World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Spiegelbilder

von Martina Bernsdorf

Kapitel 5

Washington D.C.
FBI Zentrale
3.3.96
10.15


Mulder betrat das Büro, noch immer klebte eine Schiene quer über seiner gebrochenen Nase.
„Scully!“, begrüßte er erfreut seine Partnerin, die bereits an einem Bericht zu arbeiten schien. „Ich dachte, Sie würden die Autopsie an Robert Halkin durchführen?“
Scully sah auf. „Die ist bereits beendet, nun ist Josh Parker an der Reihe. Ich habe darum gebeten, dass jemand anderes diese Autopsie durchführt.“
Mulder musterte seine Partnerin leicht fragend, aber Scully wollte nicht darüber reden.
„Hat man bei Halkin etwas Außergewöhnliches festgestellt?“ Mulder setzte sich und knabberte ein paar Sonnenblumenkerne.
„Wenn Sie auf Fangzähne hofften, muss ich Sie wieder enttäuschen, Mulder!“ Scullys spöttischer Tonfall entlockte Mulder ein Lächeln, es bewies ihm, dass seine Partnerin über die Ereignisse gut hinweggekommen war.
„Kein Vampir also?“
„Nein, kein Vampir. Aber es gab Ungewöhnliches bei Mr. Halkin! Wir fanden einen Tumor an seinem Hypothalamus. Seine Adrenalinwerte lagen weit über jedem Normalwert, das würde seine ungewöhnliche Kraft und Schnelligkeit erklären.“
„Oder aber, er war für einen Vampir ganz normal.“ Mulder lächelte leicht, aber er meinte es nicht als Scherz, was Scully auch wusste.
„Seine Magensäure war ungewöhnlich, es fand sich auch ein Enzym, welches bisher nicht bestimmbar war, vielleicht konnte er wirklich Blut verdauen!“ Scully gab diese Information zögerlich, sie wusste, wie Mulder dies auslegen könnte.
„Vielleicht war Parker am Ende gar nicht verrückt?“ Mulder legte etwas auf den Tisch, einen kleinen Taschenspiegel.
„Parker hat einen Brief hinterlassen, in dem er ausdrücklich darauf hinweist, dass Sie den Spiegel bekommen sollen. Das Labor hat ihn schon gecheckt, außer, dass das Glas ungewöhnlich rauchfarben ist, konnte man nichts Besonderes entdecken, der Krümmungswinkel ist nicht die Norm, aber laut Labor auch nichts, was etwas an den Reflexionen ändert. Es ist nur ein Spiegel!“
Scully betrachtete den Spiegel. „Sie klingen enttäuscht.“
Mulder zuckte die Schultern. „Vielleicht.“
Er stand auf und klatschte leicht in die Hände. „Ich hole mir einen Kaffee, wollen Sie auch einen, Scully?“
Scully nickte geistesabwesend, während sie nach dem kleinen Spiegel griff. Ihre Fingerspitzen kribbelten, der Spiegel fühlte sich merkwürdig warm an, was aber vermutlich an Mulders Körperwärme lag, er hatte den Spiegel ja in der Jackentasche getragen.
Scully zögerte, dann schalt sie sich eine Närrin und blickte in den Spiegel. Mulder hatte recht, die rauchige Farbe war ungewöhnlich, aber ihre Spiegelung war vollkommen normal, ein klein wenig verzerrt, aber nur so schwach, dass man nicht direkt einen Finger darauf legen konnte.
Scully sah einen Schatten in einer Ecke des Spiegels auftauchen, sah, wie er anwuchs, und erblickte hinter sich im Spiegel die lächelnde Fratze eines Dämons. All die Verderbtheit, all die Gewalt und Mord, den dieses Ding begangen hatte, schien sich in diesem Bild widerzuspiegeln. Scully schrie unterdrückt auf und wirbelte um die eigene Achse.
Der Mann von der Putzkolonne sah sie erschrocken an, lächelte aber dann, während er den Putzwagen weiterschob.
War dieses Lächeln eine Spur hinterhältig gewesen? War es nur eine Maske? Scully schauderte, kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn.
Sie ließ den Spiegel los, so als hätte sie sich daran die Finger verbrannt.

XXX

Das sanfte Mondlicht warf seine Schatten, die Frau bewegte sich leise, gehüllt in dieses trügerische Licht und doch unsichtbar für die Stadt.
Niemand bemerkte sie, ihre Hand glitt in die Tasche ihres Mantels, liebkoste den Eichenholzpflock, er fühlte sich glatt, samtig und lebendig an. Er fühlte sich gut an!
Sie wusste, was ihre Aufgabe war, es gab keine Zweifel, es gab keine Reue, langsam näherte sie sich dem Mann, doch er war kein Mensch, es war nur eine Maske, und darunter lauerte ein Raubtier.
Sie hob die Hand mit dem Pfahl, fühlte den sanften Widerstand, als die Spitze in die Brust des Dämons glitt, fühlte das Gewicht des Hammers in der anderen Hand, schwang den Arm nach oben und ließ ihn ohne zu zögern herabsausen.
Dana Scully katapultierte sich mit einem Schrei auf den Lippen aus ihrem Traum, sie starrte ins Dunkel, ihr Herz hämmerte einen wilden Protest gegen ihre Rippen.
„Nur ein Traum, nur ein Traum.“ Scullys Stimme zitterte.
Sie glitt aus dem Bett und machte die Lichter an, es waren ihr zu viele Schatten in ihrem Zimmer, in ihrer Wohnung, in ihrem Herzen!
Zitternd ging sie zum Fenster, draußen heulten die Sirenen eines Polizeiwagens, die schauerliche Musik der Nacht in jeder Großstadt.
Scully wandte sich ab, sie fühlte sich klein und schutzlos an diesem Fenster.
Sie trat ein paar Schritte zurück und sah die verzerrte Spiegelung von sich selbst auf dem Glas, hastig zog sie die Vorhänge zu, aber den Schatten konnte man nicht entkommen.
Wie nahe ging man am Abgrund, wenn man mit Menschen wie Josh Parker und Robert Halkin konfrontiert wurde? War Wahnsinn ansteckend? Und wenn, war dann nicht die ganze Welt schon infiziert?
Was ging hinter all den anderen Fenstern vor sich? Hinter den Spiegeln, hinter den Masken?
Dana Scully kauerte sich auf dem Sofa zusammen, schlang ihre Arme um ihre Knie und schaukelte leicht hin und her, so wie sie es als Kind getan hatte, wenn sie Angst hatte.
Es war leicht, in dieser Welt von dunklen Schatten, von Mord und Wahnsinn, selbst die Perspektiven zu verlieren. Welche Tore mussten in einem geöffnet werden, um die Dämonen, die in jedem Menschen hausten, freizulassen?
Wie leicht konnte man hinter einer Ecke seines Verstandes auf einen schrecklichen Schachtelteufel namens Wahnsinn stoßen, der einem entgegenlachte und lachte und lachte.
Scully fragte sich, ob Mulder solche Augenblicke kannte, ob er die Zweifel kannte, die Angst davor, sich zu weit in diese schrecklich dunkle Welt der X Akten zu verlieren.
Zu weit, um noch ein Licht zu finden, das einen zurückbrachte.


Ende
Rezensionen