World of X

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Fünf Jahre und eine Nacht

von Shalimar

Kapitel 1

Washington D.C.
4. Januar 1998

"Ich wollte Ihnen das persönlich geben, Sir."

Sie legte den Brief vorsichtig vor ihn auf den Schreibtisch. Ihre Hände zitterten jetzt kaum. Gut so.

"Agent Scully? Ich dachte, ich hätte Ihnen und Mulder vor Stunden gesagt, daß Sie nach Hause gehen und sich ausruhen sollen."

Skinner starrte auf ihre Hände und sie versteckte sie schnell hinter ihrem Rücken, so daß er sie nicht mehr sehen konnte. Er sah auf das Stück Papier, ohne es zu berühren.

"Was ist das?"

"Es ist ein Versetzungsgesuch, Sir."

Skinner lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete sie ruhig. Er rieb sich das Kinn.

"Machen Sie sich Vorwürfe wegen dem, was heute mit Linda Bowman geschehen ist?"

Sie sah ihm direkt in die Augen.

"Ja, Sir. Ich habe das Gefühl, daß ich meinen Partner mit meinem eigenen Handlungen in Gefahr gebracht habe."

"Welche Handlungen waren das, Agent Scully?"

"Daß ich selbst an dem Fall beteiligt war."

Er sah sie einen Moment lang an. "Weiß Agent Mulder davon?" Er deutete auf den Brief, den sie hingelegt hatte.

"Ja, Sir. Er verlangte um meine Versetzung."

"Was!?" Er beugte sich ruckartig nach vorn und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. "Kimberly! Holen Sie Agent Mulder her."

"NEIN!"

Skinner zog seine Augenbrauen hoch.

"Ich meine: nein, Sir. Er ist für heute gegangen."

"Rufen Sie ihn zu Hause an, Kimberly."

Er lehnte sich zurück und sah sie wieder unverwandt an.

"Agent Scully, in keiner Weise und zu keiner Zeit sah ich Sie Mulder, mich selbst oder irgend ein anderes Mitglied des Untersuchungsteams gefährden."

"Ich hatte Sie nicht darüber informiert, in welchem Ausmaß Modell in der Lage war, Agent Mulders Gehirn - beim letzten Mal - zu beeinflussen."

Skinner lehnte sich zurück, legte seine Finger aneinander und drückte die Fingerspitzen gegen seine Unterlippe.

"Ich verstehe."

"Linda Bowman war in der Lage, Agent Mulders... Drang, mich zu beschützen, zu manipulieren."

"Es ist nicht unnormal für Partner, sich gegenseitig zu beschützen."

"Nein, Sir. Aber in diesem Fall hätten Agent Mulder und ich nicht dabei sein dürfen."

"Scully, ich habe Robert Modells besondere Art der Überzeugungskraft aus erster Hand erlebt. Es ist schwer für mich zu glauben, daß Mulders Wissen um diese Fähigkeit etwas anderes bewirkt hat, als ihm zu helfen die Fakten in diesem Fall zu ermitteln - besser als es irgend jemand sonst gekonnt hätte."

Sie blickte auf ihre Hände.

"Ungeachtet dessen bleibe ich bei meinem Gesuch, Sir."

Die Gegensprechanlage summte. Skinner drückte auf den Knopf.

"Agent Mulder antwortet weder auf seinem Handy noch auf seinem Telefon zu Hause," erklang Kimberlys geisterhafte Stimme.

"Versuchen Sie es weiter," fauchte er.

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sie lange an.

"Agent Scully, wir wissen beide, was Sie mir einmal erzählt haben, um mir zu versichern, daß Agent Mulder und Sie mehr als nur eine normale Partnerschaft haben. Wenn diese Entscheidung das Ergebnis dessen ist..."

"Nein, Sir. Unsere Beziehung ist rein beruflich."

Plötzlich sah A. D. Skinner sehr müde aus. Er setzte seine Brille ab und rieb sich den Nasenrücken. "Es ist eine Untertreibung zu sagen, daß Sie in den letzten achtzehn Monaten eine Menge erlebt haben."

Sie nickte.

"Ich glaube, ich hätte es kommen sehen müssen. Es tut mir sehr leid, Sie zu verlieren. Sie sind eine meiner besten Agenten - wenn nicht die beste."

"Danke, Sir."

Er setzte seine Brille wieder auf, nahm den Brief und las ihn.

"Ich kann Sie von den X-Akten abziehen. Sie müssen D.C. nicht verlassen."

"Nein."

Er seufzte. "Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, wohin Sie versetzt werden möchten?"

"Ich würde mich deswegen gern wieder bei Ihnen melden. In der Zwischenzeit würde ich gern zwei Wochen frei nehmen - aus persönlichen Gründen."

Skinner stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Er hielt ihr seine Hand hin. Sie stand auf und nahm sie.

"Sind Sie sicher, daß es keine andere Lösung gibt, Scully?"

Sie konnte ihrer Stimme nicht trauen. Deshalb schüttelte sie lediglich den Kopf.

"Lassen Sie mich mit einigen Leuten sprechen, die ich kenne. Ich will sehen, was ich für Sie finden kann."

Sie nickte erneut und schluckte schwer.

Er drückte kurz ihre Hand, dann ließ er sie gehen.

Sie schaffte es bis zu ihrem Wagen, bevor sie in Tränen ausbrach.

zwei Stunden vorher...

Scully ließ sich in ihren Schreibtischsessel fallen und barg ihr Gesicht in ihren Händen.

Sie hätte ihre Waffe in dem Lagerhaus nicht auf ihn richten dürfen.

Es passierte so schnell, aber sie hätte vorbereitet sein müssen. Sie hätte einen Plan haben müssen. Sie hätten ein Codewort haben müssen. Einen geheimen Code.

Afghanistan, Bananastan, Mulder.

Ich bin's.

Irgend etwas besseres als ‚Der Name Deiner Mutter ist Teena!'

Gott.

Sie kannte tausend intimere Dinge von ihm als den Namen seiner Mutter oder den seiner Schwester.

Sie hätte stärker als Modell und Bowman und klüger sein müssen. Sie hätte gewinnen müssen. Zusammen hätten sie gewinnen müssen. Sie hätte in der Lage sein müssen, zu ihm durchzudringen.

Teile und herrsche. Sie hätte ihre Lektion lernen müssen in diesem Sumpf.

Was hatte sie vorgehabt, als sie ihre Waffe auf ihn gerichtet hatte? Ihn erschießen, um sich selbst zu retten? Richtig.

Wenn sie nur ihre Waffe heruntergenommen hätte... Dann hätte er ihr glauben können und sie hätte zu ihm durchdringen können. Sie hätte auf Linda Bowman schießen können. Und er würde sich nicht so beschissen fühlen - und sie müßte sich nicht so fühlen, als hätte sie ihn irgendwie belogen.

Sie stöhnte laut.

Was für ein Schlamassel.

Die Tür ihres Büros machte ein kleines Geräusch, als er sie aufstieß und sie hob ihren Kopf, gespannt zu hören, warum Skinner ihn zu sich gerufen hatte.

Er schüttelte seinen Kopf wage in ihre Richtung, ging zu seinem Schreibtisch und warf sich in seinen Sessel. Er ignorierte ihren fragenden Blick, nahm eine Akte von seinem Schreibtisch und begann sie genau zu studieren.

Beunruhigt wandte sie sich wieder den Papieren auf ihrem eigenen Schreibtisch zu.

Zehn Minuten später war sie immer noch nicht in der Lage gewesen, auch nur ein Wort des Berichtes vor ihr zu verarbeiten. Sie sah zu ihm herüber. Er war über seinem Schreibtisch zusammengesackt, die Schultern hochgezogen, sein Kopf in seinen Armen verborgen. Totale Verzweiflung stand in jeder Linie seines Körpers geschrieben

"Mulder?" fragte sie leise.

Sie war sich nicht sicher, ob er sie gehört hatte. Wenn ja, dann ignorierte er sie.

Sie sah zurück auf ihren Bericht und versuchte, ihn nicht anzusehen. Fünf Minuten später hob er seinen Kopf und rieb seine Stirn mit den Fingerspitzen. Dann sprang er auf seine Füße und begann, die Dinge auf seinem Schreibtisch hin und her zu schieben. Er drehte sich abrupt um und griff nach seinem Mantel. "Ich gehe nach Hause," sagte er. Er hatte sie noch nicht direkt angesehen.

"Ich auch, in einer Minute. Möchtest Du auf mich warten?"

Er sah sie von der Seite an.

"Äh... sicher." Er senkte den Blick und sah auf seine Füße. Er rieb sich wieder seinen Kopf.

"Kopfschmerzen?"

"Nein."

Sie sah ihn beunruhigt an. Die Verwirrung und die Nachwirkungen, die das Manipuliertwerden mit sich brachte, schienen stets ein bißchen gefährlich zu sein.

Sie stand auf und schob die Papiere in einen Hefter, dann steckte sie sie in ihre Aktentasche und sah ihn an. Er sah blaß aus. Sie wollte sicher gehen, daß er in Ordnung war.

Er nickte fragend in Richtung ihrer Aktentasche.

"Oh, äh... nur einige..." Sie hatte keine Ahnung, was sie da gerade eingepackt hatte. "...Papiere. Die ich brauche für das Wochenende," schloß sie, sie wußte, daß ihr rationaler Ton ihn täuschen würde. So war es immer.

Sie nahm ihren Schlüssel und ihren Mantel.

"Fertig."

Schweigend hielt er die Tür für sie auf.

"Fährst Du nach Hause, Mulder?"

Er zuckte mit den Schultern.

"Dann laß uns rausgehen, irgendwo zu Abend essen und uns betrinken."

Er lächelte nicht einmal.

Auf einmal drehte er sich um und versperrte ihr den Weg.

"Das funktioniert nicht," sagte er. Er sah ihr das erste Mal direkt in die Augen.

Sie sah zu ihm auf.

"Was?"

"Das." Sein Achselzucken schloß das gesamte Kellerbüro ein.

"Das? Was?"

"Wir."

Sie erstarrte.

"Wir...? Was meinst Du damit, Mulder?"

"Ich meine... Ich denke, wir sollten uns einige Zeit trennen."

Sie sah ihn mißtrauisch an. Er sah mißtrauisch zurück.

"Wieviel Zeit, Mulder?"

Er antwortete nicht.

"Ferien? Urlaub? Worüber redest Du hier?"

Sie zuckte zusammen, als er sich plötzlich vorwärts lehnte und sich ärgerlich vor ihr aufbaute.

"Was zur Hölle machst Du hier mit mir, Scully? Wie um alles in der Welt schaffst Du es, aus all dem rauszukommen?"

"Was!? Mulder, Du mußt wohl noch unter Schock stehen wegen heute. Du brauchst..."

"Hör auf, Scully. ‚Du brauchst, Du brauchst.' Oh, armer Mulder, ich werde ihn wieder bemuttern, ich werde seinen Kopf tätscheln und seinen Fehler richten und alles wieder gutmachen. Kannst Du aufhören, mich zu bemuttern. Du bist verdammt noch mal nicht meine Mutter, Scully. Nicht einmal annähernd."

Ihre Augen weiteten sich entsetzt.

"Und es macht mich krank und ich bin es leid, zu versuchen, Dich vor all dem zu beschützen, was Dir passiert, wenn Du mit mir zusammen bist. Ich kann Dich nicht einmal vor mir beschützen, Scully!"

Ihr Erstaunen wandelte sich in Bestürzung.

"Ich habe Dich niemals gebeten, mich vor irgend etwas zu beschützen, Mulder," sagte sie, ihr Kopf schwirrte in dem Versuch zu erfassen, was hinter seinen bitteren Worten steckte.

"Was erwartest Du von mir, daß ich tue? Mich zurücklehnen und zusehen, wie Dir eine lausige Sache nach der anderen passiert? Warum bist Du noch hier, Scully?"

"Hast Du jemals daran gedacht, daß ich vielleicht auch ein Interesse daran habe? Wegen der Dinge, die mir passiert sind?"

Er schlug mit einer Hand gegen den Türpfosten nahe über ihrem Kopf. Dann senkte er seinen Kopf und lehnte ihn - die Augen geschlossen - gegen seinen Arm. Schließlich hob er ihn wieder und sah sie an. Seine Augen blickten finster.

"Ich sah Dich heute sterben, Scully."

"Mulder..."

"Und dann habe ich beinahe selbst eine Kugel auf Dich abgefeuert."

Sie starrte ihn an und schüttelte stumm ihren Kopf.

"Ich will, daß das vorbei ist, Scully. Jetzt."

Gott.

Sie hob ihr Kinn und kniff ihre Augen zusammen. "Vorbei? Forderst Du formal, daß ich die X-Akten abgebe?"

Seine Augen... seine Augen brachen ihr das Herz. Der Ausdruck darin... halb verteidigend, halb erschrocken über das, was er tat.

"Agent Mulder?"

Sie erwartete, daß er ‚Nein, natürlich nicht' sagen und ihren Namen aussprechen mit diesem kleinen Stocken in der Stimme und sie vielleicht sogar umarmen würde.

"Ja," sagte er leise, der Ärger war plötzlich aus seiner Stimme verschwunden.

"Fein," sagte sie mit wütendem Unterton.

Er senkte den Blick. Ohne sie noch einmal anzusehen, ging er hinaus und schloß leise die Tür.

Sie stand da und starrte die Tür eine ganze Minute lang an.

Ihr Herz schlug, als wäre sie gerade die Treppen des FBI-Gebäudes herauf gelaufen. Was zur Hölle war eben passiert? Mulder hatte ihr ein Ultimatum gestellt und - der Himmel hilf ihnen beiden - sie hatte den Köder geschluckt.

Langsam ging sie zu ihrem Schreibtisch hinüber und öffnete ihre Aktentasche. Sie nahm die Papiere heraus, die sie einen Moment vorher eingepackt hatte und legte sie ordentlich auf ihren Schreibtisch. Das obere Papier war der Polizeibericht über Modell. Sie sah ihn gelassen an.

Sie drehte sich herum und ließ ihren Blick über ihrer beider Büro gleiten.

Sein Büro.

Ihre Fingerspitzen berührten leicht ihren Schreibtisch. Bis Montag würde er verschwunden sein und wenn sie es selbst machen mußte. 

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