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Regam

von Small Potato

Kapitel 15

Dienstag 14:35 Uhr; Vorort von Baltimore; Maryland

Es war früher Nachmittag, als Mulder seinen Wagen vor dem Haus von Prof. Dr. Yanis abstellte. Er sah auf ein kleines, mit Holzlatten verkleidetes Haus, typisch für amerikanische Vorstädte. Der Vorgarten gepflegt und von einem wackeligen Zäunchen umrandet.
Ob er hier brauchbare Hinweise finden würde? Die Klingel summte laut hörbar nach draußen. Als sich die Tür öffnete, sah sich Mulder einem eher klein gewachsenen, gemütlich ausschauenden Herrn mit Vollbart gegenüber, der den hageren Agenten fragend ansah.
„Dr. Yanis?“
„Ja, wie kann ich Ihnen helfen?“

Wenige Minuten später hatten sie sich auf den Stühlen der Veranda niedergelassen. Der ältere Herr rieb sich mit Daumen und Zeigefinger das Kinn.
„Ja, natürlich erinnere ich mich an Alfred! Er war ein hervorragender Student, er war einer derjenigen, die sich wagten Neues auszuprobieren, wissen Sie? In gewisser Weise hatte er etwas Kindliches an sich. Er begegnete den Phänomenen mit einer Neugier und Unverbissenheit, wie sie sich nur wenige Studenten bewahren können.“
Mulder nickte. „Sie haben seine Arbeit als sein Tutor begleitet, was genau war das Besondere an dieser Arbeit gewesen? Worum ging es?“
„Nun ja, er erforschte, wie das Gehirn arbeitet, wie sich das Gedächtnis bildet und welche Mechanismen und chemischen Abläufe daran beteiligt sind, wenn der Körper Bewegungsabläufe einübt und diese sich zu Automatismen entwickeln. Denn, Sie müssen wissen, dass alles, was Sie tun, durch Ihr Gedächtnis gesteuert wird. Das läuft natürlich unbewusst ab, aber alle Abläufe liegen darin begründet. Alfred interessierte sich dafür, wie man einem Gehirn Bewegungsabläufe neu beibringen kann. Sein Ziel war es, Menschen, die auf Grund neuronaler Störungen Bewegungsunfähig sind, neue Möglichkeiten des Wiedererlangens dieser verlorenen körperlichen Fähigkeiten zu ermöglichen.“
„Wieso fuhr er nicht mit seinen Forschungen in dieser Richtung fort? Er war doch ein vielversprechender Student?“
„Wir hatten viel darüber gesprochen, ihm wurde ein außerordentliches Angebot an einem Forschungsprojekt angeboten. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass Alfred eine Schwester hat?“, er blickte den Agenten geradeheraus an.
„Ja, sie ist an mich herangetreten.“
Der Alte räusperte sich. „Nun ja, sie ist schwer krank gewesen, ihre Behandlungen übernahm keine Versicherung und war höchst kostspielig.“
„Er hat es für sie getan!“
„Ja, wissen Sie, er ist nun mal ein herzensguter Mensch, immer mit den besten Absichten. Er hätte alles für sie getan. – Ich denke trotzdem, dass es eine Schande ist, dass er seine Arbeiten nicht hatte weiterführen können. Der Kontakt zu ihm ist leider abgerissen. Zunächst standen wir in enger Verbindung, er war wie ein Sohn für mich. Doch er hat sich immer weiter zurückgezogen, verbrachte beinahe jede Minute in der neuen Forschungseinrichtung. Er schien wohl stark beansprucht zu sein...“
„Das Creansmanterlaboratory? Welche Forschung wurde dort betrieben?“ Mulder hoffte endlich Antworten zu finden.
Gedankenverloren schüttelte der Professor den Kopf. „Es ging um experimentelle Studien, er sprach von hochsensiblen Projekten, die einer besonderen Geheimhaltungsstufe unterlagen. Er wirkte jedoch bei unseren Treffen, mehr und mehr in sich gekehrt und er hatte mir anvertraut, dass ihn die Studien stark mitnahmen und er versuchen wollte, aus dem Vertrag herauszukommen, sobald die Rechnungen für seine Schwester beglichen sein würden.“ Er blickte auf seine Hände, die er im Schoß liegend knetete und schaute dann wieder auf. „Aber sagen Sie wieso interessieren Sie sich so sehr für Alfred? Steckt er in Schwierigkeiten?“
Mulder wägte ab, wie offen er über die Situation sprechen sollte und entschied sich für Zurückhaltung. „Ich interessiere mich vielmehr für das Projekt, an dem er schließlich arbeitete. Haben Sie jemals etwas von `Regam´ gehört?“
„Regam“, wiederholte sein Gegenüber flüsternd, als wollte er dieses Wort testen. „Nein, tut mir Leid, ich weiß nur, dass er nach etwa einem Jahr vom Creansmanterlaboratory versetzt wurde. Das war das Letzte, was ich von ihm hörte, der Kontakt riss abrupt ab.“

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Die Straßen durch die er fuhr, die Menschen auf den Gehsteigen, die Bäume, die Häuser, nichts von alledem nahm Mulder wahr. Er steuerte den Wagen, als liefe er selbst auf Autopilot. Er hätte später nicht sagen können, welchen Weg er zurück nach Washington D.C. genommen hatte.
Viel zu sehr war sein Hirn damit beschäftigt gewesen, das Gehörte mit seinem bisherigen Wissen zu verknüpfen. In gewisser Weise hatte ihn das Gespräch mit Yanis beruhigt. Wenigstens dahingehend, dass Alfred Lempers, alias Frederick Oldberg zumindest in der Vergangenheit einmal ein Mann mit guten Absichten gewesen sei.
Das Gefühl hingegen, dass Scully in Schwierigkeiten steckte, ließ seinen Magen nach wie vor krampfen. Denn selbst wenn Lempers vertrauenswürdig war, soweit dies ein aus der Psychiatrie entflohener Paranoid vermochte, war es der vermeintliche Zielort, was Mulder Sorge bereitete. Eine Einrichtung, die geheime Forschungen betrieb, welche an die Projekte von MKUltra und Operation Paperclip anknüpften, stellte an sich schon eine Gefahr dar. Sollte man mit der Absicht dort eindringen, dieses Projekt zu sabotieren, schwebte man bereits in Lebensgefahr.

Nicht allein die Tatsache, dass er seit über achtundvierzig Stunden nichts von ihr gehört hatte sagte ihm, dass sie sich in Schwierigkeiten befand, es war vielmehr eine Intuition, ein Gefühl, hervorgerufen durch das unsichtbare Band, dass sich im Laufe der Jahre zwischen ihnen entwickelt hatte. Die Wut darüber, nutzlos durch die Gegend zu fahren, Brotkrumen hinterherzujagen, breitete sich in seinem Brustkorb aus und vermischte sich mit Angst und Hoffnungslosigkeit. Das Gefühl, wieder einmal versagt zu haben fraß unermüdlich an ihm und trieb ihm Tränen in die Augen.

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Dienstag 15:47 Uhr; FBI Hauptquartier; Washington D.C.

Als Mulder wieder in sein Büro im Keller des Hoover Buildings zurückkehrte, erhoben sich vier ernste Gesichter von seinem Schreibtisch und blicken in seine Richtung.
„Sir?“ Überrascht, mit einer Mischung aus Hoffnung und Sorge über das Erscheinen des Assistant Direktors, schweifte Mulders Blick von seinem Vorgesetzten über die Einsamen Schützen, auf die Papiere, die vor ihnen auf dem Schreibtisch ausgebreitet lagen.
Mulder trat näher, während Skinner sich rasch erklärte. „Über die Organisationsgruppe und deren Forschungsgebiete, konnte ich in der Kürze der Zeit wenig in Erfahrung bringen. Es handelt sich wohl um ein Programm, dass menschliches Verhalten erforscht. Das spielt sich aber in Ebenen ab, die mir nicht zugänglich sind. Was ich aber heraus bekam, war der Ort und ein Lageplan des Gebäudes des sogenannten `Regam´-Projekts.“
Mulder konnte Skinner ansehen, dass er diese Informationen wohl nicht leichtfertig zugespielt bekam und nickte ihm dankend zu.
In Skinners Stimme schwang Sorge um seine Agenten mit, „Ich weiß nicht, wo Sie beide sich da wieder hineingeritten haben aber Sie bewegen sich in äußerst sensiblen Bereichen! Ich hoffe sehr, dass Sie etwas mit diesen Plänen anfangen können, mehr kann ich aus meiner Position heraus nicht tun.“

Mulder studierte den auf dem Tisch ausgebreiteten Plan und Skinner erläuterte ihm dazu sein Wissen.
„Es scheint sich um einen alten Schutzbunker zu handeln, der in den Fünfzigern in der Region von Lunenburg, Virginia gebaut wurde. Eine geheime Station für einen drohenden Militärschlag während des Kalten Krieges. Der Hauptteil befindet sich untertage, es handelt sich um ein Areal, von etwa zwei Quadratmeilen, wobei die Gänge sehr verschachtelt sind und nur zum Teil fertig ausgebaut wurden. Es scheinen verschiedene Zugangsmöglichkeiten zu existieren. Einmal natürlich durch das Haupthaus, dann noch hier und dort.“, Skinner tippte auf die blauen Markierungen, die mit Koordinaten versehen worden waren.
„Ich hoffe, dass ich es nicht bereuen werde, Ihnen diese Informationen zukommen zu lassen!“, sein Ton war streng, doch Mulder wusste, dass es sich hier um die Aufforderung seines Vorgesetzten handelte, achtsam zu sein.
Rasch faltete Mulder die Pläne zusammen „Los, Jungs!“, und nickte Skinner abermals zu „Danke!“
Die drei schnappten sich ihre Jacken und hasteten hinter Mulder her.

Keine fünf Minuten später jagte Mulders Ford durch die Tiefgarage Richtung Ausgang.

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