World of X

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Déjà Vu

von Stefan Rackow

Kapitel 4

Zeitpunkt X



Reyes schloss die Augen und erwartete den Schuss. Sie hatte sich damit abgefunden, dass ihrem Leben in just dieser Sekunde ein Ende gesetzt werden würde und war im tiefsten Inneren glücklich darüber, dass sie vor ihrem Tod wenigstens noch ein kleines Mädchen gerettet hatte. Denn – soviel stand fest: nachdem sie tot sein würde, würden die umstehenden Agenten sofort das Feuer eröffnen und dem Mörder den Garaus machen. Dann hätte er seinen Frieden, dann hätte sie, Reyes, ihren Frieden.

Sie wartete.



Dass die Umgebung sich in diesem Augenblick verändert hatte, bemerkte die Agentin erst, als sie ihre Augen einen Spalt breit öffnete, da noch immer kein Schuss gefallen war, weder von Albert, noch von den Agenten.

Stattdessen stand sie wieder im schwarzen Nichts, das sich im endlosen Raum des Seins ausdehnte und plötzlich Gestalt anzunehmen schien. Die Agentin vergaß darüber, sich über den Umgebungswandel zu wundern und beobachtete das Schauspiel mit großen Augen.

„Du hättest beinahe wieder den Fehler gemacht!“, sagte das mundähnliche Etwas am Horizont des ewigen Nichts. „Du hättest es fast wieder getan...“

„Was habe ich falsch gemacht?“, fragte die Agentin, die nun wusste, wo sie sich befand. „Was habe ich falsch gemacht, oh du mein Schicksal?“

Lange Zeit folgte nichts. Erst nach einer endlos lang erscheinenden Pause nahm das Objekt wieder das Gespräch auf.

„Du wärst wieder gestorben, wenn... ja, wenn nicht eine bestimmte Person eine Wende herbeigeführt hätte, Monica.“

„Eine Wende?“

„Ja“, antwortete die Stimme. „Würde eine Person nicht in exakt zwei Sekunden einen Schuss abgeben, wärest du jetzt wirklich tot.“

„Aber... was hat das zu bedeuten?!“, fragte Reyes leicht nachdenklich.

„Ganz einfach: dadurch, dass du wieder einmal die Initiative ergriffen hast, hast du Albert davon abgehalten, auf Doggett zu schießen und ihn tödlich zu verwunden. Wäre dies geschehen, wärest du infolge auch gestorben, das weißt du! Du hast es nämlich schon einmal mitgemacht...“

„Weil das Schicksal es so gewollt hätte?“ – Reyes begann zu kapieren. „Also hat John das Schicksal dadurch verändert, dass er auf Albert geschossen hat, welcher somit nicht mehr einen von uns erschießen konnte?“

„John wird es tun. Zu deinem Glück. Denn obwohl du erkannt hast, dass die Déjà – vu – Erlebnisse etwas zu bedeuten haben, hast du dich nicht von deinen Gefühlen, sondern von deinem Dickkopf leiten lassen. Das ist ... wäre dir schon einmal zum Verhängnis geworden.“

„Das heißt, ich werde leben?“ – Reyes fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Das erscheint mir alles immer noch wie ein böser Traum.“

„Das wird es für dich auch bleiben, Monica“, antwortete die Stimme und schien glücklich zu sein. „Du wirst dich an nichts von alledem erinnern, wenn dein Partner den finalen Schuss durchgeführt hat, denn ab dann beginnt wieder dein richtiges Leben. Deinem Partner wird es ähnlich ergehen.“

„Ich, ich werde all das hier vergessen?“ – Reyes bekam große Augen.

„Ja“, kam es knapp und präzise.

Die Agentin blickte um sich. Das Schwarz begann allmählich zu verschwimmen und ein Sonnenstrahl deutete an, dass sie bald wieder die bekannte Szenerie umgeben würde. Sie seufzte leicht und setzte ein Lächeln auf.



„Na dann...“



*





Doggett schoss und traf Albert direkt ins Herz. Der große Mann fiel rücklings auf den Asphalt und verlor dabei die Maschinenpistole, welche mit einem lauten Knall vor Reyes` Füßen liegen blieb.



Es war vorbei.









2 Stunden später

FBI – Gebäude

Büro von Alvin Kersh



„Er wurde erschossen?“

„Ja.“

„Von wem?“

„Von mir, Sir. Es war Notwehr.“



Kersh blickte Doggett so kalt wie immer schon an. Seine Gesichtszüge zeigten keinerlei Regung. So sehr er es auch begrüßte, einen Fall schnell abzuschließen, so sehr missfiel es ihm aber, dieses in diesem Fall durch Erschießen des Hauptverdächtigen erreicht zu haben – Notwehr hin oder her.

Klar war: Albert Tremor hatte seinen Vermieter erschossen und wäre sogar soweit gegangen, den Tod eines kleinen Mädchens in Kauf zu nehmen.

Gut, es schien alles auf der Hand zu liegen: Der Rauswurf mag für den Amoklauf verantwortlich gezeichnet haben, jedenfalls schien es so. Aber im Prinzip war gar nichts klar, war doch die einzige Person, die darüber hätte Auskunft geben können, im Zuge der Ermittlungen, die von fadenscheinigen Intuitionen und Eingebungen nur so wimmelten, erschossen worden!

Kersh schob seine Brille ein wenig nach oben. Doggett registrierte dies sehr wohl und deutete es als nicht Unverständnis oder Ausdruck des Nicht – verstehen – wollens. Obwohl es ihn grämte, aber dieses Mal konnte er Kersh voll und ganz verstehen.

Auch Doggett stand nach Abschluss, wenn man es denn so sagen konnte, dieses Falles vor mehr unbeantworteten Fragen als vorher. Das Seltsame war, dass sein Unterbewusstsein ihm zwar irgendwie ungeklärte Fragen suggerierte, es ihm aber nicht möglich war, diese Fragen zu formulieren, geschweige denn über sie nachzudenken. Dem Agenten kam es vor, als wäre ein Teil seines Gedächtnisses einfach gelöscht worden. Er wusste nicht einmal mehr, was er in der vorigen Nacht geträumt hatte!



Reyes ging es nicht besser, wusste sie doch immer noch nicht, welcher Teufel sie geritten hatte, diese hanebüchene Geschichte mit der Freundin des Amokläufers zu erfinden. Sie hoffte, dass Lissy ihr verzeihen würde, wenn sie davon erfahren sollte. Irgendwie. Irgendwann.



Die Agenten blickte zu Doggett, der in genau diesem Moment aus Kershs Büro schritt. Er sah fertig aus, dachte sie und setzte ein Lächeln auf.

„Und?“

„Nichts, Monica. Trotz einiger unbeantworteter Fragen ist dieser Fall für Kersh abgeschlossen ... vorerst.

„Verstehe...“

„Du, Monica...“, begann der Agent, „was einige Ereignisse anbelangt-“

„Intuition“, beantwortete Reyes die noch gar nicht gestellte Frage. „Intuition, Schicksal, Bestimmung – ich habe nicht die leiseste Ahnung, John!“

„Gut, dann weiß wenigstens keiner mehr als der andere“, sagte Doggett leicht ironisch und schob sich vor Reyes aus der Tür des Vorzimmers.

Schicksal, dachte die Agentin und folgte ihrem Partner Richtung Aufzug.





******



Damentoilette ; Flughafen, Washington



Lissy, Albert Tremors Ex-Freundin, dachte im selben Moment an etwas anderes. Sie war mit den Nerven am Ende und kämpfte mit den Tränen, konnte dies aber nicht unterdrücken.

Sie wusste nichts von Alberts Amoklauf und seinem Tod. Dennoch fühlte sie sich ihm gegenüber schuldig. Ihm und all den Männern gegenüber, die sie ausgenutzt hatte. Schamlos. Kaltherzig. Immer ein Grinsen auf den Lippen.

Doch das Gefühl der Genugtuung blieb aus. Stattdessen mehrten sich die Schuldgefühle, sie wurden größer, türmten sich auf –



- und stürzten nun auf die junge Frau ein. Die Belastung wurde zu groß, mit jedem weiteren Gedanken, den sie an die Männer verlor, wurden die Depressionen unerträglicher. Es hatte keinen Sinn mehr; es musste sein!



Sichtlich gefasster als noch vor einer Minute, zog sie das Messer aus der Tasche hervor und richtete es gen Handgelenk...



ENDE
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