World of X

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Regam

von Small Potato

Kapitel 6

Sonntag 10:27 Uhr; Arrestzelle Correctional Facility; Washington D.C.

Ihre Nackenhaare stellten sich kurz auf, als sie den kleinen Raum betrat. Ein Teil von ihr hätte sich am liebsten umgedreht und wäre wieder gegangen um sich nicht der Auseinandersetzung stellen zu müssen. `Du musst diplomatisch vorgehen!´, sagte sie sich.
Mulder lag auf dem schmalen Bett, die Hände hinter seinem Kopf verschränkt. Er hob seinen Oberkörper ein Stück an, als er das Geräusch der sich öffnenden Tür vernahm. Scully stellte Mulders kleinen Übernachtungskoffer in die Ecke neben der Tür und dankte der Wache, um zu signalisieren, dass sie allein mit Mulder sprechen musste.

Sie trat ein und lächelte ihn mit zusammengedrückten Lippen an. Mulder ließ den Kopf zurück auf sein Kissen sinken.
„Halten Sie es aus hier drin?“, fragte sie vorsichtig.
„Ist ja nicht das erste Mal!“, lächelte er.
„Natürlich.“
Sie blickte sich in dem Räumchen um. Ein kleiner Schreibtisch mit Stuhl, ein Regalbrett, Bett und Fernseher. In der Ecke Waschbecken und Toilettenschüssel. Sie schaute zurück zu ihm, kurz hellte sich ihre Mine auf. „Hey, ich habe Ihnen etwas mitgebracht!“ Sie streckte die Hand vor und reichte ihm ein Tütchen Sonnenblumenkerne. Mulder setzte sich auf und nahm es dankbar strahlend entgegen.
„Und deshalb liebe ich Sie!“
Ein flüchtiges Grinsen huschte ihr übers Gesicht.
„Haben Sie etwas Schlaf bekommen?“, fragte sie schnell.
„Ja, irgendwann zwischen Mandy Miracle und dem netten Pärchen, das mir erklärte, dass eine ultrabeschichtete Bratpfanne all´ meine Wünsche wahr werden lassen wird!“ Ein leises Knacken war zu hören, als er sich den ersten Kern zwischen die Zähne schob. „Was ist mit Ihnen?“ Seine Augen schienen den Röntgenblick einzusetzen. Manchmal hatte Scully das Gefühl, er würde ihr geradewegs auf ihre Gedanken schauen.
„Ich...“, sie ließ sich auf den Stuhl nieder, „Ich habe viel nachgedacht, über George und diesen Fall...“ Sie senkte ihren Blick.
„Hey, ...“ Seine Stimme war ruhig, beinahe ein Flüstern. „... wir werden die Antworten finden!“
„Das muss ich! – Wissen Sie, als ich gestern mit Oldberg sprach...“
„Sie waren noch einmal dort?“ Aus irgendeinem Grund überraschte es ihn.
„Ich musste wissen, wieso er uns in die Irre geleitet hat!“, verteidigte sie sich.
Mulder schnaubte. „Weil er nichts weiß! Er hat dieses Vorkommnis als Aufhänger genutzt, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen.“
Scullys Augen verengten sich und ihr Blick ging ins Leere doch dann schüttelte sie langsam den Kopf und sah ihn an. „Nein Mulder, das glaube ich nicht! Ich denke, dass er etwas weiß, dass er etwas, wie er meinte, zu sagen hat. Ich denke, da ist noch mehr, wir hatten einfach nicht die Chance gehabt, es zu finden!“
„Und warum wohl nicht, Scully? Dieses Labor nutzte er für einen Täuschungsversuch. Er nutzte es als Einsatz, als Einsatz für sein Spiel, er hat sich jedoch verschätzt!“
„Ein Spiel? Wieso wohl sollte er einen solchen Aufwand betreiben?“
„Sein Gewinn wäre die Freiheit gewesen! Wer weiß, was in diesem Kerl vor sich geht? – Vielleicht wollte er weiter machen, wo er aufgehört hat!“, diese letzten Worte sprach er leise und schien einem Gedanken nachzuhängen.
Scully blickte ihn misstrauisch an. „Wie meinen Sie das, Mulder?“
Er rieb sich die Augen. „Ich weiß es auch nicht mit Bestimmtheit, aber ich habe das Gefühl, dass er Sie einlullen will!“ Nun schaute er sie eindringlich an und verlieh seiner Stimme Nachdruck. „Ich denke, er spielt mit Ihnen und Ihren Gefühlen, die Sie durch diesen Fall haben!“
„Mulder, ich muss wissen, was da geschehen ist! Er hat den Schlüssel dazu!“
„Nein Scully, Sie sind sein Schlüssel. Er benutzt Sie! Denken Sie daran, was er den beiden Frauen angetan hat! Er ist ein kranker Mann, wer weiß, was er in Ihnen sieht! Die Art, wie dieser Kerl mit Ihnen redet, wie er Sie anschaut! Wieso erkennen Sie das nicht?“
Das war zu viel, sie sah ihn bitterböse an. „Ich habe Sie auf all´ Ihren Kreuzzügen begleitet, wenn ich auch nicht immer überzeugt war von Ihrer Meinung, so habe ich sie zumindest respektiert und vor anderen verteidigt. Und Sie wollen mir heute vorwerfen, unreflektierte Arbeit zu leisten?“ Sie musste sich im Zaum halten das sich ihre Stimme nicht überschlug.
Umso mehr kochte es in ihr, als er in einer ruhigen, bestimmten Art antwortete, beinahe als würde er zu einem Kind sprechen. „Aber Scully, sehen Sie das denn nicht?“ Er stand auf und ging auf sie zu. „Das hier ist kein Kreuzzug. Es ist nur ein einsamer Irrer, der sich an der Zuwendung einer hübschen Frau ergötzt – und ein Lügennetz spinnt...“, nun konnte sie einen Hauch von Verzweiflung in seiner Stimme mitschwingen hören, er blickte ihr tief in die Augen und seine Gesichtszüge wurden weich. „...lassen Sie sich nicht von ihm einwickeln!“
Dieser Blick, kein Mensch vermochte es, sie so anzusehen, wie er es tat, kein Mensch löste diese Art von Gefühlen in ihr aus.
Doch im Moment versuchte sie es zu ignorieren, zu verdrängen, sie war wütend! „Seit Beginn an, sagen Sie mir, dass die Wahrheit irgendwo da draußen sei. Aber nun ist sie nicht irgendwo! Sie ist hier. Sie ist zum Greifen nahe – und wenn Sie mich bitten diese Möglichkeit verstreichen zu lassen...“ Ihre Stimme bebte – doch dann sprach sie gefestigt. „Ich brauche die Gewissheit!“
Mulder setzte noch einen Schritt auf sie zu, ergriff ihre Hand, sah sie noch eindringlicher mit seinen sehnsüchtigen, braungrünen Augen an. Augen die schon so vieles gesehen hatten, und sie sah Verletzlichkeit, Hoffnung und Liebe darin und er hielt sie mit seinem Blick gefangen und verbreitete in ihr ein Gefühl der Wärme und Sicherheit. `Und ich brauche Sie!´ Aber diese Worte verließen seinen Mund nicht. Das brauchten sie nicht. Es waren keine Worte mehr nötig, sie kommunizierten auf einer Ebene, die soviel mehr war, als Worte es je sein könnten.

Das schrille Klingeln ihres Telefons riss sie aus ihrem stummen Zwiegespräch. Scully zog ihre Hand zurück und drehte sich von ihm weg, ihr Körper straffte sich, sie war wieder die Agentin, kalt und unnahbar, sie nahm ab.
„Scully.“
„Agent Scully, ich haben die Unterlagen, die Sie eingefordert haben.“
Scully nickte. „Vielen Dank, ich komme sofort!“
Sie steckte ihr Telefon ein und wandte sich noch einmal Mulder zu. „Ich muss jetzt los.“
Ihre Blicke trafen sich, er hielt den ihren abermals fest und sie ließ ihn gewähren.
Eine stumme Bitte...
...und ein Versprechen.

Dann verließ sie die Zelle.

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Sonntag 12:09 Uhr; Psychiatrische Einrichtung; Silver Spring, Maryland

Scullys Schritte hallten energisch durch das Foyer.
„Dr. Scully!“, meldete sie sich bei der finster dreinblickenden Empfangsdame. „Wir hatten telefoniert. Ich habe hier die nötigen Unterlagen zur Verlegung von Mr. Oldberg.“
„Ja, aber so einfach ist das nicht! Sie können doch nicht so ohne Weiteres hier herein spazieren und einen Patienten mitnehmen!“
Scully wurde ungehalten. „Mrs. Jefferson ich bin Agentin des Federal Bureau of Investigation und Mr. Oldbergs Ärztin. Ich verlange die sofortige Freigabe meines Patienten. Es ist alles geregelt. Hier habe ich die Papiere, die dies bestätigen, und nun machen Sie bitte ihre Arbeit und lassen mich meine tun!“
Die Frau blickte kurz über die ihr ausgehändigte Akte und erhob sich schließlich von ihrem Platz.

Keine zehn Minuten später verließ Scully mit dem in Handschellen liegenden Frederick Oldberg das Gebäude, in dem er seit nunmehr zwei Jahren sein Dasein gefristet hatte. Draußen hielt er inne, stand einfach da und starrte in den Himmel. Ein Gefühl von Leichtigkeit schien ihn zu übermannen.
Scully packte ihn am Arm. „Nun los, kommen Sie Mr. Oldberg, wenn Sie recht haben, haben wir nicht viel Zeit!“ Er blickte sie an und folgte ihr zu ihrem Wagen.
„Fred!“, berichtigte er sie, als er auf den Beifahrersitz rutschte.

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Sonntag 13:02 Uhr; Scullys Apartment; Georgetown

„Ich werde nur schnell ein paar Dinge zusammensuchen!“, erklärte Scully, während sie ihre Wohnungstür öffnete und entledigte sich eilig von ihrem Mantel.
Fred schaute grinsend an ihr hinunter. „Also in diesem Kostümchen können Sie nicht gehen, Lady!“
Ihr eigener Blick wanderte über ihre Bluse, ihren knielangen Stiftrock, bis hin zu ihren schwarzen Pumps. Sie musste schmunzeln, wie viele Male war sie schon mit diesen Schuhen irgendwelchen menschlichen oder nichtmenschlichen Monstern hinterhergejagt? Ja, sie war schnell darin, aber sie wusste, dass er Recht behalten würde. „Warten Sie hier!“ Sie drehte sich um und ging in ihr Schlafzimmer.

Als die Agentin die Tür hinter sich geschlossen hatte griff er nach ihrem Telefon. Hastig tippte er auf die Tasten, es klingelte nur zweimal „Ich bin unterwegs. Gib Paul bescheid!“ Damit war alles gesagt, rasch legte er das Telefon zurück auf die Station.

Scully zog den Reisverschluss ihres Sweatshirts soweit hoch, dass es die Weste die sie trug vollständig verdeckte. Während sie sich ihre Haare zurückband starrte sie auf die Frau im Spiegel.
Wer war diese Frau? Zweifel wurden in ihr wach. Wieso vertraute sie diesem Kerl in ihrem Wohnzimmer? Das war so vollkommen untypisch, ja absurd! Aber sie könnte dieser Frau nicht wieder gegenübertreten, wenn sie untätig dastehen und die Augen vor dem verschließen würde, was dort draußen vor sich ging. Ohne es zu stoppen oder gar indirekt diese Programme zu unterstützen. Neue Stärke keimte in ihr auf, sie atmete tief durch. Es war die richtige Entscheidung.
„Agent Scully?“ Die drängende Stimme Freds riss sie aus ihren Gedanken.
„Ich – ich bin sofort bei Ihnen!“
Sie kramte aus ihrer Schublade Stift und Zettel hervor, kritzelte eine schnelle Notiz und ließ sie vor dem Spiegel liegen.

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