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Familienbande VI: Seltsame Bettgenossen

von Dawn

Kapitel 12

Zweiter Stock, Südwestflügel
Dienstag
17:00 Uhr


„Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.“

Grey rollte mit den Augen und verkniff sich zehn neunmalkluge Antworten. Er war müde, er stank und er hatte William Scully Jr. verdammt satt. Er stieß einen langen Atemstoß aus und hob die Hände mit den Handflächen nach oben in einer Geste der Frustration.

„Was dann? Wir sind diesen Stock mindestens fünf Mal abgegangen. Beide Treppenhäuser sind unpassierbar – wie du so eloquent betont hast. Wir verlieren das Tageslicht und diese bekloppten Taschenlampen werden auch nicht wirklich hilfreich sein. Wir müssen das hier machen oder einfach einpacken und aufgeben.“

Bills Augenbrauen zogen sich zusammen bis sie seine Nase zu berühren schienen und seine Lippen wurden schmal. „Ich werde meine Schwester NICHT aufgeben, Teufelskerl.“

„Dann komm hierüber, pack an und hör auf rumzunörgeln.“, blaffte Grey.

Bill sah aus als würde er an einem Kaktus lutschen, während er in den Aufzug stapfte und seine Schritte den Schacht hinunter hallten. Grey ignorierte sein Gemurmel und trat in die ihm angebotene Hand, schob die Zugangsplatte in der Decke zur Seite und legte seine Arme über den Rand.

„Schieb.“, ächzte er und flog fast durch die Luft, als Bill mit mehr Kraft als nötig drückte.

Er wand sich über den Rand, rollte sich auf den Rücken und sah nach oben. Überraschender Weise war der Schaft, soweit er es in dem schwachen Licht erkennen konnte, intakt. Er drehte sich auf den Bauch und linste durch die Öffnung, um Bills nach oben gewandtes Gesicht anzusehen.

„Sieht gut aus.“ Er schob sich weiter über die Öffnung und streckte den rechten Arm herunter. „Nimm meine Hand, ich werde dich hoch ziehen.“

Bill schnaubte, seine Lippe kräuselte sich verächtlich. „Tret einfach zurück. Ich komme da schon alleine hoch.“

Grey zuckte mit den Schultern, tat was ihm gesagt wurde und dachte über das schiere Mysterium nach, dass Dana Gene mit diesem Mann teilte. Er hörte die Explosion des Atems in Bills Kehle, als er sich hochdrückte, gefolgt vom Anblick seiner Finger, die sich um die Seiten der offenen Luke krümmten. Mit rotem Gesicht und schweißgebadet hievte Bill sich hoch, indem er zuerst seine Ellenbogen sicherte und dann vorwärts kroch.

„Kinderspiel.“, sagte er und schnappte schwer nach Luft.

Grey hob eine Augenbraue. „Genau. Na dann, warum machst du dich nicht gleich auf den Weg das Kabel hoch, Billy Boy? Du würdest doch all diese Energie nicht verschwenden wollen.“

Er wartete nicht auf Bills unvermeidlich saure Antwort, sondern setze den Rucksack fester auf seine Schultern, wischte seine verschwitzten Hände an seinen mit Jeans bedeckten Beinen ab und schlang seine Finger um den Stahl. Er spürte das Gewicht von Bills wenig unterstützendem Blick, atmete tief ein und begann sich Zug um Zug hoch zu hangeln.

Es war schwerer als er erwartet hatte. Das Kable war rutschig unter seinen Händen und gab nicht so nach wie ein Seil. Er hielt inne, sobald er die Tür zum dritten Stock erreicht hatte, schnappte nach Luft und blinzelte gegen den Schweiß, der von seiner Stirn lief und in seinen Augen brannte. Vorsichtig drehte er den Kopf und linste nach oben.

„Werd ganz hoch gehen.“, japste er, leckte seine Lippen und schmeckte Salz.

„Bist du verrückt?“ Bills Frage hielt Unglaube, nicht Ärger. „Wenn du aus der Höhe fällst, darf ich dich von diesem Ding abkratzen!“

„Ohh! Wusste du magst mich!“, rief er und zwang seine müden Arme wieder zu ziehen.

Bill stieß eine Reihe von Flüchen aus, die zu einem Seemann passten, die er unerschütterlich ignorierte. Schließlich kam die Doppeltür mit der Nummer 4 in Sicht. Er hing für einen Moment da, seine Muskeln bebten vor Erschöpfung, während er den Mut sammelte den nächsten Schritt zutun.

Grey griff mit beiden Händen fester zu, trat los und schwang seine Beine mit all seiner Kraft. Als seine Zehen den Rand zu der Türschwelle erreichten, stieß er sich mit beiden Armen ab. Beide Füße berührten festen Boden, aber er sein Gewicht blieb mehr in Richtung Kabel verteilt und er spürte, wie er begann zum Schaft zurück zu fallen. Während er beide Arme ausbreitete und nach Halt suchte, versuchte er sich auszubalancieren indem er nach vorne hechtete.

Gerade als er dachte, dass alles verloren sei, fand seine rechte Hand Halt und er richtete sich auf, sein Blut pochte in seinen Ohren und sein Atem fing sich in seinen Lungen. Er ließ seinen Kopf gegen die geschlossenen Türen lehnen und konzentrierte sich auf die Stabilität.

„Was ist los? Kommen wir durch?“

„Ich nehme nur mein Herz aus dem Mund.“, antwortete er sarkastisch, die Worte hüpften und flatterten bis sie ihr Ziel erreichten. „Geb mir ne Minute.“

Als sein Puls eine normale Geschwindigkeit erreicht hatte und seine Beine zu zittern aufgehört hatte, presste er seine Finger in den Spalt zwischen den Türen und drückte hart. Zuerst hielten sie stand, dann öffneten sie sich langsam mit einem protestierenden Quietschen.

Etwas Großes flog an seiner linken Wange vorbei und er sprang aus Reflex zurück, wobei er beinahe seine Balance verlor und den Durchgang hinunter stürzte. Eine Sekunde später hörte er einen Knall und Bills alarmierten Ausruf.

„Was zum Teufel war das?“

Grey starrte bedrückt auf das Durcheinander aus Brettern, Isolierung und anderem Gerümpel, das den Eingang zum vierten Stock komplett blockierte.

„Das war ich bei den Vorbereitungen wieder runter zu kommen. Die vierte Stock ist völlig zerstört.“

Er beäugte die Kluft mit Unmut, ihm wurde zum ersten Mal klar, dass er um zurück in den dritten Stock zu kommen, springen und das Kabel fangen musste.

„Und wie genau willst du wieder runter kommen, Einstein?“, rief Bill. „Hast du mal darüber nachgedacht?“

„Nein, das war nur ein einseitiger idiotischer Plan.“, murmelte Grey leise. Laut rief er: „Bereit oder nicht, jetzt komme ich.“

Der Sprung war perfekt – nicht so weit, dass er über sein Ziel hinausschoss, aber weit genug, damit seine Hände das Kabel leicht greifen konnten. Grey triumphierte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor seine Hände den Halt verloren und er nach unter raste und seinen Magen zurückließ.

Seine Reflexe retteten ihn erneut, als er seine Beine und Füße hecktisch um das Metall schlang und seine Finger krampfhaft zugriffen. Seine rasante Abfahrt verlangsamte sich und endete dann nur knapp unter den Türen zum dritten Stock. Grey drückte die Augen gegen die Tränen des Schmerzes zu und versuchte die feurigen Streifen auf seinen Handflächen, die sein Griff um das Kabel verursacht hatte, nicht zu beachten.

„McKenzie? Alles in Ordnung?“

Bills Stimme war leise, zögernd. Grey fixierte sich darauf, wie auf ein Sicherungsseil, eine Erinnerung daran, warum er sich in seiner gegenwärtigen Lage befand.

„Ja. Ja. Nur…“, er brach ab und war nicht in der Lage ein kleinen schmerzerfülltes Stöhnen zurückzuhalten.

„Ich komme hoch.“

„NEIN!“

Grey konnte hören wie Bill angesichts der Panik in seiner Stimme buchstäblich quietschend zum Stillstand kam, was in seinem verdrehten Hirn ein Bild erzeugte, dass einem Cartoon glich und ihn fast dazu brachte in hysterisches Gelächter auszubrechen. Er sah kleine Rauchwolken aus Bills Fersen aufsteigen.

„Du würdest am Kabel wackeln.“, sagte er, schob den Gedanken zur Seite und gewann ein wenig Fassung zurück. „Ich kann nicht… Ich werde mich nicht mehr halten können. Warte.“

„Gut, gut. Ich warte. Fall einfach nur nicht auf mich drauf.“, grummelte Bill.

Grey sehnte sich danach seinen Mittelfinger zu benutzen, gab sich damit zufrieden bewusst nach oben zu kriechen.

„Du bist ein verrückter Hurensohn, McKenzie.“ Bills harsche Worte verdeckten widerwillige Anerkennung.

Dieses Mal rutschte eine Hand ab als er seine Beine über die Lücke schwang und er ruderte wild mit den Armen. Dann, ob aufgrund seiner dezimierten Kraft oder weil sie einfach verkeilt waren, weigerten sich die Türen stur sich zu öffnen, bis er einen Nagen zurück gebogen und er das vor Schmerzen schreiende Fleisch seiner Handfläche weiter verletzt hatte. Trotzdem hätte er vor Freude tanzen können, als er durch die Öffnung in die chaotischen Trümmer des dritten Stocks stolperte.

„Hallo! Würde es dir was ausmachen den Rest von uns auf den aktuellen Stand zu bringen?“

Bis Bills akribische Stimme die Blase platzen ließ.

Grey warf einen hastigen Blick den düstern, mir Trümmern gefüllten Flur entlang, bevor er sich durch die Tür lehnte und seinen Arm in einem begrüßenden Bogen schwang.

„Komm rein, das Wasser ist gut.“

Bills runzeliger Gesichtsausdruck der Verachtung hob seine erschlaffende Laune und glich das Feuer in seinen Händen aus. Er hatte begonnen diesen Sport des Bruder-Hetzens zu genießen und schein kein Gramm Reue auf bringen zu können. Naja, vielleicht ein Gramm…

„Vorsichtig.“, warnte er als Bill seine Finger um den Kabel schloss. „Es ist viel glatter als ein Seil und man rutscht leichter ab.“

„Danke für den Rat.“, grummelte Bill, in einer Stimme, die alles andere als das ausdrückte. „Ich brauche keinen Besserwisser.“

„Wie auch immer.“, seufzte Grey, ließ Bill seine Aerobic vollführen und wandte seine Aufmerksamkeit seinen verletzten Händen zu.

Eine schmale, wütende rote entzündete Linie halbierte die zarte Haut jeder Handfläche und stellenweise quollen kleine Blutstropfen hervor. Grey schob einen Finger in die Taschen seiner Jeans um ein Taschentuch hinaus zu ziehen und wickelte es geschickt um seine rechte Hand, die stärker verletzt war.

Nachdem er es sicher platziert hatte, hob er die Augen und sah wie Bill sich direkt ihm gegenüber an das Kabel klammerte.

„Aus dem Weg sonst tu ich dir weh, Teufelskerl, ich komme rüber.“, warnte er und sah aus als sei er nicht mal in Schweiß ausgebrochen.

Grey trat mit einer übertriebenen Verbeugung und einem Schmunzeln zur Seite. „Oh, *bitte* schließ dich mir an, Billy, ich dachte du kommst nie hier an.“

Es war vorherbestimmt Futter für seine gelegentliche Schlaflosigkeit zu werden – sich zu wundern, ob die Stichelei Bills aus dem Timing gebracht hatten. Was auch immer der Grund war, statt wie Grey mitten auf der Türschwelle zu landen, ließ Bill zu spät los und sprang zu kurz. Grey sah in erschrockener Zeitlupe zu, wie die Spitzen von Bills Turnschuhen an dem festen Boden vorbeischrammten und er fiel wie ein Stein in Richtung der Aufzugkabine unter ihm.

„NEIN!“, schrie er, hechtete nach vorne um nach etwas zu greifen, irgendetwas. Ein Glied. Ein Fetzen von Kleidung. Sogar die fadenscheinige Entschuldigung für einen Rucksack, wenn es den Fall des Mannes bremste. Seine Fingerspitzen rutschten über einen Baumwollpullover, erhaschte es den Bruchteil einer Sekunde bevor er begann sich zu lösen. Bills Eigendynamik verlangsamte sich ein Stück, aber er war weiterhin im freien Fall, seine Augen vor Angst geweitet. Seine Hände schossen vor, griffen nach der Kante, als er daran vorbei sank und wie durch ein Wunder fanden sie halt. Mit einem abrupten und muskelzerrenden Ruck brach er den Fall ab, seine Beine baumelten wild über dünner Luft.

„Halte durch!“ Grey ließ sich auf den Bauch fallen, griff nach vorne um seine Hände knapp unter Bills Ellenbogen um dessen Arme zu schließen. Er konnten nur die Spitze des Karottenkopfs sehen, da Bills Blick auf die schattige Masse der Aufzugkabine unter ihm gerichtet war.

„Bill, sieh mich an!“, befahl Grey scharf.

Träge, widerwillig gab Bill nach, sein Gesicht war blass und verschwitzt.

„Du musst die Kante loslassen und meine Arme greifen.“, sagte Grey langsam, als erkannte, dass der Mann am Rande der Panik stand.

Bill schüttelte wild den Kopf, eine Tat, die seinen Körper vor und zurück schwingen ließ, bis Grey fast den Halt verlor. „NEIN! Ich kann nicht los lassen, ich werde fallen!“

„Du wirst fallen, wenn du es nicht tust! Du kannst da nicht für immer hängen, du wirst jetzt schon müde.“, argumentierte Grey, seine eigenen Arme schrien nun genauso wie seine Hände. „BILL. Vertrau mir. Ich werde dich *nicht* fallen lassen.“

Bill musterte ihn für einen sehr langen Moment, bevor er seinen Kopf in einem kleinen Nicken einzog.

„In Ordnung. Auf drei.“, hauchte Grey und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. „Eins. Zwei. DREI!“

Ohne zu zögern löste Bill seinen Klammergriff um die Kante und krallte sich an Greys Unterarme, lagerte sein gesamtes Gewicht um. Für einen Augenblick füllte Grey sich selbst nach vorne rutschen, dem Absturz entgegen und er versuchte verzweifelt seine Füße gegen die Fliesen zu stemmen. Das Gummi seiner Nikes bekam endlich Halt und er rutschte langsam Stück für Stück zurück.

Sobald Bill einen Ellenbogen über die Kante geschoben hatte, hörte er auf ein totes Gewicht zu sein und durch Treten, ziehen und rutschen, schaffte er es sich seinen Weg zur Sicherheit zu arbeiten.

Für eine sehr lange Zeit lagen sie beide auf dem wunderbar stabilem Boden, Bill auf dem Rücken und Grey auf dem Bauch, wie Fische japsend. Schließlich hievte Grey sich auf die Knie hoch und durchwühlte seinen Rucksack bis er eine Flasche Wasser hinauszog. Nach einem langen, befriedigenden Zug bat er es Bill an, irritiert von der Art wie die Flüssigkeit wild in seiner bebenden Hand schwappte. Offensichtlich in keiner besseren Verfassung, gelang es Bill einen Großteil der Flüssigkeit über sein Kinn zu schütten, als er versuchte selbst zu trinken. Er runzelte die Stirn angesichts seiner Unbeholfenheit und blickte düster auf Greys Grinsen, das schnell zu einem Kichern wurde.

„Findest du das lustig?“, tobte er, doch es kam schwach und unaufrichtig rüber.

„Ich glaube wir haben uns beide fast in die Hosen gemacht.“, antwortete Grey, dem immer noch kleine Fetzen von Gelächter entwichen. „Und ich bin froh, dass du lebst, Billy Boy. Wer hätte das gedacht?“

Bill starrte ihn an, dann lächelte er. Was ein Grinsen wurde. Ein Kichern. Und dann rollten sie beide über den Boden und geierten wie Idioten.

Schließlich setzte sich Bill auf und fuhr sich durchs Gesicht, wobei er Schweiß und Dreck verschmierte. Er sah zu Grey hinüber, der immer noch flach auf dem Rücken lag, hin und wieder kicherte und ernüchterte.

„Danke, McKenzie. Ich schulde dir was.“

Durch die Überraschung ernüchterte Grey ebenfalls, streckte die Hand aus und ließ zu, dass Bill ihn hochzog. „Gern geschehen, Bill. Was deine Schulden angeht… das solltest du dir noch mal überlegen. Ich glaube nicht, dass dir gefällt wie ich sie eintreibe.“

Bills verwirrter Gesichtsausdruck wurde zu Verständnis und leichter Verärgerung. „Huh. Tja, wenn das, was ich eben in diesen Aufzugschacht passierte ein Zeichen war, sind wir quitt bevor ich mir Sorgen darüber machen muss. Gehst du immer solche Risiken ein?“

Greys Lächeln verschwand. „Nur in Zeiten extremer Umstände.“, antwortete er düster. „Ich glaube das hier gehört dazu.“

Bill stand auf, bot ihm seine Hand an. „Ja“, sagte er leise, „Da stimme ich dir zu.“
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