World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Spiegelbilder

von Martina Bernsdorf

Kapitel 4

Washington D.C
Wohnung von Dana Scully
27.2.96
22.35


Mulders Herz klopfte heftig gegen seine Rippen, in einem Stakkato, das ihm den kalten Schweiß auf die Stirn trieb.
Polizeifahrzeuge waren vor Scullys Wohnung zu sehen, ein Krankenwagen stand ebenfalls da, aber anscheinend wurde er nicht gebraucht. Mulder bremste den Wagen zu hart ab und hätte fast einen Auffahrunfall verursacht, er ignorierte das wütende Hupen seines Hintermannes und parkte seinen Wagen halb auf dem Gehsteig.
Einige Sekunden lang klammerte er sich an das Lenkrad, so als sei dies alles, an dem er sich festhalten konnte, ehe er sich der Realität stellen musste.
Er war vom Flughafen sofort losgefahren, und nun fürchtete er sich vor dem, was ihn erwartete.
Mulder stieg aus und ging zu dem Haus, in den Scully wohnte, mit den gebeugten Schultern eines Mannes, der damit rechnete, von diesem Tag an die Last der Welt allein tragen zu müssen.
Sheldon stand in Scullys Wohnzimmer, zwei Männer, deren weiße Uniform sie als Ärzte oder Sanitäter auswies, standen schweigend daneben.
Der Polizeiphotograph lichtete die Tarotkarten auf dem Tisch ab, Mulder erschauderte, als er die Karte „Der Tod“ aufgedeckt sah.
Mulder fühlte, wie seine Knie zitterten. „Was ...“ Mulder brach ab, als sich die Badezimmertüre öffnete und Scully, etwas wacklig auf den Beinen, herauskam und sich mit einem Taschentuch noch mal über den Mund wischte.
„Mulder!“
„Scully.“ Mulder war mit zwei langen Schritten bei ihr und drückte sie mit einer herzlichen Umarmung, in der all seine Erleichterung lag, an sich.
„Geht es Ihnen wieder besser, Agent Scully?“ Der Sanitäter betrachtete sie mit einem forschenden Blick.
„Ja, danke. Übelkeit ist eine verbreitete Reaktion auf eine Ätherbetäubung.“
Der Sanitäter nickte. „Wir würden Sie dennoch gerne zur Beobachtung mitnehmen.“
Scully schüttelte energisch den Kopf. „Ich bin selbst Ärztin, ich weiß, was ich tue!“
Der Sanitäter lächelte. „Der Arzt der sich selbst behandelt, hat immer einen Narren zum Patienten.“
Scully erwiderte das Lächeln halbherzig. „Ja, und wer sagt, dass ein Narr nicht die größte Weisheit besitzt?“
Der Sanitäter winkte gutmütig ab und verließ zusammen mit seinem Kollegen das Zimmer.
„Wohin wird Parker nun gehen?“ Sheldon wirkte sehr frustriert, es war so knapp gewesen, Parker konnte keine zwei Minuten, bevor die Polizei eingetroffen war, geflohen sein.
„Er wird nicht fliehen!“ Scully setzte sich in einen der Sessel und rieb sich die Stirn, sie hatte Kopfschmerzen.
Mulder nahm auf der Sesselkante Platz. „Was hat er gesagt, Scully?“
„Er sieht in mir seine Nachfolgerin, lieber noch hätte er in mir seine Gefährtin gesehen, aber da haben ihm die Karten wohl etwas Anderes gesagt.“
Mulder runzelte die Stirn. „Haben Sie in diesen Spiegel geschaut, Scully?“ Seine Partnerin schüttelte den Kopf. „Nein, aber es war ein Taschenspiegel, ein ganz gewöhnlicher Taschenspiegel, Mulder. Seine Dämonen existieren nur in seinem Kopf!“
Mulder nickte nicht ganz überzeugt. „Haben Sie etwas über die Tarotkarte herausgefunden? Gibt es eine Firma, die ein ähnliches Logo benützt, wie es auf der Karte zu sehen ist?“
Scully nickte. „Ja, eine kleine Kette von Waffengeschäften, Keppler&McTonish, benützen ein ähnliches Logo. Sie haben hier in der Stadt auch einen Laden, der rund um die Uhr geöffnet ist. Der Verkäufer der Nachtschicht, Robert Halkin, passt in das Schema, er arbeitet seit Jahren in Nachtschicht.“
„Das ist unser Mann!“ Mulder blickte auf die Karten, Parker hatte seinen Satz Tarotkarten liegengelassen, eine seltsam endgültige Symbolik.
„Er wird doch nicht noch hinter dem Mann her sein?“ Sheldon klang erstaunt. „Er muss doch wissen, dass wir den Mann schützen werden!“
Scully nickte. „Ja, das weiß er.“
Sheldon hob die Schultern. „Warum sollte er diesen Fehler begehen?“
„Es ist für ihn kein Fehler, er folgt seiner Bestimmung, er weiß, dass wir dort sein werden. Er hat seine Karten hiergelassen, Sheldon, er weiß, dass er keine neue Karte mehr ziehen muss und es so oder so mit Robert Halkin für ihn enden wird.“

X X X

Washington D.C.
Haus von Robert Halkin
28.2.96
19.30


Robert Halkin schien die Bedrohung für sein Leben nicht sonderlich ernst zu nehmen. Er war kooperativ, ließ aber keinen Zweifel daran, dass er es für eine Zeitverschwendung hielt, dass man ihn bewachte.
Sein kleines Haus war gepflegt, die Wohngegend gehörte zu den besseren Vierteln, und er zeigte Mulder und Scully seine halbautomatische Pumpgun, für die er einen Waffenschein hatte, wie er sofort klarstellte.
Halkin war ein hochgewachsener Bursche, Mitte dreißig, alleinstehend, und sein strähniges, langes Haar hätte eine Wäsche nötig gehabt. Er schien nichts dagegen zu haben, sich von den beiden Agenten bewachen zu lassen, und dass er heute nicht arbeiten musste, bezeichnete er als einen Traum, der in Erfüllung gegangen war, denn das würde bedeuten, dass er ein Eishockeyspiel seiner Lieblingsmannschaft live vor dem Fernseher miterleben konnte.
Mit einem Sixpack Bier hatte er sich in seinen Sessel niedergelassen und schien den Trubel um seine Person sehr gelassen hinzunehmen.
„Denken Sie, dass Parker kommen wird?“ Mulder rutschte unruhig auf dem Sessel herum und blickte seine ungewöhnlich schweigsame Partnerin fragend an.
„Ja, er wird kommen, weil Halkin ein Dämon in seinen Augen ist!“ Scully wünschte fast, sie wäre sich nicht so sicher.
„Ein Dämon, der Eishockey und Sixpacks liebt.“ Mulder schüttelte den Kopf.
„Er wird auch kommen, weil wir hier sind, Mulder!“ Scully blickte ihren Partner ernst an, dessen Aufmerksamkeit hin und wieder zum Fernseher glitt, um auch ein wenig vom Eishockey zu erhaschen.
Mulder stand auf und lief ein wenig auf und ab. „Möchte er gefasst werden, Scully?“
„Ich glaube, er ist sich sicher, dass sein Weg zu Ende ist, dass er seine Aufgabe abgeben muss.“
„An Sie!“ Mulder musterte Scully, die leicht die Schultern zuckte.
„Er hat sich eine denkbar schlechte Nachfolgerin gewählt.“
Mulder ging zum Fenster, schaute aber nicht hinaus, er wusste, dass Sheldon in einem Wagen schräg gegenüber des Hauses Position bezogen hatte. Sie hatten sich auf eine kleine Einsatztruppe geeinigt, auf Scullys Beurteilung hin, dass Parker keine unschuldigen Menschen töten würde, sondern einzig hinter seinem erwählten Opfer her war.
„Ich checke mal den Flur und Küche.“ Mulder ging zur Türe, Halkin zog kurz die Stirn kraus, ehe er mit einem Lächeln nickte. Scully schauderte ein wenig, Halkin hatte eine unangenehme Art zu lächeln, er wirkte eine Spur verschlagen, sie fragte sich, ob seine Waffengeschäfte immer vollkommen dem Gesetz entsprachen.
„Diese Jahreszeit ist in Washington sehr schön, finden Sie nicht, Agent Scully?“ Halkin schien nicht mehr so glühendes Interesse am Spiel zu haben, vielleicht war seine Mannschaft am Verlieren.
Scully runzelte leicht die Stirn, der Winter war in Washington nicht gerade sonderlich bemerkenswert, vielleicht wollte Halkin nur Konversation betreiben. Sie hörte Mulders Schritte in Richtung Küche verklingen.
„Es ist viel länger dunkel um diese Jahreszeit.“ Halkin grinste wölfisch in Scullys Richtung, er winkte kurz abfällig mit der Hand. „Aber das ist egal, es gibt auch andere Städte, wo die Nacht lange dauert.“
Mulder war inzwischen auf seinem Kontrollrundgang bei der Küche angelangt, er runzelte die Stirn, als er die mit einem Vorhängeschloss versehene Türe bemerkte, die wohl in den Keller führte. Zumindest war sie abgesperrt, Parker würde da keinen Zutritt finden.
Mulder streckte sich, vermutlich würde das eine lange Nacht werden. Er ging zum Kühlschrank, Halkin würde sicher nichts dagegen haben, wenn er sich irgendein alkoholfreies Getränk, sofern vorhanden, herausnahm.
Er berührte den kalten Metallgriff der Eisschranktüre und bemerkte die Flecken darauf. Nun ja, seine Kühlschranktüre war auch nicht gerade die sauberste, allerdings waren die Flecken von einer bräunlich, roten Farbe und verschmiert, so als sei die Flüssigkeit von leicht zäher Konsistenz gewesen.
Es sah fast aus wie geronnenes Blut, Mulder schüttelte den Kopf und öffnete die Kühlschranktüre. Für ein paar Sekundenbruchteile glaubte er, sich in einem besonders perfiden Alptraum zu befinden.
Säuberlich aufgereiht, standen Infusionsflaschen mit einer roten Flüssigkeit darin, neben einem längst mutierten Salatkopf, der vielleicht noch vom Vorbesitzer der Wohnung stammte, genau wie die abgetrennte Hand, die zwischen den Flaschen lag. Eiskristalle hatten sich darauf niedergelassen und diesen Leichenteil an das Gefrierfach festgefroren. Der Kühlschrank gehörte dringend abgetaut, schoss es Mulder unzusammenhängend durch den Sinn.
Vermutlich hatte Halkin keine Zeit mehr gehabt, sie waren unangemeldet bei ihm angekommen, Mulder wirbelte auf dem Absatz herum, doch niemand stand hinter ihm. Er zog seine Waffe, entsicherte sie und schloss den Kühlschrank so geräuschlos, wie er nur konnte, wieder.
Parker hatte recht, schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht nur in diesem Fall, aber was war, wenn er immer recht gehabt hatte? Gab es Dämonen? Vampire oder eine Spezies, die sich genetisch doch vom normalen Menschen abhob, hatte er schon kennengelernt. Sie waren alle zu Asche verbrannt, unkenntlich, nicht mehr geeignet für eine Untersuchung, aber es war dumm gewesen, nur von einer kleinen Gruppe auszugehen, vielleicht gab es doch mehr. Raubtiere der Großstädte!
Mulder verbarg die Waffe hinter seinem Rücken und ging langsam zurück ins Wohnzimmer, noch immer wurde im Fernsehen um einen kleinen, schwarzen Puck gestritten, aber keiner zollte dem mehr Aufmerksamkeit.
Halkin stand in der Mitte des Raumes, Scully vor sich, er hatte in einer fast zärtlichen Geste seinen Arm um ihren Hals gelegt, aber die schmale, stilettartige Klinge, die er an ihre Halsschlagader drückte, war keinesfalls zärtlich.
Halkin grinste wild. „Ich habe mir doch gedacht, dass Sie nicht die Finger von meinem Kühlschrank lassen können! Sie haben etwas in den Augen, Agent Mulder, das mich glauben lässt, dass Sie nicht so blind sind, wie die meisten Menschen.“
„Lassen Sie das Messer fallen, Halkin!“ Mulder gab seiner Stimme alle Autorität, über die er verfügte, während er das ängstliche Flackern in Scullys Augen auszublenden versuchte, er durfte sich nicht ablenken lassen, nicht einmal von der Sorge um seine Partnerin!
Scullys Waffe lag auf dem Boden, das Funkgerät unerreichbar weit weg, auf der Couch.
„Och, Sie enttäuschen mich, Mulder!“ Halkin drückte ein wenig mit dem Messer zu und entlockte Scully einen kleinen Schmerzenslaut, während ein paar Bluttropfen über ihren Hals fielen.
„Ist das nicht wunderschön?“ Halkin betrachtete die Tropfen. „Ich meine, dieses Blut, es ist schön, ich mag diesen Kontrast, zwischen blasser Haut und dem Rot des Blutes!“
Halkin lächelte wölfisch. „Ich kann Ihnen versprechen, dass Ihre Partnerin noch viel blasser werden wird! Legen Sie Ihre Waffe weg, sonst können Sie sehen, wie Blut aus ihr spritzt, wie aus einem alten Schlauch! Haben Sie mal gesehen, wie lange es dauert, bis ein Mensch mit zerschlitzter Halsschlagader stirbt?“ Halkin setzte eine dramaturgische Pause, ehe er selbst antwortete. „Es geht sehr, sehr schnell, Mulder! Viel zu schnell, um mich zu erschießen, sofern mir die Kugeln überhaupt etwas ausmachen würden, zu schnell, um sie zu retten! Legen Sie die Waffe weg!“
Halkin betrachtete den Blutstropfen auf der Klinge mit einem verzückten Ausdruck, seine Zunge glitt träge über seine Lippen, ehe er wieder Mulder fixierte, der noch immer auf ihn zielte.
„Tun Sie es nicht, Mulder!“ Scullys Stimme klang gepresst, und Halkins Arm um ihren Hals drückte fester zu.
„Klappe! Ich mag Frauen sehr gerne, am liebsten blass und still, und ihr Blut in meinem Eisschrank! Zwar schmeckt es aufgewärmt nie so gut wie frisch, aber man muss sich ja organisieren!“ Halkin lachte leise, ehe er Mulder erneut ansah. „Legen Sie die Waffe weg, FBI-Mann, sofort, noch einmal werde ich es nicht sagen, dann wird das Blut Ihrer Partnerin spritzen!“
Mulder zögerte noch ein paar Sekundenbruchteile, die er in Halkins kalte Augen starrte, er bluffte nicht. Er bat mit einem Blick Scully um Verzeihung und legte seine Waffe auf den Boden.
„Sehr schön!“ Halkin lachte leise und rau in der Kehle. Hart stieß er Scully von sich gegen die nächste Wand. Halkin bewegte sich ungeheuer schnell, ehe Mulder eine Verteidigungshaltung einnehmen konnte, trafen ihn schon Halkins Fäuste mit nahezu übermenschlicher Wucht. Die Welt versank in Schatten, Schatten voller Dämonen!

XXX

Josh Parker sah seinem Atem nach, der in kleinen, weißen Wölkchen seinen Lungen entwich. Es war seltsam schön.
Es war eine klare, kalte Nacht, tausend Sterne schienen das Firmament einzunehmen, es war ausgesprochen selten, in den smogverseuchten Städten, dass man sie so klar sehen konnte.
Parkers Hände waren in seine Manteltaschen vergraben, er verlagerte sein Gewicht, wobei der Vorschlaghammer, welchen er im Gürtel stecken hatte, gegen seinen Rücken drückte.
Seine Fingerspitzen berührten das glatte Eichenholz, es hatte eine beruhigende Wirkung, glatt, lebendig. Die andere Hand lag am Spiegel, er hatte Kanter für verrückt gehalten, brillant, aber verrückt.
Seine Gespräche mit ihm waren ihm von Mal zu Mal unheimlicher erschienen, je deutlicher wurde, dass Kanter in ihm seinen Nachfolger sah.
Es gab das Böse, ja, aber Parker hatte nicht gewusst, dass es so real war, so greifbar. Er hatte Kanter nicht geglaubt, als der ihm davon erzählte, dass auch unter den Wärtern der Nachtschicht ein Dämon sein und er bald ermordet werden würde.
Doch kurz darauf war Kanter tot, seine Worte hatten sich erfüllt, und Parker hatte sein Vermächtnis erhalten.
Den Spiegel!
Die Karten, das war sein eigenes Spiel, er hatte sie immer gerne als Medium für einen inneren Weg zu sich selbst benützt. Schnell hatte er festgestellt, dass die Karten ihm offenbarten, wo seine nächste Aufgabe lag. Aber erst der Blick in den Spiegel entlarvte die Dämonen.
Nicht alle waren Vampire gewesen, auch wenn sie alle eines gemeinsam hatten, sie ernährten sich von der Energie ihrer Opfer, manche wirklich in Form von Blut, andere entzogen ihnen die Lebensenergie, im Endeffekt war es dasselbe.
Der Dämon gewann an Kraft, Macht und Energie, und das Opfer starb.
Er hatte nicht an Kanter geglaubt, keine Sekunde, Kanter war für ihn ein armer Irrer gewesen, der dafür sorgen würde, dass sich sein Buch über Serienkiller gut verkaufte, denn solche Menschen waren interessant! Wahnsinn war faszinierend, und indem man ihn in Bücher bannte, konnte er einem selbst nicht gefährlich werden, deshalb waren solche Bücher erfolgreich, sie bannten die eigene Angst vor den Abgründen des Wahnsinns!
Doch dann hatte er in den Spiegel geschaut, und die Welt war danach nie mehr die selbe gewesen.
Sein Daumen fuhr rhythmisch über das Eichenholz, das erste Mal war schrecklich gewesen, da hatte er noch keine Erfahrungen gehabt. Er hatte das Herz beim ersten Schlag verfehlt, Rippen waren unter seinen Händen geborsten, Blut hatte ihn bespritzt, und er hatte sich auf den sterbenden Dämon erbrochen, ehe er seine Arbeit beendet hatte.
Doch am Ende stellte er fest, dass es keine Reue gab, er hatte neben der Leiche gekauert und sie betrachtet. Es war kein Mensch, Mitleid wäre Verschwendung gewesen, sein Mitleid galt den Opfern dieser Bestien, dieser Monster, die unter der Maske von Menschen lebten und unter ihnen wilderten, wie es ihnen gefiel.
Parker warf einen Blick zu dem Haus, wo der Vampir hauste, es gefiel ihm nicht, dass Scully dort war. Sie war seine Nachfolgerin, er hatte sie erkannt, sie würde den Weg weitergehen, seine Aufgabe übernehmen und er würde ruhen, endlich ruhen. Schlaf ohne Träume, ewig, zeitlos, still.
Parker schüttelte den Gedanken ab, er fühlte deutlich, dass Scully und ihr Partner in Gefahr waren, sie begriff nicht, noch nicht!
Wie konnte sie auch, sie war noch blind für die Welt hinter dem Spiegel! Parker sah, wie Halkin das Haus verließ, er beobachtete, wie das Monster hinter der Maske eines Menschen zu dem Wagen ging, in dem die Polizisten warteten.
Seine Hand verkrampfte sich, als er das Todesröcheln der Männer hörte, sie hatte er nicht retten können, und er entschuldigte sich stumm bei den Seelen der beiden Polizisten, für sein Versagen.
Er beobachtete, wie der Vampir zurück zu seinem Haus ging, vermutlich hatte er dafür sorgen wollen, dass er ungestört war. Parker glitt aus seinem Versteck, er wusste, dies war sein letzter Kampf, aber er war bereit dafür.

XXX

Scully öffnete die Augen, es fiel ihr schwer, sie blinzelte gegen das Licht und blickte dann ein paar Sekunden desorientiert auf die nackte Glühbirne. Scully wollte aufstehen, bemerkte aber, dass sie sich kaum bewegen konnte.
Langsam sickerte in ihren benommenen Verstand, was passiert war, sie hob den Kopf, soweit der Lederriemen um ihren Oberkörper dies zuließ, und sah sich um.
Mulder war auf einem alten Stuhl festgebunden, sein Kinn ruhte fast auf der Brust, sein Hemd war mit Blut vollgesogen, und noch immer tropfte es von seiner Nase. Anscheinend war er ohne Bewusstsein.
Scully drehte ihre Handgelenke, aber diese Fesseln würde sie nicht sprengen können. Sie lag auf einer Krankenhausliege, deren Räder festgestellt waren, und die Riemen, die sich um Hand- und Fußgelenke sowie Oberkörper spannten, waren für Selbstmörder, Tobsüchtige und ähnliche Fälle gedacht, diese Fesseln konnte wohl nicht einmal Houdini selbst sprengen. Sie waren so festgezurrt, dass Scullys Fingerspitzen und Füße sich taub anfühlten.
Sie schaute sich wild um, Halkin war nicht zu sehen, aber das beruhigte sie nicht, er würde kommen. Sie sah auf die nackten Betonwände, anscheinend war dies der Keller, es gab kein Fenster, sondern nur Lüftungsgitter, vermutlich war dieser Ort auch so gut isoliert, dass niemand Schreie hätte hören können.
Ihr Blick glitt über die großen Kühltruhen, und sie versuchte sich nicht vorzustellen, was darin lag, aber es gelang ihr nicht ganz, diese Gedanken zu verdrängen.
Es war verrückt, es gab Geistesgestörte, die sich für Vampire hielten, sogar Blut tranken und sich auch ansonsten so verhielten, wie es in der gängigen Literatur beschrieben wurde, aber war es nicht eine Ironie, dass sie ausgerechnet auf solch einen Psychopathen hatten stoßen müssen, der genau das zu verkörpern schien, was Josh jagte?
Scully hörte die Schritte auf der Treppe und hob den Kopf. Halkin kam langsam die Stiegen herunter und grinste breit. An seinem Stilett klebte frisches Blut, er warf die Waffe achtlos auf einen der Tische.
„Ich habe nur dafür gesorgt, dass wir ungestört sein werden! Morgen Abend werde ich in einer anderen Stadt sein, aber sagen wir so, ich möchte doch gerne ein wenig Reiseproviant mitnehmen!“ Halkin grinste breit und trat zu Mulder. Er hielt seinen Finger unter dessen tropfende Nase und schleckte seine blutige Fingerspitze dann genüsslich ab.
„Sie werden das doch verstehen, Agent Scully?“ Zynismus schwang in Halkins Worten.
„Sie sind kein Vampir!“ Scully hasste den zittrigen Tonfall in ihrer Stimme, natürlich war er kein Vampir, er war geistesgestört, verrückt, so irre wie eine Klofliege!
„Ach, was Sie nicht sagen.“ Halkin schüttelte den Kopf und öffnete einen Schrank, aus dem er verschiedene Dinge entnahm.
„Sie sind geisteskrank!“ Scully wusste, dass dies auch nicht gerade eine glückliche Taktik war, es nützte selten etwas, einen Verrückten damit bekehren zu wollen, dass man ihm sagte, dass er verrückt war!
„Ich habe einige Jahre in einem Krankenhaus gearbeitet“, erklärte Halkin im Plauderton. Er trat neben die Liege von Scully, nahm das Stilett wieder vom Tisch und schlitzte vorsichtig, ohne ihre Haut auch nur zu ritzen, den Ärmel ihrer Jacke bis über den Ellenbogen auf.
Er tastete fast schon zärtlich über ihre Vene. „Eine schöne Vene, Sie werden gar nicht so viel merken, Scully.“ Er öffnete ein steriles Pack mit einer dicken Flügelkanüle. „Ich achte auf saubere Arbeit, zu Zeiten von Aids ist mit diesen Dingen nicht zu spaßen.“ Halkin stach die dicke Nadel in Scullys Vene, Blut rann durch den dünnen Schlauch, doch ehe es auf den Boden fließen konnte, verband Halkin ihn mit einer Vakuumflasche, wie man sie für Blutspenden benützte.
„Sie werden sich ein wenig schwindlig fühlen, aus Zeitgründen muss ich das Blut ziemlich schnell fließen lassen.“ Halkin ging wieder zum Schrank und reihte langsam leere Vakuumflaschen auf dem Tisch neben Scully auf.
Panik kitzelte die Ränder ihres Verstandes, bei Blutspenden wurde einem ein halber Liter Blut entnommen, diese Flaschen fassten einen Liter, und so wie Halkin sie aufreihte, wurde Scully bewusst, dass er all ihr Blut wollte, solange ihr Herz noch welches durch die Venen pumpte!
Danach würde er wohl Mulder auf die gleiche Weise ausbluten lassen, und mit ein paar besonderen „Sixpacks“ die Stadt verlassen!
„Sie können das Blut doch gar nicht verdauen!“ Scully klammerte sich an ihren rationalen Verstand, wie eine Schiffbrüchige an eine Planke.
„Oh doch!“
„Nach einem halben Liter weigert sich Ihr Magen, und Sie erbrechen alles wieder, Halkin! Sie sind kein Vampir! Der menschliche Magen ist nicht dazu gedacht, Blut aufzunehmen.“
Scully wusste, dass sie ihn nicht überzeugen konnte, die Glühlampe über ihr schien zu schwanken, ihr wurde bereits schwindlig.
„Sie wissen gar nichts, Scully, aber es wird eh nicht lange dauern. Nach der zweiten Flasche werden Sie sich schon sehr schwach und schläfrig fühlen, Sie werden sanft in die andere Welt hinübergleiten.“
Halkin wechselte die Flasche und stellte die volle auf den Tisch, Scully starrte auf ihr Blut, sie schloss die Augen, warum konnte dies alles nicht ein Alptraum sein? Aber sie sah noch immer Halkins Gesicht vor sich, als sie die Augen wieder öffnete.
„Warum so, Halkin? Wenn Sie ein Vampir wären, warum saugen Sie dann nicht das Blut? Wo sind Ihre Fangzähne?“
Halkin lachte. „Bram Stoker war ein Narr! Natürlich hat meinesgleichen früher sicher mit den Zähnen gearbeitet, aber ich ziehe die Annehmlichkeiten der heutigen Medizin vor. Es ist sauber, es ist nicht schmerzhaft, ich bin ja kein Untier.“ Halkin lachte.
Scully sah, wie sich Mulder wieder bewegte, er kam langsam zu sich, aber seine Fesseln waren nicht weniger wirkungsvoll wie die ihren.
„Doch, du bist ein Untier!“ Die Stimme, die von der Treppe her klang, war gefärbt von Wut.
Halkin wirbelte zu seinem Stilett herum, während Parker auf ihn zu rannte, in seinen Händen hielt er einen angespitzten Holzpflock, aber Halkin ließ ihn geschickt ins Leere rennen und stieß mit seinem Messer zu.
Parker fühlte, wie die Klinge in seinen Arm glitt, aber der Schmerz war seltsam fern von ihm. Er wusste, dass dies der letzte Kampf für ihn war, ob Kanter die selbe Ruhe in sich gefühlt hatte, als er seinem Tod entgegensah?
Würde er ihn wiedersehen? Würde er irgendwann einmal Dana wiedersehen? Auf der anderen Seite, dort wo es Frieden gab und das Böse nicht mehr existierte?
„Noch ein Nachtischhäppchen?“ Halkin lachte und leckte provozierend das Blut von der Klinge.
Parker lächelte schmal, Schweißperlen glitzerten auf seiner Oberlippe.
„Ja, überfriss dich an mir!“ Er warf sich auf Halkin, der mit so einer wilden, unüberlegten Aktion nicht gerechnet hatte. Er stieß mit dem Stilett zu, das in Parkers Brust glitt.
„Idiot!“ Halkin drehte das Messer genüsslich um und entlockte Parker einen Schmerzensschrei.
„Vielleicht, doch nicht so dumm wie ein Vampir!“ Parker stieß seinen Körper nach vorne, die Klinge wurde dadurch noch tiefer in seinen Körper getrieben, aber für ihn war nichts mehr von Bedeutung.
Die Reichweite stimmte nun, mit einer Aufwallung der fast schon übermenschlichen Kraft eines Sterbenden stieß er den Eichenholzpfahl in Halkins Brust.
So oft getan, so oft getroffen, und auch diesmal traf er den Punkt genau, der Pfahl drang mit einem schmatzenden, fast obszönen Geräusch in Halkins Brust ein, Überraschung zeichnete sich auf dessen Gesicht ab. Er taumelte rückwärts, riss ein paar Gegenstände vom Tisch, während Blut über seine um den Pfahl gekrallten Hände sprudelte.
Mulder sah, dass Parker so fest zugestoßen hatte, dass am Rücken des Vampirs ein kleines Stück des Pfahles herausragte.
Blut sprudelte über Halkins Lippen, als er auf die Knie sank und zu seinem schwankenden Mörder, der sich an der Tischkante festhielt, aufsah. „Das ist nicht möglich“, blubberte er zwischen dem Blutschwall hervor, dann kippte er langsam vornüber und rührte sich nicht mehr.
„Ruhe in Frieden!“ Parkers Stimme klang schwach, er taumelte.
„Befreien Sie mich, Parker!“ Mulder rüttelte an seinen Fesseln, aber Parker beachtete ihn gar nicht. Er blickte auf das Stilett, das in seiner Brust steckte, legte die Hände darum und zog es mit einem Stöhnen heraus.
„Es tut mir leid, Dana, dass ich so spät gekommen bin“, flüsterte er und schnitt mit einer letzten Kraftaufwallung ihre Fesseln durch, dann brach er langsam in die Knie und ließ sich auf den Boden gleiten.
Scully riss sich die Kanüle aus der Armvene und richtete sich auf, die Welt vor ihr begann sich wie wild zu drehen, und sie stürzte fast von der Liege.
„Scully!“ Mulders Schrei brachte sie wieder ein Stück näher zurück in die Welt, sie fokussierte ihren Partner, wenn sie sich auf etwas konzentrierte, schien sich wenigstens diese Person nicht um sie zu drehen.
Sie griff sich das Stilett, wobei sie sich fast in die Finger schnitt, weil sie es erst beim zweiten Anlauf richtig fassen konnte, und taumelte zu Mulder. Seine Fesseln zu durchschneiden war fast ein Anschlag auf sein Leben, aber Mulder beklagte sich nicht, als das Messer seine Haut ritzte.
„Scully!“ Mulder schloss sie in seine Arme und stützte sie damit. „Setzen Sie sich hin, ich rufe einen Krankenwagen!“ Er wandte sich zu Halkin und drehte ihn auf den Rücken, die Augen des Mannes waren gebrochen und wirkten noch immer erstaunt, Vampir oder Mensch, er war tot.
„Parker!“ Scully trat, von Mulder gestützt, zu dem Mann, der ihrer beiden Leben gerettet hatte. Sie ging neben ihm auf die Knie. Mulder zögerte kurz, war sich dann aber sicher, dass Parker wohl der letzte Mensch war, der Scully etwas tun würde, deshalb ging er zur Treppe, um Hilfe herbeizurufen.
Scully hörte Mulders eilige Schritte und blickte auf Parkers Gesicht, es war ganz ruhig, seine Augen waren offen, und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
„Es ist gut so, ich habe getan, was ich tun musste. Sie müssen jetzt in den Spiegel sehen, Dana.“ Parker hustete. „Ich wünschte, wir hätten ...“ Scully erfuhr nicht mehr, was Parker sich gewünscht hätte, ein letztes Zittern lief durch seinen Körper, dann war es vorbei.
Scully streckte die Hand aus und schloss sanft Josh Parkers Augen.
Rezensionen