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Familienbande IV: Zerfetzte Herzen

von Dawn

Kapitel 12

Chilmark, Massachusetts
11:00 Uhr
Freitag


Unter anderen Umständen hätte Scully die Sitzplatzverteilung amüsant gefunden. Skinner hatte für einen Helikopter des Bureaus, der sie nach Martha’s Vineyard geflogen hatte, und einen Streifenwagen der Polizei von Chilmark gesorgt, der sie bei ihrer Ankunft erwartete. Natürlich hatte Skinner den Beifahrersitz beschlagnahmt, sodass sich Scully, Grey und Mulder auf die Rückbank quetschen mussten. Scully fand sich in einer Position, die sie auf unbequeme Weise an ihre Kindheit erinnert – sie saß auf der Erhöhung in der Mitte, sodass Mulder und Grey mehr Platz für ihre Beine hatte. Wie oft hatte sie genauso zwischen Bill und Melissa eingequetscht gesessen? Gott segne Charlie, der ihren Vater dazu gezwungen hatte, die Limousine gegen einen Kombi einzutauschen.

Hier so zu sitzen, mit angezogenen Knie, sorgte dafür, dass sie sich ehr wie ein schlechtgelauntes Kind, als wie eine erwachsene Frau fühlte. Jeglicher Humor erstarb jedoch angesichts Mulders leerem, verstörtem Gesichtsausdrucks, mit dem er aus dem Fenster starrte. Wer auch immer dieser Killer war, er drückte Mulders Knöpfe mit unheimlicher Genauigkeit. Es erinnerte sie tatsächlich an… Sie schob den Gedanken beiseite, verärgert, dass es ihr in den Sinn gekommen war.

Scully kaute wild auf ihrer Lippe und wünschte sich, sie könne Mulder in ihre Arme ziehen, um ihn zu trösten, war sich aber der Anwesenheit des Beamten aus Chilmark, der sich auf der anderen Seite des Metallgitters leise mit Skinner unterhielt, als zu sehr bewusst. Sie schloss ihre Augen, nur um sich lebhaft an den verlorenen Ausdruck auf Mulders Gesicht zu erinnern, als Skinner sie darüber informiert hatte, dass die achtjährige Callie Westin aus ihrem Haus in Chilmark, keine drei Meilen von dem Haus aus dem Samantha Mulder verschwand, entführt worden war. Es war geschehen, während ihr dreizehnjähriger Bruder nach der Schule auf sie aufgepasst hatte. Seither funktionierte Mulder auf Autopilot, sein Körper war anwesend, doch seine Gedanken waren bei zwei kleinen Mädchen, die unerklärlicher Weise durch einen Verrückten verbunden waren.

Das Haus der Westins strahlte wie ein Leuchtturm in der Dunkelheit, jede Lampe brannte und es war umgeben von roten und blauen Blitzen. Nachbarn standen vor ihren Häusern, beobachteten die Aktivitäten mit düsterer Faszination und sprachen leise miteinander. Der Polizeiwagen hielt abrupt am Bordstein, der Stillstand des Motors erinnerte sie daran, dass sie an ihrem Ziel angekommen waren. Der Fahrer verließ den Wagen schnell und ließ sie wegen der plötzlichen Helligkeit der Innenraumbeleuchtung blinzelnd zurück. Mulder entfaltete sich von der Rückband und war geistesgegenwärtig genug um Scully eine helfende Hand zu reichen, als sie hinter ihm hinaus kroch.

Skinner beobachtete sie scharf und lehnte einen muskulösen Arm gegen das Dach des Wagens. „Bei diesem Fall kochen die Gefühle hoch.“, sagte er mit leiser Stimme. „Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass es zwingend erforderlich ist, dass höchste Professionalität erhalten wird. Lassen Sie uns die Sache für diese Leute nicht schwerer machen als es sein muss.“

„Ich werde nicht reingehen.“, sagte Grey, Scullys und Mulders Blicke ignorierend. „Ich glaube da drin sind schon mehr als genug Leute und ich würde mich nur nutzlos vorkommen. Ich würde mich lieber hier draußen umsehen, schauen ob ich was Nützliches entdecke.“

Mulder griff in die Tasche seines Trenchcoats und zog eine Taschenlampe heraus. „Hier. Ich war Pfadfinder.“

Grey schnaubte. „In welchem Leben?“

Scully hätte ihn küssen können, als Mulder grinste. Grey hatte die Gabe genau die richtige Bemerkung zu machen um seinen Bruder von der Dunkelheit abwenden. Unauffällig drückte sie dankbar seine Hand, als sie an ihm vorbei auf das Haus zuging.

Organisiertes Chaos. Obwohl es nur klein war, hatte das Polizeirevier von Chilmark die Westins Krise gut im Griff. Die Spurensicherung konzentrierte sich auf den hinteren Teil des Hauses, wo der Entführer eingedrungen war um Callie aus ihrem Schlafzimmer zu holen. Ein kleiner, stämmiger Mann mit einer autoritären Ausstrahlung befragte ein Paar, das auf der Couch im Wohnzimmer saß, sie hielten sich fest an den Händen. Sie schienen beide in den Vierzigern zu sein – die braunen Haare der Frau waren mit den ersten grauen übersät, der Mann zeigte eine großzügige Menge Silber an den Schläfen. Für einen Moment, als Scully ihr Gesicht studierte, kam ihr die Frau bekannt vor. Plötzlich bemerkte sie, dass es nicht Mrs. Westins Gesichtszüge waren, die bei ihr eine Reaktion ausgelöst hatten, sondern ihr Gesichtsausdruck. Die geschwollenen Augen und der verfolgte Blick spiegelten Anne Stombres’ mit erschreckender Genauigkeit wieder.

Skinner trat vor, um sich dem Polizisten, der die Fragen stellte, einem Captain Eddings, vorzustellen. Mulder hielt sich zurück, stieß Scully an und senkte dann den Kopf um in ihr Ohr zu flüstern.

„Ich möchte, dass du sie befragst, Scully. Ich glaube nicht, dass ich dazu in der Lage bin. Ich würde lieber nur zuhören und mir den Tatort ansehen.“

Zwei verschiedene Gefühle spielten in ihrem Herzen Tauziehen und kämpften um die Vorherrschaft. Überwältigende Erleichterung, da Mulder seine zerbrechliche Kontrolle erkannte und sie durch sein Verhalten schützte. Tiefe Traurigkeit, weil der Killer ihn in so einen Zustand versetzt hatte. Scully setzte ein Lächeln auf, das sie in einer Zeitschrift gesehen hatte.

„Kein Problem, Partner.“

Mulders antwortendes Nicken erzählte ihr, dass er ihr falsches Lächeln durchschaut hatte, sie aber nicht darauf ansprechen würde. Scully wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Skinner zu, der sie gerade den Westins vorstelle.

„… Special Agent Dana Scully und ihr Partner Special Agent Fox Mulder. Sie würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, wenn Sie noch ein bisschen Geduld mit uns haben.“

Mulder hörte zu, während Scully den Westins die übliche Batterie von Fragen stellte und sie so durch die Ereignisse bis kurz nach Callies Verschwinden führte. Seine Ohren nahmen einige angespannte, zögernde Antworten war, während seine Augen den Raum erforschten und mehr über die Westins als Personen und nicht nur als Opfer in Erfahrung brachten.

„Jason passt immer für anderthalb Stunden nach der Schule auf Callie auf, bis ich von der Arbeit nach Hause komme.“, erzählte Trish Westin nochmals unter Tränen. „Er macht das jetzt schon über ein Jahr, und es hat nie Probleme gegeben. Ich hätte nie gedacht das so etwas…“

Mulder bewegte sich langsam um das Sofa auf einen Tisch an der Wand zu, auf dem unzählige Familienphotos zu sehen waren, einige Schnappschüsse und einige professionelle Portraits. Auf einem trug ein grinsender Junge, der nur Jason sein konnte, ein viel kleinere Callie huckepack, ihre Augen leuchteten schelmisch in die Kamera, wobei sie mit der rechten Hand winkte. Ein scharfer Schmerz durchbohrte ihn und sein Herz fühlte sich an, als würde es sich buchstäblich in seiner Brust wand.

*Schlechte Idee, Mulder. Du sollst Distanz bewahren, weißt du noch?*

„Also hat Jason ein Geräusch gehört, wegen dem er nach Callie gesehen hat? Darf ich mit ihm sprechen?“, fragte Scully sanft.

„Unser Kinderarzt war vorhin hier und hat ihm etwas gegeben, damit er schlafen kann.“, antwortete Ted Westin, seine Stimme klang verteidigend. „Er war ziemlich aufgewühlt.“

„Verständlich.“, murmelte Scully. „Können Sie mir sagen, was genau Jason Ihnen sagte das er gehört hatte?“

„Er sagte es klang als würde Callie röcheln.“, begann Trish. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie hatte Mühe sie zurückzuhalten bevor sie fort fuhr. „Er dachte zuerst, dass sie vielleicht nur ein Spiel spielt. Callie hat eine sehr lebhafte Fantasie, und sie denkt sich immer Abenteuer aus, schauspielert. Er hat gerufen, um zu hören ob alles in Ordnung war, doch sie antwortete nicht. Dann ist er in ihr Zimmer gegangen, aber…“

Ihre Stimme brach und sie bedeckte ihren Mund mit einer Hand als wollte sie das leise Schluchzen das hervordrang einfangen. Ihr Ehemann verstärkte seinen ohnehin schon festen Druck auf ihre Hand.

„Callie war weg. Das Gitter des offenen Fensters fehlte und sie war nirgends zu sehen.“, beendete er verdrießlich. „Jason rannte nach draußen um nach ihr zu sehen, und als er sie nicht finden konnte, rief er Trish an.“

„Ich war wütend auf sie.“, flüsterte Trish. „Wütend, weil ich früher nach Hause kommen musste, ich war sicher, dass sie Jason nur einen Schrecken einjagen wollte. Sie haben immer solchen Sachen gemacht, um sich gegenseitig zu ärgern.“

Unfähig noch weiter zuzuhören, ging Mulder einen weiteren Flur zum Zimmer eines weiteren kleinen Mädchens entlang. Das Gefühl der Niederlage wollte ihn umschließen wie die Umarmung eines alten Freundes, doch er schüttelte es verärgert ab.

*Sie lebt noch. Es ist noch nicht zu spät.*

Callies Zimmer und Jackies Zimmer waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Während Jackies Zimmer vom Fußboden bis zur Decke sanft und feminin gewesen war, zeigte Callies eindeutig den Einfluss eines älteren Bruders. Star Wars Figuren hausten neben Babypuppen, ein Fußball neben Ballettschuhen. Hilflos wanderten Mulders Gedanken zu Sam, dem Mädchen, das einen Baseball schlagen konnte, aber trotzdem gerne die Kleidung ihrer Mutter anzog und Teepartys mit ihren Puppen veranstaltete. Er blinzelte schnell und mischte sich unter die Beamten, die nach Fingerabdrücken suchten und kleine Staubsauge verwendeten, um Haare und Fasern aufzunehmen.

„Glück gehabt?“

Eine junge Polizistin sah von ihrem Fingerabdruckset auf, eine frustrierte Fratze verunstaltete ihre Züge. „Es sieht nicht gut aus. Man hört, das sein ein weiterer Paper Hearts Mord. Stimmt das?“

Mulder wandte sich ab, bei ihren Worten kämpfte er gegen die Übelkeit. „Nicht, wenn ich es verhindern kann.“, knurrte er.

Er trotte aus dem Zimmer und hatte vor zu Scully und Skinner zurückzukehren, als sein Auge den Hauch einer Bewegung auf der anderen Seite des Flurs wahrnahm. Ein Tür, die leicht geöffnet war, sodass ein Lichtstrahl hindurch fiel, schloss sich schnell und Mulder hörte das Geräusch von sich entfernenden Schritten. Er haderte einen Moment, ging dann zu der Tür und klopfte vorsichtig.

„Gehen Sie weg.“

Die Stimme war jung, verängstig und mit Elend überzogen. In einer anderen Nacht, in einer anderen Zeit, hätte es seine eigene sein können. Mulder schloss seine Augen fest und klopfte erneut.

„Ich hab gesagt, gehen Sie weg. Ich rede heute nicht mit der Polizei, die sagen ich muss nicht.“

„Ich bin nicht die Polizei, ich bin das FBI?“, sagte Mulder trocken, „Zählt das?“

Zuerst Stille, dann das Geräusch sich nähernder Schritte. Die Tür öffnete sich einen Spalt und zwei braune Augen betrachteten Mulder vorsichtig.

„Ehrlich? Wie dieser Kerl in den Büchern von Jose Chung, der mit seiner Partnerin Aliens jagt?“

Mulder zuckte zusammen. „Du *liest* das Zeug?“

Die Tür öffnete sich ein bisschen weiter – jetzt konnte er braunes Haar und das sommersprossige Gesicht des Jungens auf dem Foto ausmachen.

„Ich lese alles. Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Sind Sie wirklich vom FBI?“

Mulder grinste und zeichnete mit seinem Zeigefinger ein X über seinem Herz. „Die Wahrheit.“, versprach er. „Ich bin Agent Mulder. Darf ich kurz mit dir reden, Jason?“

Das Zögern des Jungen war so offensichtlich wie seine Neugier. „Ich denke schon. Aber kommen Sie rein. Sie denken ich schlafe, aber ich habe die Tablette, die sie mir gegeben haben weggeworfen.“ Er zitterte ein wenig. „Ich will nicht schlafen.“

Mulder drückte sich in das Schlafzimmer, sein Blick fiel auf das lebensgroße Poster von Michael Jordan, dass eine Wand zierte, bevor er ihn wieder Jason zuwandte. Der Junge ging rüber um sich auf sein durchwühltes Bett fallen zu lassen und Mulder zog für sich den Schreibtischstuhl heran. Jason beäugte ihn vorsichtig.

„Sie wollen wahrscheinlich wissen, wie ich zulassen konnte, dass jemand hier einfach reinspaziert und meine kleine Schwester mitnimmt.“, sagte er wütend. „Immerhin war ich der ältere Bruder, oder? Ich sollte doch das Sagen haben.“

Mulder spürte wie sein Atem seine Lungen verließ als sei er in den Magen geschlagen worden. Er versuchte seinen Schmerz zu verschleiern, indem er seinen Stuhl neu justierte und dabei bewusst langsam und tief atmete.

*Gott, wenn du, wie Scully glaubt, da oben bist, hab Nachsicht mit mir. Ich weiß nicht wie viel davon ich noch ertragen kann.*

Jason sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an, offensichtlich hatte Mulders Einlage mit dem Stuhl ihn nicht getäuscht. „Warum gucken Sie so?“, forderte er.

„Wie?“, fragte Mulder ausweichend.

„Als ich gesagt hab, dass ich das Sagen hatte, ist Ihr Gesicht ganz weiß geworden uns Sie sahen aus als wollten sie heulen. Warum? Sie ist nicht *ihre* Schwester.“

Mulder musste die Beobachtungsgabe dieses Kindes bewundern, sogar wenn sie ihn im Moment bis auf Äußerte irritierte. Er erwiderte Jasons berechnenden Blick und entschied, dass der Junge die Wahrheit verdiente. Unter all seinen tapferen Worten und der stoischen Fassade entdeckte Mulder die erdrückende Trauer, die vielleicht nur ein verwandter Geist erkennen konnte. Wenn nur eine Person in seinen Leben verstanden hätte, inne gehalten hätte, um ihm zu versichern, dass Samanthas Entführung nicht seine Schuld war…

„Meine Schwester wurde entführt als ich zwölf war. Meine Eltern waren nebenan bei den Nachbarn und ich hab auf sie aufgepasst.“

Jasons Augen zogen sich misstrauisch zusammen. „Sie denken sich das nicht aus, damit ich mit Ihnen rede, oder? Weil das nämlich ziemlich kalt wäre.“

Mulder zuckte die Schultern. „Glaub was du willst. Was zählt ist, dass ich hier bin um deine Schwester zu finden. Wenn du etwas Wichtiges gesehen oder gehört hast, muss ich es wissen.“
„Das dachte ich zuerst nicht. Ich meine, als ich erst in ihr Zimmer kam, dachte ich, dass sie mir nur einen Streich spielt. Dass sie sich unter ihrem Bett versteckt, oder sich durch das Fenster in den Garten geschlichen hat.“ Jasons Augen erweichten zu denen eines verwirrten kleinen Jungens. „Aber dann kam sie nicht raus. Und Mom weinte und rief die Polizei und die fingen an mir viele Fragen zu stellen und haben mich ganz verwirrt und…“ Eine einzelne Träne rann seine Wange hinunter. „Jetzt bin ich mir nicht sicher.“

„Du machst das gut.“, versicherte Mulder ihm und meinte es auch so. Er konnte nicht anders als Jasons Tapferkeit unter diesen Umständen zu bewundern. „Kannst du mir sagen was du gehört hast?“

Jason schüttelte den Kopf, jedoch nicht weil er sich weigerte zu reden. „Nicht gehört. Gesehen. Als ich gesehen hab, dass das Gitter nicht an dem Fenster war, dachte ich sie hätte es kaputt gemacht und würde sich verstecken, damit sie keinen Ärger bekam. Als ich raus guckte um zu sehen ob ich das Gitter finden konnte, habe ich glaub ich einen Wagen auf der Straße direkt hinter den Büschen parken sehen.“

Mulder versuchte seine Aufregung für sich zu behalten. Es könnte eine Sackgasse sein, aber es kam einem Augenzeugen bisher am Nächsten. Er erinnerte sich an Jasons Worte über das Bombardement mit Fragen von der Polizei und hielt seine Stimme absichtlich lässig.

„Kannst du es mir beschreiben?“

Jason schloss die Augen, als würde er ein inneres Bild in seinem Kopf suchen. „Es war weiß.“, sagte er langsam. „Und lang. Und ich glaube es hatte eine von diesen Hauben drauf – wissen Sie, die mit den Fenstern drin?“

Ihm blieb die Spucke weg. „Ein Camper-Aufsatz.“, stellte Mulder fest und leckte seine Lippen. „Sonst noch was?“

Jason schüttelte den Kopf und studierte noch immer Mulders Gesicht als würde er sich auf eine Prüfung vorbereiten. Falls er dieses Mal das Unbehagen wahrnahm, hinterfragte er es nicht, sonder wechselte das Thema. „Haben sie Ihnen die Schuld gegeben? Als Ihre Schwester verschwand?“

Mulder seufzte und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Ja. Aber nicht so sehr wie ich mir selbst die Schuld gab.“

Er stand auf und ging auf die Tür zu, er wollte das Zimmer schnell verlassen, weg von dem Anblick seiner eigenen Augen in dem Gesicht des Kindes. Er hielt inne, als seine Hand den Türknauf zur Hälfte gedreht hatte. Er rang den Strudel seiner eigenen Ängste und Verwirrung nieder, suchte Jason und fing diese Augen mit seinen ein.

„Ich will, dass du mir jetzt zu hörst, Jason, und wenn du dich an etwas erinnerst, dass jemand heute Abend zu dir gesagt hat, will ich, dass es das hier ist. Das. War. Nicht. Deine. Schuld. Du hättest Callie nicht vor der Entführung bewahren können, egal was du anders gemacht hättest.“

Jason nickte nicht, er schien Mulders Bitte nur aufzunehmen und abzuspeichern, um sie später zu überdenken. Mulder öffnete die Tür, blieb jedoch stehen, als Jason plötzlich sprach.

„Agent Mulder? Sie haben nie erzählt was aus Ihrer Schwester geworden ist. Haben Sie sie jemals gefunden?“

Dunkles, humorloses Gelächter drohte von seinen Lippen loszubrechen und Mulder presste zu fest zusammen.

*Kind, du hast keine Ahnung was für eine belastete Frage das ist.*

“Ich bin nicht sicher.“, gab er laut zu.

Jason runzelte die Stirn. „Was ist mit Callie? Können Sie sie finden?“

Mulder widerstand dem Drang dem fragenden Blick des Jungen auszuweichen. „Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht.“

Erstaunlicherweise stellte sein Versprechen Jason zufrieden und er nickt, während er sich umdrehte.

Mulder trat in den Flur und schloss die Tür. Der Lärm, die hellen Lichter und die Aufregung wirkten erdrückend, nach der ruhigen Intensität seines Aufenthalts in Jasons Zimmer, und schlugen unerbittlich auf seine Sinne ein. Er drückte beide Handflächen gegen die Wand, lehnte seine Stirn an die glatte Oberfläche und schloss seine Augen. Unzusammenhängende Bilder und Gesprächsfetzen vermischten sich in seinem Gehirn, dem Schlaf fehlte.

*Mulder, versprich mir, dass du versuchst, deine Perspektive zu behalten.*

* Haben Sie eine Vorstellung davon, wie es ist das Opfer zu sein, wie es ist wenn Ihnen ein geliebter Mensch genommen wird?*

*Du bist hinter meinem Rücken zu Skinner gegangen? Wie konntest du mir das antun, Scully?*

*Du dringst nicht nur in seinen Kopf ein, Mulder, du hast ihn in deinen eindringen lassen.*

*Haben sie Ihnen die Schuld gegeben?*

Und wie immer wenn er sie am meisten brauchte, war sie neben ihm. Eine sanfte, kühle Hand legte sich in seinen Nacken, strich durch das Haar. Mulder öffnete ein Auge und sah Scully, die ihn besorgt und mit einer fast blendenden Liebe betrachtete.

„Ich muss hier raus.“, sagte er heiser.

Ohne zu zögern oder ein Wort zu sagen, nahm Scully seine Hand und führte ihn zurück durch das Wohnzimmer und raus aus der Haustür. Als sie das Auto erreichten, lehnte Mulder sich gegen die Tür und starrte in den Sternenhimmel. Scully tat es ihm gleich, wobei sie die Tatsache ignorierte, dass sich ihr Körper enger an ihn schmiegte, als das Protokoll es erlaubte. Sie spürte wie er sich dankbar an sie lehnte, doch er blieb stumm.


Nach einigen Minuten kamen Skinner und Grey hinzu.

„Da ist ein recht großer Ölfleck am Bordstein wo die Straße hinter diesen Fliederbüschen verläuft.“, sagte Grey und reichte Mulder seine Taschenlampe. „Scheint als habe da eine Zeit lang ein Wagen gestanden. Unser Freund hat ein Leck. Leider sagt uns das nichts über das Model.“

„Ein weißer El Camion.“, sagte Mulder hölzern. „Mit einem Camper-Aufsatz.“

Scully stieß sich von dem Wagen ab und wirbelte herum um ihren ungläubigen Blick mit dem der anderen hinzuzufügen. „Mulder, das ist…“

„Roches Auto. Ich weiß, ich habe es geträumt, erinnerst du dich?“, antwortete Mulder bitter.

„Roche? Wo haben Sie diese Beschreibung her?“, forderte Skinner scharf, während eine Hand in der Tasche seines Mantels an etwas herumfummelte.

„Jason Westin. Ich habe gerade mit ihm gesprochen. Er hat den Wagen gesehen, als er nach Callie gesucht hat.“, erklärte Mulder. „Nur den Wagen, sonst nichts.“

„Er hat nicht geschlafen?“, fragte Scully.

„Offensichtlich nicht. Er hat das Beruhigungsmittel, das der Arzt ihm gab weggeworfen.“ Mulders Lippen kräuselten sich leicht. „Er ist ein tapferer Junge. Verängstig und verwirrt, aber tapfer.“

Scully hörte die Emotionen hinter Mulders Worten, kehrte an seine Seite zurück und ließ ihre Hand in seine gleiten. Er sah mit einer hochgezogenen Augenbraue, ihre bekannte Geste imitierend, auf sie hinab.“

„Hast du eine Erklärung dafür, Scully?“

Scullys Stirn zog sich verärgert zusammen. „Eine andere als du, da bin ich sicher.“, sagte sie trocken. „Obwohl ich zugeben muss, dass es entnervend ist…“

„Es ist schlimmer.“, unterbrach Skinner grimmig und nahm endlich seine Hand aus der Tasche um ein Stück Papier in einer Beweismitteltüte zu offenbaren. Mulder saugte seine Lippe zwischen seine Zähne, seine Augen hafteten an dem Zettel.

„Das haben sie in Callies Zimmer unter ihrem Kissen gefunden.“, erklärte Skinner knapp. „Ihr Name stand auf dem Umschlag, Mulder. Ich bin mir nicht sicher, was es bedeutet, aber ich habe das Gefühl Sie werden es verstehen.“

Mulder starrte noch für einen Moment auf die ihm angebotenen Tüte, bevor er mit einer zitternden Hand danach griff. Die Straßenlaterne beleuchtete die ordentliche, fast weibliche Handschrift, die mit der auf der Wand seiner Wohnung identisch war. Mulders Augen bewegten sich schnell über die Worte und er rutschte langsam an der Seite des Wagens hinunter dann beugte er sich vor um seinen Kopf auf seine Knie zu legen. Scully nahm den Zettel aus seinen schlappen Fingern und las, unfreiwillig atmete sie hörbar ein. Die Nachricht war schlicht und all zu bekannt.

*Ich kann es nicht abwarten Ihr Gesicht zu sehen.*
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