuten?“

„Nun ja...“, erwiderte ich und warf einen Blick auf die Karte. „ Damit hätten wir letztlich doch die Markierung auf der Karte gefunden, oder?“

„Und wer soll uns da angemorst haben? Hier ist doch niemand!“ Er wurde leiser. „Ich glaube, Sie suchen zu verkrampft nach Zeichen, Hinweisen, Beweisen. Ruhen Sie sich erst mal aus, Scully. Es ist verdammt heiß in der Sonne. Wir sollten uns beide kurz ausruh...“ Er stockte. „Gehen Sie in Deckung, Agent Scully! Schnell!!“



Mit einer schnellen Bewegung zog er seine Waffe aus dem Halfter und richtete sie ruckartig auf ein Gebüsch, das sich gut drei Meter von uns entfernt befand. Etwas war dort, es raschelte. Erst einmal kurz, leise, so als würde der jenige, der sich hinter ihm verbarg erst herausfinden wollen, wer ihn entdeckt hatte. Ich fixierte meinen Blick voll auf den Strauch, atmete schwer… hatte uns jemand gefunden? Und wenn ja, war Jaquelines Zettel nur eine Falle gewesen, hatte man uns hierher gelockt?

Plötzlich erhob sich etwas aus dem Gebüsch, es war groß, hatte die Umrisse eines Menschen. Ich atmete tief durch, nur ein Mensch… Auf einmal bahnte sich ein Gefühl der Aufregung in mir hoch. Ich erwartete etwas und ich wusste genau worum es sich handelte. War er etwa doch hier? Er musste hier sein, er musste uns gemorst haben. Aber woher bitte wusste er, dass der Computer der Lone Gunmen den Standort mit einem X markiert hatte?

Die Gestalt kam auf uns zu, sehr langsam, so als überlegte sie, was sie als nächstes tun sollte. Es war eindeutig ein Mann, groß, schlank, die Haare länger, durcheinander fielen ihm Dutzende Strähnen ins Gesicht. Endlich fiel das Licht auf ihn und ich hätte am liebsten aufgeschrieen. Ich stand dort, starrte ihn an, als sähe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Menschen, während Doggett langsam sie Waffe sinken ließ.

„Scully…?“, sagte Mulder verwirrt und sah mich eingehend an. Ich spürte, wie ein kalter Schauer meinen Rücken hinablief. Ich hatte ihn gefunden, wir hatten ihn gefunden. Ich wollte auf ihn zugehen, als er plötzlich zu weiterredete. „Was machen du hier? Wie hast du mich gefunden?“ Er redete schnell, fast so als sei er in Panik.

„Wir haben deine Morsezeichen gesehen, Mulder, du warst das doch, oder?“, fragte ich vorsichtig, ein irritierter Blick kam mir entgegen.

„Ich habe nicht gemorst“, war die Antwort, die ich erhielt. Ich sah zu Doggett, dessen Blick etwas nach ich-wusste-es-doch aussah. Ich hasste diesen Blick und ich mochte mir nicht vorstellen, wie oft Mulder in von meiner Seite schon erleiden hatte müssen. Langsam fuhr ich herum und erkannte ein kleines Blinken, das von einer Baumkrone ausging. Ich trat heran und musste mit Schrecken feststellen, dass sich ein Stück Aluminiumfolie in den Ästen verfangen hatte und dort vom Wind getragen, hin und her flatterte.

Ich stand mit offenem Mund da, das konnte nicht wahr sein! Ich hatte ganz deutlich das X erkannt, oder war dies wieder eine Fügung des Schicksals? Eines dieser Zeichen, die einem den rechten Weg weisen?

„Mulder, jetzt würde ich dir aber selbst gerne eine Frage stellen: Wenn du nicht gemorst hast, dann wusstest du also auch nicht, dass wir hier eintreffen würden. Was bitte machst du hier mitten im Nichts?“ Irgendwie wurde diese ganze Angelegenheit wieder unlogisch.

„Nachdenken.“, sagte er leise und sah auf Doggett, der etwas unbeteiligt daneben stand. Ich merkte, dass ich mir unser Wiedersehen anders vorgestellt hatte. Ich hatte mit ihm allein sein wollen, ich wollte ihm so vieles sagen, doch ich war zu durcheinander um an die Vergangenheit zu denken, ich konzentrierte mich lieber auf das jetzt und auf seine Fragen.





***********





Ich erinnere mich kaum an das, was nach unserem Wiedersehen mit Mulder geschah, kurz danach. Ich sehe vor meinem inneren Auge heute nur noch einen Strudel der Gefühle, in den ich gerissen wurde, als wir uns, ohne recht zu wissen, was als nächstes geschehen sollte, auf den Boden sinken ließen. Wir lehnten uns einfach an, starrten ohne zu wissen wohin in die Ferne. Doggett war zum Wagen zurückgegangen, offenbar hatte er vor Skinner zu kontaktieren und ihm zu erklären, was sich während unserer Reise ereignet hatte. Im Grunde genommen war ich froh, dass er uns allein gelassen hatte. Ich wollte allein sein, allein sein mit Mulder, um ihn anzusehen, festzustellen, inwiefern er sich von dem Mann unterschied, der mich und William vor ein paar Monaten zurückgelassen hatte. Ich wollte wissen, ob es der gleiche Mulder war, der gleiche Mann, der nur mit der Absicht sein Kind und mich zu beschützen fort gegangen war. Das Licht der Sonne wurde allmählich schwächer und ging in feines orange über, das die Blätter der Bäume schimmern ließ.

Langsam drehte ich mich zu ihm um und betrachtete sein Profil. Es waren immer noch die gleichen Gesichtszüge, die ihn umspielten. Seine Augen glitten durch das nichts, er schien verträumt, in Gedanken vertieft. Er sah niedlich aus auf eine Weise, die mich zum Lächeln brachte. Seine Haare wehten ausgelassen im Wind. Irgendwie gefielen sie mir so lang, es machte ihn irgendwie jünger, er sah aus wie ein Schuljunge. Das Einzige, was mir an seinem Bild Sogen machte, waren seine dicken Augenringe. Er schien seit Tagen nicht mehr geschlafen zu haben.

„Scully…“ Ich zuckte erschrocken zusammen. Mulder hatte sich umgedreht und sah mich besorgt mit seinen grünen Augen an. Er versuchte zu lächeln, doch als er mir direkt in die Augen sah, sackten seine Mundwinkel nach unten. Wir starrten uns eine Weile nur an, schenkten uns Blicke, die ich sehr vermisst hatte, ich hatte IHN vermisst. Er sorgte sich um mich, das war unverkennbar. Irgendetwas in seinem Blick verriet mir, dass er etwas von mir wissen wollte, dass er glaubte, dass ich ihm etwas verbarg und Gott!, er hatte mehr als recht.



Ohne, dass ich es erwartet hätte, sprach er plötzlich weiter:

„Ich weiß…vielleicht…vielleicht sollte ich es nicht wissen, Scully aber…es ist etwas passiert, oder? Du bist nicht nur hier, um mich zu suchen…deine Augen sind, sind anders…ängstlich. Ich kenne dich, du hast selten Angst, selten Panik und was ich sehe, ist tiefe Sorge, die mit beidem verbunden ist. Ich denke…“ Er beendete diesen Satz nicht, ließ die Worte in der Luft hängen. Langsam ließ er seine Hand auf die meine gleiten, barg sie darin und strich sanft darüber. Sein Blick wirkte weich, liebevoll und ich atmete langsam aus. Es war wieder da, dieses Gefühl, dieses Gefühl, dass etwas uns verband, das uns niemals loslassen würde, etwas, das mich ihm mehr vertrauen ließ, als jedem anderen Menschen, den ich kannte. Ich spürte, wie Tränen sich in meinen Augen sammelten, als ich mich langsam in seine Arme gleiten ließ. Ich weinte, leise und befreiend und klammerte mich an ihn. Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Stellung verharrten. Heute kommen nur noch die Gedanken in mir hoch, die Ängste, die ich aus mir herausgeholt hatte. Ich sehe nur noch das Gesicht von Will, wie er grinst und meinen Zeigefinger umgreift. Ich sehe nur noch meine tief wuchernde Angst, die sich in mich bohrte wie ein Dolch. Die Angst, ihn niemals wieder zu sehen, die Angst, dass etwas passierte, das Verderben brachte. Ich spürte, dass etwas geschah, ich spürte, dass ich trieb auf einem Meer des Ungewissen und dass Mulder die Insel war, die ich nach langem verzweifelten Suchen endlich gefunden hatte.

Meine Erinnerung setzt in dem Moment wieder ein, in dem ich seine Hand spürte, wie sie mir sanft eine Strähne aus dem Gesicht strich. Er lächelte, als ich meinen Kopf hob und ihm in die Augen sah. Ich liebte diesen Blick, diesen Blick, der mich trösten konnte egal, was auch immer passierte. Ich erwiderte sein Lächeln und unsere Hände verhackten sich erneut ineinander. Langsam, aber für mich zu diesem Zeitpunkt von der größten Schnelligkeit, die ich aufbringen konnte, öffnete ich meinen Mund und suchte nach Worten. Ich musste es ihm sagen.

„Es…du irrst dich nicht, Mulder, es…es gibt etwas…, das…das ich dir sagen muss. Es ist etwas geschehen und aus diesem Grund habe ich dich aufgesucht. Ich begreife nicht, was es ist, ich verstehe heute noch nicht wie…wieso es…“ Ich zitterte, meine Worte waren so undeutlich, dass es mir nicht mehr gelang weitere hervorzubringen. Erst jetzt bemerkte ich, dass Mulders Hände die meinen verlassen hatten, sie ruhten nun auf meinen Schultern. Zärtlich strich er meinen Rücken entlang.

„Scully, wenn du nicht darüber reden kannst, dann musst du es nicht. Ich…ich sehe, wie dich etwas quält, etwas, das du herauslassen musst, aber…es hat Zeit, wenn es nicht geht, dann kann ich warten. Ich höre dir zu, wann immer du möchtest.“

Für einige Sekunden spielte ich damit sein Angebot anzunehmen, doch dann kam der Gedanke in mir auf, was in dieser Zeit passieren könnte, ich erschrak dabei. Wie viel Zeit blieb um ihn zu finden? Tage. Wochen? Ein Schauer durchfuhr mich und ich schüttelte hastig den Kopf. Wir hatten keine Zeit, keine Zeit um diesen Ort zu verlassen, Tage an einem anderen zu verbringen, Tage um zu ruhen. Mein Schütteln wurde heftiger, bis ich Mulders Handflächen an meinen Wangen spürte. Er hielt meinen Kopf fest, zwang mich dazu ihm in die Augen zu sehen.

„Es ist besser, wenn du redest, oder?“, fragte er leise, es war eher ein Hauchen. Ich nickte langsam.

„Mulder, ich weiß nicht, wie ich dich darauf vorbereiten sollte und ich weiß auch nicht, ob ich es kann, aber…ich…ich habe alles versucht, um ihn zu finden, alles Mulder, alles und…und ich kann es nicht. Mulder ich brauche dich, Will ist…Will ist…ist…“

„Sie haben ihn, habe ich nicht recht?“ Seine Stimme war ungewohnt kalt, ich merkte, dass er versuchte seinen Schmerz zu unterdrücken. Ich sah ihn hilflos an, legte meine Hände auf seine und drückte sie.

„Und es wurde keine Nachricht hinterlassen? Keine Drohung?“ Ich schüttelte langsam den Kopf, die Tränen sammelten sich wieder.

„Diese verdammten…“ Er atmete tief durch, „Warum, Scully?“

„Ich weiß es nicht, Mulder, ich habe…habe keine Ahnung, ich dachte,…er…er wäre nur…nur…ich…er ist verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt, wir haben keinen Hinweis, keine Zeugen, nichts. Er war bei meiner Mutter zu Hause, sie war da, die ganze Zeit und…und als…als ich ihn abholen wollte, da…da war er nicht mehr in seinem Zimmer, weg einfach weg,…ich…“ Er legte mir die Finger auf die Lippen.

„Shh…“, entwich es ihm, während er mich zurückzuhalten versuchte, erneut zu weinen.

„Es ist okay, Scully, wir werden ihn finden. Ganz ruhig, in Ordnung?“ Er strich meinen Hals entlang, hielt unter meinem Kinn inne und zog mich an sich heran. Langsam näherte er sich mir und küsste meine Stirn, meinen Haaransatz und drückte mich schließlich an sich.

„Mulder, es gibt noch…noch soviel, das ich dir sagen muss…es ist viel passiert…es ist…“

„Shh…das hat bis morgen Zeit“, unterbrach er mich und ich sah, dass sich der Himmel vollkommen verdunkelt hatte.



*********



Ich erwachte, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand. Hitze brannte auf meiner Haut. Ich rieb mir die Augen und blickte mich verwirrt um. In meiner Nähe war niemand. Ich lag auf einer Matratze, die neben zwei anderen, mitten auf der Vorterrasse eines kleinen Holzhauses lag. Als Decke wickelte sich ein Lacken um meine Beine, eine Wolldecke diente als Kissen. Ich spürte wie Schweiß meine Stirn hinabtropfte. Ich wischte ihn hastig mit dem Handrücken ab und strampelte mich von dem Lacken frei. Ich trug noch die Sachen vom Vortag. Ich schwang mich in die Höhe, schlüpfte in meine Schuhe, die neben der Matratze lagen und ging von der Terrasse. Genau in diesem Moment vernahm ich Stimmen, ich erkannte sofort, dass sie von Mulder und Doggett waren, die hinter dem Haus eine hitzige Diskussion führten. Ich beschleunigte meine Schritte, genau in dem Moment, als ich nah genug bei ihnen war, um sie zu verstehen, entdeckten sie mich und schwiegen augenblicklich. Ich kam auf beide zu und sah sie verwirrt an.



„Wir haben uns nur über den weiteren Verlauf dieses Falles unterhalten“, reagierte Doggett sofort und sah mich besänftigend an.

„Wir haben uns entschieden, dass es besser wäre, nach D.C. zurückzukehren. Skinner informierte mich gestern darüber, dass die Presse Wind von der verschwundenen FBI-Truppe bekommen hat und bereits Sensationsberichte verfasst. Eigentlich wollte ich es Ihnen sofort sagen, doch…“ Er sah zu Mulder und schnell wieder zu mir, und ich musste innerlich grinsen.

„Außerdem hat Agent Reyes einige wichtige Informationen zu O’Brian und Sullivan erhalten. Angeblich haben sich beide, einschließlich Jaqueline Adams, bei einer FBI-Außenstelle in Seattle gemeldet und nach Ihnen verlangt.“ Ich sah ihn erwartungsvoll an, irgendetwas lag noch auf seinen Lippen. Ich betete, dass es etwas mit William zu tun hatte, verdammt, mein Sohn musste doch aufzufinden sein.

„Des Weiteren soll ich Ihnen mitteilen, dass die Suche nach Ihrem Sohn keine Neuigkeiten bringt. Es gibt keine Zeugen und keine Hinweise.“ Seine Stimme war schleppend und ich sah enttäuscht zu Boden. Mulder legte seine Hand auf meine Schulter.

Plötzlich durchfuhr mich ein grausamer Gedanke, ich zitterte, wollte aufschreien. Wie konnte ich nur so dumm gewesen sein?

„Oh mein Gott, ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht!“

„Was ist...?“, fragten Doggett und Mulder fast gleichzeitig. Ich riss mich von Mulder los und holte rasch das Handy aus meiner Jackentasche. Meine Hände zitterten.

„Vielleicht wollten sie mich nur weglocken. Vielleicht wollten sie nur, dass ich meine Mutter alleine ließ. Weil sie wussten, dass ich, wenn meinem Sohn irgendwas zustöße, sofort alles stehen und liegen lassen würde, um nach ihm zu suchen. Er war nur Mittel zum Zweck. Was sie wirklich wollten, war meine Mutter. Damit sie mir nicht mehr die Wahrheit über mich erzählen kann – damit ich sie nicht mehr erfahre!“

„Welche Wahrheit?“, fragte Mulder.

„Die Wahrheit, die wir beide kennen. Die du wohl auch kennst, aber noch nicht verstehen willst, Mulder. Darum fährst du ziellos umher. Um Antworten auf die seltsamen Träume zu finden, die dich des Nachts heimsuchen.“ Er sah mich verwundert an.

„Woher weißt du...?“

„Deine Augenringe sprechen Bände. Du hast in der letzten Zeit kein Auge zugetan. Weil du immer Unverständliches geträumt hast. Träume über Dich.“ So langsam wusste ich um die Bedeutung von Jaquelines Worten bei dem letzten Treffen. Mulder schien genau das Gleiche durchzumachen wie ich!

„Scully, du erschreckst mich. Das stimmt... Aber woher weißt du..?“

Mit bebenden Fingern rang ich mich schließlich durch, die Nummer meiner Mutter zu wählen.

Das Handy baute die Verbindung auf. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal. Plötzlich vernahm ich ein Knacken.

„Mum??“, rief ich.

„ Hier ist der automatische Anrufsbeantworter von...“, sagte eine mechanische Stimme am anderen Ende der Leitung. Ich unterbrach die Verbindung.



>“Klick!“<



„Da ist was falsch. Sie hätte jetzt nie den Anrufbeantworter an, wo sie doch weiß, dass ich jederzeit anrufen könnte!“ Ich steckte das Handy wieder ein und blickte meine beiden Partner entsetzt an. „Irgendwas ... ist ... falsch! Ich spüre das... Ich sollte jetzt nicht hier sein!“ Hastig lief ich zum Mietwagen und öffnete die Fahrertür.

„Wir müssen nach Washington zurück und zwar sofort!“, schrie ich.

„Und was ist mit ihrer Mrs Adams, die hat sie Ihnen doch vorgeschlagen nach Mulder zu suchen.“, hörte ich Doggett rufen.

„Ich weiß zwar nicht, was hier los ist und ob sie etwas damit zu tun hat, Doggett, aber meine Mutter schwebt in Gefahr, ich spüre das, ich weiß das.“ Ich starrte Mulder hoffnungsvoll an.

„Ich weiß zwar nicht, wie Sie das sehen Agent Doggett, aber ich glaube, sie hat Recht.“

Danke, Mulder, danke, war das einzige, was mir durch den Kopf ging.

Doggett setzte sich schließlich in Bewegung.

„Gehen Sie drüben rein, Scully. In dieser Verfassung können Sie nicht fahren. Ich übernehme das.“ Und zu Mulder : „Haben Sie einen Wagen in der Nähe, Mulder?“

„Ja, gleich da hinter dem Baum.“ Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, rannte Mulder zu seinem Wagen, während Doggett zu mir in den Wagen stieg.



„Halten Sie sich fest, Scully.“, sagte er, als er kräftig Gas gab und eine 360° - Drehung vollführte, die mich fest in den Sitz drückte. Ich wagte einen Blick nach draußen. Hinten sah ich in der Ferne die Vorderleuchten von Mulders Mietwagen.

Er – Mulder - war wieder da. Und bald würde er auch soviel wie ich wissen. Nur galt es jetzt, Schlimmeres zu verhindern.

Mit einem gewaltigen Tempo fuhren die beiden Wagen wieder auf die befestigte Straße auf und weiter Richtung Washington D.C..





*********



Folge deinem Herzen, aber handele nicht vorschnell. Denn so mancher Fehler könnte unvorhersehbare Konsequenzen haben. Tu´ das Richtige und vertraue einfach auf den Zufall!



*********



Wir erreichten das Haus meiner Mutter nach, so schien es mir jedenfalls, einer halben Ewigkeit. Doggett parkte den Wagen am Straßenrand, und ich rannte so schnell ich konnte zur Haustür und klingelte Sturm. Wie sehnsüchtig erwartete ich, dass sie mir die Tür öffnen würde, gut gelaunt, mit Will auf dem Arm - doch dieser Wunschtraum sollte sich nicht bewahrheiten.

Nur zufällig senkte ich für einen kurzen Augenblick meinen Blick und konnte mein Entsetzen nicht verbergen. Völlig geschockt wandte ich mich Doggett und Mulder zu, welcher gerade aus seinem Wagen stieg. Meine Stimme zitterte.

„Agent Doggett...? Mulder? Ich ... brauche Hilfe. Meine Mutter ...!“ Doggett und Mulder rannten schnell zur Haustür, beide ihre Waffen im Anschlag. Auch ihr Blick war auf die Tür gerichtet.

„Oh mein Gott!”, sagte Mulder. Die Tür war weit offen, der Flur verwüstet. Überall waren Schubladen aufgerissen worden.


„Es war jemand hier...!“
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