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Who I am

von Marion Kirchner, Stefan Rackow

Kapitel 7

Kapitel 7: Sinn oder Wahnsinn?



Langsam und gedankenverloren spazierte ich die Straße entlang. Der Regen ergoss sich immer noch über mich. Ich war durchnässt bis auf die Knochen, doch ich schenkte dieser Tatsache keine Beachtung. Es war mir egal ob ich mir eine Erkältung oder gar eine Grippe holte. Regen ist angenehm und wenn er langsam an einem hinabrinnt, hat man das Gefühl, dass er all die Sorgen, die man in sich gefangen hält, fortträgt. Ich fühlte mich erleichtert. Mit jedem Schritt den ich tat, schienen meine Ängste in der Kanalisation zu verschwinden. Am liebsten hätte ich mich neben einen der Gullys gestellt, um ihnen mit einem schiefen Grinsen hinterher zuschauen, um ihnen klar zu machen, dass sie verloren hatten.

Aber ich war dumm, vielleicht fühlte es sich im Moment so an, aber ich wusste, dass dies bloß eine Illusion war, die versuchte, meinen Verstand zu vernebeln. Man kann sich sehr leicht vormachen, dass alles in Ordnung ist. Ob ich es nun ignorierte wie früher, oder klar vor meinen Augen sah, ich konnte mich nicht davor verstecken. Nicht dieses Mal, nicht jetzt.



Erst als ich vor der Tür zum stehen kam, wurde mir bewusst, wo ich eigentlich war. Ich hatte heute etwas getan, das ich immer tue, wenn meine Welt beginnt sich in die falsche Richtung zu drehen. Ich steige in mein Auto und fahre ohne nachzudenken durch die Stadt. Früher war ich oft vor Mulders Tür gelandet, aber auch des Öfteren bei Doggett. Es ist oft ein guter Weg unterbewusst zu handeln. Melissa hat mir das erzählt, als ich noch ein kleines Mädchen war. Ich habe ihr damals fasziniert zugehört, sie aber später ausgelacht. Heute mache ich es selbst und habe festgestellt, dass es einen fast immer auf den richtigen Weg bringt.

Nun war es wieder passiert.

Etwas zögernd klopfte ich an, spürte sofort die leise Sehnsucht die sich immer in meinem Herzen ausbreitete, wenn ich ihn hier ließ. Ich hörte Schritte, langsame Schritte, die vermutlich von einer ausgeglichenen Person stammte. Wenigstens war hier alles an seinem Platz.



„Dana, Schatz!“ Ihre Augen weiteten sich vor Erleichterung, „Wo bist du so lange gewesen? Ich habe dich nicht erreichen können.“

„Ich, ich hatte sehr viel zu tun. Es tut mir leid Mom“, sagte ich lächelnd, „Wie geht es Will?“

„Sehr gut. Ich glaube er ist sogar ein wenig gewachsen während du weg warst.“ Sie sah mich triumphierend an. Tief in meinem Inneren breitete sich eine angenehme Wärme aus. Meine Mutter war richtig niedlich. Immer wenn ich meinem Sohn bei ihr ließ erzählte sie, dass er gewachsen war oder sich alleine hinsetzen konnte. Irgendwo wusste ich, dass sie das alles nur erfand, aber sie war unglaublich stolz auf ihn.

„Das freut mich Mom.“

„Och, mein Gott Kind, du stehst ja immer noch hier draußen, komm rein, du bist ja ganz nass.“

Sorgenvoll legte sie mir die Hand in den Nacken und schob mich in den Flur. Als ich meinen triefenden Mantel an den Kleiderständer hängen wollte, nahm sie ihn mir zuvorkommend ab und brachte ihn in den kleinen Abstellraum, der direkt an der Haustür grenzte.

Ich mochte das Haus meiner Mutter. Ich bin hier aufgewachsen und kenne jeden Winkel. Der militärische Grundriss, gibt ihm zwar das Aussehen einer Massenproduktion, strahlt aber auch eine seltsam beruhigende Aura aus.



„Möchtest du einen Kaffee?“, hörte ich plötzlich meine Mutter aus der Küche rufen. Etwas erschrocken zuckte ich zusammen. Ich hatte gar nicht bemerkt wie sie den Abstellraum verlassen hatte.

„Ja gerne.“ Ich lächelte wieder und betrat das geräumige Wohnzimmer. Oft frage ich mich, warum meine Mutter immer noch in diesem riesigen Haus wohnt. Ich würde mich in solch gigantischen Wänden einsam fühlen, sehr einsam.

Vorbei an der immer noch glänzenden Ledercouch, betrat ich die Küche. Meine Mutter war ganz darin vertieft Kaffeepulver in die Maschine zu schütten.

„Ich sehe schon mal nach Will.“, sagte ich leise, damit sie nicht erschrak.

„Das kannst du gerne machen. Er hat dich richtig vermisst der kleine. Er ist natürlich oben. Aber sei leise, ich glaube er schläft.“, betonte sie und ich merkte, dass sie unendlich erleichtert über meinen Besuch war. Gerade als ich die Küche verlassen wollte, legte sie einen sehr sorgenvollen Ton auf: „Nimmst du ihn heute mit nach Hause, Dana?“ Ihre Augen weiteten sich.

„Ich denke schon.“ Ich versuchte so beruhigend zu gucken wie ich konnte. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie mich für eine schlechte Mutter hielt. Aber das tat sie nicht, dass wusste ich.

Langsam wendete ich mich von ihr ab und ging die Treppe hinauf. Eine leise Vorfreude kam in mir auf. Ich liebte jede Sekunde die ich mit meinem Sohn verbringen konnte. Aber leider waren dies viel zu wenige. Etwas verwirrt kam der Gedanke meiner Mutterpflichten wieder in mir hoch. War es tatsächlich so, war ich eine schlechte Mutter? Nein, ich liebte Will über alles, aber dieser verdammte Beruf. Ich schüttelte mich. Dieser Gedanke musste aus meinem Kopf, ich hatte schon genug Probleme. Will mochte es hier zu sein und es war bei weitem nicht so, dass ich ihn wochenlang hier ließ. Es war eben etwas länger geworden, nichts was man tragisch nehmen musste.

Ich hielt den Atem an, als ich die Tür des Zimmers sah. Sie war mit bunten Aufklebern und einem Poster behangen auf dem ein Gorilla abgebildet war. Meine Mutter liebt Riesenaffen und es hatte den Anschein, als ob Will ihnen auch nicht abgeneigt war. Immer wenn er das Poster vor die Augen bekam, begann er fröhlich zu glucksen. Zufrieden lächelnd drückte ich langsam die Türklinke herunter. Fahles Sonnenlicht kam mir entgegen und tauchte den Raum in einer beruhigendes Licht. Der Regen hatte sich verzogen.

Ich ging auf das Kinderbett zu und beobachtete wie sich das Mobile hin und her drehte. Moment, das Mobile drehte sich? Will war noch zu klein um es zu berühren und meine Mutter, sie war als ath vor der Tür stand, vermutlich aus dem Wohnzimmer gekommen, das Fenster war verschlossen, also warum drehte sich dieses blöde Ding. Hatte Will tatsächlich einen solch immensen Wachstumsschub hinter sich?

Etwas verwirrt beugte ich mich über das Bettchen, zuckte zusammen und sprang zurück.

„Will?“, fragte ich ängstlich in den Raum. Das Bett war leer.

Zitternd machte ich wieder einen Schritt nach vorne, hob die Decke an, nichts, schmiss das Kissen aus dem Bett, nichts, die Matratze, nichts.

Verzweifelt und aufs tiefste verwirrt drehte ich mich um die eigene Achse. Außer mir befand sich niemand im Raum.

„Will?“, reif ich nochmals. Keine Antwort, kein Glucksen, kein Schreien, nichts. Ich rannte zum Fenster. Unter mir lag der Garten, friedlich, verlassen. Nur ein paar Vögel flatterten von einem Baum zum anderen.

Hastig durchquerte ich das Zimmer und rannte zum Treppengeländer:

„Mom? Bist du dir sicher, dass du Will in sein Zimmer gebracht hast.“ Mein Herz raste und mein Atem war kaum noch zu kontrollieren.

„Sicher Schatz. Warum fragst du?“ Meine Mutter kam mit einem seltsamen Blick und zwei Kaffeetassen in der Hand aus der Küche und postierte sich unter mich.

„Er ist nicht da.“

„Was?“ Völlig verwirrt stellte sie die Tassen auf den Esstisch und rannte die Treppe hinauf. Ängstlich kam sie in das Zimmer und sah sich genauso um wie ich, nichts.

„Dana ...ich...ich, das ist unmöglich er muss hier sein. Ich habe ihn doch ins Bettchen gelegt, vor einer halben Stunde.“ Sie schüttelte immer wieder den Kopf. Leichter Schwindel kam ihn mir hoch, ich zwang mich ihn zu ignorieren.

„Bist du dir wirklich sicher, dass du ihn hier hineingelegt hast?“

Sie nickte abwesend. Ich sah zu Boden, war kurz davor in tränen auszubrechen. Das konnte nicht wahr sein, das war ein Traum, ein verrückter Traum der mir das Leben zur Hölle machen wollte. Will war da, ganz in meiner Nähe, er konnte nicht weg sein!

Zitternd beugte ich mich zu dem Kinderbett. Es war so schön. Die weiße Farbe des Gitters funkelte friedlich im Sonnenlicht. Es war ein Himmelbett, genau so eines wie er bei mir zu Hause auch hatte. Das Mobile kreiste immer noch vor sich hin. Fünf Vögel flogen um ein leeres Bett. Plötzlich hatte ich das Gefühl ohnmächtig zu werden. Einer der Gitterstäbe war mit einem Fleck bedeckt, einem langen, großen Fleck, der vermutlich verwischt worden war. Rasselnden Atems beugte ich mich noch mehr in der Bett um ich mir genauer anzusehen. Er war das wofür ich ihn hielt: Blut, Gott, Blut.



Schwer atmend drehte ich mich zu meiner Mutter um. Sie stand dort wie eine Boje die unsicher im Wind hin und herschaukelte. Ein Taschentuch, das sie in ihren Händen hielt, drehte sie so lange, bis sie es zerriss und die Hälfte davon auf dem Boden landete. Wir bückten uns fast gleichzeitig und wären beinahe mit den Köpfen aneinander gestoßen.



„Es...es..“ Sie versuchte etwas zu sagen, schien aber völlig aus der Bahn geworfen worden zu sein.

„Es ist schon ok, Mom, vielleicht ist er ja aus dem Bett gekrabbelt und... und.. wir finden ihn, ganz bestimmt.“, sagte ich entschlossen, spürte aber, dass ich am liebsten sofort in das J. Edgar Hoover Building gerannt wäre um das ganze F.B.I nach meinem Sohn suchen zu lassen. Ich wusste selbst, dass ich das nicht konnte. Ruhe bewahren, war eine der wichtigen Regeln, die man in solch einer Situation einhalten musste. Aber verdammt, ich schwor mir mich nie wieder über Mütter aufzuregen, die nach dem Verschwinden ihrer Kinder verrückt wurden. Ich war selbst eine...

„Mom, was hältst du davon, wenn.. wenn wir erstmal das Haus durchsuchen und dann, vielleicht die Nachbarn fragen. Er ist hier irgendwo.“ Etwas, das einem Jagdfieber glich, hatte on diesem Moment Besitz von mir begriffen. Ich konnte nichts anderes tun als besessen durch das Haus zu rennen und jede Ecke, jedem Winkel wie eine Wahnsinnige in abzusuchen. Er war nicht weg, er war hier, verdammt ich war blind! Ich musste BLIND sein!!!



„Dana, ich bin bei Mrs Toolen gewesen, sie...sie hat nichts gesehen und und... Dana wo kann er sein?“

Ich sah zu Boden, dann in die Augen meiner Mutter. Die Lehre hatte von meinem Körper Besitz ergriffen. Ich spürte, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Ich wusste, dass ich Schuld an Williams Verschwinden war, verdammt, ich hätte ich nicht einfach zu meiner Mutter bringen sollen. Was war ich für eine Mutter, die ihr Kind wie einen Gegenstand ablieferte, wenn sie es gerade nicht „gebrauchen“ konnte?

„Dana, ist alles in Ordnung mit dir, du siehst so blass aus.“

„Was bitte soll in Ordnung mit mir sein?“, fauchte ich sie an und drehte mich auf den Absatz um, hysterisch riss ich meinen Mantel vom Kleiderständer, öffnete die Tür und stieß sie mit Gewalt zu, in der Hoffnung meine Angst hinter ihr verschließen zu können.

Nun stand ich da, zitternd, verloren. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Sollte ich ins J. Edgar Hoover Building gehen und Skinner oder Doggett davon erzählen? Wer konnte William haben? Krycek, diese Gott verdammte Ratte? Oder etwa? Nein, ich befahl mir nicht daran zu denken, ich war verrückt, vollkommen verrückt. Es gab keine Außerirdischen, ich hatte mir alles nur eingebildet, all die Jahre. Jaquline Adams, war nicht mehr als ein Hirngespinst von mir. Ich durchlitt Halluzinationen, ich brauchte einen Psychiater.



Als ich ein paar Schritte gegangen war, ließ ich mich völlig erschöpft auf einer Bank nieder. Mit den Tränen ringend starrte ich in den Himmel und fragte mich wann diese Reise endlich ein Ende hatte. Mehr als acht Jahre jagte ich nun schon etwas hinterher, das ich noch nichteinmal beim Namen nennen konnte. Als ich begonnen hatte Mulder zu vertrauen und mir klar geworden war, welchen Ausmaß das hatte mit dem wir es zu tun hatten, dachte ich, dass wir vielleicht in ein, zwei Jahren als Helden dastehen würden, dass wir Mulders Schwester Samantha schon fast in unserem Kellerbüro stehen hatten. Wie konnte ich damals nur so dumm gewesen sein? Man hielt uns für Idioten und Samantha war tot. In diesem Moment wurde mir klar was hier eigentlich los war. Ich drehte mich im Kreis, seit acht Jahren. Immer wieder war ich kurz vor der Wahrheit, immer wieder behauptete jemand die Kolonisation stand bevor und immer wieder passierte nichts. Ich senkte meinen Kopf und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ungezügelt rannen sie meinen Wangen hinab und tropften in meinen Schoß. Ich hatte zwar keinen Beweis dafür, aber ich wusste, dass unsere Suche wieder ein neues Opfer gefunden hatte: William.

Zitternd wühlte ich in meiner Manteltasche herum, unsicher was ich darin finden würde, zog ich ein kleines Stück Papier hinaus. Mein Blickfeld von Tränen benebelt faltete ich es auseinander und erkannte verschwommen die Schrift. Ich schüttelte den Kopf. Aufenthaltsort Mulder, ich hasste diese Notiz, sie machte mich wahnsinnig. Warum konnte dieser verdammte Idiot nicht hier neben mir sitzen? Warum?

„Warum bist du nicht hier verdammt noch mal?“ Ich erschrak, als ich bemerkte, dass ich geschrieen hatte. Perplex stieß ich mich von der Bank nach oben und entschloss mich Hilfe zu suchen, Hilfe bei jemandem zu suchen, der mir immer Hilfe bat, jemandem dem ich vertrauen konnte, das hoffte ich zumindest.



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Etwas verloren stand ich vor der mehrfach verriegelten Tür und trat von einem Fuß auf den anderen. Ich fragte mich warum ich nicht schon früher hierher gekommen war. Ich zuckte zusammen, als ich bemerkte wie die Kamera mich erfasste. Ich mochte es aus irgendeinem Grund nicht von oben aus beobachtet zu werden. Diese Abneigung bemerkte ich aber erst in dieser Sekunde und schüttelte den Kopf. Ich brauchte Ruhe, dringend, aber nicht jetzt, redete ich mir ein.

Plötzlich nahm ich wahr wie schnell duzende von Schlössern und Verriegelungen entfernt wurden und die Tür sich öffnete.



„Scully, was für eine Überraschung, seht mal her Jungs, wer uns mal wieder einen Besuch abstattet.“ Frohike forderte die beiden anderen lächelnd auf zu ihm zu kommen und ließ mich mit einladender Geste in das Reich der Technik und Unordnung ein. Das Büro der Lone Gunmen war schon eine seltsame Behausung. Auf engstem Raum waren so viele technische Geräte wie nur möglich untergebracht, die, teils veraltet, teils so neu, dass sie keiner kannte, ununterbrochen vor sich hin ratterten. Ausgeleierte Drehstühle und ein paar alte Möbel vollendeten das flohmarktgleiche Bild.



„Was führt Sie denn zu uns Scully? Seelsorge? Oder vielleicht die neuste Ausgabe des Lone Gunmen? Also wissen Sie wir haben dieses Mal wirklich interessante Themen: Eine neue Geheimwaffe der C.I.A, sieht aus wie Asche, ist aber tödlich wie Säure. Oder…“ Ich unterbrach Langly nervös. Was hatte er da gerade gesagt?

„Langly, würde es Ihnen etwas ausmachen wenn sie mir kurz erklären könnten, was es mit dieser Asche auf sich hat?“

Der Schütze weitete seine Augen und schien sich vermutlich bewusst, dass er einen gigantischen Fisch an der Leine zu haben schien.

„Natürlich, die Informationen stammen von mir. Gestern, wurden in der Nähe von Maine zwei tote alte Herren gefunden. Sie hatten vermutlich Selbstmord begangen, die Herrschaften wären aber vermutlich auch ohne ihren Kopfschuss gestorben, da aus ihnen eine höchst seltsame Substanz quoll, die aussah wie Asche, aber hochgiftig ist.“

„Wissen Sie etwas über die Identität der Opfer?“ Alle drei schienen immer noch erstaunt, dass ich mich für ihren Artikel interessierte, aber ich konnte ihre Freude nicht teilen, ich ahnte etwas Böses.

„Leider nein, top secret, hätte uns beinahe schon den Arsch gekostet, die Informationen zu beschaffen, die wir Ihnen vorlegen können Scully. Aber warum interessieren sie sich für diesen Artikel?“

„Das würde ich selbst gerne wissen, Langley.“ Ich sah zu Boden und überlegte wo ich nun anfangen sollte. Als ich in meiner Tasche nach dem Zettel kramte, begann plötzlich Byers aus einer der hintersten Ecken zu reden.

„Ich glaube nicht, dass Sie wegen dieses Artikel hierher gekommen sind, Scully.“

„Sie haben recht, Byers, das bin ich in der Tat nicht.“ Ich fischte den Zettel nun endlich ans Tageslicht, „Das hier ist eine Notiz, die ich von einer älteren Dame überreicht bekam. Sie enthält etwas, von dem ich zu gerne mehr erfahren würde.“ Ich wusste zwar nicht warum, aber irgendwie spürte ich, dass die Gunmen in meinen Augen lesen konnten um was es ging.

„Na, dann, zeigen Sie mal her.“ Frohike nahm mir den Zettel so vorsichtige aus der Hand, als befürchte er, er könne jeden Moment zu Staub zerfallen.

Er überflog die Zeilen und nickte schließlich.

„Es ist uns eine Ehre, diesen Auftrag für Sie zu erledigen.“ Er sprach langsam und schielte schließlich zu seinen Kollegen herüber, „He Jungs, es gibt mal wieder was zu tun.“

Hastig sprangen beide auf und beugten sich über den Zettel.

„Hmm, eine Adresse, Texas nehme ich an.“ War Byers Beitrag.

„Äußert schwer zu finden, abgelegener Ort.“ Kam es von Langley, „Das sollten wir durch den PC jagen.“ Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, tippte er die Adresse auch schon in einen der surrenden Bildschirme. Manchmal habe ich den Eindruck, als besäßen die Lone Gunmen für jedes einzelne PC-Programm einen eigenen Computer.

Alle drei beugten sich, gebannt als sähen sie einen Thriller, über den Bildschirm. Mir ging es nicht besser, als ich sah wie der Computer rasend schnell zu rechnen begann. Hunderte Zahlen rauschten an mit vorbei und ich hatte das Gefühl in ihrer unabschätzbaren Vielzahl zu versinken.

Plötzlich blinkte der Bildschirm auf. Er zeigte nun eine große Karte Amerikas die immer genauer auf den Standpunkt fixiert wurde, auf dem die Adresse lag. Byers hatte Recht gehabt, es war in Texas, schon fast bei der mexikanischen Grenze.

„Sieht gut aus, ich denke wenn er sich dort versteckt hat, hat er wirklich noch genug Verstand, unser Mulder.“

„Hmm, das Versteck ist gut.“, murmelte Frohike.

„Aber nicht gut genug.“, kam nun Langlys Antwort, „Wenn wir ihn gefunden haben, dann finden ihn auch andere.“

„Ja, aber sie haben das hier nicht.“, konterte Byers, und zeigte auf das Papier, dass Frohike immer noch in seinem Händen hielt.

„Genug, jetzt Jungs, wo genau ist das.“

„In einer Kleinstadt, in der Nähe des Emory Peak, 2000m hoher Berg fast an der Grenze. Abgelegen und nur schwer zu erreichen.“, plädierte Langly wieder sein Wissen und sah besorgt zu den anderen beiden.

„Sie haben doch nicht etwa vor dorthin zu gehen, oder Scully?“

Ich drehte meinen Kopf nach hinten, sah nervös auf die Uhr.

„Ich… ich weiß es nicht.“, log ich und musterte das Trio so beruhigend wie möglich. Auf einmal spürte ich, wie eine weitere Frage auf meiner Zunge zu brennen begann.

„Hätte einer von Ihnen etwas gegen eine kleine Personenrecherche?“ Drei Augenpaare musterten mich ratlos, „Ich hatte in letzter Zeit des Öfteren mit einer Person zu tun, die mich sehr zum Nachdenken gebracht hat. Es handelt sich um eine ältere Dame, namens Jaqueline Adams. Wissen Sie etwas über sie?“ Ich hoffte in Kürze eine Antwort zu erhalten, da mir Jaqueline, aus welchem Grund auch immer nicht mehr real erschien. Sie war eher ein Phantom, etwas, das ich auf einer weitgehenden Reise zurückgelassen hatte, ebenso wie ihre Freunde Harvey O´Brian und Richard Sullivan.

„Na ja, Adams… Adams…, ich erinnere mich da an ein Forschungsprojekt von 1891.“

„Das ist unmöglich, sie ist höchstens siebzig.“

Langly wandere wieder zu einem der Computer, während Byers ein altes, schiefes Regal aufsuchte, das mit verstaubten Büchern voll geräumt war.

„Sehen Sie Scully, hier ist sie.“, betonte Langly schulterzuckend, „Jaqueline Marie Adams, geboren am 23. Februar 1864…“ Er hielt inne, fasziniert den Bildschirm betrachtend, bildete sich ein schiefes Grinsen auf seinem Gesicht, „Man, das ist aber ein seltsamer Zufall.“

Er winkte uns zu sich und ich erkannte mir Schrecken, das sich gerade materialisierte Foto. Es hatte nur mittelmäßige Qualität, jedoch konnte man die beiden Personen auf dem Bild deutlich erkennen. Es handelte sich um eine Frau und ein kleines Mädchen. Ich lächelte mir selbst, mit einer altmodischen Frisur entgegen, für die ich meinen Friseur heute umgebracht hätte, ach was rede ich da, Jaqueline Adams lächelte mir entgegen. Bei dem Mädchen handelte es sich vermutlich um ihre Tochter, das sie ihr sehr ähnlich sah.

„Also entweder sie haben eine neue Verwandte gefunden, oder hier hat sich jemand einen Scherz erlaubt.“, kicherte Frohike.

„Tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass es sich hier um einen Scherz handelt.“, Byers war von seinem Bücherregal zurückgekehrt und hielt mir eine alte vergilbte Seite entgegen, auf der ein ähnliches Foto abgebildet war. Es war schwarz-weiß und mit dem Titel „Jaqueline Adams, nach ihrer Flucht, 1892“ versehen.

„Was ist denn Scully, Sie sehen gar nicht überrascht aus?“

„Ach, nichts, ich glaube ich muss gehen.“

„Wollen Sie nicht, dass wir ihnen das ausdrucken. Ich meine, man findet nicht alle Tage einen Zwilling aus der Vergangenheit.“

„Meine Güte, versteht ihr denn nicht?“, grummelte Byers, „Diese Frau müsste laut der Daten 137 Jahre alt sein.“

Ich nickte ihm zu und wurde immer unruhiger.

„Kann ich die Ausgabe der Lone Gunmen mitnehmen?“, fragte ich vorsichtig.

„Aber sicher doch. Und mit ´nem extra Bonus wenn sie ihn abonnieren.“, grinste Langly.

„Ähm… nein danke, ich brauche nur den einen, wir sehen uns.“

Ich stürmte aus dem Raum und ließ drei verwirrt dreinblickende Schützen allein. Ich hatte ihr Büro noch niemals zu schnell verlassen. Aber das war mir egal. Alles schien sich um mich zu drehen. Verdammt noch mal! Wie war es möglich, dass ich mit einer 137-Jährigen Frau geredet hatte? Und was war mit Richard Sullivan und Harvey O´Brian? Sie hatten doch von den fünfziger Jahren geredet, davon dass Jaqueline zu dieser Zeit um die 30 gewesen sein musste. Hatten sie mich belogen? Aber zu welchem Zweck? Immer wieder kehrten die letzten Worte, die ich von ihnen gehört hatte in meinen Kopf zurück:



„Verdammt Harvey wir hätten sie fragen sollen, du weißt wir haben kaum noch Zeit. Sie können uns jeder Zeit holen. Vielleicht auch jetzt oder in fünf Minuten.“

„Oder in fünf Jahren, Harrold. Ich habe Sie schon einmal gefragt. Sie weiß nicht wo Jaqueline ist.“

„Du weißt genau, dass sie nur hätte nachdenken müssen. Gott noch einmal Harvey, sie ist Jaqueline.“

„Ja, aber sie glaubt es nicht. Du hast doch gesehen was für Blicke sie uns zugeworfen hat. Sie hält uns für Idioten.“

„Tut sie nicht. Ich bin sicher, wenn wir ihr nur ein wenig Zeit gelassen hätten, hätte sie uns ernst genommen, wenn sie uns nicht schon ernst nimmt Harvey. Ich sage dir wir haben unsere letzte Chance verspielt. Ich spüre es.“





Diese Worte machten mir Angst. Erst in diesem Moment wurde mir klar, wie viel ich ihnen bedeutet haben musste. Und mir wurde klar warum sie mich belogen hatten. Sie hatten Angst gehabt, ganz einfach Angst hatte sie dazu gebracht ihre Erlebnisse in eine andere Zeit zu ziehen. Denn sie hatten von Anfang an gewusst wer ich war, sie kannten meine Seele, meine Skepsis und meine Zweifel. Doch in diesem Moment wünschte ich mir, sie hätten die Wahrheit gesagt, denn dann wäre ich mir wenigstens bewusst gewesen über den Ausmaß von all dem, dann wäre ich nicht einfach gegangen, nur weil wir uns nichts mehr zu sagen gehabt hatten. Ich verfluchte mich dafür nicht einen einzigen Blick in dieses verdammte Buch geworfen zu haben. Was für Geheimnisse hätte es mir offenbart, was für Fragen hätte es mir beantwortet, die mich jetzt schon hätten zu meinem Ziel führen können?



Ich drehte mich im Kreis, starrte in den nun blauen Himmel und ich spürte wie sich alles um mich herum zu drehen begann. Ich spürte wie ich in einen Strudel gezogen wurde, der tausende Worte um mich herum Kreisen ließ, als versuche er mir mit aller Gewalt etwas einzubläuen. Ich spürte wie ich in der Leere meines Unwissens und meiner Verzweiflung auf den Boden sank und zu beten begann. Ich wünschte mir einen rettenden Engel, einen Engel der mir auch nur einen kleinen Hinweis gab, mir sagen konnte was ich zu tun hatte.



„Steh auf Dana, es hat keinen Sinn sich hinzuknien wie ein Sklave, wenn du doch nichts hast, dem du dich versklaven kannst. Der da oben wird dir nicht helfen, wer weiß, vielleicht sitzt er ja auf seinem Thron und belächelt dich wie einen Clown in der Zirkusmanege. Glaube mir, Kind, du hast eine vollkommen falsche Vorstellung von ihm und seiner Macht.“

Ich schrak hoch und glaubte für einen Moment in das Gesicht eines Engels zu blicken, meines Engels der gekommen war um mir die Lösung auf einem Silbertablett zu servieren. Doch die Worte des Engels hallten in meinen Ohren wieder und ließen ihn wieder zu einem Menschen werden. Jaqueline stand vor mir und sah mich sorgenvoll an. Anscheinend hatte ich eine Sünde begangen, oder etwas getan, das sie auf keinen Fall erwartet hatte.

„Jaqueline, was machen Sie hier, ich… ich dachte Sie wären…“

„Tot? Glaube mir wie gerne ich das wäre, dann bräuchte ich hier nicht mehr umherzuirren und verzweifelt zu sein, weil meine Nachfolgerin anscheinend nicht begreifen will was für eine Last sie auf sich trägt.“ Ihre blauen Augen wirkten nun fast schwarz und der diamantene Glanz, der sie noch vor kurzem erfüllt hatte, schien von einem dunklen, nebelartigen Schleier umhüllt zu sein.

„Aber wie soll ich denn begreifen, wenn ich nicht weiß, was ich begreifen soll?“ Ich sah sie ratlos an und hoffte, dass sie mir jede Sekunde erzählte, dass sie William auf der Straße gefunden hatte und mich nun über meine Mutterpflichten aufzuklären versuchte.

Jaqueline schüttelte ratlos den Kopf.

„Hast du es denn niemals gespürt? Hast du niemals daran gedacht etwas besonderes zu sein, etwas anderes?“

Sie verwirrte mich, was wollte sie mir weiß machen? Dass ich auserkoren war, die Welt zu retten?

„Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll. Verspürt denn nicht jeder Mensch den Drang etwas Besonderes zu sein? Warum sollte sich dann ausgerechnet mein Drang als Fakt erweisen?“

„Ich hatte wirklich für eine Weile gedacht du hättest deine Skepsis hinter dir gelassen Dana Scully. Warum kannst du nicht einfach glauben? Ich kann dir nicht beweisen, dass du etwas Besonderes bist, das wird sich erst in der entscheidenden Zeit zeigen, dann wenn du deine Kräfte beweisen musst, dann wenn du sie freilassen kannst. Im Moment bleibt mir nur mein Gefühl, das mir sagt, dass du *es* bist.“

Ich sah ein was sie meinte und irgendwie erinnerte sie mich an Mulder, oder vielleicht an das, was ich für eine kurze Zeit geworden war. Mir war es gelungen endlich diesen Schleier zu durchschreiten, der mich all die Jahre umgeben hatte, der mich davon abhielt das Übernatürliche zu sehen, selbst wenn es direkt vor meine Nase lag. Aber dies war zu einer Zeit geschehen, als ich keine andere Wahl gehabt hatte. Ich wäre mit Doggett jahrelang im Kreis gelaufen, hätte ich mich nicht angepasst. Doch erst jetzt erkannte ich, dass ich die Schwelle zum Glauben niemals ganz überschritten hatte. Jetzt stand ich da, vor einer Sache, die mich dazu zwang dem puren kalten Glauben die Hand zu reichen. Hier war nichts, hier sah ich nichts. Ich hatte nur eine Theorie und ein Gefühl, wie Mulder es jahrelang gehabt hatte. Und jetzt wo ich mich nur noch an dieses Seil zu klammern brauchte, wo ich keine Mutanten sah, die mir durch meinen Schleier früher verborgen geblieben waren, sah ich, dass nur meine Augen klar sehen konnten, dass meine Gefühle klar spüren konnten, doch meine Gedanken waren dort wo sie immer gewesen waren, von einem Schatten umhüllt der nicht erlaubte von der Logik abzuweichen.

> war das was ich mir im Moment einzubläuen versuchte. Ich musste ihr vertrauen oder ich würde mich weiterhin im Kreis drehen, zwar mit Vampiren und Mutanten, doch ohne die Wahrheit.



„Gut, nehmen wir an ich wäre, das was auch immer ich sein soll, wirklich. Was müsste ich dann tun, um meine Kräfte freizusetzen?“

Ich sah wie Jaquelines Augen aufleuchteten, sie lächelte.

„Du musst mit ihnen vereint sein, mit ihnen allen vereint sein und sie müssen alle glauben, dann wird das geschehen, nachdem ich mich so lange sehne.“ Sie grinste mich an und ich spürte, dass sie mir etwas verschwieg.

„Was wird dann passieren?“

„Das wirst du sehen, sobald es soweit ist, doch erst haben wir noch eine harte Nuss zu knacken. Du wirst aufbrechen müssen Dana, du musst Mulder und deinen Sohn finden und sehen, dass sie die beide, mit Assistent Director Skinner, Agent Doggett und dir an einen Platz bringst. Ich werde dafür sorgen, dass der arme Sullivan und der wütende O´Brian aus ihren Leichensäcken steigen können.“

Ich verdrehte die Augen.

„Ich hatte schlimmeres gedacht, als das es sich zugetragen hat. Meine Freunde sind nicht verloren. Sie sind noch hier, doch wird viel nötig sein um sie wieder zu meinesgleichen zu machen.“

Jaqueline wandte sich zu gehen, doch ich erhob mich und hetzte ihr mit zwei langen Schritten nach.

„Einen Moment noch,“, keuchte ich, erschrocken darüber sie fast wieder verloren zu haben, „wie soll ich das alles anstellen? Woher weiß ich denn, dass sie glauben und vor allem, wie kann ich mich selbst dazu bringen?“

„Das kannst nur du selbst wissen. Doch es gibt einen Menschen der etwas weiß, etwas weiß, dass dich womöglich beunruhigen wird.“

„Wer ist dieser Mensch?“

„Das weiß ich nicht, niemand weiß das, außer vielleicht das Schicksal. Und da weder du, noch ich es befragen können, schlage ich vor, wir trennen unsere Wege jetzt. Es ist schlecht zuviel zu reden. Denken wir lieber, denn so kann uns keiner hören und glaube mir, wir werden dasselbe denken.“

Gerade wollte sich mein Verstand wieder gegen ihre Worte wären, doch ich verdrängte ihn entschlossen.

„Lebe Wohl, Dana Scully! Ich hoffe wir werden uns wieder sehen. Was du tust um ans Ziel zu kommen überlasse ich dir selbst. Und sei nicht immer so unsicher, was dein logisches Denken betrifft. In den Sachen des Denkens bist du ihnen beiden voraus, Mulder und Doggett. Denn du hast den gesunden Menschenverstand der Mulder fehlt und die Fantasie und den Glauben, die Doggett nicht hat. Und was die Sache mit deinem Sohn betrifft, ein Ziel folgt dem nächsten.“ Mit diesen Worten drehte sie sich endgültig um und ließ mich mit hunderten Fragen zurück. Ich wusste nun zwar dass ich etwas Besonderes war und kannte meine jetzige Aufgabe, jedoch reichte mir das nicht. Ich brauchte eine Lösung.

Ich ging ein paar Schritte, meine Augen auf die untergehende Sonne gerichtet, bis ich einen kleinen Park erreichte. Meine Gedanken trieben wie ein starker Strom durch meinen Kopf und die Wellen schlugen hart gegen meinen Schädel. Ich wollte mich setzen und einfach an nichts denken. Ich wollte irgendwelche Tiere beobachten um wieder auf den Boden zu kommen, denn im Moment schwebte ich eindeutig zwei Zentimeter zuviel darüber.

Müde ließ ich mich schließlich auf eine kleine, grünlich angestrichene Parkbank nieder und beobachtete eine alte Frau, neben mir, wie sie ein paar Vögeln Körner zuwarf.

Ich fühlte mich wohl in diesem Moment, wie ich sorglos die Vögel sah, wie sie gierig die Körner aufpickten und sich darum stritten, wer welches verschlingen durfte. Irgendwie kam ich mir jetzt selbst wie solch ein Vogel vor, der mit unzähligen anderen um sein Futter stritt. Nur, dass die anderen Vögel vielleicht meilenweit entfernt waren.

Ich lehnte mich zurück und sah einfach nur auf die letzten roten Streifen, die die Sonne zurückgelassen hatte. Sie waren wunderschön, wie sie sich, wie mit Farbe gemalt über den Himmel zogen. Der sanfte, fast rosafarbene, Rot Ton beruhigte mich und ich wollte für immer hier sitzen bleiben. Ich streckte mich genüsslich und stand schließlich doch auf. Ich hatte noch viel zu erledigen und wenn ich mir den Sonnenuntergang ansah, während die Welt in die Luft flog, nützte mir auch nichts. Irgendwie war mein Gehirn jetzt befreiter, es war als hätte ich einen Zaubertrank zu mir genommen. Ich fühlte mich frei und jede Bewegung fiel mir so leicht, wie vielleicht noch nie zuvor in meinem Leben. Jagdfieber war in mir aufgekommen und ich wusste genau was ich zu tun hatte. Mein Verstand sagte mir, ich solle in Skinner Büro gehen und ihm Williams Verschwinden melden, doch mein Gefühl sagte mir, dass ich aufbrechen musste, dass ich Washington verlassen musste, mit allem was ich an Informationen finden konnte. O b ich Doggett aufklären sollte wusste ich noch nicht, mir war nicht klar ob er schon bereit zu alldem war. Aber andererseits graute es mir allein aufzubrechen, ich hatte das Gefühl, dass nicht mal Skinner mich verstehen würde. Aber ich musste sie irgendwie dazu bringen zu glauben. Sie spielten eine Rolle in diesem Spiel, sonst hätte Jaquline sie nicht erwähnt. Aber irgendwie wollte ich zuerst Mulder benachrichtigen, er war wohl der Mann, der mich am ehesten verstehen konnte. Er musste mich verstehen, denn anscheinend war seine Figur genauso wichtig wie meine.



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Ich war mit der U-Bahn zurück zum J. Edgar Hoover Building gefahren und beschloss die unangenehmste Aufgabe zuerst zu erledigen. Ich hoffe auf niemand zu treffen, am besten es würde keiner mit mir reden. Irgendwie wünschte ich mir unsichtbar zu sein. Ich weiß selbst nicht was für ein Eigensinn mich in diesem Moment packte, aber heute weiß ich, dass Jaquline recht gehabt hatte, meine Logik war ein Teil von mir und ihn zu verdrängen war nichts weiter als Unsinn. Und das sollte mir auch wenig später klar werden. Doch in diesem Moment gewann der Teil von mir, der dies so lösen wollte, wie Mulder es getan hätte die Oberhand und ich schlich beinahe durch die Gänge des F.B.I.-Gebäudes.

Als ob Gott meine Gebete erhört hatte schienen mich fast alle zu ignorieren. Ich fühlte mich in diesem Moment ungewohnt stark und glaube alles bezwingen zu können, allein wohlgemerkt.

Als ich endlich nach vielleicht vier Tagen den kleinen dunklen Gang im Keller betrat, fühlte ich mich auf eine seltsame Weise heimisch. Ich hatte das Kellerbüro wirklich vermisst.



Als ich vor der Tür stand, glaubte ich, dass mich jemand beobachtete, erschrocken drehte ich mich um, starrte aber bloß in die Dunkelheit, es war niemand zu sehen. Schweiß lief mir von der Stirn und erst jetzt bemerkte ich wie angespannt ich war.

Ich atmete noch einmal tief durch und öffnete dann die Tür. Hastig durchquerte ich den Raum und ging auf die Aktenschränke zu, die die X-Akten beherbergten. Ich kam mir komisch vor, als ich die unzähligen Blätterbündel durchwühlte. Mir wurde plötzlich klar, wie wenig ich eigentlich von diesen Akten wusste. Nun gut ich kannte den Inhalt von vielen, aber dennoch nicht den Ort wo sie lagen. Was nützen einem die besten Fotos, wenn man nicht weiß wo die Gegend liegt, in der sie aufgenommen wurden.

So blieb mir also nichts anderes übrig, als jede Akte einzeln herauszunehmen und nachzusehen, womit sie zu tun hatte. Oft erkannte ich dies schon nach ihrem Namen, doch manchmal musste ich die ganzen Papiere durchblättern, da sich ein großer Teil der X-Akten vor meiner Zeit hier abgespielt hatte. Gerade begann ich mich zu fragen was das ganze sollte. Lag dort doch, nachdem ich erst die obersten beiden Schubladen durchwühlt hatte ein erschreckend hoher Stapel, den ich unmöglich zu Mulder bringen konnte. Dennoch schüttelte ich den Kopf und machte einfach weiter. Es war endlich einmal Zeit, all dies zusammenzufügen und für jeden verständlich zu machen.



Auf einmal schreckte ich hoch. Da war das Geräusch wieder, Schritte näherten sich dem Büro und ich ließ erschrocken zwei Akten auf meinen Schreibtisch sinken. Ich hätte fast meine Waffe gezogen, als ein altbekanntes Gesicht durch die Türspalte lugte.

Es war Doggett, dessen blaue Augen mich eindringend, aber erleichtert musterten. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass man von all meinen Abenteuern hier keine Ahnung hatte.



„Agent Scully, es freut mich, dass Sie es mal wieder für nötig halten hierher zu kommen.“, sagte er sarkastisch und ich konnte deutlich einen Schimmer von Wut aus seiner Stimme hören.

„Es… es tut mir leid, dass ich die letzten Tage nicht hier war. Es sind eine Menge Dinge passiert. Jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“ Wie besessen schritt ich zum Schreibtisch zurück, nahm so viele Akten wie ich konnte unter den Arm und ging auf die Tür zu. Und mir wurde bewusst, dass ich es wieder tat, wieder lief ich vor meinen Problemen weg. Die Seifenblase meines Selbstbildnisses platzte einmal mehr.

„Halt, einen Moment.“ Er stellte sich vor mich und blockierte die Tür. Wütend versuchte ich mich an ihm vorbeizuschieben, doch er widerstand locker meiner Kraft.

„Darf ich wissen wo Sie so spät am Abend noch hinmöchten?“

In Sekunden senkte ich meinen Blick zu meiner Handuhr. Es war kurz nach elf.

„Das… das geht Sie nichts an.“ Ich hatte schroffer geklungen als ich es beabsichtigt hatte.

„Scully, ich weiß was passiert ist, ich habe mit Skinner geredet.“

Ich sah ihn verwirrt an.

„Ihre Mutter hat ihn benachrichtigt, als Sie verschwunden sind.“

Ich schlang meine Arme beinahe krampfhaft um die Akten. Warum musste sie sich nur in alles einmischen, so gut sie es auch meinte.

Ich starrte eine Weile lang nur zu Boden, wusste nicht was ich sagen sollte. Unbemerkt verschwinden konnte ich nicht mehr. Und erst jetzt wurde mir klar wie dumm diese Idee gewesen war. Was hätte ich nur ausgelöst wäre ich einfach verschwunden ohne jemandem etwas davon zu berichten?

Noch ehe ich weiterdenken konnte, stach Doggetts Stimme durch meine innere.

„Scully ich dachte Sie hätten es geschafft mir zu vertrauen. Aber seit Mulder wieder weg ist benehmen Sie sich wie ein anderer Mensch. Zwingen Sie mich bitte nicht an Ihnen zu zweifeln.“ Er klang enttäuscht. Zu gerne hätte ich ihm erklärt warum ich so handelte.

„Sie würden das nicht verstehen.“, war das einzige was ich hervorbrachte.

„Was nicht verstehen?“

„Meine Suche, all das wofür ich in den letzten Tagen gekämpft habe. Wozu auch, ich verstehe es selbst nicht richtig, aber bis ich es verstehe, bitte ich Sie mich meinen eigenen Weg gehen zu lassen.“ Ich war kurz davor mit den Tränen zu ringen und um sie zurückzuhalten schienen meine Augen vor Zorn zu funkeln.

Doggetts anfangs noch weicher Blick, schien in etwas abgedriftet zu sein, dass ich zuletzt, auf der Suche nach Mulder in seinen Augen gesehen hatte. Er zweifelte an mir und nicht an meinen Absichten, sondern an meinem Verstand und das gefiel mir nicht.

„Es tut mir leid.“, stammelte ich.

„Scully verstehen Sie, ich versuche Ihnen nur zu helfen. Egal wo Ihr Sohn jetzt ist, Sie können ihn mit Mulders Hilfe genauso wenig finden, wie allein. Mulder sind die Hände gebunden, er ist kein F.B.I.-Agent mehr. Sie wären zusammen bloß ein Mann und eine Frau, die nach ihrem Kind suchen, mehr nicht. Und ich denke Sie wissen wo solche Suchen enden…“

Ich verdrehte die Augen und atmete immer schneller. Er hatte recht, das war das einzige was ich mir in diesem Moment einbläuen konnte. Was konnten Mulder und ich schon tun? Zwei Menschen gegen den Rest der Welt, ich wusste genau wo dies enden würde, in der Hoffnungslosigkeit.

wiederholte mein Gewissen nun immer wieder

„Ich… ähm… Doggett… ich…“ Ich brachte kein richtiges Wort heraus und wusste wenn ich ehrlich war auch nicht, wie ich Doggett mein Anliegen erklären sollte.

Doggett sagte nichts, er spürte vermutlich, dass ich ihm etwas wichtiges sagen wollte, etwas, das mir seit seinem Betreten des Büros auf der Zunge gelegen hatte.

„Also, Doggett, Sie wollen also eine Erklärung für alles?“

Er nickte.

„Gut, aber Sie müssen mir eines versprechen. Wenn ich etwas sage, dann meine ich es auch so. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich das was ich suche nicht verstehe und ich bitte Sie mich nicht mir irgendwelchen Worten zu überrollen, wenn Sie es auch nicht verstehen, denn erklären kann ich es Ihnen nicht, genauso wenig wie ich es Ihnen beweisen kann. Ich bitte Sie nur mir zuzuhören, ohne jeglichen Kommentar. In Ordnung?“ Ich fühlte mich komisch dabei ihm so eine Predigt zu halten, aber es musste sein, denn das letzte was ich wollte was, dass mich jetzt noch jemand an meinen Weg zweifeln ließ. Wenn ich schon das falsche tat, dann wenigstens mit voller Überzeugung.



„Ich verspreche es Ihnen Scully. Aber Sie müssen mir auf Ihrer Seite auch etwas versprechen, nämlich dass Ihnen jetzt nicht in den Sinn kommt mich für irgendetwas zu verpflichten. Damals, als ich den Befehl hatte Mulder zu finden, folgte ich Ihnen, weil Ihr Anliegen auch meines war. Aber jetzt wo Sie anscheinend etwas suchen, das ich nicht einmal vermisse, würde ich gerne selbst wissen, was auf mich zukommt, bevor ich hinter Ihnen her renne, einverstanden?“

Ich wusste nicht wann er jemals hinter mir her gerannt war, aber er hatte recht.

„Gut, dann denke ich kann ich anfangen, setzten Sie sich.“

Ich begann ihm die ganze Geschichte zu erzählen von Anfang bis Ende, von Jaquelines Worten und Kryceks Angebot, über das schwarze Öl (die Sache mit dem Wurm verschwieg ich ihm), bis zu Williams Verschwinden und ich betete, dass ich das richtige getan hatte.

Doggett sah mich nach meiner Rede an wie eine Schildkröte, die man auf den Rücken gedreht hatte.

Ich wusste was er sagen wollte, doch wie abgesprochen, sah er mich nur an und ich versuchte mir einen Reim aus seinem Gesichtsausdruck zu machen. Ich erkannte eine Spur Ironie, aber auch Sorge und vielleicht ein wenig von dem Willen mir zu helfen.

Er wollte gerade zu einem Wort ansetzen, als ich ihm den letzten Teil meiner Gesichte präsentieren wollte, das was Jaqueline Adams mir weiszumachen versuchte, das was ich selbst nicht zu glauben wagte.

„Doggett, ehe Sie etwas sagen, muss ich Ihnen noch etwas mitteilen. Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Es gibt etwas, das Jaqueline zu mir gesagt hat. Nämlich das, das ich selbst nicht verstehen kann oder will.“ Ich hielt die Luft an und sah verloren in seine Augen. Er nickte mir zu und zwang mich beinahe weiterzureden. „Sie sagte mir ich sei etwas Besonderes. Das ich irgendwelche Kräfte hätte und ich die einzige wäre die die Erde vor dem bewahren konnte, was auf sie zukommt. Sie meinte weiter, dass Mulder, Skinner und auch mein Sohn etwas damit zu tun hatte. Sie bringt sie ebenfalls damit in Verbindung Doggett.“

„Einen Moment, Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, dass wir so etwas wie die Retter der Welt sind? Scully es tut mir leid, dass ich mein Wort brechen muss, aber Jaquline Adams ist eine alte Frau. Sie erzählt Ihnen einfach eine Geschichte und sie glauben sie ohne weiteres?“

„Aber was ist mit Krycek, er hat etwas Ähnliches gesagt. Doggett, das ist keine Geschichte, das ist die Wahrheit. Ach, verdammt… ich weiß nicht was es ist, aber ich denke wir sollten auf sie hören.“

„Wir?“

„Sie gehören doch dazu, oder? Doggett verstehen Sie doch, ich wollte Ihnen das alles sowieso irgendwann sagen, dann wenn ich Mulder gefunden habe und William, aber da ich es Ihnen nun jetzt gesagt habe, so wie sie es wollten, erwarte ich nun von Ihnen, dass Sie einfach versuchen darüber nachzudenken.“

Er schüttelte den Kopf.

„Ich kann das nicht.“, sagte er betrübt und ich glaubte Wut in seinen Augen zu sehen.

„Dann werde ich eben allein gehen. Ich werde Mulder finden und wenn Sie es unbedingt so wollen, dann kann ich Sie auch hier zurücklassen. Sie können genauso wie die anderen Menschen in die Luft fliegen, oder sonst wie enden, indem sie einfach herumsitzen. Denken Sie darüber nach! Und noch etwas, erzählen sie das niemandem sonst bringe ich Sie um! Denken Sie darüber nach!“, wiederholte ich nochmals, griff die Akten etwas fester und ging durch die Tür des Kellerbüros. Was um Gottes Willen hatte ich da getan?
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