World of X

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Regam

von Small Potato

Kapitel 3

Freitag 08:18 Uhr; Psychiatrische Einrichtung; Silver Spring, Maryland

Es war ein schmuckloser, grauer Betonklotz, wie er in den sechziger Jahren zu hunderten in den Staaten gebaut wurde. Krankenhäuser, Psychiatrien, Gefängnisse.
Der Eingangsbereich war ebenso trist, wie sein Äußeres es vermuten ließ. Eine stämmige Frau mittleren Alters starrte sie über den Tresen hinweg an, ihr Blick war hart. Zu lange schon schien sie in diesem Kasten zu arbeiten.
Scully zückte ihren Ausweis. „Agent Scully und Agent Mulder. Wir sind vom FBI und würden gerne mit einem Ihrer Bewohner sprechen – Zelle 208.“
Die Frau musterte die Agenten kritisch und holte schließlich stumm ein Klemmbrett hervor, machte ein paar Notizen und reichte es Scully zur Unterschrift über den Tresen. Routiniert nahmen die Agenten ihre Waffen aus dem Holster und legten sie, ebenso wie die Dokumente in den Kasten, den ihnen die mürrisch dreinblickende Dame bereitstellte. Sie zeichnete das Schriftstück gegen und nickte dann dem Aufseher, der nur einige Meter entfernt vor dem Aufgang des Treppenhauses stand, zu. „208, Frederick Oldberg!“, wies sie ihn knapp an.

„Hier entlang bitte! Zelle 208? Wir müssen nach oben!“ Er führte sie durch das Treppenhaus in den zweiten Stock. Und öffnete ihnen die Sicherheitstür.
Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte Scully, bevor sie den ersten Schritt in den Gang setzte. Sie hasste diese Einrichtungen. Die Türe öffnete sich vor ihr wie ein hungriger Schlund, der nur darauf wartete, sie in das tiefe Dunkel aus Lärm und dem Gestank von Urin und anderen Körperausscheidungen, zu verschlingen. Die bedrohliche Atmosphäre war allgegenwärtig, Angst, Hass und Wahnsinn vereinten sich zu einer dicken Suppe, die einem kaum Möglichkeit zum Atmen ließ. War man nicht verrückt – so würde man es binnen einiger Tagen hier drin mit Sicherheit!
Links und rechts des Ganges folgte Zelle um Zelle, einsehbar, versehen nur mit Gittern aus schwerem Metall. Dahinter gierige Blicke, die sie bei jedem ihrer Schritte verfolgten. Die Geräusche gellten durch den Korridor. Hilferufe, wirres Wimmern und immer wieder Obszönitäten, welche in diesem Moment alle ihr galten. Rein rational war es ihr natürlich bewusst, dass diese Männer ihr nichts anhaben konnten – emotional jedoch wühlte sie diese Form ihrer Ermittlungsarbeit zutiefst auf. `Dana, bleibe professionell!´, rief sie sich zur Besinnung. `Konzentriere dich auf das, was dich gleich in dieser Zelle mit der Nummer 208 erwartet!´

Mulder schritt forsch hinter dem Aufseher, der sie den langen Gang hinunterführte. Er schien unbeeindruckt von der Kulisse, die sich ihnen bot. Sein Blick war kühl und ausdruckslos. Aber auch seine Gedanken erinnerten ihn an das, was er auf der Akademie gelernt hatte. Auf die Vorsichtsmaßnahmen und das Verhalten innerhalb Einrichtungen wie dieser. Er versuchte zu ignorieren, was an seine Ohren drang und widerstand dem dringlichen Wunsch Scully bei der Hand zu nehmen und sie hinauszubringen, weg von den verachtenden und widerlichen Worten, die zischend die sabbernden Münder der Gefangenen verließen.

Der Wärter hielt vor einer der Zellen an und schlug mit der Hand gegen das Gitter. Nummer 208. „Mr. Oldberg! Besuch für Sie!“
Im Inneren richtete sich ein Mann von seiner Pritsche auf und setzte sich auf die Kante - abwartend, ruhig. Der Aufseher drehte den Schlüssel geräuschvoll im Schloss und zog die Tür auf. Die Agenten traten ein, Mulder vorweg.
„Sie kommen klar?“, vergewisserte sich der Wärter bei ihnen.
„Danke.“, nickte Mulder ihm zu und mit einem Ruck schloss der Aufseher die Gittertür hinter ihnen und entfernte sich. Draußen rumorten noch immer die anderen, doch ihre Aufmerksamkeit galt nun der Gestalt, die sie vom Bett aus genau beäugte.

Er war ein recht junger Kerl, vielleicht Anfang dreißig. Obwohl er in vollkommener Ruhe dort vor ihnen saß, schienen seine Augen, in wässrigem Blau, gehetzt. Die halblangen nussbraunen Haare fielen ihm ins Gesicht. Vermutlich hätte er ein gut aussehender Mann sein können, wäre da nicht eine Aura des Wahnsinns, die ihn zu umgeben schien. Scully fragte sich, ob es an der Umgebung oder tatsächlich an dem Mann selbst lag, dass sie ihn in diesem Licht sah.
„Agent Mulder,“, begrüßte er sie, „Agent Scully!“ Seine Augen blieben an ihr hängen, musterten sie genau.
Mulder nahm jeden seiner Blicke wahr, hielt so lange er konnte an sich und trat dann einen Schritt auf ihn zu, um die Aufmerksamkeit weg von ihr auf sich selbst zu lenken. „Mr. Oldberg, was machen wir hier?“ Sein Ton wirkte beinahe gelangweilt.
„Also Sie, sind hier nur zu Besuch, aber ich bin in diesem Rattenloch, weil ich zu viel zu sagen habe, mir aber kein Mensch zuhören möchte!“
Mulder ging auf sein Spielchen ein. „Wieso hört Ihnen niemand zu?“
Frederick Oldberg grinste ihn wild an. „Weil die Menschen zu viel Angst haben vor dem, was ich weiß!“
„Ach ja, was wissen Sie denn?“ Hohn schwang mit.
„Ich dachte, Sie wären ein bisschen aufgeschlossener, Agent Mulder.“
„Ich bin aufgeschlossen, nun lassen Sie uns doch an Ihrer Weisheit Teil haben, Mr. Oldberg!“
„Sie werden benutzt, Agents.“
„Wozu denn?“
„Die Wahrheit zu vertuschen.“, flüsterte er und strich sich eine fettige Strähne aus dem Gesicht.
„Welche Wahrheit?“ Der typische Scully-Unterton war unüberhörbar, Mulder grinste innerlich.
„Nun ja, Sie wissen schon...“, druckste der Mann auf der Pritsche, während er an seinen Fingernägeln zu knibbeln begann „... das war schon eine tragische Sache in D.C., nicht wahr?“
„Kommen Sie zum Punkt!“ Mulders Geduld begann zu schwinden.
„Wissen Sie eigentlich, weshalb diese Menschen sterben mussten?“ Er blickte Scully geradewegs in die Augen, sie hielt seinem Blick stand.
„Es war ein feiger Racheakt!“
„Die wollen Sie das glauben machen! Aber mir stellt sich da unweigerlich die Frage, wieso ein solcher Aufwand betrieben werden musste, wenn doch nur ein Mensch hätte zahlen sollen, für das, was er einmal getan hat. – Ich werde Ihnen jetzt mal ein kleines Geheimnis verraten. Es ging nämlich gar nicht um diesen Agenten. Es ging um sein Wissen. Und um die Beweise, die er und seine Kollegen untersuchten.“
Mulder wurde wieder hellwach. „Beweise wofür?“
„Für geheime Operationen der Regierung, nur etwa zwei Dutzend Menschen haben darüber Kenntnis!“ Er grinste. „Mich eingeschlossen!“
„Wir sind ganz Ohr!“
Doch Frederick schüttelte langsam den Kopf. „Hmm, nein, ganz umsonst werden Sie diese Informationen nicht bekommen!“
`War ja klar!´ Mulder unterdrückte ein Augenrollen. “Was wollen Sie?“
„Holen Sie mich hier raus!“
Mulder verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich gehe davon aus, dass Sie aus einem Grund hier drin sitzen, und bestimmt nicht nur, weil sie einen zu großen Wissensschatz haben!“
„Ich biete Ihnen die Möglichkeit, diese Machenschaften zu enthüllen, bevor noch mehr Opfer zu beklagen sind. Es sind heute schon mehr als genug!“
„Wie sollen wir wissen, dass Sie uns die Wahrheit sagen?“
„Haben Sie schon mal etwas von dem Projekt MKUltra gehört?“, fragte er verschwörerisch.
„Das geheime Projekt der CIA? Das wurde 1970 beendet!“, antwortete Scully kühl, während ihre Gedanken rasten, sie versuchte die Verbindungen zu sehen, zu verstehen, was dieser Kerl wollte. War er echt oder nur ein guter Lügner? Sie wusste nicht, woran es lag aber sie glaubte ihm und das irritierte sie selbst, da sie von Natur aus ein eher skeptischer Mensch war. Sie schielte hinüber zu Mulder, der noch immer mit verschränkten Armen dastand und keine Mine verzog.
„Ja, natürlich wurde es das!“, entgegnete Oldberg zynisch.
„Sie hatten ihr Ziel nicht erreicht“, argumentierte Scully, „alle Protokolle bestätigen das. Die durchgeführten Experimente waren menschenverachtend und sind nicht einmal nach wissenschaftlicher Vorgehensweise durchgeführt worden. Auch das kam durch die geführten Prozesse heraus!“
Oldberg erhob sich. „Die Untersuchungen des Kongresses waren doch lediglich dazu da, die öffentliche Empörung zu besänftigen. Ein paar Enthüllungen hier und da, aber handfeste Beweise wurden nicht geliefert. Und die Männer, die hinter diesen Machenschaften steckten, verschwanden nicht oder wurden vor Gericht gestellt. Nein! Sie wurden gar nicht erst entlarvt! So konnten sie an neuer Stelle ungestört ihre Experimente fortführen.“
Scully runzelte die Stirn. „Die Versuche liefen weiter?“
„Nicht unter dem selben Namen. Ob Phoenix II oder Trident, es gab verschiedene Untergruppierungen, die separat voneinander arbeiteten und jeweils eigene Interessen verfolgten.“ Er kam einen Schritt auf sie zu, beugte sich vor und flüsterte „Wer würde die Möglichkeit, Menschen zu kontrollieren, ihnen die Wahrheiten zu entlocken und sie als ferngesteuerte Marionetten nutzen zu können, einfach so aufgeben? Viel zu mächtig wäre dieses Wissen – wenn es denn gefunden würde. Es kann mehr als kriegsentscheidend sein. Stellen Sie sich vor, jedem beliebigen Menschen all seine Geheimnisse entlocken zu können, ihn gar zu lenken!“
„Und Sie haben Beweise dafür, dass diese Experimente weiterhin stattfinden?!“, fragte Mulder ihn scharf.
Oldberg ging wieder einen Schritt zurück. „Sie hatten sie sogar selber schon! In ihren Labors! Und das ist auch der Grund dafür, dass es in die Luft geflogen ist!“ Er riss die Arme auseinander und rief „PENG!“
Scully zuckte beinahe unmerklich, Mulder spürte es.
Er verstand langsam und sein Interesse war voll da. „Es ging nicht um Malunis und darum, dass er derjenige war, der ihn verhaftet hatte! Es ging um das, was sie untersuchten!? Was war es?“
In diesem Moment öffnete ein Pfleger die Tür. „Mr. Oldberg, es ist Zeit für Ihre Medikamente!“
Mulder schaute zu dem Mann im weißen Kittel und hob den Zeigefinger als Bitte des Innehaltens. „Einen – einen Augenblick bitte noch!“ Und im Flüsterton an Oldberg, „Wir brauchen etwas mehr als Ihre vage Theorie! Sie müssen uns schon etwas geben!“
Der Pfleger zog sich wieder zurück.
„Wie kamen diese Beweise in unsere Labors?“
„Die letzten Jahre wurde die Arbeit immer erfolgreicher, es war noch nicht ganz ausgeklügelt, aber das Grundprinzip war klar, es wurde an den Feinheiten, an der Abstimmung der Zusammensetzung gearbeitet. Ich kann nur vermuten, dass es letztendlich funktioniert hat, das ultimative Serum! Doch nicht alle standen noch hinter dem Projekt, die Dimensionen, die es erlangen kann – nicht auszudenken!“
„Es war jemand aus ihren eigenen Reihen?“ Scully erstaunte diese Erkenntnis, Oldberg lächelte sie traurig an.
„Ja, diese Person hat versucht, das Ganze aufzudecken, hat aber bereits dafür bezahlt! Es heißt es war ein Unfall. Naja, Sie kennen vermutlich diese Sorte Unfälle...“ Sein Grinsen wurde breiter, seine Augen blieben jedoch kalt, schockiert.
Nun klopfte der Pfleger abermals mit dem kleinen Metalltablett gegen die Stangen der Schiebetür. „Es tut mir Leid, es ist nun wirklich Zeit für die Medikamente dieses Mannes! Der Zeitplan darf nicht durcheinander geraten!“
„Ja,“ stimmte Oldberg zu „die Zeit drängt!“ Damit stand er auf und gab Scully die Hand. „Auf Wiedersehen!“
Ein Schauder erfasste sie, als seine feuchte, kalte Hand die ihre berührte. Im gleichen Moment spürte sie, dass da noch etwas anderes war, unauffällig ließ sie die Hand sinken. Rasch schüttelte er auch Mulders. Der Pfleger betrat den Raum und hantierte mit seinen Medikamenten.

Als die Agenten die Zelle verließen, reichte der weiß bekittelte Mann Frederick Oldberg ein Plastikgläschen mit zwei ovalen Pillen.
„Danke.“
Oldberg war einer von den weniger umständlichen Bewohnern wusste der Pfleger, seine Phantasien gingen zwar manchmal mit ihm durch und es kam vor, dass er bis zu drei Tagen am Stück unter extremen Paranoiaschüben litt, die sich vor allem durch Schlaflosigkeit und hysterisches Verhalten äußerten. Aber abgesehen davon konnte man gut mit ihm umgehen, er war im wahrsten Sinne des Wortes pflegeleicht. Ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Bewohnern.
So war es vermutlich dieser Tatsache geschuldet, dass ihm entging, wie Oldberg zwar den Becher zum Mund führte und die Tabletten vermeintlich schluckte – aber eben nur vermeintlich.

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