World of X

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Todeslicht

von Martina Bernsdorf

Kapitel 7

Landstraße 7
14.4.96
18.59


„Ein Penny für Ihre Gedanken!“ Mulder steuerte den Leihwagen ruhig und sicher über die Straße in Richtung des Motels, in das sie sich einquartiert hatten.
Scully hob die Hand zur Stirn und rieb sich darüber, ihr Kopf schmerzte, aber sie wusste nicht, ob es nur an dem Schlag lag oder an den Dingen, die ihr durch den Kopf geisterten.
„Was denken Sie eigentlich über Sterbeerlebnisse, Scully? Denken Sie, es gibt diesen langen Tunnel aus Licht?“
Mulders Stimme klang sanft, und es schwang ein Tonfall darin, der Scully bewusst machte, dass sie nicht darauf antworten musste, wenn sie nicht wollte.
„Viele Mediziner halten die sogenannten Sterbeerlebnisse für chemische Kurzschlüsse in einem sterbenden Gehirn. Synapsen, die zusammenbrechen, Fehlinformationen, ein mehr oder weniger angenehmer Drogentrip in den Tod, erzeugt von körpereigenen Reaktionen. Endomorphine werden ausgeschüttet, es wäre durchaus möglich, dass diese Erlebnisse nur Illusionen sind, die unser Gehirn erzeugt.“
Mulder schwieg eine Weile. „Und was denken Sie, Scully?“
Scully schloss die Augen, sie fühlte sich erschöpft. Ihre Gedanken wanderten zurück zu Duane Barry, der sie entführt hatte. An die Leere, die daraufhin folgte und die sie nicht zu ergründen vermochte, sie war im Koma auf der Intensivstation eines Krankenhauses gewesen, dem Tod näher als dem Leben.
Es gab verschwommene Erinnerungen daran, sie hatte die Anwesenheit ihrer Mutter gespürt, konnte sich an Wortfetzen erinnern. Genauso wie sie sich an Melissas Anwesenheit erinnern konnte, an ihre Wärme, ihre Liebe, die sie so deutlich gespürt hatte, viel deutlicher als ihren eigenen Herzschlag. Und sie konnte sich an Mulders Stimme erinnern, an seine Worte, an seinen Zorn, den er ausgestrahlt hatte, an seine Furcht, sie zu verlieren, an seine Freundschaft.
Es war ruhig an diesem Ort gewesen, an dem sie sich aufgehalten hatte, ruhig und still, wie auf einem ruhigen See.

Scully erinnerte sich an die untersetzte Krankenschwester Owens, die sich um sie gekümmert hatte, deren Liebe sie eingehüllt hatte wie ein schützender Mantel, nur hatte es nie eine Schwester dieses Namens gegeben.
Scully war bestürzt über diese Information gewesen, sie konnte sich genau an die Stimme und das Aussehen der Frau erinnern, sie war da gewesen, und doch schien sie nicht existent zu sein.
Scully hatte sich oft gefragt, wer sie gewesen war oder was!
„Ich sah kein Licht, Mulder. Aber ich sah meinen Vater und noch mehr…“ Scully brach ab.
Mulder schwieg kurz und blickte auf die Landstraße. „Aber Sie fanden keine Antworten?“
Scully folgte seinem Blick auf die Straße, die wie ein dunkelgrauer Strich die grüne Landschaft durchbrach. „Nur die, dass ich leben wollte, Mulder.“
Ihr Partner nickte und blickte sie kurz ernst an. „Und darüber bin ich sehr froh, Scully!“

XXX

New Inn Motel
14.4.96
20.33


Mulder gähnte ausgiebig und streckte sich. Mit einem Seufzen schloss er den Aktendeckel von Julia Westmoors medizinischer Akte, er verstand ohnehin kaum ein Wort davon.
Scully hatte sich verständlicherweise früh zurückgezogen, und so war er allein mit den Akten in seinem Zimmer und fragte sich, was hier vorging.
Ein Mann der ziemlich tot und ohne Herz rumlief und Leute niederschlug, eine junge Frau, die in einer anderen Welt zu leben schien, eine Ex-Krankenschwester, die meinte, das Licht des Todes gesehen zu haben.
Die Antwort auf alle Fragen lag in diesem Licht“, Mulder biss sich ein wenig auf die Unterlippe. Wenn es sich wirklich so zugetragen hatte, wie Carla Shawn beschrieb, dann bewunderte er ihre Stärke, ohne die Antworten zurückgekehrt zu sein.
Mulder ging zu dem Bett und ließ sich probeweise darauf fallen, die Matratze federte gut nach, und er hob die Augenbraue, nach dem guten Kaffee im Krankenhaus hätte es ihn nicht verwundern sollen, dass die Matratze des Motelbettes nicht durchgelegen war, wie sonst üblich! Newpoint bot wirklich Überraschungen!
Er streckte sich, griff nach der Fernbedienung und zappte sich durch die verschiedenen Programme. Es überraschte ihn nicht mehr, dass der Empfang gut war, und sogar Formicula lief, einer der besten Horrorfilme der 50er Jahre, wenn man ihn nach seiner bescheidenen Meinung fragte.
Mulder entledigte sich seines Jacketts und lockerte die Krawatte, er klemmte sich ein Kopfkissen unter den Rücken und angelte mit seinen langen Armen nach seinem Aktenkoffer auf dem Nachtisch, aus dem er eine Packung Sonnenblumenkerne hervorzog und genüsslich einen nach dem anderen in den Mund steckte.
Mit einem lauten Krachen wurde die Türe seines Motelzimmers aus dem Schloss getreten, und Mulder sah überrascht in den Lauf einer Magnum, er schielte über den Lauf und sah in die geröteten Augen von Sheriff O´Bannon.
„Es war einfach zu gut, um wahr zu sein!“
Mulder spuckte einen Kern aus und hob beschwichtigend langsam die leeren Hände. „Sheriff O´Bannon?“
„Ich sollte Sie abknallen!“ O´Bannons Stimme schwankte unter dem Sturm der Gefühle.
„Legen Sie die Waffe weg, Sheriff!“ Scullys klare Stimme war ruhig und gefasst, so als sei es normal, dass man ihren Partner mit einer Waffe bedrohte.
Mulder blickte am Sheriff vorbei, zu Scully, die im Eingang der Türe stand, anscheinend hatte sie den Krach von O´Bannons gewaltsamem Eindringen in das Zimmer gehört.
Scullys Haar war ein wenig zerzaust, und ihr Blazer war an einer Stelle falsch zugeknöpft, was darauf schließen ließ, dass sie es sehr eilig gehabt hatte ihn zu retten, etwas das Mulder sehr zu schätzen wusste!
„Was haben Sie mit meinem Bruder gemacht?“ O´Bannon ließ sich nicht von der FBI-Agentin ablenken, die hinter ihm mit einer Waffe im Anschlag stand. Mulder erkannte an Scullys Augen, dass sie bereit war, zu schießen, wenn der Sheriff es darauf ankommen ließ.
„Ich bin FBI-Agent, Sheriff O´Bannon, was immer mit Ihrem Bruder geschehen ist, ich habe nichts damit zu tun.“
„Er ist tot! Jemand hat ihm den Schädel eingeschlagen und das, während Sie im Bestattungsinstitut waren.“
O´Bannon senkte die Magnum nicht, sondern hielt die Waffe weiter auf Mulder gerichtet.
„Agent Mulder war nicht die ganze Zeit dort, nur ich war vermutlich zur Tatzeit anwesend.“ Scullys Stimme war ruhig, aber Mulder konnte die Anspannung seiner Partnerin spüren.
O´Bannon drehte sich abrupt um und zielte nun auf Scully, in seinen Augen flackerte es, als er die FBI-Agentin ansah, die ihre Waffe in perfekter Stellung auf ihn gerichtet hatte.
Langsam senkte der Sheriff seine Waffe und steckte sie schließlich in das Halfter. Erst dann senkte Scully die Arme und erlaubte sich, tief durchzuatmen. Sie ging in das Zimmer und schloss die Türe, soweit das mit dem zerstörten Schloss möglich war.
„Glauben Sie, ich habe Ihren Bruder getötet, Sheriff?“ Scullys Stimme war noch immer sehr ruhig, aber es klang auch eine Schärfe mit, die deutlich machte, dass sie erwartete, dass O´Bannon sich die Absurdität seines Gedankenganges vor Augen hielt.
Der Sheriff starrte Scully an. „Nein.“ Er deutete auf ihre Schläfe. „Ich nehme an, Sie wurden niedergeschlagen, vermutlich von demselben Täter?“
Scully nickte langsam. „Ja.“
O´Bannon blickte nun zu Mulder, in seinen Augen war eine Spur von Scham zu erahnen. „Sie haben meinen Bruder nicht gesehen, nehme ich an?“
Scully setzte sich auf die Tischkante, ihr war etwas schwindlig, eine Reaktion, die jeder Mediziner erklären konnte. Eine vermehrte Adrenalinausschüttung sorgte für solche Symptome, und O´Bannon, der bereit gewesen zu sein schien, Mulder das Lebenslicht auszupusten, war dazu geeignet gewesen, sehr viel von diesem Hormon auszuschütten!
„Ich habe nur Agent Scully bewusstlos gefunden und sie dann ins Krankenhaus gefahren. Das können Sie leicht nachprüfen, Sheriff!“ Mulder hatte die Hände nun wieder gesenkt. „Gab es irgendwelche Spuren am Tatort?“
O´Bannon ließ sich in den Sessel fallen und schlug die Hände vor die Augen. Mulder wechselte einen Blick mit Scully.
„Der Täter hat die Kleidung Ihres Bruders mitgenommen, nicht wahr?“
Mulder hob überrascht die Augenbraue, mit dieser Frage seiner Partnerin hatte er nicht gerechnet.
Zu seiner Überraschung nickte der Sheriff und wischte die Tränen wütend weg. „Sie haben den Bastard gesehen, Agent Scully?“
„Er brauchte Kleidung, ich kam dazu nicht in Frage ...“ Scully bemerkte Mulders Blick, der nun begriff, wie seine Partnerin auf diese Frage gekommen war.
O´Bannon sah Scully fordernd an. „Wer war es? Ich will eine Fahndung, ich will den Scheißkerl haben, der meinen Bruder umgebracht hat!“
Scully warf einen nahezu flehentlichen Blick zu Mulder, der genau begriff, welches Problem sie hatte. Es machte ihm nichts aus, sie aus ihrem Dilemma zu befreien, er war es gewöhnt, dass man ihn ansah wie einen Verrückten.
„Geben Sie eine Fahndung nach Elias Tobin, alias Snake, heraus.“ Mulder sagte dies ruhig und bemerkte das dankbare Nicken von Scully. Er hob leicht die Schultern an, so als wolle er sagen: „Wir können doch nicht zulassen, dass Ihr Ruf leidet, Scully.
O´Bannon starrte ihn an, Mulder nickte aufmunternd.
O´Bannon starrte Scully an, diese nickte widerwillig.
„Was soll das, ich soll nach einem toten Mann fahnden lassen? Sie behaupten, ein toter Mann hätte meinen Bruder ermordet?“
Mulder nickte erneut, und Scully blickte O´Bannon fest an. „Ich habe gesehen, wer mich niederschlug, Sheriff, und es ist anzunehmen, dass er es war, der Ihren Bruder getötet hat. Er brauchte Kleidung, er fand sie bei Ihrem Bruder.“
„Ist es möglich, dass der Kerl nur scheintot war?“ O´Bannon rieb sich das Kinn.
„Er sah mausetot aus, als ich ihn fand, aber solche Dinge soll es ja geben.“ Er blickte wieder Scully an.
„Ja, Narkolepsie ist nicht mal so selten.“
Sie bemerkte Mulders Blick, ließ sich dadurch aber nicht irritieren.
„Er ist irgendwo da draußen, Sheriff, und niemand weiß, was in seinem Kopf vorgeht.“
„Geschweige denn, was für ein Herz in seiner Brust schlägt“, setzte Mulder zynisch hinzu.
O´Bannon erhob sich, er hatte eine Aufgabe, seine Trauer um seinen Bruder konnte nun warten, er würde den Mistkerl finden, das schwor er sich.
Der Sheriff eilte zur Türe, drehte sich dort noch mal um und zupfte verlegen an seinem Hut. „Entschuldigen Sie ...“ Er deutete auf die Türe.
„Schon vergessen, Sheriff!“ Mulder wartete, bis der Sheriff verschwunden war, und sah seine Partnerin fragend an.
„Narkolepsie?“
Scully zuckte leicht mit den Schultern. „Er wird jetzt nach ihm fahnden, Mulder. Das ist doch alles, was zählt!“
„Was hat Snake vor?“ Mulder steckte einen Sonnenblumenkern in seinen Mund und kaute nachdenklich.
„Vielleicht versucht er nur seine Grundbedürfnisse zu decken, sein Gehirn wird nicht mehr durchblutet, wie kann er überhaupt denken?“ Scully schüttelte den Kopf. „Darüber nachzudenken bereitet mir Kopfschmerzen.“
„Vielleicht hat Carla mit dem Licht recht gehabt, vielleicht ist es ein Todeslicht.“
Scully fühlte sich nicht in der Verfassung zu widersprechen. „Und wie passt dann unser wandelnder Leichnam mit mörderischen Instinkten dazu?“
Mulder rieb sich nachdenklich über das Kinn, die Frage war schwer zu beantworten. Julia und Carla gingen nicht herum und schlugen Menschen die Schädel ein.
„Snake hat sich nicht verändert, nur hat er jetzt vielleicht nichts mehr zu verlieren und tötet deshalb, wenn es ihm in den Sinn kommt. Oder aber“, brach Mulder ab und dachte kurz darüber nach, „vielleicht ist seine Seele auch zu schwarz, um in das Licht zu gehen, und er ist deshalb zurückgekommen!“
Scully blickte ihn mit einem matten Abglanz ihres berühmten skeptischen Blickes an.
„Es ist nicht so abwegig, wie es klingt, Scully!“ Mulders Augen leuchteten, und sie wusste, dass sie nun wohl einen feurigen Vortrag über irgendetwas hören würde, das sie wohl nicht glauben konnte.
„Es gibt positive und negative Energie, beides existiert in uns Menschen. Warum sehen so viele Menschen bei Sterbeerlebnissen ihre nahen Familienangehörigen? Werden sie vielleicht abgeholt, und ist es nicht denkbar, dass ein Mensch wie Snake das Leben nicht loszulassen vermag, auch wenn er schon tot ist?
Vielleicht gab es niemanden, der ihm die Angst nehmen konnte, niemanden, der ihn an der Hand nahm und ins Licht geleitet hat, und er hat dann seine Existenz an das Materielle gebunden, an das Negative, das ohnehin einen Großteil seines Selbst ausmacht.
Negative Geistwesen klammern sich an die Erde, an die Materie und somit verbleiben sie auch in dieser Sphäre und erreichen keine höhere Bewusstseinsebene.“
Scully sah Mulder an, er hob leicht die Hände. „Ich weiß, für Sie klingt das nicht wissenschaftlich, nicht wahr, Scully? Aber Poltergeistphänomene sind beweisbar, und sie stammen von solchen negativen Geistwesen, aber es gibt auch die andere Variante, die positiven Geistwesen.
Oft werden sie als Eltern, Geschwister oder Freunde beschrieben, die einen in Notlagen helfen, oder aber als vollkommen Fremde, die einen jedoch beschützen.“
Mulder bemerkte, wie Scully bei seinen letzten Worten leicht zusammenzuckte. „Glauben Sie an Schutzengel, Scully?“
Es hätte eine Zeit in ihrem Leben gegeben, wo Dana Scully dies verneint hätte.
Aber zu viel war in der Zwischenzeit geschehen, sie hatte ihren toten Vater gesehen, war selbst an der Grenze gewesen zwischen Leben und Tod, und sie erinnerte sich an Schwester Owens, die es angeblich nie gegeben hatte.
„Darauf müssen Sie nicht antworten, Dana, aber wenn es die positive Seite gibt, wäre es unlogisch anzunehmen, dass es nicht auch eine negative Entsprechung gäbe.“
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