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Familienbande VI: Seltsame Bettgenossen

von Dawn

Kapitel 14

Dritter Stock, Südwestflügel
Dienstag
21:17 Uhr


„Ich verstehe es nicht. Mom hat mir erzählt, dass Mulder bis vor kurzem nicht von dir wusste. Warum nicht?“

Grey drehte seinen Kopf nicht ganz, sondern erlaubte ihm nur nach rechts zu rollen, sodass Bill in Sicht kam. „Seine… unsere Eltern gaben mich zur Adoption frei. Sie haben Fox und Samantha nie gesagt, dass ich existierte – oder jemand anderem was das angeht.“

Bill runzelte die Stirn. „Ich wiederhole – warum?“

Grey presste seine Schultern stärker gegen die Wand und knirschte mit den Zähnen. Fox zu finden hatte ihm geholfen die Taten seiner Eltern zu verarbeiten, aber sie stachen immer noch. „Das ist eine sehr lange, sehr komplexe und extrem unglaubliche Geschichte. Es versteht sich von selbst, dass sie dachten, sie würden mich beschützen.“

Bill absorbierte das schweigend, während Grey einen weiteren Schluck von seinem Wasser und betrachtete den Schuttberg, der den Flur teilte. Ein Haufen, den er und Bill innerhalb der letzten Stunden systematisch abgetragen hatten, bis sie schließlich vor einigen Minuten den Durchbruch geschafft hatten. Mit vor Müdigkeit blutunterlaufende Augen und bebenden Muskeln waren beide mit der stillen Einigung sich auszuruhen auf den Boden gesunken.

„Warum nur dich?“

Grey, der die Stille hinunter in leichte Benommenheit hinunter gesunken war, wurde wie ein Hund an der Leine von Bills Frage zurückgezogen. Was antwortet man darauf? Bills Leben war schwarz und weiß, zwei dimensional, ähnlich dem, das er selbst noch von knapp sechs Monaten gelebt hatte. Diese Weltansicht zu zerstören gehörte nicht zu den Verantwortungen, die Grey übernehmen wollte – nicht dass Bill dafür empfänglich gewesen wäre, wenn er es versucht hätte.

„Ich glaube nicht, dass das Leben meiner Eltern zu der Zeit als Fox geboren wurde noch ihr eigenes war.“, sagte er vorsichtig. „Täuschung war keine Option mehr.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Du fühlst Verachtung für die Suche meines Bruders, für die Entscheidungen, die er getroffen hat. Aber die einfache Wahrheit ist, dass Fox nie wirklich eine Wahl hatte.
Da gab es jene, die seine Zukunft schon manipulierten, bevor er geboren wurde. Und doch hat er es irgendwie geschafft seinen Anstand, die Reinheit seines Ziels zu bewahren.“

„Du klingst, als ob du ihn *bewunderst*“, murmelte Bill, Unglaube tropfte von seinen Worten und verzog sein Gesicht.

„Verdammt richtig.“, gab Grey leise, doch vehement zurück.

Bill schnaubte und schüttelte den Kopf. „Schau, McKenzie. Du scheinst ein netter Kerl zu sein, obwohl du manchmal eine Nervensäge sein kannst. Aber dein Bruder…“ Seine Lippen kräuselten sich. „Du denkst, ich hätte ihn nicht überprüft, als ich herausfand, dass Dana einen neuen Partner bekam? Ich habe Freunde mit Verbindungen; Ich habe mich umgehört! Spooky, nennen sie ihn. Hatte eine unglaubliche Gabe dafür, Serienmörder zu schnappen – wahrscheinlich, weil er viele von ihren Charakterzügen teilt. Drehte durch nachdem er seine Gedanken mit einem Psycho zu viel gemischt hat und landete im Keller, untersucht Aliens, Geister und Dinge, in die man nachts hineinrennt. Konnte keinen Partner halten, ein einsamer Wolf, der Regeln und Prozeduren völlig missachtet. Das ist es, was sie mir über den Partner meiner Schwester erzählt haben. Und weißt du was? Ich habe nichts gesehen, was diese Bewertung widerlegt!“

Die Unfähigkeit Ärger heraufzubeschwören definierte Greys Erschöpfung deutlicher als seine brennenden Muskeln. Er stieß einen langen Atem aus und spitzte die Lippen.

„Ich habe Neuigkeiten für dich, Bill. Ich habe selber ein paar diskrete Fragen gestellt und ich habe wenige Zweifel, dass meine Quelle ein bisschen verlässlicher ist, als deine.“

„Ja, sie nannten ihn Spooky. Der Name entstand genau zu der Zeit als seine Aufklärungsrate die jedes anderen Profilers in der Geschichte des Bureaus überstieg, geprägt von denen, die auf sein Talent neidisch waren. Und ja, die Übernahme der X-Akten erfolgte nach dem Zusammenbruch, der von einer ungeheuer großen Belastung mit Fällen und zu viel Mitgefühl für die Opfer verursacht wurde. Und was das Halten eines Partners angeht, tja, er und Dana sind seit sechs Jahren zusammen. Eine Menge Ehen halten nicht so lange!“

„Du denkst du magst meinen Bruder nicht, Bill, aber die Wahrheit ist, dass du ihn nicht mal kennst. Du hast Gerüchte und Anspielungen deine Auffassung von ihm beflecken lassen, bevor du auch nur einmal sein Gesicht gesehen hast und jetzt kann dich nichts von deiner vorgefassten Meinung abbringen. Und ich denke, das Traurigste daran ist, dass du der Beurteilung von ein paar Bekannten mehr traust, als der deiner eigenen Schwester.“

Grey erwartete eine schlaue Bemerkung oder Erwiderung irgendeiner Art, also nervte ihn Bills ausdruckslose Maske und sein steinernes Schweigen. Aufseufzend hievte er seinen pochenden Körper hoch und machte damit weiter Teile des Schutts wegzuräumen um den Durchgang zu vergrößern.

„Ich weiß nicht, warum ich meinen Atem verschwende.“, grummelte er zu sich selbst.

Grey zog an einem besonders schweren Brett, das sich abrupt löste und ihn zurück taumeln ließ. Leise fluchend ließ er es auf den Boden fallen und untersuchte die nun aufgerissene Haut um die große Blase in der Mitte seiner Handfläche.

„Hier.“

Dem barsch gesprochenen Wort folgte ein weißes Taschentuch, das ihm ins Blickfeld geschoben wurde. Greys Blick wanderte von der Hand den Arm hoch, bis er auf Bills finsteres Gesicht traf.

„Verbinde das besser.“

Grey akzeptierte das Tuchquadrat und fummelte ungeschickt damit herum, als er versuchte es mit nur einer Hand um die verletzte Stelle zu wickeln. Nachdem er einige Augenblicke ungeduldig zusah, gab Bill ein genervtes Grunzen von sich, schnappte das Taschentuch und schaffte es die Wunde mit überraschend sanfter Berührung zu verbinden.

Grey bewegte die Finger und bückte sich um ein Stück Trockenwand aufzuheben. „Danke. Das hilft wirklich.“

„Wollte nur nicht, dass du so beeinträchtigt bist, dass ich den Rest alleine machen muss.“, antwortete Bill steif, wobei er Greys Augen auswich und griff nach einem Stück Rohr.

Grey unterdrückte eine scharfe Erwiderung, zuckte nur mit den Schultern und stürzte sich dann wieder auf die Aufgabe. Nach weniger als zehn Minuten, hatten sie eine Öffnung geschaffen, die groß genug war, um sich auf Händen und Füßen hindurch geschlängelt.

Der Flur vor ihnen sah aus wie ein alptraumhafter Hinderniskurs. Berge von Trägern, Balken und Rohren waren vermischt mit umgedrehten Wagen und zerstörter Ausrüstung.
In einigen Bereichen war die Decke gebrochen und hing hinunter, in anderen wellte sich das Linoleum und schoss nach oben – eine unwirkliche Parodie von Stalaktiten und Stalakmiten. Grey fügte den schwachen Strahl seiner Taschenlampe zu dem fernen Glühen, das wie er vermutete nur von Flutlichtern draußen stammen konnte, hinzu. Was er sah ließ sein Herz sinken wie ein Stein in tiefem Wasser.

Der Flur war für etwa zehn Meter passierbar, bevor die Decke sich vollständig nach unten wölbte und den Rest durch eine undurchdringliche Wand verschloss. Er fühlte wie Bill hinter ihm anhielt, hörte das scharfe Einatmen, als er die Zerstörung in sich aufnahm.

„Das war’s dann.“, sagte Bill, seine Stimme war nicht leise genug um die Verzweiflung zu verstecken. „Endstation.“

Grey Temperament kochte über, die Anhäufung von zu viel Sorge übertrag die körperliche Müdigkeit und die erzwungene Kameradschaft mit einem Mann, den er nicht ausstehen konnte. „Es ist *nicht* das Ende! Ich habe nicht in den letzten neun Stunden Blut geschwitzt nur um jetzt aufzugeben! Es muss einen anderen Weg geben!“

Bill baute sich vor Grey auf, wobei er absichtlich in seine Privatsphäre eindrang. „Wo? Hast du überhaupt aufgepasst? Wir sind nur soweit gekommen, indem wir uns in diesem Aufzugschacht beinahe getötet haben! Das war die einzige Richtung in der wir den Flur entlang gehen konnten und das ist eine verdammte Sackgasse! Ich will sie genauso sehr finden wie du, aber uns sind einfach die Optionen ausgegangen!“ Bills explosive Tirade endete abrupt und er ließ den Kopf hangen, wobei er seine Schläfen mit zitternden Fingern massierte. „Sieh dir diesen Ort an, McKenzie. Das ist nur der dritte Stock. Wenn es hier unten schon so schlimm ist…“

„NEIN! Ich weigere mich, das zu akzeptieren, bis ich es mit eigenen Augen sehe! Ich werde sie *nicht* aufgeben, also fang entweder an nach einer Alternative zu suchen oder geh mir aus dem Weg!“

Bill verschränkte schlicht seine Arme in einer unausgesprochenen Herausforderung und weigerte sich zur Seite zu treten.

Etwas tief in Greys Innerem drehte durch. Er traf auf Bills Kiefer, bevor er bewusst registrieren konnte, dass seine Finger sich zur Faust geballt hatten. Die Wucht des Schlags zwang Bill zurück, sein Gesichtsausdruck war erstaunt und wirkte fast komisch. Er erholte sich jedoch schnell, Überraschung verwandelte sich fast im gleichen Moment in Ärger. Ein schneller Sprung nach vorn, sein verschwommener Arm und Grey fand sich selbst am Boden wieder, während sich ein warmes Rinnsal auf seiner Oberlippe ausbreitete. Bill stand über ihm, hielt seinen Kiefer und schaute ihn finster an.

Grey ließ seine Hand mit einem leichten Stöhnen wieder auf den Boden sinken und wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der Nase. „Ich kann nicht glauben, dass ich das getan habe. Ich muss lebensmüde sein.“

Bill starrte ihn mit leerem Blick an, dann grinste er breit. „Ehrlich gesagt, hast du einen ziemlich fiesen rechten Haken.“

„Du hast gut reden.“, meckerte Grey und taste nach seiner Taschenlampe, die ein paar Zentimeter fortgerollt war. „Du bist der, der noch steht.“

„Und du bist der, der mit diesem Tanz begonnen hat.“, erinnerte ihn Bill, der noch immer seinen Kiefer befühlte. Aber er beugte sich vor und hielt eine Hand hin. „Hier, komm hoch.“

Als Grey reglos blieb und seine Angebot zu helfen ignorierte um stattdessen die Decke zu untersuchen, stieß Bill verärgert Luft aus. „Ach, komm schon! *So* fest habe ich dich auch wieder nicht geschlagen!“

Grey, der seine Verärgerung nicht mitbekam, richtete den Strahl seiner Taschenlampe nach oben und stand mühsam auf. Er fuhr abwesend fort sich das Blut von der Nase zu wischen, während er den Kopf soweit es ging zurückbog und einen kleinen Kreis ging.

„McKenzie!“, zischte Bill.

Grey machte sich nicht die Mühe Bill anzusehen, aber sein knapper Befehl schäumte vor Aufregung. „Sieh nach oben.“

Gründlich übertrieben warf Bill beide Arme hoch und blickte ungeduldig in die angezeigte Richtung. „Warum? Was zum…“

Eine Öffnung. Fast einen Meter Durchmesser, die Ränder waren unfassbar glatt und gleichmäßig, als seinen sie durch einen Locher entstanden. Und durch das Loch, dämmrig, eine offene Fläche, die eine Zugangsmöglichkeit andeutete.

„Ich denke wir haben unsere Option gefunden, Billy.“


Vierter Stock, Südwestflügel
Dienstag
22:24 Uhr


Scully war allein. Mulder war auf die reine körperliche Anwesenheit reduziert, ein warmer Körper. Es war immer schwieriger geworden ihn zu wecken, schließlich reagierte er nicht einmal mehr auf schmerzhafte Stimulation. Ihr war nicht klar gewesen, wie viel Kraft sie allein daraus gezogen hatte seine Stimme zu hören, bis er verstummte. Während er bei Bewusstsein war, konnte sie sich auf *seine* Schmerzen, *seine* Bedürfnisse konzentrieren. Jetzt pochte ihr Arm und sie brannte vor Durst. Das einzig tröstliche war, dass Mulder zumindest seinen Qualen entkommen war.

Also drückte sie sich fest gegen seinen fiebrigen Körper und versuchte nicht an Eiswasser in hohen Gläsern, die beschlagen waren zu denken. Daran zwischen weichen Kissen und dicken Decken in Mulders Armen in der Geborgenheit und Sicherheit ihres Bettes zu liegen. An Sonne und Sand und blaues, blaues Wasser – alles was hätte sein sollen, aber jetzt vielleicht nie stattfinden würde. Scully vergrub ihr Gesicht in ihrer eigenen Armbeuge und schluchzte.

Sein leisen, unverständliches Stöhnen und das schmerzerfüllte Wimmern riss sie aus dem Genuss der Tränen und sie konzentrierte ich darauf das verschwitzte Haar von seiner Stirn zu wischen und kleine Kreise über seinen Rücken zu reiben. Der Klang ihrer Stimme beruhigte ihn und so faselte sie weiter, ein Ersatzfernsehen um seinen Geist zu beschwichtigen.

„Habe ich dir je davon erzählt, wie Charlie und ich den Weihnachtsbaum umdekoriert haben? Ich glaube ich muss vier gewesen sein und er war drei. Melissa war in der ersten Klasse, Bill war im Kindergarten und Charlie und ich sollten einen Mittagsschlaf machen. Die arme Mom hatte sich im Schlafzimmer hingelegt – erschöpft davon sich um uns vier zu kümmern, weil Dad noch immer auf See war. Ich erinnere mich, dass Charlie und ich beleidigt waren, weil wir nicht viel mitmachen durften, als der Baum geschmückt wurde. Mom hat uns ein paar unzerbrechliche Anhänger aufhängen lasse, aber nur Missy und Bill durften die wirklich besonderen haben.“

„Es war meine Idee, das gebe ich zu. Charlie hat in dem Alter so ziemlich alles mitgemacht, was ich vorgeschlagen habe, als ich also meinen brillanten Plan auslegte, war er sofort dabei. Ich hatte überlegt, dass wir, wenn wir alle Anhänger vom Baum nehmen würden auch in den Genuss kommen würden sie alle wieder aufzuhängen. Wir waren zu klein um die an der Spitze zu erreichen, aber ich habe ein paar Küchenstühle rüber gezogen, sodass wir an die meisten heran konnten.“ Scully kuschelte sich mit einem kleinen Grinsen an seine Schulter. „Du weißt wie erfinderisch ich sein kann, Mulder. Ich glaube wir hatten fast drei Viertel der Anhänger vom Baum genommen, als Mom aufwachte und uns auf frischer Tat ertappte. Sie kreischte so laut, dass Charlie fast von seinem Stuhl gefallen wäre – es ist ein Wunder, dass sich keiner von uns das Genick gebrochen hat!“

Sie kicherte leise bei der Erinnerung, aber es klang leer und alleine ohne Begleitung. Scully blinzelte eine Wellen von Tränen weg und fuhr tapfer fort. „Ich bin sicher, dass ich dir nicht erzählen muss, dass Charlie und ich die Anhänger, die wir so systematisch abgenommen haben, *nicht* wieder aufhängen durften! Wir mussten außerdem in unseren Zimmern bleiben, statt draußen im Schnee zu spielen, nachdem Missy und Bill aus der Schule zurück waren. Aber diese Strafen waren nichts im Vergleich zu der Qual, dass unsere kleine Eskapade jedes Mal zu Weihnachten in allen Einzelheiten erzählt wird.“ Sie seufzte. „Ich hoffe nur, dass wir hier raus kommen, damit Mom mich damit in Verlegenheit bringen kann, es dieses Jahr aufs Neue hervorzukramen.“

Mulder machte ein leises Geräusch in seiner Kehle, wand sich unruhig. Seine Hand zuckte ruhelos, bis sie sich mit ihrer verschränkte und seine Augen flatterten halb auf. Er sah sie feierlich schweigend an, bis seine Zunge hervor kroch, um aufgesprungene Lippen zu befeuchten.

„So durstig.“ Die Worte waren so trocken wie das ausgedörrte Gewebe seiner Kehle, so kraftlos wie ein Luftstoß.

„Ich auch, Liebster.“

Seine Finger schlossen sich schmerzhaft und sie spürte wie ein Schauer durch seinen Körper lief. „Schmerz.“

Ein Wort, eine einzelne Silbe, aber von einem Man, der die Bedeutung des Wortes „stur“ neu definieren konnte, sprach es Bände. Scully biss sich fest auf die bebende Lippe und schloss ihre Augen fest gegen die Flut von Emotionen. Alles was sie tun konnte, war seine Verletzlichkeit zu teilen.

„Ich weiß. Ich auch, Liebster.“

Er verstummte, doch das gelegentliche Schimmern seiner Augen, wenn sie das magere Licht einfingen, sagte Scully, dass er noch wach war.
Ein weiteres, kleines Zucken und er sog einen rasselnden Atemzug ein.

„Kommen nicht, Babe.“

Seine stille Erklärung löste soviel in ihr aus – sie wollte trösten, sie wollte belehren, sie wollte leugnen. Am Ende drückte sie einfach einen Kuss in seine Handfläche.

Denn tief im Inneren hatte sie Angst, dass Mulder Recht hatte.
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