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9x04 - Silence

von Lhutien, Stefan Rackow

Kapitel 4

Mulder und Reyes verließen das Haus von Martha Miller, nachdem diese ihnen wenig Stichhaltiges hatte erzählen können. Beinahe eine Stunde lang hatte die arme Frau immer und immer wieder von Stille gesprochen. Davon, dass es so ruhig war, und dass sie ihren Mann gefunden hatte bzw. dessen sterbliche Überreste. Immer und immer wieder. Stille. Ruhe. Tod. Das Trio, das den ganzen Fall bestimmte, ihm Substanz gab. Und trotzdem war der Fall alles andere als durchschaubar. Reyes und Mulder hielten es erst einmal für besser, die arme Frau in Ruhe zu lassen, damit diese sich allmählich von dem Schock erholen konnte. Wenn dies überhaupt möglich war, in Anbetracht der Umstände, fragte sich Reyes und seufzte einmal.



„Was haben wir bisher?“, fragte Mulder eher sich selbst als seine „Partnerin“, und setzte sich nachdenklich auf einen Baumstumpf in der Nähe des Anwesens der Millers. Die Sonne war inzwischen hinter dunklen Wolken verschwunden. „Ein seltsames Dorf; eine Leiche; eine Tragödie aus der Vergangenheit, die in die Gegenwart fortdauert – und irgendwie hängt alles zusammen, läuft letztendlich auf das Wort „Stille“ hinaus.“ – Er versuchte zu lächeln – „Wäre ich Drehbuchautor, würde ich mich bedanken für diese tollen Stichworte, aus denen sich bestimmt ein atmosphärischer Thriller schustern ließe.“



„Meine Meinung, Mulder, meine Meinung. Wir haben im Grunde nichts außer einigen Fragmenten, die noch im Unklaren lassen, was letztlich das Ganze ist“, erwiderte Reyes beiläufig.



„Das Ganze...“, murmelte Mulder und schmunzelte etwas. „Das Ganze. Reyes, kennen Sie auch dieses Gefühl, wenn man ... wenn man glaubt, die Lösung vor der Nase zu haben, aber sie einfach nicht sehen kann? Dass man blind wird, wenn man alles, was man braucht, vor sich hat? So fühle ich mich gerade.“



Reyes sah ihn an. Ihr schienen dieselben Gedanken durch den Kopf zu gehen, denn sie nickte nur und senkte den Blick. Inzwischen war es 5 Uhr am Nachmittag, und der Himmel hatte sich wieder etwas aufgeklart.

Es war ein ruhiger Nachmittag. Vielleicht war es zu ruhig...



*



Nicht unweit vom Dorf kontaktierte derweil eine nervöse Ärztin die örtliche Polizeidienststelle, um über den Ausgang ihrer Untersuchung der Leiche zu berichten.



„Dr. Seal, guten Tag“, meldete sie sich, als endlich jemand am anderen Ende das Gespräch entgegennahm. „Ich rufe an wegen des Vorfalles im Dorf, oben auf dem Hügel...“



„Ach, ... die Sache“, murmelte die Stimme am anderen Ende der Leitung und wirkte nicht sonderlich erfreut. „Hören Sie, Dr., wir haben uns an das FBI in Washington D.C. gewandt, die sich dem Fall angenommen haben. Eine Agentin sollte schon vor Ort sein...“



„Moment“, unterbracht die junge Ärztin das Gespräch, „wieso wurde das Washingtoner FBI Hauptquartier eingeschaltet?“



„Wir haben hier viel zu tun“, antwortete die Stimme am anderen Ende der Leitung kurz und knapp. Jedoch bemerkte Dr. Seal, dass der Angerufene augenscheinlich log. „Sie sind erfahrener als wir hier. Die werden das Kind schon schaukeln.“



„In Ordnung“, sagte Dr. Seal monoton, „und mit wem kann ich wegen der Untersuchungsergebnisse in Kontakt treten?“



Der jungen Ärztin wurde die Nummer von Reyes übermittelt, welche diese am frühen Morgen für etwaige Nachfragen bei der Polizeidienststelle hinterlassen hatte. Dr. Seal bedankte sich und nahm sich vor, die Agentin am besten sofort über ihre Untersuchungen zu unterrichten.



Als das Freizeichen ertönte und die Stille, die in ihren Ohren summte, durchbrach, spürte sie einen leichten Anflug von Erleichterung. Endlich konnte sie mit jemandem über das Gesehene reden und – so hoffte sie – ein wenig Klarheit bekommen.



*



Wenige Minuten später wusste nun auch Reyes Bescheid über die Untersuchungen. „Der Leiche fehlen also Zunge und Stimmbänder?“, fragte sie sichtlich geschockt noch einmal am Ende des Gespräches, um auch Mulder das Ergebnis mitzuteilen. Dieser machte große Augen und zog die Stirn kraus.



„Ja, sie wurden gewaltsam entfernt.“



„Danke, Dr. Seal. Behalten Sie die Unterlagen bitte unter Verschluss, bis wir sie abholen.“ – Sie pausierte – „Bestenfalls morgen im Laufe des Tages. Jetzt haben wir wenigstens eine Richtung, in die wir ermitteln können.“ Jedoch wusste Reyes nicht, ob ihnen das wirklich weiterhalf. „Haben Sie vielen Dank für das schnelle Unterrichten. Wir melden uns wieder bei Ihnen.“



Mit diesen Worten beendete Reyes das Gespräch und blickte zu Mulder. „Unser Täter scheint einen Fetisch für Zungen und Stimmbänder zu haben. Nicht verwunderlich, dass sich die Perversen immer perverse Taten ausdenken.



Mulder nickte nur und dachte nach. Ihm kam einer der ersten Fälle in den Sinn, die er zusammen mit Scully Anfang der Neunziger behandelt hatte. Donnie Pfaster mit seiner Vorliebe für Fingernägel und Frauen mit der besonderen Haarfarbe. Nach diesem Fall wunderte Mulder nichts mehr, denn er hatte erkannt, dass der Mensch manchmal das schlimmste Monster überhaupt sein kann.



„Ich frage mich, was unser Täter mit dieser Tat erreichen wollte. Ging es ihm alleine um die Befriedigung seiner niederen Triebe, oder verschließt sich uns die Logik der Tat und selbige soll auf etwas ganz anderes hindeuten?“, fragte er mehr sich selbst als Reyes und schloss die Augen. „Zunge ... Stimmbänder ... wofür stehen diese? Können sie irgendeine tiefere Bedeutung für jemand haben?“



„Die Rolling Stones mochten schon immer Zungen, Mulder“, sagte Reyes ironisch und fügte an: „Aber ich glaube nicht, dass sie etwas mit dieser Tat zu tun haben. Nein, ernsthaft: ich glaube nicht, dass Zunge und Stimmbänder in irgendeiner Mythologie eine tiefere Bedeutung haben. Jedenfalls weiß ich von keiner.“



„Dann gehen wir mal vom Naheliegendsten aus. Jemand, der keine Zunge und/oder Stimmbänder mehr hat, kann...“



„...nicht mehr reden“, beendete die Agentin Mulders Satz und machte große Augen. „Womit wir wieder bei der Stille wären. Was hatte Martha Miller gesagt? Es war still, hat sie gesagt, als sie ihren Mann tot aufgefunden hat. Still. Und ihrem Mann fehlten Zunge und Stimmbänder.“ – Sie stockte – „Mulder, mit was haben wir es hier zu tun?“



„Ich weiß es nicht, Monica, ich weiß es nicht“, antwortete er und ließ seinen Blick kreisen über die Umgebung. Haften blieb er an dem großen Stromzufuhrkasten auf dem Feld. „Mich würde interessieren, ob dies ein Einzelfall war, oder ob in den letzten Monaten etwas Ähnliches schon mal passiert ist.“



„Ist es, Agents.“



Mulder und Reyes fuhren erschrocken herum und sahen, dass sich ihnen unbemerkt ein alter Mann mit schlohweißem Haar und langem Bart genähert hatte. Er musste Ende 80 sein, und doch wirkte er mehr als agil, als er auf einen Stock gestützt den Agenten entgegen trat.



„Dieser Vorfall war kein Einzelfall. Nur weiß niemand von den anderen Toten, da keiner etwas nach außen hat verlauten lassen.“ Er stützte sich auf seinen Stock und verzog das Gesicht zu einem Lächeln. „Rupert Todd, mein Name. Ich glaube, ich kann Ihnen ein wenig mehr als die anderen hier erzählen. Denn ich bin alt und habe nichts zu verlieren...“



*



Der alte Mann gebot Mulder und Reyes, sich zu setzen, als sie in das karg eingerichtete Wohnzimmer traten, welches nicht mehr als einen Sessel, eine Couch und einen alten Holztisch beherbergte, der das Zentrum des Raumes bildete. Licht spendete eine alte Hängelampe, die wachend über dem ganzen hing und hin und wieder flackerte.



„Es ist nicht der Tadsch Mahal, aber es lässt sich dennoch ganz gut hier leben“, scherzte Rupert Todd beiläufig und nickte seinen beiden Gästen zu. „Setzen Sie sich bitte.“ Dankend nahmen die beiden an und setzten sich auf die alte Couch, die trotz ihres äußeren Eindrucks erstaunlich gut gepolstert war.



„Die anderen haben geschwiegen, gehe ich richtig in der Annahme?“ – Der alte Mann nahm ächzend in dem Sessel Platz – „Das sieht denen ähnlich. Nehmen Sie es ihnen bitte nicht übel. Ich denke, Sie werden später verstehen, wieso alle so handeln.“



„Was mich zu der Frage bringt, warum Sie mit uns reden wollen, Mr. Todd“, entgegnete Mulder und lächelte etwas.



„Jugendlichen Übermut kann ich es wohl nicht nennen“, scherzte der alte Mann und lachte einmal herzlich. „Nein, ich glaube, dass es einfach Zeit ist, jemanden zu unterrichten.“ – Schlagartig änderte sich seine Stimmung – „Sie wissen von der Geschichte, die sich um das Dorf rankt?“



Reyes nickte. „Die Frist ist vor einigen Monaten abgelaufen, so dass dem Dorf wieder Fördergelder zugebilligt werden.“



„Ganz genau. Wir wurden vor wenigen Monaten mit einem Schlag eingedeckt mit dem größten Firlefanz, den wir damals nicht gebraucht haben und auch jetzt nicht benötigen.“



„Sie sprechen von technischen Sachen wie Satellitenschüsseln, richtig?“ – Mulder beugte sich etwas nach vorne. „Und den Stromzufuhrkasten draußen auf dem Feld.“



Rupert Todd nickte. „All das Zeug ist teuflisch, es hat unser friedliches Zusammenleben zerstört in dem Moment, in dem es angeliefert wurde. Klar, der Bundesstaat wollte uns nun, da wir offiziell wieder dazu gehörten, eingliedern und hielt es wohl für nötig, dafür diesen Schnickschnack hier zu installieren.“ – Kopfschütteln – „Sehen Sie, viele mögen in uns eine Variante der Amish – Sekte sehen, aber dem ist nicht so. Wir haben zwar auch gelernt, mit dem auszukommen, was wir in Handarbeit erarbeitet haben. Und wir haben auch hin und wieder Abstecher in die Stadt gemacht, um Sachen zu kaufen ... aber wir sind anders ... nun ja, uns ging es gut, wirklich...“



„Sie sprachen von weiteren Toten, Mr. Todd“, warf Mulder abrupt ein. „Was hat es damit auf sich?“



Der alte Mann atmete einmal tief aus. „Sie haben recht, es wird Zeit, dass ich Ihnen davon erzähle. Angefangen hat es mit dem alten John. Er, nun, er ist eines Morgens einfach nicht aufgewacht. Nun ja, das war die offizielle Variante. Die inoffizielle spricht eine andere Sprache...“



„Wurde er ermordet?“, fragte Reyes vorsichtig und schluckte einmal.



„Wir konnten es nicht eindeutig feststellen, gehen aber letztlich davon aus ... armer Kerl ... haben ihn wie all die anderen hinten auf dem Feld in aller Stille beigesetzt.“



Mulder machte große Augen. „Warum haben Sie nicht die örtliche Polizei verständigt, wenn Anzeichen dafür vorlagen, dass womöglich ein Mörder unter den Einwohnern weilt?“



„Aus Angst wohl. Wir können hier keinen Trubel gebrauchen. Wissen Sie, wäre das Gerücht umgegangen, dass jemand in unseren Reihen ein Mörder ist, wäre es hier wohl zu tumultartigen Zuständen gekommen. Panik, Angst ... das sind die Zutaten für den Untergang, Agents.“ – Rupert Todd schloss die Augen und verstummte, so als ob er die gerade gesagten Worte noch einmal in aller Ruhe verinnerlichen wollte. Dann sah er wieder auf. „Es waren insgesamt 6 Tote in den letzten drei Monaten, und irgendwie muss jemand aus der Stadt von der Sache mit Henry Miller Wind bekommen haben.“ – Er lächelte etwas – „Sonst wären Sie nicht hier.“



„Verstehe ich das insgesamt richtig? Sie möchten lieber in der Ungewissheit leben, anstatt Klarheit zu haben, wer der Mörder ist?“ – Mulder wollte es nicht recht glauben – „Wie können Sie so leben?“



„Ganz gut, wenn man bedenkt, dass das ganze Leben ungewiss ist. Niemand weiß, was morgen passiert. Ich könnte morgen einen Herzinfarkt erleiden, genauso gut könnte es mir blendend gehen ... abgesehen davon: Sie beide sind nun mal hier, um Klarheit zu bringen – das ist Ihr Beruf. Ich hätte weiter in der Ungewissheit gelebt, wenn sich die Sache nicht in - “ - Er bedachte sowohl Mulder als auch Reyes mit einem Blick – „diese Richtung entwickelt hätte. Jetzt möchte ich nämlich, dass Sie Ihre Arbeit machen, Agents. Ich habe meine Prinzipien, und die besagen, dass man sich dem fügen soll, was auf einen zukommt ... Sie beide kamen zu uns ... Deshalb habe ich Ihnen all das erzählt, was ich weiß.“



„Haben Sie die Leichen gesehen?“, fragte Reyes, die merklich schockiert war, und strich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn.



Lange Zeit folgte nichts, dann sah Rupert Todd zuerst Mulder an, anschließend Reyes, und sagte leise: „Ja, ich habe sie gesehen. Alle. Genauer als die anderen.“ – Er lächelte nun wieder etwas, so als ob er genoss, zum finalen Crescendo anzusetzen. „Auch, wenn Sie es nicht glauben mögen, Agents“, begann er, „aber ich bin der hiesige Arzt...“





*





Inzwischen war es Abend geworden, und der Mond hatte sein dunkles Nachtgewand über das Firmament gespannt. Die Schlafenszeit nahte, doch Mulder und Reyes war nicht zu schlafen zumute. Sie waren der festen Überzeugung, dass die Sache noch nicht ausgestanden war und jemand mit einem dunklen Geheimnis unter den Einwohnern weilte, ausharrend, den nächsten Mord zu begehen. Dass die 6 Toten keines natürlichen Todes gestorben waren, war allen Beteiligten nun klar. Rupert Todd hatte die Toten genauestens untersucht, bevor sie unter die Erde kamen. Genau genommen war in allen Fällen keine Untersuchung nötig gewesen, da man sich nur die Leichenfotos ansehen musste, um zu erkennen, dass die Menschen gewaltsam zu Tode gekommen waren. Allen fehlte die Zunge.

Ein Fehlen der Stimmbänder hatte die Untersuchung jedoch nicht zu Tage gefördert, was zum einen daran gelegen haben mag, dass nicht dahingehend untersucht worden war; zum anderen hatte sich Rupert Todd augenscheinlich nur von den äußeren erkennbaren bzw. den sichtbaren Verletzungen leiten lassen und den hohen Blutverlust auf das Entfernen der Zunge zurückgeführt.

Mulder und Reyes waren sich sicher, dass, würden die Leichen exhumiert werden, man auch bei ihnen ein Fehlen der Stimmbänder feststellen könnte. Doch nun galt es zuvörderst zu handeln. Und so fassten Mulder und Reyes einen Entschluss.





*



21:30



Der Mietwagen, mit dem Mulder und Reyes gekommen waren, fuhr – eine knappe halbe Stunde später - langsam im Rückwärtsgang den Steilhang hinab, auf dem das Dorf erreicht werden konnte. Ein Paar Augen in einem Haus blickte dem Fahrzeug hinter vergilbten Vorhängen nach, bis es ganz in der Dunkelheit der Nacht verschwunden war. Die Augen durchsuchten die Nacht...



... und sahen den alten Watson, der nicht unweit am Steilhang stand, neben ihm ein weiterer Bewohner des Dorfes. Sie redeten nicht sehr laut und doch laut genug, so dass der Beobachtende einige Wortfetzen aufnehmen konnte.



„...endlich wieder zurück, wo sie hingehören.“



„...hätten nur Ärger gemacht.“



„Genau ... typisch Stadtmenschen...“



Daraufhin trollten sich die beiden alten Männer und wurden von der Nacht verschluckt. Die Augen zwinkerten einmal, bevor derjenige, dem sie gehörten, die Vorhänge zuzog und sich an einen alten Tisch setzte. Scheinbar hatte es geklappt, dachte die Person und blickte auf die Uhr an die Wand.



Augenscheinlich lief alles nach Plan.



*





Reyes stoppte den Wagen wenig später neben einer Reihe von Bäumen und zog die Handbremse an. Sie war sich sicher, dass sie von hier aus nicht gesehen werden konnte. Dennoch sah sie sich einmal um, bevor sie ausstieg.



„Meinen Sie, dass es klappt?“, fragte sie und blickte nach rechts.



„Klar, die sehen nur das, was sie sehen wollen. Und deshalb werden sie glauben, dass Sie und Ihr Partner weg gefahren sind.“ – Rupert Todd zog Mulders Anzug aus und reichte ihn der Agentin. „Gut, dass es so dunkel ist. So konnte ich leicht für Ihren Partner gehalten werden.“



„Dann wollen wir hoffen, dass die ganze Inszenierung auch was bringt“, entgegnete Reyes leicht besorgt, obwohl auch sie – wie Mulder – gespürt hatte, dass heute abend etwas in der Luft lag. Irgendetwas würde heute nacht geschehen, dessen war sie sich sicher. Und wenn wirklich jemand aus dem Dorf der Täter sein sollte, hätten sie einen Vorteil, da Mulder noch vor Ort war, ohne dass die Einwohner davon wussten. Er hatte sein Handy extra auf lautlos gestellt, jedoch den Vibrationsalarm aktiviert, um auch ja keinen Anruf Reyes’ zu verpassen. So konnte er sich nicht durch Klingeln verraten und würde somit auch nicht riskieren, seine Tarnung auffliegen zu lassen.

Alles war genauestens geplant...



Doch als Reyes so dastand, neben Rupert Todd, wich das Gefühl der Besorgnis einem anderen, viel bedrückenderen. Ohne es zu wollen, überkam die Agentin eine Eingebung, die sie so schlagartig wie ein Blitz traf. Was wäre, wenn...? Erschrocken blickte sie zu Rupert Todd, der immer noch neben ihr stand, die Hände in die Hüften gestützt und die Agentin ein wenig anlächelte, als er ihren Blick erwiderte. „Gut, dass es so dunkel ist“, wiederholte er noch einmal, und plötzlich nahmen die Züge seines durch Alter gezeichneten Gesichts finstere Züge an.



„Im Grunde ist es ganz schön mutig von Ihnen, mit mir hier alleine zu sein, finden Sie nicht?“



Reyes sagte nichts, sondern wich instinktiv einen Schritt zurück.



„Ich meine“, begann der alte Mann und verschränkte die Arme vor der Brust, „nehmen wir doch mal an, ich wäre der Mörder. Dann wären Sie jetzt alleine mit ihm, auf sich gestellt.“



„Wer sind Sie wirklich?“, fragte Reyes merklich nervöser werdend und zog ihre Waffe. „Wer sind Sie, verdammt noch mal?“ Warum war sie nur so blind gewesen? Aber Mulder hatte denselben Fehler gemacht...



„Ich bin immer noch Rupert Todd. Das ist die ganze Wahrheit.“ Er stockte kurz und blickte nach oben an den sternenbehangenen Himmel. „Nun ja, die halbe Wahrheit“, fuhr er schließlich fort und deutete mit seinem knochigen Zeigefinger der rechten Hand auf die Waffe in der Hand der Agentin, so als ob dies seine Verteidigung darstellen sollte. „Ich möchte Ihnen mal eine Frage stellen, Agent Reyes. Warum, glauben Sie, ist hier keine Panik aufgekommen, als es mit den Todesfällen anfing?“



Reyes kniff verbissen die Augen zusammen. So langsam verstand sie. „Weil Sie der Arzt sind und über gewisse Kenntnisse verfügen, die manch einer nicht sein eigen nennt. Das haben Sie sich zu Nutzen gemacht.“



Rupert Todd nickte. Sein Zeigefinger war immer noch direkt auf die Waffe gerichtet. „Sie haben verstanden, Agent Reyes... in der Tat, ich konnte die Todesfälle so aussehen lassen, wie ich wollte. Ich hatte und habe die Kompetenz inne, alles nach meinen Vorstellungen zu verändern. Mir haben die Leute schon immer vertraut. Ich konnte Ihnen also vieles erzählen, sie hätten mir alles geglaubt!“



„Manipulation...“, murmelte Reyes und schüttelte den Kopf. „Das heißt, Sie haben die ganze Zeit mit dem Mörder zusammen gearbeitet. Sie haben vertuscht, dass es sich hier um Morde handelte. Sie haben es wie normale Todesfälle aussehen lassen! Der Mörder und sein Gehilfe, der Arzt. Mein Gott, es ist so einfach gewesen, die ganze Zeit!“



„Nein!“, schrie Rupert Todd plötzlich und entgegnete energisch: „Nein, es war nie einfach! Sie haben die ganze Wahrheit noch überhaupt nicht verstanden. Aber sie wird sich Ihnen offenbaren. Schneller als Sie denken können...!“



„Aber was versprechen Sie sich davon, mit dem Mörder zusammenzuarbeiten? Ich meine ... was ist Ihr Motiv? Da muss es doch etwas Höheres geben!“



Der alte Mann verzog die Miene. „Wofür? Dafür, dass alles wieder so wie früher ist. So wie vor wenigen Monaten. Damals gab es sie noch ... SIE ist mir erschienen, nach wenigen Wochen. Nachdem SIE verdrängt worden war...“



Reyes blickte Rupert Todd nachdenklich an. „ – SIE - ? Wer ist diese Person?“



Nun nahmen die Züge des alten Mannes diabolische Züge an. Er schien den nun kommenden Moment zu genießen, als er den Mund öffnete und mit getragener Stimme sagte: „Keine Person, Agent Reyes. Die Stille ist mir erschienen. Sie, die durch all den neumodischen Kram zurück gedrängt worden war, obwohl sie seit Menschen Gedenken hier unter uns gewohnt hatte...!“



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