World of X

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Herz aus Stein

von Sarah Boehmer

Kapitel 1

St. Marcy Hospital, Washington D.C.

05.50 Uhr

Sonntag



Die Türen der Notaufnahme sprangen auf und zwei Sanitäter schoben zügig ein Krankenbett durch den grell beleuchteten Gang. Auf der Liege lag eine junge Frau, deren rote Haare einen Kranz um ihr blasses Gesicht bildeten. Eine Wolldecke war über ihrem fast nackten Körper ausgebreitet und ihre geöffneten Augen starrten ausdruckslos zur Decke. An ihrer Seite hetzte ein junger Arzt, der – eifrig bemüht mit den Sanitätern Schritt zu halten - ein Krankenblatt durchblätterte. Dabei unterhielt er sich mit einem großen, dunkelhaarigen Mann, der die Hand der Patientin umfasst hatte und ihn besorgt musterte. „Mein Name ist Dr. Adams, ich bin für die Behandlung von Miss Scully zuständig.“ „Mein Name ist Fox Mulder, ich bin ihr Partner beim FBI!“ Der Arzt nickte. „Ich weiß, man hat mich informiert. Um eine gezielte Behandlung bei Miss Scully zu ermöglichen, benötige ich Ihre Hilfe, Mr Mulder.“ „Natürlich!“ „Ich hätte einige Fragen. Bitte versuchen Sie, so genaue Angaben wie möglich zu machen.“ „Ich werde mein bestes tun. Nichts ist mir wichtiger, als das Scully wieder gesund wird.“, erwiderte er mit einem ängstlichen Blick auf die Patientin. „Hat Ms. Scully während der ganzen Zeit jemals das Bewusstsein verloren?“ „Als ich sie gefunden habe, war sie ohnmächtig, aber sie kam wieder zu sich, als ich sie ansprach.“ Dr. Adams machte eine kurze Notiz und fuhr dann fort: „Können Sie mir ihren Zustand beschreiben, als Sie Ms. Scully fanden?“ „Ihr Puls war sehr schwach und ihr Körper war unterkühlt. Es hat geregnet und sie hat über einen längeren Zeitraum nicht mehr als ihre Unterwäsche getragen.“ „Hat Ms. Scully mit Ihnen gesprochen bzw. auf Regungen in ihrem Umfeld reagiert?“ Bei dieser Frage stockte Mulder kurz und entgegnete schließlich wahrheitsgemäß: „Nein, das hat sie nicht. Ihr Zustand war genau wie jetzt. Starrer Blick, absolute Teilnahmslosigkeit. Hat das etwas zu bedeuten?“ Mulders Stimme hatte einen besorgten Klang angenommen. „Das kann ich im Moment noch nicht sagen. Sie könnte eine Gehirnerschütterung haben. Wir müssen die Untersuchungsergebnisse abwarten. Können Sie mir sagen, was in den letzten Tagen geschehen ist? Hier steht etwas von einer Entführung.“ Dr. Adams wies mit einer Handbewegung auf das Krankenblatt und blickte Mulder fragend an „Ja, sie ist gestern Mittag entführt worden. Der Täter saß im Unfallwagen, als dieser explodiert ist.“ „Oh, nun gut, dann werden wir noch ein paar Extra - Untersuchungen machen, falls es für die Ermittlungen erforderlich ist.“ Mulder nickte. „Ja, wir brauchen ein ungefähres Bild der Geschehnisse.“ Mittlerweile hatten sie den Untersuchungsraum erreicht und der Arzt bat Mulder draußen zu warten. „Kann ich nicht mit hineinkommen?“ „Sie sind kein Verwandter der Patientin, deswegen muss ich Sie bitten hier zu bleiben. Aber ich werde Sie auf dem Laufenden halten.“ Damit verschwand Dr. Adams mit den Sanitätern und Scully im Arztzimmer. Seufzend sank Mulder auf einem der weißen Plastikstühle nieder und stützte seinen Kopf in die Hände. Er ließ die Ereignisse der letzten Stunden Revue passieren und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Die Entführung, die Ermittlungen, die Verfolgungsjagd und letztlich Scullys kalte Augen. Noch nie hatte er solche Augen gesehen. Sie hatten soviel Kälte und Gefühllosigkeit ausgestrahlt, dass ihm jetzt noch eine Gänsehaut über den Rücken lief. Sie stand unter Schock, beruhigte er sich. Es wird wieder gut... Dann dachte Mulder an ihre Kleider, die er im Wald entdeckt hatte und fragte sich, was Larry wohl mit ihr getan hatte. Ihr ganzer Körper war geschunden und blau gewesen, keine Frage das Resultat von schwerer Misshandlung. Einige der Wunden hatten bereits eine Kruste gehabt, weswegen es völlig unmöglich war, dass die Verletzungen vom Unfall herrührten. Nachdem Mulders Nerven sich wieder halbwegs beruhigt hatten und sein Herz normal schlug, beschloss er Maggie Scully anzurufen, um sie über die neusten Wendungen des Falls zu informieren. Wie vertraut war ihm dieser Anruf in den letzten Jahren doch geworden. Wie oft hatte er ihn schon getätigt? Wie viele Male war Scully seinetwegen schon in lebensgefährlichen Situationen gewesen? Er warf eine Münze in den Spalt der öffentliche Telefonnische und tippte Margareths Nummer ein. „Scully?!“, meldete sich eine müde Stimme am anderen Ende der Leitung. „Mrs. Scully, hier ist Fox Mulder, habe ich Sie geweckt?“ „Nein, Fox, das haben Sie nicht. Ich kann nicht schlafen, seit der Sache mit Dana. Gibt es etwas neues?“ Ihre Stimme klang hoffnungsvoll und Mulder freute sich fast, ihr diese Mitteilung zu machen: „Wir haben sie gefunden.“ „O Gott sei Dank. Wo ist sie?“ „Im St. Marcy Hospital in D.C.. Scully hatte einen Unfall und es werden noch einige Untersuchungen mit ihr gemacht.“ „Geht es ihr gut?“ „Sie war vorhin noch bei Bewusstsein. Die Ärzte vermuten eine Gehirnerschütterung.“ Ihre Schrammen verschwieg Mulder, ebenso wie die Tatsache, dass sie sie nur in Unterwäsche gefunden hatten. „Ich werde mich sofort auf den Weg machen.“ „In Ordnung. Ich warte hier.“ Damit hängte Mulder den Hörer ein und setzte sich wieder auf einen der Plastikstühle Nach einigen Minuten spürte er eine Hand sanft seine Schulter umfassen und als Mulder seinen Kopf hob, blickte er in die freundlichen Augen einer jungen Krankenschwester. „Sind Sie Mr. Mulder?“ „Ja, der bin ich.“ „Ich bin Schwester Mary und werde Sie bezüglich Ms. Scully auf dem Laufenden halten.“ Sie setzte sich neben ihm auf den Stuhl und strich ihm beruhigend über den Rücken. „Wir haben sie gerade geröntgt und können mit Sicherheit sagen, dass sie vom Unfall keine Organschäden davongetragen hat. Sie hatte wirklich großes Glück. Ihre äußeren Verletzungen werden mit der Zeit heilen.“ Mulder nickte leicht. „Die Wunden und Schrammen sind nicht vom Unfall, wissen Sie?!“ „Ja, ich weiß. Man hat mir gesagt, dass Ms. Scully entführt worden ist.“ „Der Dreckskerl hat sie misshandelt. Er hat sie geschlagen...Gott!“ Mulder verbarg sein Gesicht in den Händen, weil er nicht wollte, dass Schwester Mary seine Tränen sah. Doch sie bemerkte, wie sehr ihn das alles mitnahm und strich ihm sanft über den Arm. „Es wird wieder gut. Die Wunden werden heilen.“ „Kann ich zu ihr?“ „Im Augenblick noch nicht. Der Gynäkologe macht gerade ein paar Untersuchungen.“ „Der Gynäkologe? Was für Untersuchungen?“ Mulder sah erschrocken auf und blickte Schwester Mary fragend ins Gesicht. „Er macht einen Abstrich und einen Ultraschall.“ „Sie denken, Scully ist vergewaltigt worden?“ Obwohl er selbst schon tief in seinem Hinterkopf mit diesem Gedanken gespielt hatte und – hätte er es nicht krampfhaft verdrängt – sein Gefühl und seine Erfahrung ihn dies bereits hatten erahnen lassen, war er bei der direkten Konfrontation mit dieser Vermutung erschüttert und aufgewühlt. Schwester Mary war bereits mit solchen Fällen vertraut und wusste, dass Angehörige und Freunde des missbrauchten Opfers, meist genauso empfindlich und verstört reagierten wie die Vergewaltigte selbst und versuchte die Situation deswegen etwas zu entschärfen: „Es sind nur Standarduntersuchungen. Wir dürfen keine Möglichkeiten ausschließen, aber es hat noch nichts zu bedeuten.“ Mulder schüttelte ungläubig den Kopf und entgegnete mit belegter Stimme: „Doch das hat es. Und das wissen Sie. Scully wurde nur in Unterwäsche gefunden. Sie war total verstört. Ich bin FBI-Agent, ich habe schon mehrere Vergewaltigte gesehen und kenne die Anzeichen. Aber dieses Mal will ich es einfach nicht wahr haben. Es darf nicht passiert sein Nicht Scully!“ „Es tut mir leid!“, meinte die Schwester mitfühlend. Als Mulder keine Avancen machte, das Gespräch weiterzuführen, sondern nur gedankenverloren auf den sterilen, weißen Flurboden starrte, stand sie auf und entfernte sich langsam. Mary kannte solche Situationen nur zu gut, aber trotzdem bedrückte es sie immer wieder, wie viel Grausamkeit in den Menschen steckte und sie zu so etwas fähig machte! Aber man durfte sie deswegen nicht verurteilen, denn in den meisten Fällen waren diese Menschen krank, unzurechnungsfähig und vom Leben gezeichnet.

Mulder hatte gar nicht bemerkt, dass Sr. Mary gegangen war. Seine Gedanken waren so weit fort von diesem Platz... Immer wieder spielte er sämtliche Möglichkeiten durch, wie er Scully vor alldem hätte bewahren können. Doch es war nun einmal geschehen, unabänderlich. Selbst die stärksten Schuldgefühle konnten die Zeit nicht zurückdrehen und den Lauf der Dinge aufhalten. Das war das Leben, wie er es kannte. Hart! Grausam! Endgültig! Allerdings hatte es auch viele schöne Augenblicke gegeben, doch in solchen Situationen wie der jetzigen, konnte man sich nur schwer an diese erinnern.

Mulder schreckte aus seinen Gedanken hoch, als die Tür des Untersuchungsraumes geöffnet wurde und Dr. Adams mit einem weiteren Arzt und einer Krankenschwester heraustraten. Die beiden Doktoren waren in ein kleines Gespräch vertieft, das sie bei Mulders Anblick jedoch unterbrachen und sich mit aufmunterndem Lächeln an ihn wandten. „Mr. Mulder, das ist Dr. Burns, der Gynäkologe.“, stellte Dr. Adams seinen Nebenmann vor. „Er hat einige Untersuchungen an Ms. Scully durchgeführt, von deren Ergebnis er Ihnen gleich berichten wird. Glücklicherweise kann ich Ihnen mitteilen, dass wir anhand der Röntgenaufnahmen davon ausgehen können, dass Ms. Scully keine organischen Schäden davongetragen hat. Sie hatte großes Glück.“ „Ich weiß!“, erwiderte Mulder. „Eine Schwester hat es mir bereits mitgeteilt.“ Erwartungsvoll blickte er nun zu Mr. Burns, der wesentlich wichtigere Informationen bereithielt. Doch bevor dieser von seinen Ergebnissen berichten konnte, sprach Dr. Adams noch kurz weiter: „Ich habe hier die Untersuchungsergebnisse. Ich weiß nicht, in wie weit sie für ihre Akte relevant sind?!“ Unschlüssig hielt er eine braune Mappe in den Händen. Mulder sammelte sich einen Augenblick – er hatte Probleme seine Aufregung wegen dem, was er bald hören würde, zu kontrollieren – und antwortete dann: „Mein Vorgesetzter, Assistent Director Skinner, leitet die Ermittlungen Wenn Sie möchten, kann ich ihm alles geben.“ „Das wäre gut!“ Erleichtert den Papierkram endlich loszuwerden, drückte ihn Dr. Adams Mulder in die Hand und verabschiedete sich. „Entschuldigen Sie mich, aber es warten noch einige Patienten. Dr. Burns wird Sie über alles weitere informieren!“ Endlich..., schoss es Mulder durch den Kopf und als der Notarzt weg war, wandte er seine volle Aufmerksamkeit dem Gynäkologen zu. „Am besten Sie kommen mit in mein Büro, Mr. Mulder!“ Mulder kam der Aufforderung sofort nach und folgte dem Arzt den Flur hinunter. Dann betrat er hinter ihm ein kleines Zimmer. Es war spärlich eingerichtet, steril wie der Rest des Krankenhauses. Ein weißer Schreibtisch bildete den Mittelpunkt des Raumes, davor standen zwei Stühle und an der Wand ein Regal mit medizinischer Fachliteratur. Im großen und ganzen war das Büro unpersönlich. „Setzen Sie sich.“ Nachdem Mulder diesem Wunsch nachgekommen war, begann Dr. Burns nervös in dem vor ihm liegenden Krankenblatt zu blättern und meinte schließlich. „Aufgrund der Tatsache, dass Miss Scully einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, hat der zuständige Arzt Dr. Adams mich gebeten noch einige weitere Untersuchungen vorzunehmen. Es ist Standard das solche Patienten in erster Linie auf sexuellen Missbrauch untersucht werden. Der Abstrich, den wir an Ms. Scully gemacht haben, hat eindeutige Spuren von Sperma aufgewiesen, was auf eine Vergewaltigung schließen lässt.“ Mulders Miene versteinerte sich, als er die endgültige Bestätigung für die Schandtat erhielt. „Wenn es bei den Ermittlungen weiterhilft, können wir Ihnen eine Sperma-Probe aushändigen.“, bot Dr. Burns an, doch Mulder lehnte ab. „Das ist nicht nötig. Der Täter ist bei einer Explosion ums Leben gekommen und für die Akte reicht ein Bericht über die Funde Ihrerseits.“ „Gut. Außerdem konnte ich keine schwerwiegenden Verletzungen im Unterleib feststellen. Also um alles zusammenzufassen und Ihnen ein so genau wie mögliches Bild der Ereignisse der letzten Stunden zu geben: Die Wunden und Schrammen auf Miss Scullys Körper deuten auf schwere Misshandlungen hin, der Fund von Sperma auf sexuellen Missbrauch. Die körperlichen Schäden werden mit der Zeit heilen...“ Dr. Burns räusperte sich kurz. „...Für die psychischen Folgen, die das Verbrechen auf Miss Scully haben könnte, schlage ich eine psychologische Betreuung vor. Wir werden sie noch einige Tage zur Beobachtung hier behalten. Eine erstklassige Psychologin, die mit solchen Fällen bereits sehr vertraut ist, wird sich um Ms. Scully kümmern.“ Mulder nickte dankbar. „Mehr können wir im Augenblick nicht tun!“ Damit endete Dr. Burns seinen Vortrag und faltete seine Hände auf der Schreibtischplatte zusammen. Sein Blick war forschend auf Mulder gerichtet, welcher nicht recht wusste, was er nun sagen sollte. „Danke für Ihre Hilfe!“, fing er schließlich an. „Die Untersuchungsergebnisse haben die letzten Puzzleteile unseres Falls zusammengefügt und es ermöglicht, alles ungefähr zu rekonstruieren. Sie haben dem FBI einen großen Dienst erwiesen.“ Dies war eine höfliche, unverbindliche Antwort, die so gar nicht zu dem inneren Gefühlssturm des Agenten passte. Am liebsten hätte er geschrieen, irgendwen zusammengeschlagen, aber stattdessen saß er ganz ruhig da und nur der lodernde Blick seiner Augen, ließ seine Wut erahnen. „Hat Ms. Scully noch irgendwelche Angehörige?“ „Ihre Mutter ist bereits unterwegs.“ „Gut.“ Dr. Burns räusperte sich kurz. „Soll ich mit Mrs Scully reden oder wollen Sie das übernehmen?“ Wollte er das übernehmen? Konnte er ihr in die Augen sehen und sagen, dass Dana vergewaltigt worden war? Nach allem, was diese arme Frau schon hatte durchmachen müssen? Aber es war besser, sie erfuhr es von ihm als von einem fremden Arzt, also nickte er kurz und erwiderte: „Ich werde Mrs. Scully von den Geschehnissen unterrichten.“ „In Ordnung! Dann gäbe es nichts weiter zu besprechen. Sie können Miss Scully sehen, sie liegt auf Zimmer Nr. 283, wenn Sie möchten wird Sr. Mary es Ihnen zeigen!“ „Nicht nötig, ich werde es schon finden, aber danke!“ „Falls Sie Fragen haben, wenden Sie sich an Dr. Bennet, die Psychologin.“ Dr. Burns erhob sich und Mulder folgte seinem Beispiel. Nach einem kurzen Händedruck, geleitete der Arzt den Agenten aus dem Büro.

Auf dem Flur lehnte Mulder sich an die kalte, weiße Wand und schloss die Augen. Immer und immer wieder spielten sich die Ereignisse der letzten Tage in seinen Gedanken ab, sobald er die Augen schloss, sah er alles vor sich. Verzweifelt schlug er die Augen wieder auf und griff sich mit beiden Händen wütend in die Haare. Sein Körper krümmte sich langsam zusammen, bis Mulder schließlich in der Hocke gegen die Wand lehnte. Er schüttelte den Kopf und schlug dann plötzlich wutentbrannt mit der Faust gegen die weiße Wand.
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