World of X

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Sweet little Creatures

von Marion Kirchner, Stefan Rackow

Kapitel 5

- 4. und letztes Kapitel -

„Das Wunder von Halloween“



In jedem von uns steckt ein Stück von Halloween, hatte sie gesagt. Klumpen war in Gedanken und merkte nicht, wie sich die Umgebung um ihn herum plötzlich zu verändern begann. Der Wind blies unmerklich in die andere Richtung, ein paar Fledermäuse flogen rückwärts hinter seinem Rücken vorbei; doch das kleine Monster bemerkte es nicht. Es dachte nach. Ihm kam in den Sinn, dass in jedem zwar ein minimaler Teil von Halloween steckte, dieser jedoch in Ausnahmefällen stärker als alle anderen zusammen wiegen könnte. Jeder gab seinen Teil zum Kuchen dazu, doch es bedarf immer der Krönung – eines Teils, das den Kuchen zu etwas Besonderem macht.

Während er nachdachte, tauchte neben ihm ein schemenhafter Umriss seiner selbst auf, der einen Stein fing, der aus dem Wasser geflogen kam.

Doch auch das bemerkte Klumpen nicht.

Er versuchte sich zu konzentrieren, wollte versuchen, diesen heutigen Abend nach seinen Vorstellungen zu verändern – jetzt, da er wusste, was es mit Halloween auf sich hatte und welche Rolle ihm zugedacht war. Und als er schon aufgeben wollte, geschah es ...



Klumpen spürte, wie auch er sich zu verändern begann. Er schien eins zu werden mit dem Himmel, glaubte, die ganze Welt mit seinen kleinen Händen greifen und drehen zu können. Das kleine Monster spürte, wie es sich allmählich auflöste, während um ihn herum Wolken in der entgegen gesetzten Richtung fortzogen, Bäume im sich plötzlich drehenden Wind wippten und Kleingetier rücklings wieder zurück ins sichere Dickicht sprang.



Der sich langsam auflösende Klumpen sah sich, wie er rückwärts vom See wegrannte, sich von der dort sitzenden Schleimi entfernte. Ihm kam die Szene bekannt vor, allerdings andersherum. Er war vor weniger als einer halben Stunde zu ihr hingerannt! Sollte etwa das, was er sich so sehnlich gewünscht hatte, in Erfüllung gegangen sein? Klumpen erkannte die Wahrheit und wusste, dass er mit seiner Vermutung vom Anfang recht gehabt hatte. Erst ein besonderes Teil machte den Kuchen perfekt. Und dieses Teil steckte in ihm. Seit je her! Ein Lächeln kam über seine Gesichtszüge. Er hatte es nicht gemerkt, geschweige denn geahnt. Er, der er Halloween so sehr hasste, war für das Fest unentbehrlich. Denn wie ließe es sich anders erklären, dass er die Gabe besaß, die Zeit zurückzudrehen?



Beeindruckt und glücklich sah Klumpen auf die unter ihm rückwärts laufende Zeit herab, spürte Genugtuung, Erleichterung, Hoffnung. Hoffnung auf einen besseren Verlauf. Irgendwann in der Vergangenheit, die dann nicht mehr die Vergangenheit sein sollte...

Klumpen hasste Halloween nun nicht mehr – wie konnte er auch? Würde er es hassen, würde er sich hassen, jetzt da er die unglaubliche Wahrheit kannte. Denn Klumpen war nicht nur unentbehrlich für das Fest –



- er war nun Halloween! Und er ließ das Fest von vorne beginnen.



*



Halloween, Washington, D. C. , wieder 19:21 Uhr



Hubert Gordon schreckte wieder hoch und kippte wiederum die Schale Erdnüsse um, welche bis zu diesem Moment auf seinem Bauch gestanden hatte. Die runterfallenden Genussgüter erfreuten den Hund des Mannes, welcher sich schwanzwedelnd über das Glück von oben hermachte und genüsslich schmatzend von dannen zog.

Es klingelte noch einmal.



„Ja!“, brüllte Hubert, „ich komme ja schon!“ – Er griff nach einer Schüssel mit Süßigkeiten und schlurfte genauso lahm wie schon das letzte Mal (das für ihn ja nie stattgefunden hat) zur Haustür. Er holte einmal tief Luft und drückte die Klinke nach unten.



„Hier, das ist alles für euch ... nehmt und esst, aber lasst mich in Ruhe! Nehmt schon!“, trällerte er hinunter und war verwundert darüber, dass er sein Gegenüber gar nicht sehen konnte. Hubert senkte seinen Kopf und bekam große Augen. „Na so was, ihr werdet aber auch immer kleiner, wie?“



„Buh“, sagte der grüne Klumpen und fuchtelte wild mit seinen Tentakeln umher. „Buh, ich bin dein schlimmster Alptraum! Buh, gib mir alle Süßigkeiten, oder dir wird es schlecht ergehen!“



„Ein grüner Klumpen mit Tentakeln“, murmelte Hubert amüsiert und wischte sich die tränenden Augen. „Entschuldige, aber das sieht einfach zu witzig aus, Kleiner! Ist nicht bös gemeint ...“



Das kleine Monster zwinkerte zweimal mit seinen überdimensionalen Augen und legte den Kopf auf die nicht vorhandenen Schultern. „Sie lachen mich aus?“, fragte es zaghaft und zog die faltige Stirn in Falten. „Mache ich Ihnen etwa keine Angst?“



„Na ja, die Ganzkörpermaske ist mehr als beachtlich“, erklärte der Mann lachend und musste sich am Türrahmen festhalten. „Aber du siehst irgendwie nur“ – Er suchte nach dem richtigen Wort – „süß aus!“



„Süß...?“



„Ja, richtig knuffig.“



„Knuffig...?“



„Hör zu, Kleiner, ich meine das doch nicht bös’. Ich sage nur die Wahrheit. Dein Kostüm ist wirklich klasse, aber erschreckend ist es nicht. Aber das Gute ist: du bekommst von mir trotzdem Süßigkeiten ... weil du so süß aussiehst.“



Der kleine Klumpen sagte nichts, sondern zwinkerte nur.



„Hier, nimm dir soviel du willst. Ich ... oh verdammt ...“ Die Schachtel mit den Süßigkeiten fiel zu Boden und verteilte den Inhalt spontan auf der Fußmatte mit den einladenden Worten Hello, how are you?. „Sorry, jetzt ist mir der ganze Scheiß aus der Hand gerutscht.“



„Sagen Sie mal ...“, sagte plötzlich der Kleine und setzte ein Lächeln auf, „Sie sind kein Fan von Halloween, oder?“



„Nein, nie gewesen. War 20 Jahre mit einer Hexe verheiratet, wenn du verstehst, was ich meine. Ich hatte das ganze Jahr über Halloween. Morgens, mittags, abends.“ – Hubert bückte sich und sammelte die verbliebenden noch nicht vom Hund gefressenen Süßigkeiten auf – „Ist doch im Prinzip nur Geldmacherei ... nichts gegen dich, Kleiner...“



Das kleine Monster wollte etwas darauf erwidern, verspürte den Drang, dem Mann etwas darauf zu sagen. Doch er konnte es nicht in Worte fassen. „Ja“, erwiderte es leise, „ja, für Sie ist es das wohl.“



„Magst du Halloween denn? Ach, was frage ich? Natürlich magst du es. Vorwiegend wegen dem süßen Zeug, nicht?“ – Hubert lächelte – „Was für eine dumme Frage von mir.“



„Ich hasse...“ – Das Monster stockte und fühlte sich plötzlich, als hätte es sich selbst beleidigt. „Ich“, begann es noch mal, „ich ... mache mir nichts aus Süßigkeiten.“



„Das ist mir neu...“



„Die sind ... für jemand anders“, erklärte der Klumpen etwas unsicher und versuchte zu lächeln. „Es gibt Dinge, die sind wichtiger als das.“



Hubert machte große Augen. „Und das aus dem Munde eines Kindes...! Ich bin schwer beeindruckt.“



Ich bin selber von mir überrascht, dachte Klumpen, der sich gar nicht mehr wiedererkannte. „Ich verspüre nicht den Drang, mich schrecklich zu verkleiden. Sollen das doch die machen, denen es Spaß macht. Ich bin so, wie ich bin, und das ist gut so.“



„Junge, wenn ich ehrlich bin, machst du mir mit deinem Gerede gerade mehr Angst, als es die schlimmste Maske jemand tun könnte...“, entgegnete der fettleibige Mann zugleich bewundernd und entsetzt. „Man könnte meinen, du wärst ein verkleideter Psychologe.“



„Vielleicht bin ich ja eines von beidem“, sagte Klumpen geheimnisvoll, grinste etwas und machte auf dem Absatz, den er nicht hatte, kehrt. „Lassen Sie die Süßigkeiten ruhig liegen ... der Hund freut sich mehr darüber als ich.“



„In ... Ordnung.“ – Hubert Gordon blickte dem kleinen Wesen nach, wie es in einer Seitenstraße verschwand und kratzte sich am Hinterkopf. Er musste unbedingt seine Meinung revidieren, dass Computerspiele die Kids von heute verblöden. Das Gegenteil war der Fall. Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder.



Wie recht er mit den Wundern hatte, konnte er freilich nicht wissen. Ebenso wenig, warum er in die Küche ging und den Mixer mit einem abfälligen Blick bedachte...



*



Die Uhr schlug 19:30, und alles lief seinen geregelten Gang an diesem besonderen Abend.



*



Klumpen war am Ende der Seitenstraße angelangt und wollte sich auf den Heimweg machen, als ihm jemand auf die nicht vorhandene Schulter tippte. Er fuhr herum.

Vor ihm stand das Schönste, was er je gesehen hatte.

„Hallo“, sagte das Schöne vorsichtig und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Ich hab auf dich gewartet.“



Klumpen lächelte, als er Schleimis Hand griff. „Ach wirklich?“ Er hatte mal gelernt, dass man Frauen am besten etwas hinhalten sollte. „Du zitterst ja...“



„Ja“, entgegnete das kleine Monster verlegen und versuchte vorsichtig, die Hand wieder zurückzuziehen. Doch entweder hatte sie nicht genug Kraft dazu, oder Klumpen hielt sie zu sehr fest, als dass sie dieses hätte bewerkstelligen können. Wenn sie ehrlich war, wollte sie auch gar nicht, dass Klumpen sie los ließ, denn sie fühlte sich gut. Lächelnd blickte sie in seine überdimensionalen Augen, die den Mond am Himmel widerspiegelten. So als ob Klumpen ihn für sie zur Erde geholt hat... „Hast du schon etwas gesammelt?“



„Nein.“



„Aber, du solltest doch für den Boss sammeln!“



Klumpen schüttelte den Kopf. „Nein, er wollte zwar, dass ich es tue, aber das heißt noch lange nicht, dass ich es auch tun muss.“



„Warum so widerspenstig?“



Das Monster seufzte leise. „Nun“, sagte es, „ich habe meinen eigenen Kopf, und der will nun mal nicht für jemand anderen arbeiten. Für mich sind die Zeiten einer Monsterdiktatur schon lange vorbei.“



Schleimi strahlte. „Oh Klumpen“, begann sie euphorisch, „oh Klumpen, das sind auch meine Worte!“



Eine Sternschnuppe zog am sternenbehangenen Himmel ihren goldenen Schweif hinter sich her. Tausende von längst erloschenen, aber noch nachglühenden Sternen erhellten das Firmament; Zeugen der Vergangenheit, Wächter über das Himmelszelt. Hätten sie sprechen können, hätten sie gesagt, dass das Vergangene meistens den Weg bereitet für was Neues – nur obliegt dies jedem Einzelnen. Man muss manchmal das Wort ergreifen und reden. Reden. Den Schleier des Vergangenen abwerfen und das Fundament für die Zukunft errichten.

Leider sagten die Sterne das nicht, sondern leuchteten munter weiter vor sich hin. Doch Schleimi schien, als sie so nach oben starrte, Hand in Hand mit Klumpen, diese nicht ausgesprochenen Gedanken der Sterne mit ihrem Unterbewusstsein aufgeschnappt zu haben; jedenfalls wandte sie sich plötzlich um und öffnete den Mund.



„Klumpen?“



„Ja, Schleimi?“



„Ich – ich muss dir etwas sagen, das mir schon lange auf dem Ektoplasma brennt, und ich hoffe, du hasst mich nicht dafür.“



„Warum sollte ich dich hassen, wo du doch in all den Jahren immer die einzige warst, die mich so für voll genommen hat, wie ich nun mal bin?“ – Er setzte ein Lächeln auf und strich mit seinem Daumen über die Oberfläche von Schleimis gefasster Hand – „Ich hab immer gedacht, dass Glubschauges Machtgehabe nach und nach auf die anderen abfärbt, die ich mal meine Freunde nannte: Chamäleon, Langbein Oz und du. Bei Chamäleon konnte ich mir das mit dem Abfärben – verständlicherweise – noch am besten vorstellen, aber er hielt stand und zog es mehr vor, die Gestalt eines Toilettenhäuschen anzunehmen, als seine ansonsten freundliche Gesinnung zu ändern.“ – Klumpen lachte etwas – „Und Oz weiß gar nicht, wie man das Wort Macht schreibt. Nichts gegen ihn, aber dafür ist sein Gehirn einfach zu klein. Wie heißt es so schön? ~Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben.~ Da kann nichts Ordentliches bei rumkommen.“



Schleimi kicherte leise und schmiegte sich an Klumpens Seite. „Und was hast du über mich gedacht?“



„Ich hatte Angst um dich, Schleimi, große Angst.“



„Du hast dir um mich Sorgen gemacht?“ – Das kleine weibliche Monster setzte einen besorgten Blick auf und zwinkerte einmal mit ihren übergroßen, wenngleich sehr schönen, Augen – „Warum? Weil auch ich mich hätte verändern können?“



Klumpen atmete einmal tief aus. „ Ja... aber wollen wir uns nicht in das Gebüsch da setzen? Die knutschenden Kids hinter uns stören mich ein wenig...“



„Hey Kleiner, ich hab dich nicht beleidigt, wenngleich dein Kostüm abgrundtief scheiße ist...“, kam die lasche Antwort des Knutschenden, der gleich darauf von seiner Freundin, die ihn durch gelbe Plateauschuhe bestimmt nicht in geistiger Hinsicht überragte, zur Raison gebracht wurde.



„He, du sollst Augen für mich haben, du Banause, ich hab mir extra die Wimpern zurechtgemacht!“



„Ja Schnuckelchen, bitte raste nicht wieder aus.“



„Ich raste nie aus, Hase.“



„Doch, das tust du, Schnecke.“



„Tu’ ich nicht!“



„Doch!“



„Küss mich.“



„Häh?“



„Küss mich, du Idiot. Mach’ dich mir gefügig!“



„Klar, Schatz. Was immer du befiehlst...“



„Und mach’ die Augen zu.“



*



Während diese Jugendlichen scheinbar immer noch nicht den wahren Sinn und Zweck der Liebe erkannt hatten und Er sich von Ihr weiter herumkommandieren ließ, hatten sich Klumpen und Schleimi schon längst in das entfernte Gebüsch zurückgezogen. Dass die Menschen in vielerlei Hinsicht anders dachten als Monster, musste an der Veranlagung liegen, entschieden die beiden Monster einstimmig. Liebe war mehr. So viel mehr. Liebe war Gefühl. Und auch, wenn Monster normalerweise manches nicht fühlen konnten, da ihnen einfach die entsprechenden Sinne fehlten, so sollten sie, wenn sie verliebt waren, doch in den Genuss kommen. Denn was Menschen fühlen dürfen, müssen Monster erst recht erleben dürfen. Alles eine Frage der Gleichberechtigung.





*



„Klumpen? Ich liebe dich. Seit dem ersten Augenblick, an dem wir uns gesehen haben.“



„Seit der Explosion in dem Klärwerk? Wo die ganze Umgebung wegen anhaltenden „Regens“ evakuiert werden musste?“



„Nein, das war in dem Jahr davor...“



„Ach so.“



„Tja...“



„Schleimi...?“



„Ja?“



„Ich liebe dich auch. Seit dem ersten Augenblick ... wo das auch gewesen sein mag!“



Schleimi strahlte wie ein Atomkraftwerk.



„Und jetzt küss mich.“



„Komm’ mir nicht auf die billige Tour, Klumpen.“ – Ihre Gesichtszüge verfinsterten sich kurz. Dann brach sie in schallendes Gelächter aus – „Oh Klumpen, du bist so herrlich!“



*



Der nun folgende Kuss gehörte zum Bewegendsten, was die Welt je zu Gesicht bekommen hat. Die Autoren behalten sich aber das Recht vor, diesen Moment der trauten Zweisamkeit unkommentiert zu lassen, denn junges Glück soll man nicht stören. Am allerwenigsten wir. Die Autoren bitten in dieser Hinsicht um Nachsicht und blenden an dieser schönen Stelle aus.



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