World of X

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Irgendwann

von Chad Tanaka

Kapitel 2

FBI-Hauptquartier
Washington D.C.
8:55 am

Mulder trat aus dem Fahrstuhl, unmelodisch vor sich hin summend. *Ein neuer Tag, ein neuer Dollar, eine neue Bombe in einem Regierungsgebäude,* scherzte er mit sich selbst. Während er den langen nichtssagenden Flur entlang ging, sann Mulder über seine Laune nach. Seine Stimmung war besser als üblich. Das lag daran, daß er kürzlich die Bestätigung erhalten hatte, daß die X-Akten in der Tat auf der Liste der aktiven Ermittlungsabteilungen des FBI standen und daß sie vorgemerkt waren für ein neues Büro.

Es war hart für sie in den letzten sechs Monaten gewesen seit dem Brand in ihrem Büro, bei dem die X-Akten fast völlig zerstört worden waren. Die X-Akten waren geschlossen worden und Scully und er waren zum Gegenstand einer strengen Überwachung durch das Büro für dienstliche Untersuchung geworden. Das Büro war noch zu keinem Ergebnis gekommen in den Anhörungen, die stattgefunden hatten, um über die beiden Agenten und ihre Arbeit für die X-Akten zu befinden. In der Zwischenzeit waren sie verschiedenen anderen Abteilungen des FBI zugeteilt worden. Sie waren eine Weile bei der VCS - Mulders alter Lieblingsabteilung -, dann kamen sie zur Abteilung Organisierte Kriminalität (Dieses Mal zum Glück ohne Abhöraufgaben.)

Gegenwärtig arbeiteten die beiden Agenten in der Abteilung Terrorismusbekämpfung im 4. Stock. In dieser Funktion stolperten sie auch über den Bombenanschlag in Dallas und die Regierungsverschwörung, die er vertuschen sollte. Der Höhepunkt ihrer folgenden Ermittlungen war, daß die Sache in Bewegung geriet und führte zu der Entscheidung, die X-Akten wieder zu öffnen.

Mulder hatte seine Informationen von Assistant Director Skinner, der selbst Mitglied im Untersuchungsausschuß des Büros war. War die Entscheidung einmal gefallen, informierte er unverzüglich seine früheren Agenten. Mulder meinte, ein Gefühl der Erleichterung hinter Skinners Worten zu verspüren, aber er war sich nicht ganz sicher.

*Bald,* sagte Mulder zu sich selbst. *Es ist so nahe, ich kann es fühlen.* Bald würden Scully und er wieder das tun, was sie am besten konnten. Die X-Akten erschienen ihm wie eine kühle Oase in einer trostlosen Wüste der Hoffnungslosigkeit.

Während er sich dem Großraumbüro der Abteilung Terrorismusbekämpfung näherte, sann er darüber nach, wie glücklich er darüber war, daß er nicht von Scully getrennt worden war, betrachtete man all die Bewegung um sie herum. Trotz Skinners Leugnen wußte Mulder, daß es zu einem nicht geringen Teil dem Einfluß des Assistant Directors zu verdanken war, daß sie ihre Partnerschaft fortsetzen konnten. Obwohl Scully bei schwierigen Autopsien hinzugezogen wurde oder von Zeit zu Zeit um wichtige forensische Expertisen gebeten wurde, war Scully nicht gebeten worden, ihren alten Lehrstuhl an der FBI-Akademie in Quantico wieder anzunehmen.

Ein winziges Lächeln umspielte seine Lippen, Mulder wußte, daß Scully nie gegangen wäre, selbst wenn man sie gefragt hätte.

Mulder wußte, daß er unglaubliches Glück hatte, Dana Scully in seinem Leben zu haben. Vielleicht war er sogar der glücklichste Mann auf der Welt.  Manchmal fühlte er sich so.

Auch wenn er sie nicht haben konnte.

Auch wenn Mulder Scully nie auf ihr weiches Bett legen konnte, sie ausziehen konnte und sie verführen konnte, bis die Sonne aufging. Er würde niemals ihre verboten weiche Haut genießen können, die unter dieser vernünftigen Dienstkleidung verborgen war, noch würde er ihr sinnliches Flüstern hören können, daß sie nur für ihn hatte, während sie sich heiß liebten.

Mulder würde Scully niemals in Weiß sehen, sie die Worte "Ich will" aussprechen hören in einer Kirche, ihre Hand haltend und ihr den goldenen Reif auf den Finger schiebend.

Er würde niemals den wunderbaren Ton von Babygeschrei hören - seinem Baby.  Seinem... und Scullys. Er würde niemals den Anblick genießen, Scully ihr winziges Baby stillen zu sehen, er würde sie niemals Worte der Liebe zu ihrem Baby murmeln hören.

Er konnte sie vor seinem geistigen Auge sehen. Sie strahlte. Und sie lächelte dieses besondere Lächeln, das sie früher nur für ihn hatte. Er wußte, sie würde ohne zu zögern dieses Lächeln ihrem Kind schenken - ihrer beider Kind.

Mulder seufzte auf vertraute Art. *Wehmütig,* sagte er zu sich selbst.

Aber als Mulder für eine Augenblick die Augen schloß, war ihm klar, daß es niemals so sein würde, aus mehr als nur einem Grund. Er hatte das zu akzeptieren. Und er würde es tun.

Weil er Scully mehr als alles andere auf der Welt liebte. Und sie sagte, sie könnten nur Freunde sein. Gute Freunde. Die besten aller Freunde.

Und er versprach, daß er es sein würde.

*Großartig, Mulder,* schalt er sich selbst heftig. *Du weißt genau, wie man sich die gute Laune verdirbt.* Leicht den Kopf schüttelnd, ging er um die Ecke und betrat das Büro. Er wurde von einem winzigen Lächeln begrüßt, das seinem eigenen entsprach. Scully saß an ihrem lange überfälligen, redlich verdienten Schreibtisch gegenüber einem identischen Schreibtisch, der als sein eigener gekennzeichnet war. Sie war immer früh im Büro. Sie hörte nie auf, ihn im Büro zu überraschen. Und, wie so oft, stand schon ein großer Becher mit heißem Kaffee auf seinem Schreibtisch - einmal Milch und zwei Stück Zucker, so wie er ihn liebte. Seine warmen haselnußbraunen Augen hielten ihre glänzenden blauen Augen fest und er dankte ihr stumm. Sie nickte ihm kaum merklich zu.

Die geschäftigen Aktivitäten um sie herum ignorierend, setzte er sich an seinen Schreibtisch und betrachtete seine wunderbare Partnerin, er trank ihre Schönheit, wie er seinen Kaffee trank. Er stellte die Tasse ab.

"Morgen Scully," sagte er schließlich. "Bereit für eine Runde Schiffe versenken?" neckte er sie. Ihr Lächeln verbreiterte sich ein wenig.

"Guten Morgen, Mulder," kam ihre Erwiderung. "Heute pünktlich, wie ich sehe," ergänzte sie.

"Ja," entgegnete er. "Erstens wäre der Kaffee, den Du immer für mich bereithältst, kalt, wenn ich zu spät käme - obgleich ich diese Geste wirklich sehr schätze, Scully." Dies entlockte ihr ein kleines Lachen. Er vermutete, daß der Kaffee nur ein Trick war, den sie anwandte, um ihn pünktlich ins Büro zu bekommen.

Unbekümmert ihrer Reaktion, fuhr Mulder fort. "Und zweitens läßt Du mich schlecht aussehen vor all den anderen Mitarbeitern, wenn Du immer so verdammt früh da bist. Ich glaube, ich werde mich bessern müssen, sonst versetzen sie mich noch zur Bombenentschärfungsabteilung."

Scully ließ sich von seiner Neckerei anstecken. "Ja, und bei Deinem Glück, Mulder, würde es keine Woche dauern, bis ich einen Anruf bekäme, daß Du überall im gesamten Gebäude verteilt bist," tadelte sie ihn.

Mulders Blick wurde ernst. Die Erinnerung an Dallas war beiden noch frisch im Gedächtnis und was eben noch so lustig schien, war es im nächsten Augenblick nicht mehr. Mulder lehnte sich über seinen Schreibtisch, um Lauscher abzuhalten, und begann sanft zu sprechen. Scully lehnte sich in gleicher Weise herüber, um zuzuhören.

"Scully, Du weißt, ich würde Dich niemals so verlassen," flüsterte er ihr zu.

"Es gibt keine Garantien, Mulder," entgegnete sie dunkel.

Scully senkte ihren Blick auf die Schreibtischunterlage. Sie unterdrückte ein Schaudern, als sie sich vorstellte, daß diese verhängnisvolle Nachricht, die sie immer fürchtete, kommen würde. Mit Entsetzen erkannte sie, daß Mulder sterben könnte, ohne daß sie in der Lage gewesen war, ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn liebte und wie sehr sie in wollte...

Sie hielt ihre Tränen zurück, die heraus wollten. Beschämt fühlte sie, daß sie weinen wollte - hier - vor all den Leuten. Sie wußte nicht, was mit ihr los war. Ein Bild unter der durchsichtigen Folie der Schreibunterlage erregte ihre Aufmerksamkeit. Es war ein Foto von der Weihnachtsfeier des Büros, das jemand vor ein paar Monaten von ihnen gemacht hatte. Es war ihr Lieblingsfoto von ihnen beiden.

Sie beschloß, daß sie hier im Büro keine Schwäche zeigen würde, sie blinzelte ein paar Mal, bis die Tränen verschwanden. An ihrer Stelle blieb ein leeres Gefühl zurück. Sie fuhr zärtlich mit ihrem Finger über die Konturen des Fotos, bevor sie den Kopf hob und Mulder direkt ansah.

"Was ist los, Scully?" fragte er besorgt. Er stellte nur fest, daß irgend etwas an ihr nagte. Schließlich bemerkte er die dunklen Ringe unter ihren Augen, die gerötet waren und so aussahen, als würde sie gleich weinen.

Irgend etwas war nicht in Ordnung. Mulder wußte es immer - sie konnte es nie vor ihm verbergen, trotz ihrer "Mir geht es gut."-Dementis.

"Mir geht es gut, Mulder. Mach Dir keine Sorgen," sagte sie, nicht sehr überzeugend.

*Natürlich,* dachte Mulder verzweifelt bei sich. *Warum bin ich nicht überrascht?*

Mulder seufzte müde, er bedauerte die deprimierende Wendung, die der Tag

genommen hatte. Er stand von seinem Schreibtisch auf und nahm einen dicken Aktenordner in die Hand.

Zögernd sagte er "Es tut mir leid, Scully. Ich habe um 8.15 Uhr einen Termin mit Sektionschef Davis wegen des Gasattentats in der Metro." Scully blickte zu Mulder auf und sah das Bedauern in seinen Augen.

"Ich weiß, Mulder. Ich muß auch noch diese Pathologiesache aufarbeiten, die ich für die Forensische Abteilung beenden muß. Geh nur." entgegnete sie.  Sie versuchte, ihm das Herz zu erleichtern und schenkte ihm ein erzwungenes Lächeln.

Er ging zu ihr und legte seine warme Hand auf ihre Schulter. Er drückte sie ein bißchen und sie lehnte sich dankbar gegen ihn.

"Bist Du sicher, daß Du in Ordnung bist?" fragte er, nicht überzeugt. Sie nickte bestätigend. Er lehnte sich zu ihr herunter und flüsterte ihr ins Ohr.

"Treffen wir uns hier zur Lunchzeit, Scully. Ich werde Dich an einen schönen Ort bringen und wir können... reden. Nur reden. In Ordnung?" Er sah sie hoffnungsvoll an.

Nach einem kurzen Zögern antwortete sie ihm. "Wenn ich es rechtzeitig schaffe, in Ordnung," sagte sie. Um ihn zu beruhigen, griff sie nach seinem Arm und hielt ihn sanft. Sie streichelte mit ihrer Hand zart hin und her.

Offensichtlich befriedigt drückte Mulder noch einmal ihre Schulter und wandte sich dann zum Gehen. Sie sah ihm nach, wie er den Flur entlang ging, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte.

Mit einem tiefen Seufzer lenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Computer. Im Augenblick wurde sie durch die Mißtöne und die Betriebsamkeit um sie herum abgelenkt. In diesem Moment durchzuckte Scully der Gedanke, daß Mulder und sie festsaßen an einem Ort, gefangen in der Zeit, unfähig ihre Vergangenheit zu überwinden und ihre ungewisse Zukunft anzugehen, während um sie herum das Leben stattfand und an ihnen vorbeilief. Scully fühlte sich seltsam ausgeschlossen aus der realen Welt, durch die sie und ihr Partner Tag für Tag trieben.

Aber sie wußte auch, daß jegliche Vorstellung von einem normalen Leben ein unerreichbarer Traum war. Ihre Arbeit an den X-Akten hatte sie bereits vor langer Zeit dem normalen Leben entfremdet. Seitdem sie die Nachricht bekommen hatten, daß die X-Akten wieder geöffnet werden sollten, konnte Scully bereits ihre Anziehungskraft fühlen - das Leben, das sie kannte, bevor das Feuer ihre Arbeit zerstörte, rief sie wieder.

In einem Reflex hob Scully ihre Hand an ihren Nacken und rieb sich über die kleine Narbe, die ihre Rettung in sich barg - und einen Fluch. Der Ruf der X-Akten war quälend ähnlich dem des Chips in ihrem Nacken, der sie letzten Endes zu dieser dunklen Brücke in Pennsylvania brachte, vor so vielen Nächten.

Sie schüttelte ihren Kopf, um ihre trübseligen Gedanken loszuwerden, und beschloß, die pathologische Ausarbeitung auf ihrem Computerbildschirm fürs erste zu vergessen. Statt dessen sah sie sich noch einmal das Foto von letzten Weihnachtsfest an.

Normalerweise haßte Scully es, zu irgendwelchen Bürofeierlichkeiten zu gehen. Sie endeten immer deprimierend für sie, weil sie so wenig Gemeinsamkeiten mit den anderen FBI-Angestellten hatte. Während die anderen über aufgeklärte Banküberfälle und das Abholen ihrer Kinder von der Tagespflege sprachen, hatte Scully nur Geschichten über fettsaugende Mutanten und geklonte außerirdische Kreaturen einer konspirierenden Schattenregierung.

Unnötig zu sagen, daß sie nicht unbedingt der richtige Gesprächspartner für diese Dinge war.

Mulder ging es genauso. Er verabscheute Small Talk - genauso wie wenig Verstand - so daß er üblicherweise diese Parties mied wie die Pest.

Aber eine alte Freundin aus ihren Akademietagen, Clarice Starling, war unlängst ins Hauptquartier versetzt worden, nachdem sie einige Jahre für das Büro in Seattle gearbeitet hatte. Es war ihrer Hartnäckigkeit zuzuschreiben, daß Scully schließlich nachgab und einwilligte, im letzten Jahr die Weihnachtsfeier zu besuchen. Irgendwie konnte Scully Mulder überzeugen, sie zu begleiten. Sie lächelte, als sie daran dachte, wie sie es fertig gebracht hatte, Mulder dazu zu verleiten mitzukommen. Scully mußte all diesen langweiligen Papierkram, den sie beide so haßten, für zwei Monate übernehmen.

Sie meinte, immer noch die Krämpfe in ihrer Hand zu spüren von all den Reise-, Spesen- und Anforderungsanträgen, die sie in dieser Zeit ausfüllen mußte.

Nachdem sie bei der Feier angekommen waren, die in einem der größeren Konferenzräume im 2. Stock stattfand, hingen die beiden Agenten am Rande herum und betrachteten die Feiernden mit Unbehagen. Sie meinten, daß es ein großer Fehler gewesen war zu kommen und wollten gerade wieder gehen, als Clarice Starling sie entdeckte. Die stets liebenswürdige und kontaktfreudige Starling zog sie ins Getümmel. Sie drängte ihnen einen Drink auf und zwang sie, sich unter die Feiernden zu mischen und lockerer zu werden. Mit der Zeit hatte ihnen Starling den dritten Drink verpaßt und es begann, zu wirken.

In einer seltenen Offenbarung von Zuneigung - welche sie später als unerwünschten Nebeneffekt des Alkoholgenusses bezeichnen würde - entschloß sich Scully, einen Mistelzweig über Mulders Kopf zu halten. Im Zauber des Augenblicks fesselte sie ihn mit einem verspielten Knutschen. Agent Starling rief sie in diesem Moment und machte ihr Foto. Scullys Gesicht war in die Kamera gewandt. Mulders Blick war direkt auf das Gesicht seiner Partnerin gerichtet und seine vollen Lippen berührten ihren Mundwinkel, als fürchtete er, darüber hinauszugehen.

Scully erinnerte sich an diesen Moment. Es war ein Moment reinster Klarheit, als sie sich von ihm zurückzog und in seine blitzenden grün-braunen Augen starrte. Sie sah den besorgten Blick, den er ihr schenkte, als würde er denken, irgend etwas könnte er falsch gemacht haben.  Scully konnte aber auch den Hoffnungsschimmer darin sehen.

Sie sah Mulder an und sie konnte es nicht länger leugnen. Sie wußte, daß sie ihn wie keinen anderen liebte und sie wollte ihn... sie wollte ihn so sehr. In diesem Augenblick wollte sie nichts mehr, als ihn zu küssen. Sie wollte verzweifelt ihre totale Hingabe an Mulder gestehen. Die Vergangenheit und die Gegenwart waren nicht von Bedeutung. Die Zukunft, die sie mit Mulder wollte, lag vor ihr, wenn sie sich entschied, die Chance zu ergreifen. Die moralische Bedeutung, intim mit ihrem Partner zu werden, war ihre geringste Sorge. Nichts war von Bedeutung. Nur er.

Und so schnell, wie der Blitz in Agent Starlings Kamera verlosch, erkannte sie, daß sie tatsächlich keine Wahl in dieser Angelegenheit hatte. Mit einem stummen Stöhnen wußte sie, daß ihre Qualen erst vorüber sein würden, wenn sie Mulder gehörte - wie eine Frau einem Mann nur gehören konnte - irgendwie, irgendwann. Sie würde ihm gehören, egal was ihr Verstand ihr versuchte zu sagen. Weil ihr Herz nicht darauf hören würde.

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