World of X

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Black and White make Red

von Jenna Tooms

Kapitel 1

Mulders Geist ist vor kurzem überall erschienen. Doggett fuhr zur Arbeit und plötzlich saß Mulders Geist neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er rasierte sich und plötzlich stand Mulders Geist neben ihm am Waschbecken. Er las im Büro und plötzlich saß Mulders Geist am anderen Schreibtisch.



Zuerst war sich Doggett nicht sicher, einen Geist zu sehen. Das erste Mal, im Büro, hatte er immer noch die Hoffnung, sie würden Mulder lebend finden. Die Vision, so hoffte er, war nur das Resultat der unheimlichen Untersuchungen an diesem Wochenende. Übermüdet, dachte er. Überarbeitet, überbesorgt.



Aber nachdem sie den Körper gefunden und Mulder beerdigt hatten, musste Doggett ehrlich sein: Er sah Mulders Geist. Ein Geist, der genauso aussah, wie ein gelblicher Zeitungsausschnitt von Mulder, den Scully an eine Ecke des schwarzen Brettes gepinnt hatte, aber Doggett hielt das für einen Zufall.



Doggett wollte nicht wissen, ob er der einzige war, der Visionen von Mulder hatte: Es war nicht gerade das, was er Scully oder Skinner fragen hätte können. Besonders Scully. Oh, er konnte sich schon fast *diese* Unterhaltung vorstellen: "Ich sehe Ihren toten Partner, überall wohin ich gehe. Übrigens, ich bin selbst gestorben, aber jetzt geht’s mir besser."



Einige Dinge sollten lieber unausgesprochen bleiben.



Wie auch immer, die Lösung schien einfach. Er ignorierte die Visionen von Mulder und schließlich verschwand Mulders Geist.



Doch er kam immer zurück. Immer.



Nach einigen Wochen langweilte es Doggett. Es ist schwer, still neben einem ständigen Begleiter zu sitzen. Und falls ich verrückt bin, dachte er, bin ich verrückt.



Eines Nachts, als er in seinem Haus las, erschien Mulders Geist am anderen Ende des Sofas. Doggett sah ihn an, las einige Seiten weiter, dann klappte er sein Buch zu. Er sagte: "Also, was genau ist es, was Sie wollen?"



Mulders Geist schien überrascht. Vielleicht hatte er gedacht, es würde für Doggett länger dauern ihn anzuerkennen.



Mulders Geist lächelte und streckte seine Hand aus, um Doggetts Handrücken zu berühren. Doggett erwartete nichts zu spüren, aber stattdessen fühlte er das:



*Sie steht vor ihm in einer regnerischen Nacht, ihr Bademantel fiel herunter, um ihm die Stiche auf ihrem Rücken zu zeigen, die sie so erschreckten. Ein Teil von ihm kämpfte verzweifelt darum, nicht erregt zu sein, von dem Anblick seiner neuen Partnerin in ihrer Unterwäsche. Ein anderer Teil füllt ihn mit einer beschützenden Sanftheit. Und als er ihr sagt, es seien nur Moskito-Bisse und sie sich in seine Arme wirft, weiß er, dass nichts an dieser Frau einfach sein wird.*



*Er war frustriert wegen ihrer Störung gewesen und bereit, dieses vor Schlauheit strotzende Kind, das sie ihm geschickt hatten, zu verscheuchen, samt ihrer Einstein-These und den einwandfreien Empfehlungsschreiben. Warte, bis sie einen Blick auf Spooky Mulder in all seiner Herrlichkeit geworfen hat.*



*Aber er kann dieses dünne, kleine Ding nicht verscheuchen, in ihren vernünftigen Schuhen und dem "von-der-Stange"-Anzug. Ihr Händeschütteln ist fest, ihr Lächeln natürlich. Sie meint es so, als sie sagt: "Ich freue mich darauf, mit Ihnen zu arbeiten", und er weiß, sie meint es so, er weiß, da gibt es keinen unehrlichen Knochen in ihrem hübschen, kleinen Körper.*



*Er wollte sie nicht mögen, aber er tat es fast beim ersten Treffen – sie ist so niedlich und entschlossen – und so clever, so clever. Er wollte ihr nicht trauen, aber mit der Zeit lernte er es.*



"Sie braucht Zeit – Sie benötigen auch Zeit – aber Sie werden sehen, Doggett. Ich möchte, dass sie das verstehen."



Die Vision ließ Doggett atemlos zurück. Ja, ja, er konnte es verstehen.



*******



Einige Tage später geschah es wieder. Doggett war alleine im Büro und Mulders Geist erschien, an ihrem Schreibtisch lehnend. Er lächelte Doggett an und Doggett lächelte zurück.



"Zeigen Sie mir mehr", sagte er gespannt.



*Sie stirbt. Sie ist so mutig, so stark, so gläubig. Sie ist wie eine tragische Heldin.*



*Er geht eines Nachts in ihr Zimmer, kniet sich neben sie. Er vergräbt seinen Mund in ihr Bettzeug und schreit lautlos, schreit seinen Kummer hinaus, dem er nie erlaubt sich ihr zu zeigen.*



*Und es ist kein Tag später, als sie seine Hand nimmt und sagt, dass der Tumor sich zurückgebildet hat. Sie drückt lächelnd seine Hände. Ich werde wieder gesund, Mulder.*



"Mehr. Erzählen Sie mir mehr."



*Er muss sie von diesem schrecklich, eisigen Ort fortbringen. Er hat Angst, aber er kann sie nicht sterben lassen. Nicht nach all dem, was sie bereits durchgemacht hat. Er muss sie schützen und nach Hause bringen, er muss sie geschützt halten.*



*Er hat danach monatelang Alpträume davon, dass das Eis nicht bricht, dass der Impfstoff nicht wirkt, dass alles eine Lüge war – aber sie würgt und spuckt und das ganze klebrige Zeug kommt aus ihrem Mund. Sie flüstert, sie haucht dieses dünne, kleine Wort, sie sagt: "Kalt." und alles, was er tun will, ist, sie zu wärmen.*



"Mehr. Ich will mehr wissen."



*Er erwacht, als sie neben ihm ins Bett schlüpft, warmes, nacktes Fleisch gegen seine Seite presst.*



"Whoa! Whoa! Whoa!", rief Doggett, seine Hände hoch haltend und aufstehend. "Nein. Das nicht. Das geht mich nichts an."



Als er dort zurücksah, wo Mulder gesessen hat, war der Geist verschwunden.



Doggett stieß einen tiefen Atemzug aus. Er besaß einige Pornovideos, er verbarg einige Nacktmagazine, aber wenn es zu Leuten kam, die er kannte – und zwar gut - dann wollte er nichts davon wissen.



*******



Wochenlang gab es für Doggett jede Nacht, wenn er zu Bett ging, einen Traum, der auf ihn wartete. Jedes Mal, wenn er alleine war, kam eine andere Vision. Sogar wenn er eindöste, kaputt von der harten Arbeit, hatte Mulder eine weitere Geschichte für ihn.



Mulder zeigte ihm Fälle und Unterhaltungen, um Doggett eine Partnerschaft zu schildern, die hingebungsvoll und erfüllend war, und eine Frau, die intelligent und zärtlich war. Wieder und wieder fragte er Doggett: "Sehen Sie es, Doggett, warum sie der Mittelpunkt des Universums ist? Sie ist eine Frau, für die ich gemordet habe, für die ich sterben würde - für die ich starb - sehen Sie warum? Sagen Sie mir, an was Sie es sehen."



"Ich sehe es", antwortete Doggett, "aber ich verstehe es nicht. Warum sagen Sie mir das? Was wollen Sie von mir?"



Aber Mulders Geist würde nur auf die Art reagieren, Doggett mehr zu zeigen.



Tag für Tag wurde es schwerer mit Agent Scully zusammen zu sein. Nicht, dass ihre Anwesenheit schwer zu ertragen wäre, aber wie sagt man jemanden, der einen nicht immer gemocht hat, dass man dessen meist geschätzten und intimste Augenblicke kennt? Sie würde sprechen und er würde versuchen, es zu verundeutlichen: "Oh, wie das eine Mal, als Sie und Mulder..." Aber er hielt sich zurück. Zu erklären, woher er dieses Dinge wusste, lag außerhalb des Möglichen. Sogar wenn sie sich ihm mehr anvertraute, sogar wenn sie manchmal kurz seine Hand hielt, wusste er, dass sie ihm niemals glauben würde.



*******



Die Träume und Visionen machten es schwer zu schlafen. Manchmal nickte er an seinem Schreibtisch ein - oder schlimmer, im Auto - und er musste sich wieder wach rütteln.



"Geht es Ihnen gut?", fragte Scully ihn, als sie ihn aus einem weiteren Traum aufweckte. "Fühlen Sie sich krank?"



Sie berührte eine Seite seines Gesichts. Es bedurfte seiner ganzen Willenskraft, ihre Hand nicht wegzureißen. Und auch nicht, sein Gesicht in ihre Hand zu pressen und sich durch ihr kühles, weiches Fleisch beruhigen zu lassen.



"Ich bin okay", antwortete er, sein Gesicht wegdrehend. Sie blickte verletzt und ließ ihre Hand fallen.



*******



Unruhig fuhr Doggett Fahrrad, bis seine Knie schmerzten, aber es half nichts. Er kam nach Hause und schmiss sich auf’s Sofa. Er öffnete nicht einmal die Augen, um zu wissen, dass er nicht alleine war. "Nein", meinte er, "Nicht mehr. Ich kann das nicht mehr ertragen. Sie liebten sie. Okay. Ich hab’s kapiert. Ich sehe nicht, was es mir bringt, das zu wissen."



"Es ist mir wichtig, dass Sie etwas für mich tun. Sie müssen verstehen, warum es wichtig ist."



"Aber ich *sehe* es! Ich sehe es! Ich weiß!" Er setzte sich auf dem Sofa auf, Mulders Geist wütend anstarrend. "Sie haben eine Liebe, die Tod und Zeit überwindet und dieses magische Mumbo-Jumbo. Das haben Sie klar ausgedrückt. Aber warum sagen Sie das *mir*?"



Mulder wartete geduldig, sein Gesichtsausdruck mild.



"Ich weiß, sie ist etwas besonderes. Ich weiß, sie ist ein Unikat in der gesamten Welt. Ich weiß es seit dem Augenblick, als ich sie traf. Sie müssen mir nicht ihre Lebensgeschichte schildern, um es mir zu zeigen."



Der Geist blickte zweifelnd.



"Also? Warum? Geht es um das Baby? Ich weiß Bescheid, über das Baby. Und glauben Sie mir, ich tue alles, worum sie mich gebeten hat, um auf das Baby oder auf sie Acht zu geben."



"Was, wenn sie nicht gefragt hätte, Doggett?"



Doggett wusste nichts zu antworten.



"Was, wenn sie nicht gefragt hätte? Nicht fragen konnte, Angst hatte zu fragen? Was, wenn sie Sie gebraucht hätte und niemals eine Wort gesagt hätte?"



Doggett schluckte: "Sie braucht mich nicht. Sie hat ihre Mutter, Skinner, die Einsamen Schützen – sie würden das tun, was Sie getan haben. Sie würden ihr Leben für sie geben."



"Das ist nicht das, was ich gemeint habe."



"Dann, was haben Sie denn gemeint?"



"Ich möchte, dass Sie sie glücklich machen."



"Kommen Sie, Mulder", sagte Doggett, es kaum glaubend. Es überhaupt nicht glaubend.



"Ich will, dass Sie mein Kind beschützen. Ich will, dass Sie Scully schützen. Ich will, dass Sie der Vater sind, den mein Baby braucht; und der ich nicht sein kann." Er lächelte Doggett freundlich an. "Sie hat es vor kurzem gedacht, Sie wissen es. Sie bestraft sich deswegen – Sie müssen ihr helfen, damit aufzuhören. Sie denkt, sie könnte glücklich mit Ihnen werden."



"Nein, Mulder."



"Und Sie wissen, dass es wahr ist."



"Nein", sagte Doggett wieder und presste die Handballen seiner Hände gegen seine Augen. "Nein. Nein. Nein. Nein. Gehen Sie weg, Mulder. Spuken Sie bei jemand anderem. Gehen Sie."



"Niemand sonst in ihrem Leben würde sie so lieben. Sie sind meine Freunde und ich liebe sie, aber ich kenne sie auch. Sie sind gute Männer. Sie sind der beste Mann. Sie werden der Liebhaber, der Freund, der Vater sein. Sie waren zuvor ein guter Vater."



"Oh Gott."



"Wollen Sie wissen, wie es ist von Dana Scully geliebt zu werden?"



"Oh Gott –", stöhnte Doggett, sich duckend, aber unfähig, nicht das zu sehen, was Mulder ihm zeigte.



*Sie ist diese Nacht wunderschön - sie hatte eine Erleuchtung gehabt, dass die Entscheidungen, die man trifft einen dorthin führen, wo man ist - sie sagt, mein Weg führt zu dir, all meine Wege führen zu dir. Sie ist wie eine Göttin in ihrer Nacktheit*



*Wie eine Göttin: rein, wie eine Statue, warm, wie ein Kaminfeuer, weich, wie eine Babykatze, fruchtig, wie ein Pfirsich....*



"Nein, bitte. Ich will das nicht wissen."



*Sie hält Sie in ihren Armen und sagt Ihnen, wie sehr sie Sie liebt. Sie sagt: "Ich liebe dich, Mulder-."



Mulder war lange Zeit still. Doggett wagte schließlich seine Hände von seinen Augen zu nehmen und sah Mulder an, der sein geisterhaftes Gesicht in seine Phantomhände vergraben hatte.



"Es tut mir leid", sagte Doggett leise. "Ich bin sicher, Sie vermissen sie. Aber wenn Sie wollen, dass sie glücklich ist, gibt es nichts, was ich tun kann."



Der Geist sah Doggett an und irgendetwas – Doggett war sich nicht sicher, was – blitzte vor seinen Augen oder seiner Hand oder vielleicht von der Luft um ihn herum. Es umgab Doggett, hüllte ihn ein in einen Wirbel von Emotionen und Wahrnehmungen, den leeren Ort in ihm füllend. Er hörte Wortfetzen, sah rasende, sich bewegende Bilder, fühlte Hände auf seiner Haut. Doggett wurde auf seinen Rücken geworfen, wo er für einige Zeit lag und versuchte, zu Atem zu kommen.



Als er sich wieder aufsetzen konnte, war Mulders Geist verschwunden. In ihm war ein Verlangen, stärker als Hunger oder Durst, ein Wunsch nach etwas – jemandem – ihre Gegenwart, ihr Duft, dem Klang ihrer Stimme -



"Scully", flüsterte Doggett. Er ergriff seine Jacke und eilte aus der Tür.
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