World of X

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Todeslicht

von Martina Bernsdorf

Kapitel 6

Saint Ann Hospital
14.4.96
15.46


Scully konnte nicht gerade behaupten, dass sie die Aufmerksamkeit von Medizinern mochte, wenn es um ihre eigene Person ging.
Man hatte sie einer Reihe von Tests unterzogen, die Platzwunde mit zwei Stichen genäht und ihr dringend geraten, eine Nacht zur Beobachtung hier zu verbringen, etwas, das Scully ignorieren würde.
Allem Anschein nach hatte sie keine Gehirnerschütterung, und selbst wenn sie eine gehabt hätte, wäre das keine Erklärung gewesen, weder für die Warnung ihres Vaters, noch Melissas und auch nicht für eine wandelnde Leiche namens Snake.
Ihr Schädel brummte, wenn sie versuchte, über diese Dinge nachzudenken und eine Erklärung dafür zu finden.
Da sie sich endlich der Fürsorge der Mediziner hatte entziehen können, traf sie Mulder wieder auf dem Krankenhausgang, der einen Kaffeebecher in seiner Hand mit einem Ausdruck musterte, den er sonst vermeintlichen Aliens und UFOs vorbehielt.
Seine Miene hellte sich auf, als er seine Partnerin sah. „Wie geht es Ihnen?“
Scully hob leicht die Schultern an. „Es ist keine Gehirnerschütterung. Was haben Sie inzwischen herausgefunden?“
Mulder hielt ihr den Kaffeebecher entgegen, und Scully nahm ihn mit skeptischem Ausdruck in die Hand. „Trinken Sie!“ Mulder nickte ihr aufmunternd zu.
Scully runzelte die Stirn, soweit das Pflaster an ihrer Schläfe dies zuließ, sie schnupperte an dem Kaffee und trank dann einen Schluck.
„Was ist daran so seltsam, Mulder, es ist Kaffee, und er schmeckt sogar gut.“ Scully trank noch einen Schluck und sah ihren Partner fragend an.
„Eben, haben Sie schon mal guten Kaffee in einem Krankenhaus getrunken?“
Scully hob die linke Augenbraue. „Es ist eine Verschwörung, Mulder! Lassen Sie uns im Keller nachschauen, vermutlich liegt Elvis da irgendwo auf Eis! Einem Krankenhaus, das guten Kaffee ausschenkt, ist alles zuzutrauen!“
Mulder lachte leise auf. „Es scheint Ihnen wirklich wieder gut zu gehen. Aber Elvis ist nicht tot, das wissen Sie doch, Scully! Das war alles nur Show, damit er aus dem Musikgeschäft aussteigen konnte!“
„Natürlich!“, entgegnete seine Partnerin mit dem Brustton geheuchelter Überzeugung.
Mulder grinste noch mal und wurde dann ernst. „Ich habe mich inzwischen mit einigen Ärzten und Krankenschwestern unterhalten.“ Er deutete auf die Sitzbänke und reichte Scully, als sie sich gegenübersaßen, die Akte, die er unter dem Arm geklemmt getragen hatte.
„Julia Westmoors medizinische Akte!“ Scully blätterte neugierig darin, las den Bericht von ihrer Wiederbelebung und den anschließenden Untersuchungen, Julias geistige Abwesenheit ließ sich demnach nicht durch organische Defekte erklären.
Scully tippte mit dem Fingernagel gegen die Blutanalysen. „Sie hatte eine Substanz, die nicht identifizierbar war, in ihrem Blut. Vielleicht eine Designerdroge. Wir sollten den Jungen, der die Party gegeben hat aufsuchen, vielleicht erfahren wir von ihm, was es war.“
Mulder nickte. „Womöglich, damals wurde der Fall nicht weiterverfolgt, weil Michael Avers Vater eine der größten ortsansässigen Firmen besitzt. Mrs. Westmoor hat ihre Anzeige gegen die Familie Avers zurückgezogen, und dreimal dürfen Sie raten, wer Julias umfangreiche Krankenhauskosten bezahlt!“
„Avers Senior!“ Scully nickte, sie konnte es Mrs. Westmoor nicht verdenken, wenn sie die umfangreichen Tests und Untersuchungen überblätterte, die in dieser Akte aufgelistet waren, steckte ein Vermögen in der Suche nach einer Erklärung für Julias Veränderung.
Mulder nickte, und in seinen Augen leuchtete es, was Scully darauf schließen ließ, dass er etwas wusste, das nicht in der Akte stand.
„Sehen Sie mal nach, wer den Einlieferungsbericht unterschrieben hat und wer die Wiederbelebung durchführte.“
Scully blätterte nach und stieß Seltsamerweise auf zwei verschiedene Namen, das war ungewöhnlich.
„Was ist geschehen?“
„Dr. Wyzek und zwei Krankenschwestern führten die Wiederbelebung bei Julia durch, zwei Rettungsfahrer waren anwesend, Jake Trebon und Henrie Lesall.
Lesall verließ Raum Zwei, wohin man sie gebracht hatte, weil er die Wiederbelebung für zwecklos hielt und seine Schicht schon vorbei war. Er gab an, ein sehr helles Licht wahrgenommen zu haben, das durch das Sichtfenster in der Türe zu Raum Zwei drang. Als er den Raum betrat, lagen die beiden Krankenschwestern, sein Kollege Trebon und der Arzt auf dem Boden, das einzige Herz, das in diesem Raum zu diesem Moment schlug, war das von Lesall und Julias.“
Mulder machte eine Pause und sah Scully erwartungsvoll an. „Das gesamte Notfallteam war tot?“
„Ja, es erschien nicht in den Berichten, es hat ja in dem Sinne nichts mit der Patientin zu tun. Die Verwaltung wollte nicht, dass man darüber sprach, weil es kein gutes Licht auf ein Krankenhaus wirft, wenn Ärzte und Schwestern einfach so tot umfallen. Schlechtes Image für das Krankenhaus!“
Mulder ließ eine Spur von Zynismus aufblitzen und fuhr dann fort. „Man hat sofort versucht sie wiederzubeleben, und bei einer Person gelang es sogar.“
Scully sah ihn überrascht an. „Jemand wurde zurückgeholt?“
Mulder nickte. „Ich denke, wir sollten dieser Person einen Besuch abstatten!“

XXX

Haus der Familie Shawn
14.4.96
17.05


„Carla möchte nicht über diese Dinge reden!“ Der Mann wirkte verbittert und ungehalten über die Störung. Er stand in der Türe und schien nicht bereit zu sein, diese freizumachen.
„Mr. Shawn, Agent Mulder und ich sind hier, weil es zu ungeklärten Todesfällen gekommen ist, die vielleicht in der Verbindung zu den Dingen stehen, die im September 1992 im Saint Ann Hospital vorgefallen sind und wo Ihre Frau anwesend war!“
Das Gesicht des großen Mannes verfinsterte sich. „Was gehen uns diese Todesfälle an, kann das FBI meine Frau zu einer Aussage zwingen? Ich glaube nicht, ich möchte einen richterlichen Beschluss sehen!“
„Mr. Shawn...“ Scully blickte ihm in die Augen und versuchte es mit der „wir sind doch alle erwachsen und vernünftig“- Masche, die Scully perfekt beherrschte und für die sie eher geeignet war, sie anzuwenden als Mulder.
Aber sie kam nicht dazu, ihr Können unter Beweis zu stellen. „Lass sie herein, Ed.“ Die Stimme aus dem Haus klang müde, aber fest, und mit einem unwilligen Murren gab der Mann die Türe frei und ließ die zwei Agenten eintreten.
Carla Shawn sah müde aus, dunkle Ringe unter ihren Augen deuteten auf wenig Schlaf. Sie hatte ihnen im Wohnzimmer Platz angeboten und ihren Mann weggeschickt, nachdem sie ihn beruhigt hatte, dass alles in Ordnung sei.
„Er weiß, dass ich nicht gerne darüber rede, und er weiß, mehr als jeder andere Mensch, was ich in dieser Nacht alles verloren habe.“ Carla blickte die zwei Agenten an. „Es hat also wieder Tote gegeben, und Julia Westmoor war dabei. Wo sie ist, ist wohl auch das Licht nicht weit.“
Mulder rutschte leicht auf dem Sofapolster nach vorne, deutliches Indiz für sein Interesse. „Was für ein Licht?“
Carla schloss die Augen. „Ein Licht, wie ich es nur einmal in meinem Leben gesehen habe, und ich weiß, dass ich dieses Licht viel zu früh gesehen habe, es war nicht für mich bestimmt.“
Scully blickte in die blauen Augen der Frau, die bitter lächelte. „Ich bin keine gläubige Frau, Agent Scully! Ich bin …“ Sie brach ab und verbesserte sich. „Ich war eine Oberschwester, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand und ihren Job beherrschte. Er war nicht immer schön, ich habe vielleicht zu viele Menschen sterben sehen, aber es war ein Beruf, in dem ich etwas bewirken konnte. In meinen Händen lag manchmal das Leben von Menschen, und hier und da konnte man sie mit meiner Hilfe retten.“
„Was ist passiert, Mrs. Shawn?“ Scully stellte diese Frage sanft, und Mulder nickte aufmunternd, er fühlte, dass diese Frau einen Teil der Antworten kannte.
„Wir haben das Mädchen verloren, eigentlich war es sinnlos geworden, aber Wyzek war ein Arzt, der manchmal noch zu retten versuchte, wenn alles vorbei war. Und dann war plötzlich das Licht da, sehr hell, man konnte nichts mehr sehen, es strahlte keine Wärme aus, und es bewegte sich.“
„Bewegte sich?“ In Scullys Stimme schwang eine Spur von Skepsis.
„Ja, ich weiß, wie das klingt, aber ich habe keine andere Beschreibung dafür, es kroch über die Geräte, schien nach mir zu greifen, zu diesem Zeitpunkt konnte ich in der Helligkeit weder Wyzek, Trebon noch meine Kollegin sehen, dafür konnte ich etwas anderes sehen ...“ Carla brach ab und blickte auf ihre Hände.
„Was haben Sie gesehen, Mrs. Shawn?“ Mulder sprach sanft und mit einem wissenden Tonfall, er gab der Frau das Gefühl, dass er alles glauben würde, was sie sagte.
Scully wusste, dass ihr Partner in diesen Dingen besser war als sie, vielleicht weil er wirklich bereit war, alles zu glauben!
„Ich sah meine Mutter.“ Carla unterbrach sich wieder und sah erst Mulder und dann Scully an. „Meine Mutter starb, als ich fünfzehn Jahre alt war, sie brachte sich um.“
Wieder schwieg Carla, ehe sie mit fast trotzigem Unterton fortfuhr. „Ich weiß, was ich gesehen habe, es war meine Mutter und sie hat mich umarmt, gesagt, dass ich noch nicht mit ihr gehen könne und mich vom Licht abwenden müsse.“
Carla sah nun Scully fest an. „Und hinter meiner Mutter waren andere Menschen, Menschen, die ich kannte und verloren hatte, aber vor allem waren dort die Antworten!“
„Antworten?“ Mulder fand dies erstaunlich, eigentlich beschrieb Carla Shawn fast einen klassischen Fall von Sterbeerlebnis, nur das mit den Antworten war ungewöhnlich.
„Ja, Antworten, Mr. Mulder, alle Antworten, die man je gesucht hat! Aber meine Mutter brachte mich dazu, nicht länger ins Licht zu sehen! In dem Moment hat wohl mein Herz wieder angefangen zu schlagen.“
Sie blickte Scully und Mulder mit Misstrauen in den Augen an. „Sie können mich für verrückt halten, aber ich denke, ich habe die Grenze überschritten. Das Todeslicht war nicht für mich, es war Julias Licht, und keiner von uns hätte es eigentlich sehen dürfen, wir haben sie zurückgeholt, aber wir haben wohl auch das Licht mitgebracht und es ist mit Julia Westmoor verbunden.“
Scully dachte an Melissas Worte: „Du darfst nicht in das Licht sehen, Dana“ und schauderte.
„Die anderen sind alle gestorben, sie konnten wohl den Antworten nicht widerstehen!“
„Sie denken, dass es sie gerettet hat, weil sie die Antworten im Licht zurückgewiesen haben?“ Scully musterte Carla fragend.
„Agent Scully, haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was bleiben würde, wenn wir alle Antworten kennen würden? Wofür sollte man dann leben? Das Suchen nach Antworten ist eine Triebfeder des Lebens!“ Carla Shawn deutete auf Mulder. „Sehen Sie Ihren Partner an. Was wäre er ohne die tausend Fragen, die ihm ins Gesicht geschrieben stehen, was wären Sie ohne die Fragen, Agent Scully?“
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