World of X

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Regam

von Small Potato

Kapitel 2

Donnerstag 07:30 Uhr; FBI Hauptquartier; Washington D.C.

Der kleine Saal war voller als gewohnt bei diesen Fallbesprechungen. Viele Agenten waren gekommen. Sie kamen weil sie Antworten erwarteten. Drei gute Kollegen, Ermittler und Freunde hatten sie am Tag zuvor verloren. Trotz der Menge der Menschen herrschte Stille. Eine bedrückende, dröhnende Stille. Die Luft war aufgeladen von wütender Ungläubigkeit.
Eine junge Agentin trat vor, kerzengerade und resolut. Scully kannte das Gefühl das sie haben musste. Als Frau in diesem Männerverein musste man immer etwas forscher, etwas klarer wirken.
Die Agentin strich sich eine dunkle Haarsträhne zurück und räusperte sich. „Der vorläufige Bericht zu dem Vorfall von Mittwoch früh: Der Schütze wurde identifiziert als Michael Skopnitz, 37 Jahre. In verschiedenen Heimen aufgewachsen, begann er schon im frühen Jugendalter mit kleineren Diebstählen. Aktenkundig wurde er erstmals 1981, zunächst als Kreditkartenbetrüger. Seine Karriere endete in einem bewaffneten Überfall 1989 in Baltimore, als er und ein Komplize die Highlandtown-Bank ausräumen wollten. Das FBI hatte ihn schon länger im Visier und schlug zu. Sein Freund wurde bei diesem Einsatz tödlich verletzt – von Agent Malunis. Skopnitz bekam 7 Jahre, die er im Greensville Prison in Virginia auch voll absaß. Bis vor acht Monaten, dem 18. März diesen Jahres. Seither lebte er unauffällig in einem der schlechteren Vororte Manassas, Virginia, bis er gestern früh, um 09:30 Uhr an einer Führung durchs Hoover Building teilnahm, sich von der Gruppe absonderte und um 10:03 Uhr das Feuer eröffnete. Zunächst auf Agent Pierre Malunis – derselbe, der vor bald acht Jahren seinen Komplizen erschossen und vor Gericht gegen ihn ausgesagt hatte. Anschließend schoss er auf Agent George Wolding der, noch ehe das Rettungsteam vor Ort war seinen Verletzungen erlag...“
Mulder blickte zu Scully, versuchte in ihrem Gesicht zu lesen. Es war wie versteinert aber er spürte, wie aufgewühlt sie war.
„... letztlich tötete er Agent Sandra Markes mit zwei Schüssen, bevor er sich um 10:06 Uhr mit einer Bombe Marke Eigenbau das Leben nahm.“
Ein Agent mit kurzem, aschblondem Haar meldete sich zu Wort, „Aber wie war es diesem Kerl möglich, seine Waffen an der Sicherheitsschleuse vorbei zu schmuggeln? Er muss diese doch durchlaufen haben, wenn er Teil einer Besuchergruppe war!“
Die junge Frau räusperte sich abermals. „Das ist noch nicht ganz geklärt. Wir gehen davon aus, dass er einen Komplizen gehabt haben muss. Man sieht Skopnitz auf den Bändern, wie er mit der Gruppe in der Lobby den Fahrstuhl betritt. An diesem Tag gab es jedoch ein Problem mit dem Kameraüberwachungssystem, er taucht erstmals wieder an den Aufzügen im fünften Stock auf – allein. Mit einem FBI-Ausweis an seinem Jackett. Wir können in diesem Augenblick nur Vermutungen darüber anstellen, was sich in den 12 Minuten zwischen den beiden Videoaufnahmen ereignet hat.“
Mulder zog die Augenbrauen zusammen. „Wieso eine Bombe?“, es war eher ein lautes Nachdenken, als tatsächlich eine Frage, die er hätte stellen wollen.
„Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass er einfach auf Nummer Sicher gehen wollte. Ein Expertenteam bearbeitet den Fall weiterhin, um noch die letzten Fragen zu klären. Das Hauptaugenmerk liegt nun darauf, den Komplizen dingfest zu machen.“
Der leitende Agent Maurice Chanderfield, dessen Haar von Jahr zu Jahr seiner Stirn mehr Platz zugestand und dessen Gürtel sichtliche Schwierigkeiten hatte, die Masse im Griff zu behalten, trat vor. Er sah in die Runde, spürte die Anspannung der vor ihm stehenden Agenten und merkte, wie sein Herz ein wenig schwerer zu werden schien. „Ich weiß, dass Sie der Vorfall alle sehr beschäftigt. Es wird mit Hochdruck an der Sache gearbeitet und wir hoffen, dass es zeitnah einen Abschlussbericht geben wird. An die Arbeit!“

Die Meute schob sich raunend auf den Flur hinaus und verteilte sich auf die Gänge.
„Alles in Ordnung, Scully?“, sie spürte seine Hand an ihrem Rücken, warm und vertraut.
Sie atmete tief durch, suchte nach Worten und murmelte dann, „Ich weiß auch nicht, ...“, sie versuchte ihr Gefühl zu fassen, während sich in ihrem Geiste die Szene wieder und wieder abspielte. Er hatte sie angestoßen. Sie hatten sich angeblickt. Es war nur ein Bruchteil einer Sekunde gewesen. Doch hatte sie es in seinen Augen gesehen. Etwas war falsch gewesen, hatte nicht gestimmt. „... dieser Kerl! Er lief im Gang an mir vorbei, als ich gerade,...“, sie schluckte, „... als ich gerade die Unterlagen von George geholt hatte. Er hat mich angestoßen! Ich sah in sein Gesicht!“, sie hielt im Laufen inne und schaute ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Mulder, ich hatte so ein merkwürdiges Gefühl! Ich hatte dieses Gefühl und habe nichts getan!“ Schnell biss sie sich auf die Unterlippe um von dem Schmerz, den sie in sich spürte abzulenken auf einen körperlichen Reiz, um ihren Gefühlen Einhalt zu gebieten.
Mulder legte beide Hände an ihre Schultern und sah sie eindringlich an. „Scully, tun Sie das nicht! Sie können sich nicht die Schuld dafür geben. Was geschehen ist, ist schrecklich aber das hätte niemand vorhersehen können.“
Sie schüttelte den Kopf, löste sich von seinen Händen. „Das ist mir klar, aber ich war so dicht dran!“
Er schaute ihr nach, wie sie den Flur hinab zum Fahrstuhl ging. `Das Gefühl kenne ich!´

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Donnerstag 19:06 Uhr; Parkanlage des Naval Observatory; Washington D.C.

Die Sonne war langsam hinter den Dächern der Häuser verschwunden und hatte deren Schatten länger werden lassen, bis sie die Straßen nach und nach verschluckt zu haben schienen. Die Dunkelheit hatte sich immer weiter ausgebreitet und unaufhaltsam ihren Besitz ergriffen.
Die Laternen spendeten nun gerade noch genug Licht, um den Weg erkennen zu können. Scully rannte ihre gewohnte Laufstrecke, vorbei an der Sternwarte. Sie war schnell und steckte ihre ganze Kraft in ihre Beine und ihren Atem. Sie sog die kalte Luft ein, ließ sich von ihr erfüllen und stieß sie schließlich in Form von weißem Hauch aus. Für gewöhnlich konnte sie an diesem Ort `runterkommen´, die Vorstellung davon, dass sich hier Himmel und Erde sehr nahe kamen gefiel ihr.
Doch an diesem Abend mochte es ihr einfach nicht gelingen, die so sehnlichst erwartete Befreiung zu erlangen. Die Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Sie konnte es nicht fassen, dass George aus seinem viel zu jungen Leben gerissen worden war. Er war ein guter Kerl gewesen und sie fragte sich, wieso sie es ihm nie gesagt hatte. Schon in Quantico hatten sie gemeinsam für die Prüfungen gebüffelt, nächtelang Lehrfälle diskutiert, mit Pizza und viel Rotwein. Sie wusste, dass er sie gemocht hatte.
Natürlich war es ihr klar, dass es jeden, jeden Tag treffen konnte. Wieso war sie nur immer noch so schockiert, wenn es geschah? Sie verlangsamte ihr Tempo, blieb stehen und stützte keuchend ihre Händen auf die Knie. `Verdammt! Verdammt!´ und flüsternd „Verdammt!“.

Eine Gestalt löste sich aus dem Schutz einer großen Platane, näherte sich und packte Scully an der Schulter. Die Agentin fuhr herum, bereit sich zu verteidigen und sah in die Augen einer Frau, kaum älter als sie selbst. Strähnig rahmten die schulterlangen blonden Haare ihr, vom Leben gezeichnetes Gesicht ein.
„Agent Scully!“
„Wer sind Sie?“
„Ich bin nur hier, um Ihnen eine Nachricht zu überbringen.“ Die Stimme der Fremden klang belegt und matt.
„Eine Nachricht? Von wem?“
„Ich habe nicht viel Zeit, vielleicht sind sie schon hier!“ Die Fremde steckte ihr einen zerknüllten Zettel zu, ihre gehetzten Augen sahen sie eindringlich, beinahe flehend an. „Gehen Sie zu ihm! Er wird es Ihnen erklären!“
„Warten Sie! – Hey!“ Aber sie war bereits im Dunkel der Bäume verschwunden.
Irritiert schaute Scully sich um, suchte das Gelände mit den Augen ab. Aus einiger Entfernung näherte sich eine große Gestalt. Scully atmete kurz durch und begann wieder zu laufen. Sie riskierte einen Blick über ihre Schulter, die Silhouette bewegte sich weiterhin in ihre Richtung. Scully erhöhte ihr Tempo, verließ den Park, lief zwei Querstraßen weit und winkte sich dann ein Taxi herbei.
„Fahren Sie einfach eine Runde bitte!“ Sie saß auf der Rückbank und entfaltete vorsichtig den Zettel, den sie noch immer fest in ihrer Hand gehalten hatte. `Psychiatrische Einrichtung – Silver Spring – Zelle 208´ Sie blickte immer wieder aus dem Rückfenster, um sicher zu gehen, dass dem Wagen niemand folgte.
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