World of X

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Strength

von XS

Chapter 15

XV


Mulder wußte nicht, wie viele Papiere er schon in den Händen gehalten hatte, wie viele Seiten er umgeblättert hatte oder wie viele Wörter sein Auge erfaßt hatte. All diese Wörter schwirrten ihm jetzt wild durch den Kopf, so daß er in immer kürzeren Abständen die Augen schließen mußte, um seinen Kopf wenigstens wieder teilweise klar zu bekommen. Jetzt war wieder einer dieser Momente gekommen, in denen er kurz die Augen schloß, da die Buchstaben vor seinen Augen zu verschwimmen und umherzuwirbeln drohten. Er schloß die Mappe und legte sie beiseite. Noch immer hatte er die Augen geschlossen. Es tat so gut, nichts sehen zu müssen, obwohl er nie gedacht hätte, daß er das einmal denken könnte. Schließlich zwang er sich dazu, die Augen wieder zu öffnen und weiterzuarbeiten. Er griff in den Karton vor sich und stieß bis auf den Grund und spürte die Pappe unter seinen Fingerspitzen. Erstaunt beugte er sich vor und warf einen Blick in den Karton. Tatsächlich hatte er noch eine Kiste vollständig durchsucht, obwohl er nicht hätte sagen können, aus welchem Inhalt dieser bestanden hatte. Es schien, als arbeitete er nur noch wie eine Maschine. Und dieses Phänomen des Handelns aber nicht registrieren kannte er. Wenn er müde war, sehr müde, dann konnte er zwar lesen, jedes einzelne Wort, Satz für Satz, Seite für Seite, aber er verstand den Sinn hinter den Worten nicht mehr. Wenn er dann für einen Moment innehielt, über das Gelesene nachdachte und sich eigentlich an nichts erinnern konnte, dann wußte er, daß er sich schnellstens ins Bett begeben mußte. Besonders schlimm war es in der Zeit gewesen, als Scully verschwunden war. Er hatte nächtelang nicht schlafen können und hatte versucht, so viele Informationen wie möglich zu bekommen. Also hatte er gelesen. Er hatte alles verschlungen, das ihn nur im Entferntesten hätte helfen können. Tage- und Nächtelang hatte er in seiner Wohnung oder im Büro gesessen, um den kleinsten Anhaltspunkt zu finden. Er hatte es verzweifelt versucht; angestrengt hatte er sich gezwungen, sich zu konzentrieren, aber sein Körper war einfach zu müde gewesen. In dieser Zeit hatte er gelernt und akzeptiert, akzeptieren müssen, daß es manchmal besser war, eine Pause einzulegen. Und als er jetzt dabei war, den Stapel Akten und anderen unwichtigen Krimskrams wieder in dem Karton zu verstauen, da wußte er, daß es auch jetzt an der Zeit war, eine längere Pause einzulegen.
Er betrachtete die Kerze, die in sicherer Entfernung stand und die bereits auf wenige Zentimeter zusammengeschrumpft war. Ein Blick auf seine Uhr bestätigte Mulder’s Vermutung, daß sie seht viel mehr Zeit auf dem Dachboden verbracht hatten, als beabsichtigt. Sie hatten den Dachboden am Morgen betreten und jetzt war es schon nach vier Uhr nachmittags.
Mulder stellte den Karton in die Ecke, in der bereits die anderen Kartons standen, die er durchsucht hatte. In den meisten waren jedoch ausschließlich Tabak, Alkohol oder andere Waren gewesen, die normalerweise geschmuggelt wurden. Und obwohl Mulder nicht wirklich an die Gerissenheit der Schmuggler glaubte, hatte er die Etikette jeder einzelnen Flasche entfernt, um zu sehen, ob sich auf der Rückseite eine geheime Formel oder ähnliches befand.
Mulder seufzte, auf Grund der Arbeit, die er und Scully sich machten und die anscheinend keine Ergebnisse hervorbrachte. Er sah zu Scully hinüber, die noch immer einen Gegenstand nach dem anderen aus einem vor ihr stehenden Karton holte. Aber ihre Bewegungen waren langsamer geworden und wirkten sehr müde. Leise, um sie nicht zu erschrecken, näherte Mulder sich ihr und beugte sich zu ihr hinunter.
"Scully?", fragte er leise und mit sanfter Stimme in ihr Ohr.
Langsam wandte sich zu ihm um.
"Ja?", fragte sie und sah ihm dabei direkt in die Augen.
Forschend betrachtete Mulder ihr Gesicht. Sie wirkte müde und ausgelaugt und obwohl das Zittern nachgelassen hatte, machte sie noch immer einen sehr kranken Eindruck auf ihn. Für diesen Eindruck sorgten ihre matt-glänzenden kranken Augen und ihr blasses Gesicht, das durch den flackernden, leichten Schein des Kerzenlichtes noch blasser wirkte. Mulder schalt sich unwillkürlich dafür, sie so lange oder überhaupt auf den Dachboden gelassen zu haben. Seine Neugier hatte wieder einmal die Oberhand gewonnen, obwohl er jetzt anders darüber dachte, vor allem wenn er Scully’s dick in Mullbinden eingewickelten Kopf vor sich sah.
"Wir sollten Schluß machen und wieder nach unten gehen", sagte er einfach und obwohl Scully sonst sicher, aus welchem Grund auch immer, widersprochen hätte, nickte sie jetzt nur müde und ohne eine Wort zu sagen.
Mulder reichte ihr seine Hand, die sie dankbar ergriff und sich daran hochzog, während sie mir der anderen die Decke festhielt. Sie hatte schon die ganze Zeit über nur langsam weitergearbeitet, da es unglaublich ermüdend war, einen Gegenstand nach dem anderen aus den Kartons zu nehmen und alle genauestens zu untersuchen. Ihre Augen brannten, ihre Lider waren bleischwer und sie konnte ihre Augen nur mühsam offen halten. Dadurch war ihr Blick auch leicht verschleiert, als wäre sie gerade erst aufgewacht.
Und als sie jetzt, nach dieser langen Zeit des Sitzens wieder stand, merkte sie wie ihr Blickfeld langsam einzuschrumpfen schien. Es war, als würde ihr Blickfeld von beiden Seiten durch eine schwarz-flackernde Masse eingeengt. Sie konnte noch einige Umrisse erkennen, sie sah sogar noch Mulder’s Gesicht, aber es schienen sich immer wieder die schwarzen, flackernden Flecken auch in ihr mittleres Blickfeld zu schieben. Es war nicht so, als wäre ihr schwindelig, aber sie besaß nur ein äußerst begrenztes Sichtfeld, so daß sie das Gefühl hatte, sich irgendwo festhalten zu müssen.
Sie umfaßte Mulder’s Hand fester und griff mit der anderen Hand nach seinem T-Shirt. Sie krallte sich in dem Stoff fest und schloß die Augen, in der Hoffnung, daß dieses merkwürdige Gefühl vergangen war, wenn sie sie wieder öffnete.
"Scully?", beunruhigt hielt Mulder sie an den Schultern fest, so daß er sie auf jeden Fall festhalten konnte.
"Scully, ist alles in Ordnung?"
Eindringlich sprach er auf sie ein und beugte sich etwas zu ihr hinunter, so daß er in ihr Gesicht sehen konnte.
"Ja", leicht nickte Scully, noch immer mit geschlossenen Augen, mit dem Kopf. "Ja, mir geht es gut."
Langsam löste Scully ihren Griff und öffnete ihre Augen.
Noch immer war ihr Blickfeld eingeschränkt, aber es befanden sich nur noch winzige schwarze Flecken an den äußeren Rändern, so daß sie Mulder wieder ungehindert ansehen konnte.
"Wirklich?", vergewisserte er sich noch einmal und als Scully wiederum nickte, legte er einen Arm um ihre Hüfte und zog sie zu sich heran.
"Lassen Sie uns nach unten gehen. Sie sollten sich hinlegen und ein bißchen ausruhen."
Langsam machte er einen Schritt auf die Luke zu, während Scully sich bereitwillig von ihm führen ließ.
Nach einer Ewigkeit, wie ihr schien, kam sie endlich am unteren Ende der Leiter an. Mulder wartete dort auf sie, um sie festhalten zu können, falls ihr wieder schwindelig werden sollte. Er war als erster die Leiter heruntergestiegen, aber immer nur so weit, daß er direkt hinter Scully, also nur zwei Sprossen unter ihr stand.
Als Scully plötzlich nach seiner Hand und seinem Hand gegriffen hatte, hatte Mulder gespürt, wie ein Anflug von Panik ihn hatte überkommen wollen. Nur mit Mühe hatte er dieses Gefühl unterdrücken können und das auch nur, weil er sich gesagt hatte, daß er sich konzentrieren und klar denken mußte, um Scully zu helfen.
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