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Sweet little Creatures

von Marion Kirchner, Stefan Rackow

Kapitel 4

- 3. Kapitel -

„Operation: Leiche weg“



21:54



„Was wollen Sie von mir hören, Agent Doggett? Dass dieses arme Schwein noch lebt?“



„Tut es das denn?“



„Nein, wie Sie unschwer erkennen können!“ – Dana Scully atmete einmal tief aus und blickte Doggett ins Gesicht. „Ist der Arme in einen Mixer gefallen?! Ich habe so etwas noch nicht gesehen...“



„So wurde er zuhause gefunden ... und wir vermuten, dass er da auch zu Tode gekommen ist und nicht etwa woanders und nachträglich vor sein Haus gezerrt wurde.“ – Doggett spürte, wie ihn die Übelkeit wieder zu übermannen drohte. Zu allem Überfluss hatte er heute abend noch nichts gegessen und verspürte plötzlich den Drang, einen Hamburger mit ordentlich Hackfleisch ... Sein Blick fiel auf die Überreste der Leiche, und er verdrängte dieses Verlangen. Vorerst.



„Und was soll ich nun rausfinden? Dass der Mann tot ist, ist klar. Und eine genaue Todesursache wird sich nur schwerlich feststellen lassen können“, sagte Scully daraufhin leicht kühl und verschränkte die Arme vor der Brust. „Oder ist das hier alles ein Scherz und Sie haben mir hier Ihre Hackfleischabfälle von heute Mittag aufgetischt?“



„Wie meinen Sie das?“, fragte Doggett leicht verwundert und zog die Stirn kraus.



„Heute ist Halloween, Agent Doggett, aber ich muss Sie enttäuschen, ich habe keinerlei Süßigkeiten hier bei mir...“



Doggett verstand endlich. „Trick or treat? Oh nein, Agent Scully, aus dem Alter bin ich raus.“ Er lächelte etwas, bevor sich seine Miene wieder verfinsterte. „Leider ist das hier Ernst.“



Scully seufzte. „Haben Sie denn irgendwelche Anhaltspunkte darauf, dass der Mord – wir gehen mal davon aus, dass es Mord war – bei dem Opfer zu Hause stattgefunden hat? Irgendetwas Stichhaltiges?“



„Abgesehen davon, dass es so einen großen Mixer in keinem Haushalt gibt – ja, wir haben etwas.“ – Doggett zog den Plastikbeutel aus seinem Jackett und reichte ihn Scully, welche ihn angewidert betrachtete.



„Was, beim heiligen William, ist das?“



„Agent Reyes und ich hofften, Sie könnten uns das sagen. Monica denkt, dass das Schweiß sein könnte.“ - Doggett blickte in Scullys entgeistertes Gesicht und sah die nun kommende Frage nahen.



„Aber...?“



„Das habe ich auch gedacht“, schnitt Doggett ihr das Wort ab und stützte sich scheppernd auf das Tablett mit den sterilen Arbeitsgeräten. „Aber vielleicht liegt sie mit ihrer Vermutung gar nicht so falsch.“



Scully rümpfte die Nase. „Sie meint, dass das nicht von einem Menschen stammt, richtig?“ – Und hintendran: „Wo ist sie überhaupt?“



„Einer Ihrer Kollegen, Agent Scully, hat sich am Eingang verschanzt und Monica in seinem Halloweenkostüm derart erschreckt, dass sie erst mal einen starken Kaffee braucht“, antwortete Doggett leise. „Sie ist etwas schreckhaft.“



„Da unten ist aber niemand außer dem Nachtwächter, Agent Doggett. Und der ist nicht verkleidet, sondern sieht immer so schrecklich aus .“



„Ach, in der Tat...?“



„Ja.“ Sie verzog argwöhnisch das Gesicht. „Ich glaube, an Halloween drehen alle durch...“





*











*



Der Stuhl blickte vorsichtig um sich und sah eine kleine rothaarige Frau, die angewidert einen Mann betrachtete, der ihr gegenüber stand. Es war der Agent mit dem leicht dümmlichen Gesichtsausdruck. Chamäleon blinzelte etwas und erkannte, dass die kleine Frau nicht den Agenten, sondern vielmehr einen Plastikbeutel in ihrer Hand beäugte. Als er erkannte, was sich da in dem Beutel befand, weiteten sich Chamäleons sowieso schon großen Echsenaugen. Es war das, was sich in diesem Beutel nicht hätte befinden dürfen! Monsterschweiß, Ausdünstungen eines Monsters!

Chamäleon sah schon die Schlagzeilen: Unwiderlegbarer Beweis für die Existenz von Monstern entdeckt – Forscher bezeichnen das Ektoplasma als die Entdeckung des noch jungen 21. Jahrhunderts.



Das Plasma musste verschwinden. Am besten sofort!



*



irgendwo tief im Wald, nahe eines großen Sees



Fern ab von Ausdünstungen eines Monsters und Schwierigkeiten, sich aus einem stählernen Gefängnis zu befreien, erreichte zeitgleich ein kleines klumpiges Wesen völlig außer Atem das Ufer eines großen Sees, um den sich bei den Menschen die seltsamsten Geschichten rankten. Die einen behaupteten, es lebe ein Monster darin, das schon die ein oder andere unvorsichtige Promenadenmischung verspeist haben soll. Wiederum andere waren der festen Überzeugung, der See könne reden, da des öfteren nachts ein Wimmern zu vernehmen ist. Seltsamerweise hatten alle Recht.

Der See war an sich kein See, sondern ein Gestaltenwandler, der sich jederzeit in was anderes hätte zurückverwandeln können, wenn er die Willensstärke dazu besessen hätte. Es sei vorweg genommen, dass er diese Willensstärke eben nicht besaß ...

So probierte er nun ein ums andere Mal, wieder seine alte Gestalt (die einer Promenadenmischung) zurückgewinnen. Vergeblich. Und das kann selbst ein Monster sehr, sehr traurig stimmen.



Das kleine Monster an besagtem See versuchte, seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen, und da hörte er es; er hörte das Schluchzen, das Wehklagen eines zutiefst verletzten Wesens – nicht unweit von seinem jetzigen Standpunkt entfernt. Klumpen hätte spüren können, wie sein Herz schwer wird – wenn er eines gehabt hätte. Doch in ihm tickte eine andere Leben spendende Uhr, welche trotzdem schwer wurde. Vor seinem geistigen Auge sah er die Gestalt Schleimis, ihre unbändige – wenn auch für manchen strittige – Schönheit und gleich daneben das, was er – Klumpen – aus ihr gemacht hatte: ein von Selbstzweifeln gepeinigtes Etwas, das in seinem Monsterleben bisher doch im Grunde nur Bestätigung gesucht hatte – Bestätigung durch jemand anderen, Schleimis Gegenpol! Die „Person“, die aus ihr erst ein komplettes Monster machen würde. Klumpen wusste nun, dass er schon seit langem dieser Pol gewesen war. Und ausgerechnet heute, an diesem vermaledeiten Tag, hatte er sich ihr gegenüber in einem ganz anderen Lichte gezeigt, als sie es jemals von ihm erwartet hätte.

Klumpen ahnte, wie Schleimi sich jetzt fühlen musste. Sie musste sich vorkommen wie der letzte Dreck, wie das billige Monsterflittchen, deren Blick vor Liebe derart vernebelt gewesen ist, dass sie die Wahrheit – die für sie nun offenkundige Wahrheit – erst zu spät erkannt hat. Und leider war es nur Klumpen, der wusste, dass diese „Wahrheit“ um sein Machtgehabe heute abend nichts weiter war als eine Kurzschlusshandlung. Ein kurzer Anflug von Macht, der genauso schnell wieder vorbei war wie die untergehende Sonne am Horizont.

Er musste ihr sagen, wie es wirklich war; dass er auch für sie Gefühle hegte, Gefühle besonderer Art. Und er würde sich davor hüten, die bei Menschen so beliebte „Todes-Floskel“ einer Beziehung zu benutzen – („Lass uns doch trotzdem gute Freunde bleiben.“).

Und plötzlich stand sie vor ihm, so dass er gar keinen weiteren Gedanken mehr fassen konnte. Mit bitterbösen Augen blickte sie ihn an, und ihm war, als schmölze er unter ihrem Blick. Klumpen schluckte einen Klumpen in seinem Hals herunter. „Hi“, stammelte er zaghaft, „ich hab gar nicht bemerkt, dass du dich mir genähert hast.“



„Was machst du hier?“, fragte sie kühl und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. „Warum kannst du mich in diesem Augenblick nicht einfach in Ruhe lassen? Denkst du nicht, dass du schon genug kaputt gemacht hast?“



„Ja“, erwiderte Klumpen nach einer ewig lang erscheinenden Sekunde, in der die Welt noch einmal den Urknall erlebte. „Ich wollte mich entschuldigen...“



„Wofür?“



„Für mein ... dummes Verhalten, durch das du einen völlig falschen Eindruck von mir bekommen haben musst.“ – Klumpen setzte sich ans Ufer und warf einen Stein ins Wasser. Der See stöhnte – „Du denkst bestimmt, ich sei machthungrig, falsch, kühl, arrogant und gemein.“



„Nein.“ – Schleimi schüttelte den Kopf – „nein, das denke ich nicht.“



Klumpen spürte ein Lächeln über sein Gesicht huschen. „Nein? Oh, du weißt gar nicht, wie glücklich du mich damit machst! Ich muss dir nämlich etwas sagen...“ – Weiter kam er nicht.



„Nein, ich denke, dass du machthungrig, falsch, kühl, arrogant gemein und verlogen bist, Klumpen. Das sehe ich, wenn ich dir ins Gesicht gucke... und es macht mich zutiefst traurig!“



Na, und mich erst, dachte Klumpen, dessen aufkommende gute Laune in diesem Moment im See baden ging.

Irgendwo in der Ferne heulte ein Wolf.



*



zeitgleich in der Gerichtsmedizin



Das Plasma musste verschwinden, nur wie? Chamäleon dachte angespannt nach und verfolgte mit einem Auge die junge Frau, die das in dem Plastikbeutel befindliche Plasma unter ein Mikroskop legte. „Sieht aus wie Spielzeugschleim aus einer Jugendbeilage...“, murmelte sie, bevor sie einen Blick ins Okular warf. Chamäleon verbrauchte seine letzte Gehirnzelle, um zu dem Schluss zu kommen, dass er unbedingt zu der Frau hinüber musste. Vielleicht könnte er ihr irgendwie den Beutel unbemerkt entreißen; nein, das war absurd. Unbemerkt entreißen war genauso wie ein wenig schwanger – unmöglich! Es musste anders gehen. Nur wie?

Noch bevor er weitere Gedanken ersinnen konnte, spürte er plötzlich eine zentnerschwere Last auf sich lasten, und Chamäleon erkannte, dass der dümmlich dreiblickende Agent scheinbar nicht nur ein Frauenaufreißer war, sondern anscheinend auch nicht mehr der Jüngste.

Der Stuhl stöhnte einmal leise, als der Agent sich auf ihn setzte.



*











*



am Monstersee



„Du musst mich anhören, Schleimi, ich ...“



Klumpen wollte etwas sagen, das ihm schon lange auf der Zunge brannte. Doch das weibliche Monster ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen. „Deine Worte sind nicht echt, Klumpen. Du meinst es, aber in Wirklichkeit hat dich die Macht schon vereinnahmt und jedes einzelne Atom in deinem klumpigen Körper vergiftet. Du bist nicht mehr du selbst ...“ – Sie schluchzte – „Dir ist doch ab heute nur wichtig, dass du deine Untergebenen jetzt nach Herzenslust schikanieren kannst. An allen Tagen. Nicht nur an Halloween.“ – Sie schluchzte noch mal – „Als ob es an Halloween um’s Erschrecken, Schikanieren und Süßigkeiten einsammeln gehen würde...“



„Tut es das nicht?“, fragte Klumpen dumm und ohrfeigte sich in Gedanken selber.



Das kleine weibliche Monster machte große Augen und brach in Tränen aus. Sturzbäche. „Nein, verdammt noch mal! Das ist ein Irrglaube! Halloween wird erst zu dem, was es ist, indem wir es dazu machen. In jedem von uns steckt ein wenig vom Geist von Halloween! Du hast eine Vorstellung, ich habe eine Vorstellung – das, mein Lieber, ist Halloween. Ein Gebilde von einzelnen Vorstellungen. Eine Ansammlung!“



„Du meinst, Schikanieren ist nicht der Grundgedanke? Es geht nicht nur um’s Erschrecken?“ – Klumpen wirkte nachdenklich.



„Oh du dummes Monster“, entgegnete Schleimi mit tränenunterlaufenen Augen, „Schikanieren und Erschrecken war nie der Grundgedanke. Es ist nur ein Teil vom komplexen Ganzen, ein kleines Teil. Für die Menschen ist Halloween nichts weiter als Erschrecken. Sie glauben, sie tun das Richtige, wenn sie von Haus zu Haus ziehen und „Trick or Treat“ schreien.“



„Aber das tun wir doch auch...“



„Du willst nicht verstehen, oder?“ – Schleimi seufzte – „Die Menschen tun das alles aus einer gewissen Motivation heraus. Die großen Läden vermarkten das Geschäft, indem sie Masken und ähnliches verkaufen. Weißt du, was Fakt ist? Die Menschen begehen Halloween aus reiner Profitgier. Und aus Spaß. Nichts weiter.“



„Und du meinst...?“



„Ich dachte, du hättest das schon lange erkannt, Klumpen. Wir Monster brauchen Halloween zur Selbstbestätigung. Denn wenn die Menschen schon nicht während des Jahres an echte Monster glauben, dann wollen wir ihnen wenigstens an einem Tag vor der Nase herumtanzen, so als ob sie an uns glauben würden. Sie denken, wir wären wegen Halloween verkleidete Kinder. In Wirklichkeit sind wir das, woran sie nicht glauben. Uns gibt das Kraft. Ihnen nichts.“



Klumpen schluckte. „So habe ich das noch nie gesehen, ehrlich... ich dachte immer, ich müsste Leute erschrecken! Aber nach dem, was du gesagt hast, ist es mir klar geworden.“ – Er stand auf – „Ich habe mich nie als echtes Monster gefühlt. Ich habe mich nie dazu bestimmt gesehen, Leute zu erschrecken. Ich dachte, ich müsste es tun, weil der Boss es wollte...“



„Ich glaube, du hast nichts verstanden...“



„Doch!“, insistierte Klumpen, „doch, denn wenn ich mich nicht als Schreckmonster fühle, dann muss ich an Halloween auch nicht um die Häuser ziehen. Denn ich brauche keine Selbstbestätigung! Ich weiß, was ich bin! Und deshalb bedeutet mir Halloween nichts! Das, Schleimi, ist mein Halloween: ein Tag, der mir nichts bedeutet! Es ist alles so einleuchtend!“ – Er lächelte – „Du hast mir die Augen geöffnet, Schleimi. Und...“



Doch das kleine weibliche Monster war nicht mehr zu sehen, sondern hatte sich klammheimlich davongestohlen. Klumpen war allein.
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