World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Todeslicht

von Martina Bernsdorf

Kapitel 8

Anwesen der Familie Avers
15.4.1996
10.20


Michael Avers war ein typischer Collegejunge. Scully konnte keine bessere Beschreibung für ihn finden als diese. Solche Typen hatte sie in ihrer Studentenzeit zur Genüge kennengelernt, mit reichen Daddys, keiner Disziplin und zu viel Geld in der Tasche, für das sie nie hatten arbeiten müssen.
Ihr Vater hatte seine Kinder vielleicht manchmal zu sehr wie Soldaten behandelt, aber er hatte ihnen Werte vermittelt und Respekt.
Michael Avers besaß nichts von dem, er wirkte wie ein bockiges, kleines Kind, welches man beim Ladendiebstahl erwischt hatte.
„Ohne Anwalt werde ich gar nichts sagen!“ Michael verschränkte die Arme, sichtlich empört, dass man ihn überhaupt fragte.
Mulder runzelte die Stirn und bedachte Michael mit einem Blick, der so viel aussagte wie - ich weiß alles über dich, kleines Insekt, und wenn du mich reizt, mach ich dich platt - etwas, das dem jungen Mann Schweißperlen auf die Stirn trieb.
„Dies ist kein Verhör, Mr. Avers!“ Scully gab ihrer Stimme einen kalten, sogar leicht spöttischen Tonfall.
„So, was soll es sonst sein, man kennt doch die Methoden des FBI!“ Michael Avers Augen flackerten ein wenig, er hatte Angst. Scully nahm an, dass er zu viele schlechte Filme gesehen hatte, über FBI-Superagenten, die ihr Wissen wohl einzig aus dem roten Faden des Drehbuches bezogen!
„Wir haben noch nicht angefangen, irgendwelche unserer Methoden anzuwenden!“ Scully gab ihrer Stimme einen leicht drohenden Unterton, es mochte nicht ganz fein sein, den Einfallspinsel unter Druck zu setzen, aber das war ihr egal. Sie konnte sich gut vorstellen, wie die Party gelaufen war und wie Julia zu einer Einladung gekommen war, das „arme“ Mädchen, deren Mutter für seinen Dad in der Fabrik arbeitete.
Ein ideales Opfer für grobe Späße und um sie vielleicht zu vernaschen, im Schutzmantel von väterlicher Macht und Geld.
„Was ist in der Nacht vom 31.10.1992 wirklich geschehen?“
Michael leckte sich nervös über die Lippen.
„Wir können auch dafür sorgen, dass sie wirklich zum Verhör geladen werden, Mr. Avers!“ Mulder wusste, was Scully vorhatte, und er billigte ihre Methoden. Er hatte Julia gesehen, wie sie mit den Blumen sprach, und was immer sie von dieser Welt genommen hatte, es hatte seinen Ursprung in diesem Haus genommen!
„Der Fall wurde nie richtig untersucht. Es gibt da etliche offene Fragen, vielleicht sollten wir dafür sorgen, dass Anklage erhoben wird, Mrs. Westmoor hat sie zurückgezogen, aber der Staat kann sie jederzeit wieder anklagen, Mr. Avers!“
Michael sah aus, als wünschte er sich dringend, sein Vater wäre anwesend, aber dieser saß, wie die beiden Agenten zuvor von seiner Sekretärin erfahren hatten, in einer Vorstandssitzung.
„Was für Fragen haben Sie denn?“
Scully erlaubte sich ein Lächeln, jedoch ein sehr unterkühltes, das den jungen Mann eher noch mehr einschüchterte, und genau das sollte es auch.
„Nur eine, was ist mit Julia Westmoor geschehen?“
„Sie hat wohl von einem der anderen Partygäste was geschnupft oder so.“ Michael hatte kein Talent zum Lügen, stellten Mulder und Scully gleichzeitig fest.
„Nein!“
Der junge Mann starrte die rothaarige Agentin in dem dunkelbraunen Hosenanzug an.
„Doch, so war es!“
„Nein! Im Blut von Julia Westmoor wurde kein Kokain oder eine sonstige bekannte Droge gefunden! Es war eine unbekannte Substanz, und Julia wird sie nicht freiwillig genommen haben!“
Die Unterlippe des jungen Mannes zitterte leicht. „Es wäre besser, Sie sagen uns, was Sie wissen, Michael.“
Mulder gab sich sanfter, das Spiel „guter Cop - böser Cop“ war uralt, aber es funktionierte immer wieder.
„Sie war zugeknöpft!“ Michael sah Mulder an, von dem er sich wohl eine Art von Unterstützung erhoffte. „Julia ist verdammt hübsch, das ist sie auch jetzt noch, nachdem sie durchgeknallt ...“ Er brach ab und sah kurz zu Scully, die ihm einen eiskalten Blick schenkte. „Seit sie nicht mehr ganz da ist“, verbesserte sich Michael. „Ich wollte sie an dem Abend rumkriegen, naja, sie wissen schon …“ Michael erhoffte sich umsonst irgendein Verständnis von Mulder. „Ich habe sie nach allen Regeln der Kunst angebaggert, aber sie wollte nicht, und so habe ich ihr halt was in ihren Drink gemixt. Ich wusste nicht, dass es gefährlich ist.“
„Was haben Sie rein geschüttet, Michael?“ Scully unterdrückte ihren Zorn.
„Mein Dad war schon überall in der Welt, er sammelt alles Mögliche, von den Majas und anderen Kulturen. Er hat mir mal ein Kräuterpulver gezeigt, von dem er mit einem Lachen meinte, es sei ein Liebeszauber!“ Michael schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte verhalten. „Ich wusste nicht, dass es gefährlich ist.“
„Ist von dieser Substanz noch etwas vorhanden?“ Scully wünschte, es wäre wirklich so einfach, wie sie es dargestellt hätte, den jungen Mann anzuklagen.
„Mein Dad hat alles vernichtet, aber ich habe etwas davon versteckt, ich kann es Ihnen holen.“ Michael war eifrig bemüht, den Agenten zu gefallen, etwas, das er sich hätte sparen können. Scully und Mulder verabscheuten ihn gleichermaßen.

XXX

Bundesstraße 9
15.4.1996
11.50


„Ich wünschte, man könnte ihn zur Verantwortung ziehen!“ Mulder trommelte ärgerlich mit den Daumen gegen das Lenkrad.
„Welchen von beiden, Avers Junior oder Senior?“ Scully betrachtete kritisch das Pulver in der kleinen Glasphiole, welche Michael Avers ihnen ausgehändigt hatte.
„Am besten beide!“
Scully öffnete die Phiole und roch daran. Sie zog den Kopf reflexartig wieder zurück und gab einen verächtlichen Ton von sich, sorgsam verschloss sie die Phiole wieder.
„Wenn es guter Stoff ist, Scully, dann will ich auch mal schnüffeln.“ Mulder fand wieder zu seinem schwarzen Humor zurück.
„Es riecht grässlich, aber ich würde sagen, es wird wohl am ehesten aus Kräutern bestehen, vielleicht auch Meskalin oder Pilzen mit halluzinogener Wirkung. Nach der Analyse wissen wir mehr.“
Mulder sah auf die Landstraße. „Was immer es auch war, es reichte aus, um Julia Westmoor zu töten. Und es scheint, sie hat von der anderen Seite etwas mitgebracht!“

XXX

Sheriffbüro Newpoint
15.4.1996
16.30


Scully nahm ihre Brille ab und rieb sich kurz über die Augen, das Blättern in den Krankenhausberichten ermüdete ihre Augen und auch ihren Geist.
Mulder nippte an seinem Kaffee und verzog das Gesicht, allem Anschein nach war seine Glückssträhne vorbei, und der Kaffee schmeckte noch grässlicher, als er roch. Im Gegensatz zu seiner Partnerin prüfte er die Polizeiberichte der letzten Jahre auf ungewöhnliche Fälle, die mit diesem in Verbindung stehen konnten.
„Was haben Sie, Scully?“ Mulder schloss einen Aktendeckel, einen von vielen dieses langen, trüben Nachmittags. Er sah nach draußen, dicke Regenwolken türmten sich am Himmel, es regnete noch nicht, aber das würde wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.
„Ein paar merkwürdige Zufälle oder eben keine Zufälle!“ Scully blickte auf ihren Laptop und überprüfte die letzten Eingaben, die sie in diesen kleinen tragbaren Computer eingegeben hatte.
„In Newpoint sind seit 31.10.92 einhundert achtundzwanzig Leichenschauscheine mit der Diagnose Herzstillstand ausgestellt worden. Von der Landesstatistik liegt dies ungefähr 10% über dem Durchschnitt.“
Mulder fuhr sich durch sein dunkelbraunes Haar und strubbelte einmal kräftig darüber, als wolle er seine Lebensgeister mit dieser Aktion beleben. „Ist das ungewöhnlich?“
Scully setzte die Brille wieder auf und rückte sie auf ihrer Nase zurecht. „Nicht unbedingt. Es gibt Städte, die weit über dem Schnitt liegen, und andere, die auf Grund der Bevölkerungsdichte einen höheren Durchschnitt haben müssten. Aber ich habe acht Fälle gefunden, die ungewöhnlich sind. Relativ junge Menschen, ohne Risikofaktoren, deren Herzstillstand dann ungeklärt blieb.“
Mulder blickte auf seinen Notizblock, im Gegensatz zu seiner Partnerin, mochte er diese Form lieber als die Laptops. „Steht Ralf Markam auf Ihrer Liste?“
Scully nickte. „Was haben Sie über ihn?“
„Er war Schullehrer, Julia Westmoor wurde nach ihrem Unfall erst noch eine Weile aufs College geschickt! Markam war ihr Vertrauenslehrer, und man schickte Julia zu ihm. Am gleichen Tag fand ihn abends der Hausmeister tot in diesem Zimmer auf.“
„Warum wurde eine polizeiliche Ermittlung durchgeführt?“ Scully sah Mulder fragend an.
„Mhm.“ Mulder schlug eine Seite seines Notizbuches um. „Er hatte mit fast unleserlicher Schrift etwas auf seinen Schreibtisch geschrieben …“ Mulder gestattete sich eine dramatische Kunstpause.
„Lassen Sie mich raten, das Licht?“ Scully registrierte, wie Mulder seine Unterlippe leicht beleidigt nach vorne schob, weil sie ihm den Spaß verdorben hatte.
„Ja, und es heißt in der Polizeiakte, sein Gesichtsausdruck wäre alles andere als friedlich gewesen, sondern so, als hätte er etwas Schreckliches gesehen.“ Mulder machte wieder eine Pause. „Oder er hat eine Antwort bekommen, die ihm nicht gefiel.“
Scully blickte ihn forschend an. „Sie glauben, dass es wirklich eine Art Todeslicht ist, Mulder?“
Ihr Partner nickte nachdrücklich. „Ja, und ich glaube, es kommt hervor, wenn Julia sich bedroht fühlt. Der Lehrer hat sie vielleicht in irgendeiner Form in die Enge getrieben. Die anderen Drei Fälle, die ich habe, lassen sich auch mit Julia in Verbindung bringen. Und jedes Mal war es eine Situation, die latent bedrohlich für sie wirken musste.
Ein Briefträger, der eine Nachsendezustellung hatte und Geld wollte, während Mrs. Westmoor noch bei der Arbeit war.
Eine von Julias ehemaligen Freundinnen, die vielleicht schlecht auf die geistige Abwesenheit reagiert hat, wer weiß!“
Scully stand auf und streckte sich. „Ich werde mir einen frischen Kaffee holen, Mulder, soll ich Ihnen einen mitbringen?“
„Wollen Sie mich auf der Statistik für Magendurchbrüche sehen, Scully? Nein, danke.“ Mulder grinste ihr schwach zu und vergrub sich wieder in seinen Akten.

XXX

Haus der Familie Westmoor
15.4.1996
16.45


Loretta Westmoor blickte nachdenklich aus dem Fenster, die grauen Wolken entsprachen ihrem Gemütszustand. Sie hatte eine ausgesprochen unerfreuliche Konfrontation mit Mr. Avers hinter sich, der sie beschuldigt hatte, das FBI auf seinen Sohn gehetzt zu haben. Seine Drohungen darüber, dass er in Zukunft jede medizinische Behandlung Julias nicht mehr bezahlen würde, wenn das FBI nicht aufhörte, Dreck aufzuwühlen, war mehr als deutlich gewesen.
Loretta wischte sich die Tränen aus ihren Augenwinkeln, Dreck, das war wohl die Bezeichnung von Avers für Julia.
Vielleicht sollte sie den FBI-Agenten bitten, vorsichtiger mit Avers umzugehen, er schien freundlich, und in seinen Augen war Mitleid zu lesen gewesen.
Oder sollte sie endlich den Mut haben, Avers für das anzuzeigen, was in dieser Halloweennacht geschehen war?
Ein krachendes Geräusch an der Türe riss Loretta Westmoor aus diesen Gedanken. Sie sprang auf und eilte in den Hausflur, die Türe stand offen und bewegte sich im Wind.
„Julia?“
Loretta Westmoor berührte nachdenklich die Türklinke und wollte die Türe schließen, ein seltsamer Geruch stach in ihre Nase, scharf, medizinisch, mit einem leicht süßlichen Gestank darunter, den sie unwillkürlich mit einem frisch aufgeschütteten Grab in Verbindung brachte.
Ihr Blick fiel auf das Türschloss, und ihr Herz setzte einen einzigen Schlag aus, das Schloss war gewaltvoll aus seiner Verankerung gerissen, Holzsplitter ragten hervor, und Loretta öffnete den Mund zum Schrei, doch sie kam nicht mehr dazu, ihn zu auszustoßen.
Eine Hand, scharf nach diesem medizinischen Geruch stinkend, legte sich über ihren Mund und verschloss ihn, hart, kalt und mit der Unerbittlichkeit des Todes.

XXX

Sheriffbüro Newpoint
15.4.1996
16.45


Scully roch an dem Kaffee und schenkte sich nur ausgesprochen widerwillig etwas ein, eine lackartige Schicht schien darauf zu schwimmen.
„Mein Magen wird sich freuen“, dachte Scully mit einem Hauch von Sarkasmus.
Sie blickte sich in dem kleinen Nebenraum um, der wohl als Kaffeeküche diente.
Der Kühlschrank war mit Zetteln beklebt, auf denen verschiedene Warnungen angebracht waren, was mit dem oder jenen passierte, der sich an Kuchen, Wurstbrötchen oder was auch immer vergriff, die ein anderer Kollege dort deponiert hatte.
Scully öffnete mit einem Anflug von Neugierde den Kühlschrank und blickte kurz hinein, einige der Dinge darin schienen kurz vor der Vollendung ihrer Mutation in eine denkende Lebensform, Mulder hätte sicher seinen Spaß daran gehabt.
Sie schloss den Kühlschrank mit angeekeltem Gesichtsausdruck wieder, hier etwas zu rauben, mochte gesundheitsschädlicher sein als der Kaffee!
Ihr Blick streifte den Spiegel, der an der Wand hing, ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie seit gestern den Blick in jede spiegelnde Fläche vermieden hatte.
Jetzt stellte sie sich bewusst der spiegelnden Fläche und blickte in die grünen Augen, die ihr daraus herausfordernd entgegen starrten, ihre Augen, ihr Gesicht.
Vielleicht war alles doch nur eine Nebenwirkung des Schlages auf den Schädel gewesen, das menschliche Gehirn war manchmal ein höchst seltsames Gebilde, komplizierter und störungsanfälliger, als man gerne wahrhaben wollte.
Steuermann!“ Scully sprang unwillkürlich einen Schritt zurück und verschüttete dabei den Kaffee.
Der Spiegel verdunkelte sich wieder, die Formen darauf schienen zu verschwimmen, bildeten sich neu, zu einem Gesicht, das Scully kannte, aber sie wollte nicht glauben, was sie sah. Ihr Vater war tot.
Steuermann.“ Ihr Vater hatte sie immer so genannt, ein Spaß zwischen ihnen, so wie sie ihn Ahab genannt hatte.
Steuermann, sei vorsichtig! Sieh nicht in das Licht!
„Warum“, flüsterte Scully, kaum begreifend, dass sie wirklich mit einer Erscheinung im Spiegel redete.
Das Bild auf dem Spiegel wandelte sich, machte einer jungen, hübschen Frau Platz, die immer so viel Liebe und Zuneigung in ihren Augen zu tragen schien, Augen, die Scullys so ähnlich waren.
Pass auf Fox auf. Er sucht schon sein Leben lang nach Antworten!
„Melissa!“ Scully streckte die Hand aus, die vergessene Kaffeetasse zerschmetterte mit einem lauten Knall auf dem Boden.
Scully starrte in den Spiegel und fragte sich ernsthaft, ob sie den Verstand verlor oder ob sie wirklich Melissa und ihren Vater gesehen hatte.

XXX

Haus der Familie Westmoor
15.4.1996
16.49


Eine Blutspur zog sich über den Teppichboden, einige blutige Schuhabdrücke führten ins Freie, das Haus lag in Stille gehüllt, die das Gegenteil von allem Leben darstellte.
Und doch gab es noch ein Geräusch darin, ein langsames, schleifendes Geräusch.
Lorette Westmoor zog sich mit quälender Langsamkeit über den Boden, jeder Zentimeter war ein Kampf, ein einsamer Kampf, gnadenlos und ohne Regeln, ein Kampf gegen den Tod.
Sie würde sterben, Loretta machte sich keine Hoffnung, aber sie durfte erst sterben, wenn sie getan hatte, was sie tun musste.
Julia - das war der einzige Gedanke, der nun noch zählte.
Julia - und der Mann, der hinter ihr her war, der Mann, mit dem schlecht sitzenden Anzug.
Der Mann, mit der Schwärze in den Augen, die nichts mehr mit einem lebenden, fühlenden Wesen gemein hatte.
Der Mann, der nun wusste, wo er Julia finden würde.
Loretta hätte sich verflucht für ihre Schwäche, wenn sie den Atem dafür nicht für andere Dinge gebraucht hätte.
Sie hatte nicht gewusst wie Schmerz sein konnte, aber der Mann mit den Tätowierungen an seinem kahlgeschorenen Schädel hatte es gewusst und eingesetzt.
Loretta dachte an all das Blut. Es war erstaunlich, dass sie so viel Blut in sich hatte, und noch erstaunlicher war, dass sie noch immer lebte.
Julia - sie war dort, wo es sie oft hinzog, etwas, das Loretta immer einen eisigen Schauer über den Rücken getrieben hatte, aber Julia war gerne dort.
Vielleicht, weil sie diesem Ort so nahe gewesen war und vielleicht, weil sie immer einen Teil davon in sich getragen hatte seit jenem verhängnisvollem Tag.
Loretta zog sich weiter, ihre blutige Hand rutschte am Telefonhörer ab, sie stemmte sich noch mal mit letzter Kraft hoch und riss mit einer verzweifelten Geste das Telefon vom Tisch.
Es fiel krachend zu Boden, das einzige Geräusch außer ihrem keuchenden, zischenden Atem, der stockte, der langsam verging.
Loretta klammerte sich an ihr Leben, mit aller Macht, mit aller Kraft - Julia.
Sie hörte das Freizeichen, wählte eine Nummer und sah das Licht, es war seltsam, der Tag war so trübe gewesen, und doch war das Zimmer strahlend hell.
War dies das Licht, das Julia so oft gesehen hatte, das ihr angeblich Dinge erzählte?
Loretta konnte sehen, wie sich Menschen in diesem Licht bewegten, während sie hörte, wie jemand den Hörer auf der anderen Seite der Leitung abnahm.
„Mulder!“ Die Stimme des FBI-Mannes, Loretta dankte Gott für das Glück. Er würde verstehen.
Sie konnte nun im Licht einen jungen Mann sehen, der ihr zulächelte und die Hand ausstreckte.
Ihr Mann, Julias Vater, der kurz nach ihrer Geburt bei einem Feuerwehreinsatz umgekommen war.
Loretta wollte mit ihm gehen, aber sie vergaß nicht, wie wichtig das letzte war, was sie als Lebende zu tun hatte. „Julia, Friedhof, der Mann … mit den Schlangen ...“
Rezensionen