World of X

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Déjà Vu

von Stefan Rackow

Kapitel 3

Albert hämmerte zum wiederholten Male auf die Holztür ein und rief mit zorniger, ja mit beinahe von Wahnsinn erfüllter Stimme: „Du Miststück öffnest sofort die Tür, oder ich schlage sie dir ein!“

Keine Antwort.

Die Wohnung seiner Ex-Freundin schien zur Zeit verlassen zu sein. Jedoch glaubte Albert nicht daran. Er wusste, dass sie so gut wie niemals das Haus verließ, wenn sie zum gegebenen Zeitpunkt liiert sein sollte. Der mehr oder minder „Glückliche“ musste es sich zur Lebensaufgabe machen, zu jeder Zeit (und dann so schnell wie irgend möglich!) vor ihrer Tür stehen zu können, denn das liebte sie: Männer, die ihr nachliefen, sie regelrecht belagerten. Und mit einem Gefühl der Genugtuung ließ sie sie dann zappeln am Haken, bevor sie sich „erbarmte“ und die Tür zu ihrem Reich öffnete. Es war im Grunde ein Spiel ihrerseits, ein durch und durch durchtriebenes Spiel, bei dem es nur einen Gewinner und viele Verlierer gab.

Auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte: Albert war einer von letztgenannten. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis ihr neuer Verehrer auch wieder vor verschlossener Türe stehen würde, die gepackten Koffer neben ihm, soviel stand fest! Es war Zeit, diesem Teufel in Frauengestalt ein für allemal klarzumachen, dass sie zu weit ging, Männer für ihre perversen Phantasien missbrauchte und dabei immer ein Grinsen auf ihrem sie so unschuldig erscheinenden Gesicht hatte. Es war an der Zeit!



„Was tust du da?“, fragte plötzlich eine helle Stimme, die Albert zusammenzucken ließ. Er blickte nach unten und in das Antlitz eines kleinen Mädchens, welches mit großen blauen Augen den so laut wütenden Mann aus der Wohnungstür gegenüber begutachtete.

„Hast du Ärger, Onkel?“

„Nenn mich nicht Onkel, Kleines!“, fuhr Albert das kleine Mädchen an und wandte sich wieder der Tür zu. „Ja, ich habe Ärger, wenn du es so genau wissen willst. Großen Ärger! Und alles hat damit angefangen, dass DIESES – MISTSTÜCK – MICH – RAUSGEWORFEN – HAT!“ Bei jedem Wort hämmerte er lauter auf die Tür ein. Die Kleine kam näher.

„Warst du mit Tante Lissy befreundet, Onkel?“

„Oh nein!“, stammelte Albert , „hat sie dich auch schon derartig beeinflusst, dass du sie „Tante“ nennst?! Das sieht ihr ähnlich!“ Seine Stimme schwoll an. „Nicht einmal vor kleinen Kindern schreckt sie zurück! Selbst diese benutzt sie für ihre schmutzigen Geschäfte!“

„Claire, komm sofort wieder rein! Ich habe schon die Polizei benachrichtigt, dass hier ein offensichtlich psychisch Gestörter bei Lissy randaliert“, war plötzlich eine Stimme zu vernehmen. Albert fuhr herum und sah in diesem Moment in das Gesicht einer jungen Frau, die den Versuch unternahm, ihre kleine Tochter wieder zurück in die Wohnung zu ziehen. Doch Claire beharrte darauf, weiterhin draußen zu bleiben.

„Mami, der Onkel ist nicht böse. Lissy hat ihn rausgeworfen. Das macht man doch nicht. Hat Papi das mit dir auch schon mal gemacht?“

„Schatz, du gehst sofort wieder rein!“, schrie die verzweifelte Mutter, der die Anwesenheit Albert merklich missfiel.

„Sie haben was?“, fragte der hochgewachsene Mann und ließ von Lissys Tür ab. „Sie haben wen angerufen?!“

„Die Polizei, Sie Rüpel! Die wird Ihnen schon Benehmen beibringen! Und du, Claire gehst jetzt sofort in die Wohn... – he, was machen Sie da?? Lassen Sie sofort meine Tochter wieder los!!“

Doch da hatte Albert das Mädchen schon gegriffen und blickte mit kalten Augen in das entsetzte Gesicht ihrer Mutter.

„Sie verstehen gar nichts! Alle verstehen einen immer falsch!! Herrgott noch einmal, ich bin umzingelt von Idioten! Ist denn die ganze Welt verrückt geworden?!“ , schrie er und zog das Mädchen näher an ihn heran. Claire schien den Ernst der Lage noch gar nicht realisiert zu haben.

„Sie hören mir jetzt zu!“, insistierte Albert, nachdem er sich wieder gefasst hatte und zog ein Messer aus seiner Jackentasche. „Wenn Sie schon den Fehler gemacht haben und die Bullen gerufen haben, dann mildern Sie wenigstens Ihre Schuld dadurch, dass Sie mir sagen, wohin Lissy gefahren ist. Ansonsten sehe ich mich dazu gezwungen, dem Kleinen hier mit einem einzigen Schnitt alle Sorgen auf einmal zu nehmen, die sie mit Sicherheit in ihrem späteren Leben bekommen hätte!!“





******





Doggett ging in die Hocke und hob einen Zettel vom Boden des Schrankes auf, welcher beinahe vollständig in eine Ritze gerutscht war. Selbigen besah er sich etwas genauer und zeigte ihn dann Reyes, die zu ihm getreten war.

„Ja, ich denke, dass Albert Tremor wirklich unser Täter ist. Sieh dir mal an, was genau das für ein Zettel ist und rufe dir dann in Erinnerung, wer das Todesopfer ist“, sagte er und erhob sich wieder.

„Ein ... Räumungsbefehl! Und unser Opfer ist...“

„... der Vermieter, ja!“, beendete Doggett Reyes` Gedanken. „Mir scheint, Albert war von seinem Rausschmiss nicht sonderlich angetan.“

„Wie hast du das gefunden, John?“, wollte die Agentin wissen, doch der Agent war schon unterwegs zu Walters, um ihm von seinem Fund zu berichten. Reyes fuhr sich durch die Haare und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Sollte der Traum doch Wirklichkeit gewesen sein? Denn je öfter sie daran dachte, desto seltsamer erschien ihr alles andere, was sie umgab. Hatte sie all dies vielleicht wirklich schon einmal erlebt? Hatte Doggett daher gewusst, wo der Räumungsbefehl zu finden war? Weil er ihn schon einmal gefunden hatte?

Aber das war absurd!



******



10:00 Uhr

Vor der Wohnung von Alberts Ex – Freundin



„Er hat was?!“

„Er hat mein Kind mitgenommen! Einfach so! Er, er hatte ein Messer bei sich! Und ... oh mein Gott! ...“

„Beruhigen Sie sich“, versuchte der eine Polizist, die junge Frau zur Ruhe zu bringen. „Können Sie den Kerl beschreiben, der ihre Tochter entführt hat? War er groß, klein, schlank, dick?“

„Groß, um die 30 Jahre alt, ungepflegte Erscheinung, dunkelbraune Haare und alte, abgenutzte Jeans!“, stammelte die Frau und brach in Tränen aus. „Ich, ich habe ihn beobachtet, wie er weggefahren ist, Richtung Flughafen. Er fährt einen neuen Sportwagen, rot, ja rot war er! Mit einem Spruch hinten auf der Heckscheibe: LIMITED EDITION NR. 123 oder so...!“

„War es ein Ferrari, Miss?“

„Ja, ja, ich glaube ... ja, es war ein Ferrari...“



Unverzüglich rannten die Polizisten nach unten und hörten gar nicht mehr, wie die junge Frau ihnen hinterher rief. Tom holte sein Sprechfunkgerät heraus.



„Zentrale? Wir brauchen Verstärkung bei der Suche nach einem roten Ferrari der Sonder-Edition, wie vorhin einer als gestohlen gemeldet wurde. Ja, ihr habt richtig gehört! Ein ähnlicher Wagen wurde nicht weit vom Ort des Diebstahls gesichtet. Der Fahrer und vermeintliche Dieb hat hier ein kleines Mädchen in seine Gewalt gebracht. Er scheint bewaffnet und psychisch gestört zu sein. Schickt alle, die ihr entbehren könnt! Wir brauchen dringend Unterstützung! Er fährt Richtung Flughafen! Over.“





Wohnung von Albert Tremor

10:05 Uhr



„Wir haben es also mit einem Wahnsinnigen zu tun, der aufgrund eines Räumungsbefehls ausgerastet ist, den Vermieter ermordet hat und jetzt irgendwo seelenruhig durch die Stadt läuft?“

„Ja“, antwortete Doggett dem Einsatzleiter Walters und knetete an seiner Unterlippe. „Dieser Mann scheint zu allem fähig zu sein! Wenn wir nur wüssten, wo er ist...“

„Ich habe da eine Vermutung“, gab Reyes zu verstehen und zeigte den beiden Männern ein zerrissenes Stück von einem Foto.

„Ich schätze, er hat das hier zerrissen, weil seine Freundin ihn verlassen hat. In der Beziehung wissen Männer zuerst nichts Anderes zu tun.“ – Sie lächelte zu Doggett – „Vielleicht hat ihm der Rauswurf den Rest gegeben und er ist daher ausgerastet. Kleine Ursache, große Wirkung!“

„Mutmaßungen, Agent Reyes, das sind doch nur Mutmaßungen. Wie sollen wir überhaupt herausbekommen, wer seine Freundin war ? Wir haben es hier mit einem Killer zu tun, den es so schnell wie irgend möglich festzunehmen gilt!“ – Walters wurde merklich lauter.

„Und genau deshalb ist seine Freundin bisher der einzige Anhaltspunkt! Agent Reyes hat Recht, Walters!“, erwiderte Doggett und griff zu seinem Handy. „Wir müssen irgendwie herausbekommen, wo...“



Und da hörten sie schon aus der Ferne die Polizeisirenen.



*



Der rote Sportwagen schoss mit einem gewaltigen Tempo an dem brüchigen Haus vorbei, das die Wohnung Albert Tremors beherbergte. Ein Großaufgebot der Polizei folgte mit einigem Abstand, zu schnell fuhr der Verkehrssünder. Doggett und Reyes liefen zum Fenster und blickten den Wagen hinterher.

„Da hat es aber einer sehr eilig“, kommentierte Doggett das Geschehen und wandte sich wieder Walters zu. „Wo waren wir...?“ – Da stockte er mit einem Mal. Reyes stand noch immer am Fenster. Ihre Augen verfolgten die Fahrzeuge angespannt, und auf einmal drehte sie sich um.

„Das war er!“, rief sie. „John, Walters, das – war – er!“

„Wer war wer?“, fragte Derik Walters und ging zielstrebig zu der Agentin, welche mit großen Augen dastand und fassungslos wirkte.

„Albert Tremor“, entgegnete Doggett und erhaschte deshalb einen verwunderten Blick seitens seiner Partnerin.

„Hast du etwa auch ...?“, begann sie erstaunt.

„Monica, der heutige Tag ist für uns beide kein normaler Tag. Das hast du bemerkt, das habe ich bemerkt.“ – Er fasste ihr vorsichtig an die Schulter. „Ich kann es mir selber nicht erklären, aber heute überkommen mich die ganze Zeit schon diese seltsamen Eingebungen. So als ob...“

„ ... das Schicksal uns Zeichen geben will, nicht?“ – Reyes lächelte und verstand nun endlich. „Ja, genau so fühle ich mich heute auch, John. Es ist merkwürdig, aber dennoch nicht von der Hand zu weisen.“

Doggett war kurz darauf schon auf dem Weg zur Tür, als Derik Walters völlig verwundert den beiden Agenten nachsah. Er blickte seine Leute an.

„Männer, wir werden kurz einem anderen Verbrechen nachgehen.“ – Der Einsatzleiter holte einmal tief Luft. „Mein Gefühl sagt mir das!“



Und schon folgten er und fünf weitere Agenten der Abteilung für Gewaltverbrechen, obwohl sie nicht wussten, warum, den beiden Agenten, welche in ihren Wagen stiegen und mit gewaltigem Tempo gen Innenstadt davon fuhren. Und das Schicksal nahm unaufhörlich seinen Lauf...



******



Es war nicht schwer, dem Wagen zu folgen, denn bei seiner Flucht hatte er in der ganzen Innenstadt eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Passanten lagen wimmernd am Boden, Autos standen quer auf der Fahrbahn und zudem waren in der Ferne immer noch die ihn verfolgenden Polizeiwagen mit Sirene zu vernehmen.

Doggett, der die ganze Zeit über dem Tempolimit fuhr, warf einen Blick auf ein Hinweisschild am Rande der Straße.

„Ich glaube, ich weiß, wohin unser Freund will, Monica!“, sagte er und deutete auf ein Schild. „In Kürze erreicht er den Flughafen, und dann ist er möglicherweise auf und davon, bevor wir ihn festnehmen können!“

Reyes sagte nichts. Sie war in ihren Gedanken.



Umstellt.

Mädchen.

Blut.

Schuss.



Sie sah all diese Bilder vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Sie sah den Mann, wie er das Maschinengewehr hielt. Sie hörte die Salve, erkannte mit Schrecken, dass Doggett getroffen worden war, bemerkte, dass ein kleines, unschuldiges Mädchen in der Gewalt des Täters war, sie sah den Mörder ihr immer näher kommen, bis...



Ein Schuss riss sie aus ihren Gedanken. Sie waren an einer Kreuzung angekommen. Die Polizeiwagen hatten dort einen Kreis gebildet, in dessen Mitte ein roter Sportwagen eingekreist war, welcher der zu sein schien, der vorhin am Haus vorbeigefahren war. Doggett bremste scharf und blickte auf das Schauspiel.

„Hätte nicht gedacht, dass das so schnell vonstatten geht“, murmelte er und stieg aus dem Wagen, mit der rechten Hand seine Waffe entsichernd.

„John, wir dürften nicht hier sein!“ , stammelte seine Partnerin und blickte nunmehr verzweifelt auf die Szenerie. Sie schien nervlich am Boden. „Genau so war es in meinem Traum, genau so!“

Doch in diesem Moment hämmerte ein Wort in ihrem Unterbewusstsein, hämmerte derart stark, dass die Agentin sich mit den Händen an den Kopf fasste und versuchte, das Widerhallen zu unterdrücken. Doch je doller sie drückte, desto lauter wurde es („GEGENWART“).



Sie wollte schreien, doch ihrer Kehle entsprang nur ein lautloser Schrei, der in diesem Moment vom Dunkel einer alles verschlingenden Finsternis verschluckt wurde. Mit einem Mal war die Agentin alleine in den ewig dunklen Weiten des Nichts, verlassen, auf sich gestellt. Die Szenerie, die Personen – alles war verschwunden. Nur sie und das Nichts waren zu dieser Zeit unter diesen Umständen an diesem Ort.

Und das Schwarz verschluckte alles.



„So weit bist du also gekommen, Monica.“

Sie kannte diese Stimme.

„Ja, ich habe mich von meinen Gefühlen leiten lassen, Schicksal!“

„Du hast es endlich verstanden“, antwortete dieses. „Du hast die Zeichen, die ich dir und deinem Partner habe zukommen lassen, richtig gedeutet.“

„Ja, aber ich dürfte nicht hier sein! Nicht an diesem Ort, wo, wenn alles so wie bisher festgeschrieben passiert, John und ich das Ende finden!“

„Ist dir schon einmal aufgefallen, dass du nur in deinen Träumen bereit bist zu glauben, Monica?“

„Ja, aber...“

„Das ist deine Schwäche“, begann das Schicksal. „Du beharrst in deinem wirklichen Leben darauf, alles erklären zu können, aber es wohnen zwei Monicas in dir, welche dich immer und immer wieder in einen Zwiespalt bringen. Die eine, die rational denkt, und die andere, die im Grunde alles glauben kann. Aber letztere offenbart sich nur in deinen Träumen.“

„So habe ich das noch nicht gesehen“, erwiderte Reyes und wurde nachdenklich. „Aber ich weiß trotzdem nicht, was jetzt zu tun wäre.“

„Es ist schon richtig, dass du mit Doggett zu diesem Einsatz gefahren bist. Man darf seinem Schicksal nicht davon fahren, denn irgendwann holt es einen sowieso ein, ob man es will oder nicht.“ – Die Stimme machte eine Pause – „Es gilt nun, dein altes Schicksal abzuwenden.“

„Aber wie?!“

„Tu das, was du für richtig erachtest, denn du hast einen Vorteil, vergiss das nicht“, antwortete die Stimme, deren Worte im Nichts gespenstisch widerhallten.

„Einen Vorteil? Aber...“

„Du weißt schon, was ich meine, Monica. Glaube an die Bilder, glaube an die Worte. Denn sie sind wahr! Sie sind wahr, da sie schon einmal passiert sind!“

Die Agentin wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Stimme fuhr fort.

„Bevor es zum alles entscheidenden Zeitpunkt X kommt, habt ihr noch etwas Zeit, denn du solltest eines bedenken.“

„Was?“

„Heute wusstest du, dass in dem Wagen Albert Tremor sitzt. Doch an dem Tag, an dem du gestorben bist, wurde Derik Walters angerufen, dass er sofort mit seinen Männern an die besagte Kreuzung kommen sollte. Da war der Wagen schon lange umstellt gewesen. Ihr seid also zu dem Zeitpunkt nur Derik zum Tatort gefolgt. Heute war es anders herum. Die Zeit hat euch also etwas gutgeschrieben.“

„Wie viel Zeit haben wir noch?“, fragte Reyes.

„Nun, genau in dem Moment, wenn du wieder aufwachst, wird Derik Walters angerufen werden. Das ist dann besagter Anruf, von dem ich dir gerade berichtet hatte. Nur mit dem Unterschied, dass Derik Walters dieses Mal schon vor Ort ist.“

„Also knapp zehn Minuten noch“, erkannte Reyes leicht nervös und schüttelte nicht verstehend wollend den Kopf. „Aber warum haben wir eine zweite Chance? Warum gewährt das Schicksal uns die Möglichkeit, es anders zu machen?“



Schweigen.



„Da muss doch etwas Tieferes dahinter stehen“ , beharrte die Agentin.

„Es ist mir nicht zuteil, zu diesem Zeitpunkt Aufschluss darüber zu geben, Monica. Man darf dem Schicksal nicht vorgreifen, sonst gerät alles aus dem Gleichgewicht!“ – Die Stimme wirkte nachdenklich. „Noch darf ich es nicht sagen.“

„Ich verstehe“, entgegnete Reyes und sah sich im Folgenden plötzlich wieder im Wagen sitzen. Das Schwarz war verschwunden und hatte der hellen Sonne Washingtons Platz gemacht, die heiß auf dem Asphalt brannte. Die Hitze flimmerte. Benommen blickte die Agentin in ihr bekannte Augen. Doggett war über sie gebeugt und erschien ziemlich aufgeregt.

„Monica! Monica, geht es dir gut?“, fragte er.

„Wie? Ähm, ja, mir geht’s gut. Mir war gerade nur etwas schwummerig. Was ist denn passiert?“, entgegnete sie leicht schlaftrunken. Doggett hielt in der rechten Hand seine Waffe und deutete mit dem Zeigefinger auf die Polizeiwagen. „Da drüben tut sich was! Es sind Schüsse gefallen!“



*



noch 9 Minuten



„John, du darfst da nicht hingehen!“

„Monica“, sagte Doggett und blickte ihr tief in die Augen. „Auch wenn du Visionen hattest und ich selbst einen seltsamen Traum erfahren musste – wir müssen da hin und unseren Job tun!“

„Ich – ich kann es ja auch nicht erklären...“ – In diesem Moment wünschte sie sich, dass sie schlafen würde, nur um John erklären zu können, was hier wirklich vorging. Aber die rational denkende Reyes überwog in der Realität – „Ich bitte dich, geh da nicht hin!“

„Monica, wenn wir bei jedem Fall so einfach den Kopf einziehen würden, dann könnten wir gleich unseren Job an den Nagel hängen.“ Er sagte dies mit tiefster Überzeugung und verlieh seinen Gedanken dahingehend Ausdruck, dass er sie sehr getragen aussprach. Reyes schüttelte den Kopf. „Dann kannst du gleich dein ganzes Leben wegwerfen“, murmelte sie in ihrem Inneren.

Zu spät erkannte sie, dass Doggett in diesem Augenblick schon dem Polizei-Corso entgegen rannte.





noch 7 Minuten



„John! Du darfst da nicht hingehen!“ , rief Reyes aus dem Seitenfenster ihrem Partner nach, doch da ertönte schon ein weiterer Schuss. Völlig verzweifelt blickte die Agentin aus dem Fenster und erkannte in diesem Moment, dass die Polizisten das Feuer auf den Wagen eröffnet hatten.



Ein Wagen.

Die Tür.

Das Mädchen!!



Sie sah das Bild deutlich vor sich. Der Fahrer hatte noch ein Mädchen dabei gehabt! Ein kleines unschuldiges Mädchen. Ohne darüber nachzudenken, was sie im Moment tat, stieg Reyes aus dem Wagen und lief den Polizisten so schnell sie nur konnte entgegen. „Stoppt das Feuer! Verdammt noch mal, stoppt das Feuer!!“ , schrie sie aus Leibeskräften und zog sofort die Aufmerksamkeit eines umstehenden Polizisten auf sich.

„Ma´am, Sie sollten nicht hier sein! Bitte machen Sie, dass Sie hier...“ – Sein Blick fiel auf den Agentenausweis und der Mann verstummte.

„Sie haben Recht, ich sollte wirklich nicht hier sein, aber das können Sie nicht verstehen, junger Mann ... nichts für ungut.“ – Reyes steckte den Ausweis wieder in die Tasche und begann weiterzurufen.

„Sie dürfen nicht auf den Wagen schießen! Ein kleines Mädchen ist noch da drin!“

„Was?“, erwiderte Walters, der hinzu gekommen war. „Aber ich dachte, der von ihm geklaute Fluchtwagen wäre leer gewesen! Jedenfalls meinte das die Zentrale!“ – Schweigen – „Sofort Feuer einstellen!“

Reyes, der die Worte seltsam vertraut vorkamen, griff urplötzlich das Megaphon, welches der Einsatzleiter bei sich trug.

„He, was machen Sie da?“

„Lassen Sie mich nur machen, Derik“, flüsterte sie und hob das Megaphon vor ihren Mund.





noch 5 Minuten



„Tremor! Ihre Freundin ist tot! Sie hat sich das Leben genommen! Es hat doch keinen Sinn mehr, jetzt noch Unschuldige mit hineinzuziehen!“ , hallten die Worte der Agentin durch das Megaphon. Walters blickte verwundert zu Doggett, der in diesem Moment ebenfalls mit den Achseln zuckte.

„Was erzählt sie da? Wir haben seine Freundin doch gar nicht gefunden, geschweige denn aufgesucht...“

„Ich denke, sie will bluffen, Derik. Ein Mann, der so erpicht darauf zu sein scheint, seiner Ex - Freundin ein für allemal die Meinung zu sagen, dass er selbst vor Waffengewalt nicht Halt macht, scheint nicht mehr klar denken zu können. Wenn wir ihn jetzt vor vollendete Tatsachen stellen, gibt er vielleicht auf, da er kein Ziel mehr vor Augen hat.“ – Doggett biss sich auf die Unterlippe und ging wieder auf Position. Walters blickte ihm ungläubig nach. „Mutmaßungen“, grummelte er, „das sind doch alles nur Mutmaßungen!“





noch 4 Minuten



Die Worte trafen Albert Tremor hart. Er saß immer noch auf dem Fahrersitz des roten Sportwagens, hinter ihm das kleine zitternde Mädchen. Der gestörte Mann öffnete vorsichtig das linke Seitenfenster, nachdem er die Wollmütze mit Augenlöchern beiseite gelegt hatte, die er gerade hatte aufziehen wollte und rief nach draußen.

„Sie haben sie gefunden? Aber wo?! Die Schlampe von gegenüber meinte, sie wäre auf dem Weg zum Flughafen, um in den Urlaub zu fliegen!“

Reyes, die immer noch das Megaphon in Händen hielt, schwieg einen kurzen Moment, und sagte dann: „So sollte es auch erst aussehen. Jedoch hat sie sich auf der Toilette des Flughafens die Pulsadern aufgeschnitten. Meine Kollegen haben sie zufällig gefunden, blutüberströmt, mit einem Abschiedsbrief in ihren Händen.“



Längeres betretenes Schweigen.



„Was stand in dem Brief?!“, kam die Stimme aus dem Fenster des Wagens. „Verdammt noch mal, was stand in dem Brief? Hat sie mich darin erwähnt?“

„Ja“, erwiderte Reyes, „nicht nur einmal. Der ganze Brief war Ihnen, ihrer wahren Liebe gewidmet. Ein letzter Versuch ihrerseits, begangene Fehler gutzumachen und Schuldgefühle zu bereinigen, bevor sie ihre ewige Reise ins Nichts antrat.“



Es folgte keine Bemerkung seitens Albert, sondern Schweigen erfüllte die ganze Szenerie. Die Agentin holte derweil etwas aus ihrer Tasche hervor.

„Sie hatte sogar einen Teil eines Fotos von ihnen beiden dabei. Ich kann es Ihnen beweisen, aber bitte lassen Sie das Mädchen gehen. Sie hat damit nichts, aber auch rein gar nichts zu tun. Machen Sie sich nicht unglücklich!“ , rief sie und sah in diesem Augenblick, dass sich die Fahrertür des Sportwagens langsam aber sicher öffnete und eine Silhouette auf dem vor Hitze flimmernden Boden auftauchte.





noch 2 Minuten



„Sie versuchen mich weich zu kochen, nicht?! So sieht es doch aus! Denken, dass ich in meinem Zustand jeden noch so dämlichen Scheiß glaube!“



Albert Tremor zog seine Maschinenpistole aus dem Wagen hervor und näherte sich Reyes, die in diesem Moment einen dicken Kloß im Hals herunterzuschlucken hatte. Sie hatte sich verkalkuliert! Welcher Teufel hatte sie geritten, dass sie ihm eine solch hanebüchene Geschichte erzählt hatte? Wie dumm war sie gewesen, sich mit einem Wahnsinnigen abzugeben! Einem Wahnsinnigen, der just in dieser Sekunde im Begriff war, sein Maschinengewehr auf die Brust der Agentin zu richten.

„Mich haben zu viele Menschen betrogen, zu viele! Aber Ihre dummdreiste Art grenzt schon an Irrsinn, Fräulein...“ Er grinste schief. „Wie gut kannten Sie Lissy? Gut, sehr gut vielleicht? Haben Sie sie jemals zu Gesicht bekommen und ihre Art zu spüren bekommen? Ja? Ja?!“ Bei jedem ‚Ja’ hob er die Stimme ein wenig mehr und blickte mit von Wahnsinn erfüllten Augen in die der Agentin. Schweiß stand auf seiner Stirn, der in langen Bahnen langsam heruntertropfte. Reyes war sich sicher: Diesem Mann war jetzt wirklich ALLES egal.

„Nein“, antwortete sie zögerlich und ging einen kleinen Schritt nach hinten, „nein, ich habe sie nicht gekannt, Albert. Aber ich bin mir sicher, dass sie im Innern ihres Herzens eine herzensgute Person war, deren letztes Ziel es gewesen sein musste, Sie an den Rande es Wahnsinns zu treiben. Sie -“

„Sie sind zu leichtgläubig, zu engstirnig, zu – was auch immer!“, unterbrach Albert Reyes und kam langsam näher. „Sie haben sich auch verändert, Miss. Sie scheinen genauso wie ich von einer dritten Person tyrannisiert worden zu sein! Sie! SIE ALLE HIER!!“ – Er hielt das Maschinengewehr in die Luft und feuerte.



„All das muss ein Ende haben!“ – Er blickte zu der Agentin – „... und Sie werde ich miterlösen!“
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