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The X-Files: Virtual Season 10

von Kinona, meiko

Kapitel 17: Mrs Winters erzählt

The X-Files: Virtual Season 10

10.18 - Mrs Winters erzählt

Written by meiko
Artwork by GabiS



Oregon, 25.05.2043

Clarissa Burns schulterte ihre Umhängetasche und trat blinzelnd auf die Straße. Der Regen der letzten Tage hatte die Luft sauber gewaschen. Die satten Farben des Frühlings traten umso kräftiger zutage, nachdem sie in den vergangenen Wochen durch das schlechte Wetter ein kümmerliches Dasein fristen mussten.

Clarissa liebte ihren Beruf. Nach ihrem Schulabschluss hatte sie einige Zeit etwas passendes für sich gesucht, doch nichts davon befriedigte sie wirklich. Eher durch Zufall hatte sie schließlich eine Arbeit gefunden, bei der sie nach Dienstschluss glücklich nach hause gehen konnte.

Sie lächelte. Wirtschaftshilfe - oder Putzteufel, wie ihre verstimmten Eltern abfällig bemerkt hatten - war genau die Art von Tätigkeit, bei der sie das Gefühl hatte, andere Menschen zufrieden zu machen. Irgendwann hatten sich auch ihre Eltern mit der Vorstellung abgeben müssen, dass die geliebte Tochter nicht - wie erwartet - studieren würde, sondern ihren Weg auf ihre eigene Weise gehen würde.

Sie kramte den Schlüssel aus ihrer Tasche, öffnete und betrat die Wohnung von Mrs. Winters.

Eine ältere Frau kam ihr im Flur entgegen und begrüßte sie herzlich: "Clarissa! Das ist aber nett, dass du heute wieder vorbei schaust."
"Guten Morgen, Mrs. Winters", schmunzelte Clarissa. "Natürlich komme ich vorbei - so wie jeden Tag."
Die alte Dame winkte ab. "Ja, sicher. Weil es Ihre Aufgabe ist, mich zu besuchen. Ich frage mich aber manchmal..." Mrs. Winters' Augen wanderten listig über Clarissas Gestalt. "Würden Sie auch kommen, wenn Sie kein Geld dafür kriegen würden?"
Die junge Frau gab den Blick ebenso spitzbübisch zurück. "Warum sollte ich das tun, wenn es doch Leute gibt, die mich dafür bezahlen!?"
Mrs. Winters nickte zufrieden und boxte ihr sachte an den Arm. "Nun komm schon rein, Mädchen. Mach deine Arbeit und nachher setzen wir uns noch ein bisschen hin und plaudern gemütlich."

Nicht zum ersten mal fragte sich Clarissa, wer dafür gesorgt hatte, dass Mrs. Winters regelmäßig Hilfe bekam. Nötig hatte sie es ganz gewiss noch nicht. Sie musste zwar schon ziemlich alt sein, aber sie war eine von den Leuten, deren genaues Alter man unmöglich schätzen kann; Menschen, bei denen man nicht sagen kann, ob sie nun 60 oder 90 Jahre alt sind. Während sie die Einkaufstasche auspackte, überlegt sie, wie die Winters es schaffte, so frisch auszusehen. 'Wenn ich mal alt bin', dachte sie, 'will ich auch mal so rüstig sein.'

Die Zeit eilte zügig voran, während sie den Haushalt erledigte und nebenbei munter mit der alten Dame schwatzte. - Clarissa sah auf die Uhr. Erstaunlich. Noch nicht einmal die Hälfte der Zeit, die sie veranschlagt hatte, war vergangen.

Mrs. Winters war Clarissas Bewegung nicht entgangen. "Ihr jungen Leute habt heutzutage eine Geschwindigkeit..." Sie schüttelte den Kopf. "Zu meiner Zeit gab es das nicht. Da ließ man die lästigen Pflichten gerne etwas warten. Ich habe in meiner Jugend oft nach dem Prinzip gelebt: Erst das Vergnügen, dann die Arbeit!"
Clarissa hob die Augenbrauen.
"Aber die guten alten Zeiten sind wohl vorbei...", seufzte Mrs. Winters und lud ihre Wirtschafterin mit einer Geste ein, sich auf das alte Sofa zu setzen.

"Gute alte Zeiten?", fragte Clarissa erstaunt. "Ich weiß nicht... nach allem, was Sie mir erzählt haben... Die Zeit der Jahrtausendwende muss doch ziemlich bewegt gewesen sein!"
Mrs. Winters lächelte und trank vorsichtig einen Schluck Kaffee. "Ich wollte Sie nur auf den Arm nehmen, Kind."
Die junge Frau grinste und lehnte sich entspannt zurück. Die Winters hatte eine Art an sich, die sie nicht so recht einordnen konnte. Und trotzdem genoss sie die Stunden, die sie hier verbringen durfte. "Ja, das hätte ich ahnen sollen. Sie waren ja in den alten Tagen dabei, bevor das neue Zeitalter für die Menschheit anbrach. Die große Invasion, die verzweifelten Kämpfe der Menschen, die Supersoldaten... "
"...die unglaubliche Ignoranz und Hilflosigkeit unserer Regierungen gegen die außerirdischen Invasoren, die Konzentrationslager... das Sterben, das maßlose, endlose Sterben..." ergänzte Mrs. Winters und wurde nachdenklich.
"Ja, und schließlich der große Sieg!", rief Clarissa, um ihre Gastgeberin wieder aufzumuntern.
"Sieg...", murmelte die alte Frau. "Nicht für jeden von uns hatte dieses Wort damals den gleichen feierlichen Klang, der es jetzt erfüllt..."

Clarissa Burns schenkte Kaffee nach und nickte. Sie hatten gemeinsam gelitten, als Mrs. Winters Nachmittag für Nachmittag in ihren Erinnerungen gegraben hatte und sie wusste, wie die Worte gemeint waren. "Können Sie mir noch mehr Geschichten erzählen?", fragte sie dann neugierig.
"Geschichten? Aber Kind, du kennst doch schon all meine Geschichten."
"Gibt es denn gar keine, die Sie noch nicht erzählt haben?"

Eine Pause entstand und die alte Frau sah aus dem Fenster. Atmosphärengleiter zogen in der Ferne über den Himmel. Wenn man genau hinhörte, konnte man sogar aus dieser Entfernung noch das Summen der Antriebsmotoren hören.

Dann straffte Mrs. Winters die Schultern und wandte sich wieder an Clarissa. "Doch, eine Geschichte gibt es vielleicht noch... Eine Geschichte über Schmerz und Verlust. Du wirst sie nicht mögen!"
Clarissa schüttelte gespannt den Kopf. "Ach bitte, ich bin zu neugierig! Jetzt haben Sie damit angefangen und dürfen nicht eher aufhören, als bis ich alles weiß!"
"Na schön, wenn du meinst... Aber ich habe dich gewarnt!" Sie schloss für einen Moment die Augen um sich zu sammeln. "Eine Frau hat sie mir vor langer Zeit erzählt. Sie verschwand irgendwann aus meinem Leben und ich konnte nie nachprüfen, ob sie mir die Wahrheit gesagt hatte oder nicht... Also, hör zu!"



Damals...
Morgantown, West Virginia
Weather Branch

Shannon McMahon hielt unwillkürlich den Atem an, als die Türen aufschwangen und die Mitglieder der Versammlung den Raum betraten. Als sie bemerkte, dass sie schon wieder eine dieser menschlichen Angewohnheiten kopierte, verzog sie den Mund zu einer Grimasse.

Aber nur für einen Augenblick, dann riss Shannon sich zusammen. Die Situation war zu ernst! Still kauerte sie sich hinter das Gitter des Lüftungsschachts und beobachtete.

Da! Da war sie! Obwohl es für Shannon schon mehr als nur eine Ahnung gewesen war, die sie hierher geführt hatte, zuckte sie bei dem Anblick der zierlichen Blondine doch zusammen. Lisa!

Lisa Tanner steuerte zielstrebig auf einen freien Stuhl zu und ihr ganzes Benehmen schien so vertraut mit ihrer Umgebung, dass Shannon alle Hoffnung fahren ließ. Bis jetzt hatte sie sich immer noch einreden wollen, dass alles nur ein Missverständnis war, eine üble Verwechslung... Doch wie sie Lisa nun selbstbewusst zwischen den grauen Eminenzen und Wissenschaftlern der Schattenregierung sitzen sah, konnte sie sich nicht länger selbst belügen. Shannon dröhnte der Schädel und sie rieb sich die Stirn. - Dann begann die Versammlung.

"Meine Damen und Herren", ergriff der Senator das Wort. "Ich bin froh, dass Sie alle kommen konnten um diesen historischen Moment nicht zu verpassen. Zur Einstimmung möchte ich das Wort an Dr. Peterson übergeben, der Sie über den aktuellen Stand des Projektes aufklären wird."

Dr. Peterson, ein Mittfünfziger mit graumeliertem Spitzbart erhob sich und enthüllte eine Landkarte an der Stirnseite des Raumes.
"Vielen Dank, Sir. Sie sehen hier die Karte des Staates North Carolina. Wie Sie wissen, bildet North Carolina Phase 2 unseres Nanitenprogramms. Es hat viel Mühe gekostet, aber unsere Anstrengungen waren schließlich erfolgreich." Er machte eine Kunstpause um die Spannung zu erhöhen. "Alle vorgesehenen Haushalte des Staates sind mit unseren Naniten versorgt worden. Es ist nun alles vorbereitet, damit die Nanoroboter in ihren Wirtskörpern aktiviert werden können."

Die Zuhörer applaudierten und Peterson lächelte zufrieden.
"Danke sehr!", warf der Senator ein. "Dieser Applaus gilt all unseren Mitarbeitern, denn wir alle wissen, was auf dem Spiel steht: Das Überleben der Erde! - Gibt es an dieser Stelle Fragen oder Einwände?" Er sah suchend in die Runde. "Ja? Bitte, Mr. Strughold."

'Politiker!', dachte Strughold verächtlich. Als er sprach, gab er sich keine Mühe, seine Geringschätzung vor der Versammlung zu verbergen: "Habe ich Ihre Worte richtig verstanden, dass Sie die Naniten per Fernsteuerung aktivieren wollen?" Als der Senator zustimmend nickte, fuhr er mit schneidender Stimme fort: "Ihr Tempo erstaunt mich wirklich! Dürfen wir erfahren, wie hoch Sie die Chance eines kompletten Fehlschlags kalkulieren?"

Matheson schüttelte den Kopf. "Ein Fehlschlag ist nicht eingeplant. Ich kann Ihnen versichern, dass das Programm fehlerfrei laufen wird! Alle Wirtskörper werden in den nächsten Wochen durch die Nanotechnik in ihrem Blutkreislauf eine Metamorphose durchlaufen, an deren Ende sie in sogenannte Supersoldaten umgewandelt werden. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass dies - nicht nur meiner Meinung nach - unsere einzige Chance auf einen Sieg über die außerirdischen Invasoren ist! Wie hoch die Verluste auch sein mögen: Die Objekte, die diese Metamorphose überstehen, wiegen alle Ausfälle auf."

"Gut, dass Sie das ansprechen", bemerkte Strughold. "Wie wir gehört haben, gab es bereits beim ersten Testlauf der Technik einen prominenten Totalausfall: Walter Skinner vom FBI!" Der Senator zuckte lächelnd mit den Schultern, doch Strughold ließ sich nicht beirren. "Es kann doch daher unmöglich Ihre Absicht sein, volle einhundert Prozent der Wirtspersonen zu aktivieren!" Er sah sich um und entdeckte Zustimmung in den Gesichtern seiner Genossen.

Richard Matheson seufzte schwer und schob seinen Schreibblock zurecht. "Warum nicht, Strughold?"
"Damit wir im Falle eines Fehlschlages nicht einhundert Prozent Verluste hinnehmen müssen. In diesem Fall wäre das Projekt gescheitert und wir müssten noch einmal von vorn beginnen."
Matheson rollte den Bleistift zwischen seinen Händen und blickte Strughold düster an. 'Der Mann hat verdammt recht, und das weiß er', überlegte er. 'Und mit ihm wissen es alle Anwesenden!' "Gut. Ich freue mich, dass das, was ich über Ihre Findigkeit gehört habe, noch immer zutrifft. Natürlich habe ich mit Ihrem Einwand gerechnet!" Er erhob sich. "Bitte folgen Sie mir. Wir beginnen mit der Aktivierung der ersten fünfzig Prozent in zwanzig Minuten!" Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ er steif den Besprechungsraum. Die Anwesenden folgten ihm eilig.

'Jetzt oder nie!', dachte Shannon. Als Lisa Tanner unter ihrem Versteck vorüberging, beeilte sie sich, den Lüftungsschacht zu verlassen. Sie war sich nicht besonders sicher, was sie nun tun sollte, aber sie wusste, dass sie irgendwie an Lisa herankommen musste. Vielleicht gelang es ihr auch, diese Wahnsinnigen von ihrem mörderischen Plan abzubringen, aber wie?
Leise zog sie das Gitter wieder in die Verankerung und eilte den kahlen Gang entlang. 'Konzentriere dich', ermahnte sie sich selbst. 'Zuerst musst du Lisa finden. Alles weitere wird sich schon ergeben.'

"He! Bleiben Sie stehen!" Shannon wirbelte herum und fluchte tonlos. Man hatte sie entdeckt! Das fehlte ihr gerade noch.
Blitzschnell setzte sie sich in Bewegung und rannte den Leuten aus der Versammlung nach. Lisa musste bei ihnen sein. Da! Dort hinten!
Nur noch ein paar Schritte, dann hatte sie die Gruppe erreicht, die jetzt nacheinander durch die Labortür verschwanden. Los, mach schon...

Sie prallte mit voller Geschwindigkeit gegen zwei Wachtposten in schwerer Uniform. Den Augenblick der Verwirrung nutzte sie, schlug einen Bogen um die beiden und sprintete weiter. Doch vergebens. Die Schleusentür des Labors schnappte klickend ein und bremste scheppernd ihren Lauf. Benommen taumelte sie rückwärts und ging in die Knie.

"Schön langsam, Lady. Bei der ersten Bewegung puste ich Ihnen den Schädel weg!"

Shannon McMahon hob den Kopf. Sechs Wachtposten umringten sie mit entsicherten Maschinengewehren und keiner von ihnen schien besonders glücklich über diese Störung.

*****

"Bitte, Miss Tanner. Der Tastendruck gehört Ihnen!" Richard Matheson lächelte Lisa aufmunternd an und wies auf das Computerterminal.
Lisa glaubte nicht recht zu hören. "Ich?", raunte sie ihm zu.
"Aber ja", antwortete er ebenso leise. "Ich habe nicht viele Informanten von Ihrem Format. Das ist meine Art, 'Danke' zu sagen."
Das Gefühl unbändigen Stolzes machte sich in Lisa breit. Endlich bekam sie die Anerkennung, die sie verdiente! Endlich! Sie nickte und strich mit dem Zeigefinger vorsichtig über die Tastatur. Dann drückte sie den Finger kräftig auf die graue Taste und ein Signalton ertönte. Zahlenkolonnen wanderten über den Bildschirm und bezeichneten das Voranschreiten der Aktivierungssequenz.

Applaus brandete auf. Matheson sah Strughold herausfordernd an. "Hervorragend! Ich danke Ihnen allen nochmals für Ihre Kooperation. Nun bleibt uns vorerst nichts als abzuwarten, wie sich unsere Naniten ausbreiten und entwickeln." Mit einer Handbewegung komplimentierte er die Anwesenden zur Tür. "Unser Projektteam wird sie über den Status auf dem laufenden halten!"

Als die Tür zuschnappte, verklang das Stimmengewirr der Besucher hinter den Schutzwänden. Die Laborhalle atmete wieder ihren kalten, trügerischen Frieden.



Oregon, 25.05.2043

Mrs. Winters verstummte und blickte ihre Wirtschaftshilfe still an.
Clarissa Burns tippte nachdenklich an die Kaffeetasse. "Heißt das, wenn Shannon nicht aufgehalten worden wäre, dann hätte sie den Start dieses Programms verhindern können?"
Die alte Dame lächelte geduldig. "Ob sie es hätte verhindern können, all die Toten, all die unschuldig gequälten... Wer weiß? Sicher ist nur, dass wir das nie erfahren werden, denn Shannon McMahon wurde an diesem Tag verhaftet."
"Was ist dann geschehen? Hat man sie getötet?"
"Geduld, mein Kind, ist eine Tugend. Aber lass mich meine Geschichte weiter erzählen, dann wirst du alles wissen, was auch ich weiß..."



Damals...
Morgantown, West Virginia
Weather Branch

Shannon schlug erneut mit der Faust gegen die nackten Steinwände. 'Zu spät', dachte sie verbittert. 'Ich bin zu spät gekommen! Ich hätte es aufhalten können, aber ich habe alles vermasselt!'. Sie sah ihre Fingerknöchel an und registrierte mit grimmiger Belustigung, dass Blut auf den Boden tropfte.

Eine fensterlose Zelle, kahl, kalt, elektronisch gesichert. Shannon zog die Schultern hoch und ließ sich zu Boden gleiten. 'Nutzlos', dachte sie. 'Hier hilft keine Körperkraft!'

Dann vernahm sie ein leises Geräusch an der Stahltür. Gespannt richtete sie sich auf, zum Sprung bereit. Lauernd...

Die Tür glitt auf und eine stämmige, in einen grauen Mantel gehüllte Gestalt betrat den Raum.
"Was...", begann Shannon, doch der Graue legte einen Finger an die im Schatten der Kapuze verborgenen Lippen und bedeutete ihr, ihm zu folgen.
Mit einem Satz war sie auf den Beinen und eilte der Gestalt hinterher. Als sie durch den Türrahmen trat, stolperte sie über die am Boden ausgestreckte Gestalt eines Wächters. Fast wäre sie gestürzt, doch der Graue packte ihren Arm mit festem Griff. Dann öffnete er mit einer Chipkarte die Verriegelung einer Seitentür und schob sich gemeinsam mit ihr hindurch.

"Wer sind Sie?", fragte Shannon und versuchte das Gesicht unter der Kapuze zu erkennen.
"Das braucht niemand zu wissen, Miss McMahon. Nur soviel: Heute sind nicht nur Sie zu spät gekommen, sondern auch ich. Ich dachte, es wäre meine Bestimmung, all das Leid, das jetzt auf uns zukommen wird, zu verhindern." Er ließ den Kopf hängen und bot zu ihrer Überraschung erstmals ein Bild der Mutlosigkeit. "Doch so wie die Dinge stehen, lag es nicht in meiner Macht, hier einzugreifen und das Schicksal zu lenken. Dies müssen nun andere tun."
"Wie kann ich Sie finden?", fragte Shannon.
"Gar nicht", antwortete der Graue. "Und nun gehen Sie. Schnell, die Zeit wird knapp. Sobald man Ihr Verschwinden bemerkt, werden Sie hier nicht mehr herauskommen!" Er gab ihr einen sachten Stoß und verschwand im Schatten der abzweigenden Gänge.
Shannon sah ihm kopfschüttelnd nach und setzte sich in Bewegung.

*****

Lisa Tanner startete ihren Wagen und rollte zum Ausgang. Als die Sicherheitsüberprüfung hinter ihr lag, ließ sie ihre Gedanken wandern.
Sie war zufrieden. Das erste mal seit langer, langer Zeit. Es war ja nicht so, dass sie ihre Tätigkeit als Spionin für sinnlos gehalten hatte, aber... Es war ihr so ziellos vorgekommen! Eine Information hier, ein Anruf dort... nur ein Ziel hatte sie nicht erkennen können. Doch mit ihrem heutigen Besuch hatte sie erstmals die ganze Tragweite ihrer Arbeit erkennen können! Endlich sah sie, dass sich alle Fäden zu einem logischen Ganzen verknüpften und sie war stolz, ein Teil davon zu sein.

Die Frau stand mitten auf dem Waldweg und riss Lisa aus ihren Gedanken! Die Straße war eng - ausweichen konnte sie nicht! Blitzschnell trat sie das Bremspedal bis zum Anschlag durch und brachte das Auto wenige Zentimeter vor der Frau zum Stehen. Lisa glaubte, ihren Augen nicht zu trauen, als sie sah, wer da vor ihr stand.

"Shannon!?" Benommen kletterte sie aus dem Wagen und ergriff die Hand ihrer Freundin. "Ist dir was passiert?"
Shannons Gesicht glich einer Maske. "Lass das, Lisa. Du kannst aufhören, dich zu verstellen!" Ungeduldig schüttelte sie die Hand ab. "Ich war dort..." - sie deutete zurück zur Weather Branch - "Und ich habe dich gesehen!"
Schockiert trat Lisa einen Schritt zur Seite und sah die Freundin argwöhnisch an.
Shannon folgte ihr mit den Augen. "Lisa, was hast du getan? Ich habe dir doch vertraut!"
Lisa warf den Kopf zurück und lachte auf. "Vertrauen? Vertrauen ist nichts!" Sie sah ihrer Freundin überheblich in die Augen. "Das verstehst du nicht. Und du wirst es auch nicht verstehen, bemüh dich nicht. Du bist ein Fehlschlag auf ganzer Linie! Sieh dich doch an: Verweichlicht, schwach... Du bist eine Supersoldatin! Du hättest etwas Großes sein können, doch statt dessen ziehst du es vor ein Nichts zu bleiben und dich auf die Seite der Verlierer zu stellen!"
Shannon war fassungslos. "Sie werden nicht verlieren, denn sie kämpfen für die Zukunft der Menschheit!"
Lisa rüttelte sie an der Schulter. "Versteh doch: Das ist jetzt nicht mehr die Zukunft! Und gerade deshalb werden sie verlieren. Sie verlieren immer, genau wie du!" Sie ließ die Arme sinken, wandte sich mit kaltem Blick ab und wollte in ihr Auto steigen.

"Lisa?"
Alarmiert durch die Ruhe in Shannons Stimme drehte sie sich um. "Was ist denn noch?"
Mit einem mal weiteten sich Lisas Augen und die Luft entwich pfeifend aus ihrer Lunge. Ihr Mund verzerrte sich, doch sie brachte keinen Ton heraus. Sie blickte an sich herunter und sah den Griff des Armeedolches, der aus ihrer Brust ragte. Als sie den Kopf wieder hob und ihre Freundin ansah, rann eine Träne aus ihrem Augenwinkel.
Shannon strich ihr zärtlich über das Gesicht. "Weine nicht, meine Kleine. Bald ist alles vorbei..."

Dann fiel sie auf die Knie. Sie wollte noch etwas sagen, kämpfte um die Worte, doch ihr Mund schien wie versiegelt. Nur ihr Blick sprach zu Shannon - in einer Sprache, die mehr zu sagen wusste, als Worte je vermochten. Ihre Augen verschleierten sich. Dann kippte sie vornüber und...

Shannon brach zusammen. "Neiiin!" schrie sie. Wieder und immer wieder: "Neiiin!" Anklagend hob sie ihre Hände zum Himmel empor.

Ein Sonnenstrahl brach durch die treibenden Wolkennester und legte seine zuckenden goldenen Finger auf den toten Körper von Lisa Tanner.



Oregon, 25.05.2043

Als Mrs. Winters ihre Erzählung beendet hatte, war es für einige Minuten sehr still im Zimmer.
"Was ist dann mit Shannon geschehen?", fragte Clarissa schließlich leise.
Die alte Frau zuckte mit den Schultern. "So ganz genau hat das niemand erfahren können. Sicher ist nur, dass sie wohl nie über diesen Verlust hinweg gekommen ist. Und eines Tages ist sie einfach verschwunden!"
Mrs. Winters war aufgestanden und zum Fenster gegangen. Bei ihren letzten Worten zitterte ihre Stimme verdächtig. "Es tut mir leid, mein Kind. Diese alten Geschichten regen mich immer so auf..."
Clarissa reichte ihr ein Taschentuch und ihre Gastgeberin wischte sich damit über die Augen.
"Mrs. Winters, darf ich Ihnen eine Frage stellen?"
"Sicher, meine Liebe." Gespannt drehte sie sich um.
"Mrs. Winters... Sind Sie Shannon McMahon?"

Pause.

Dann huschte ein Lächeln über das Gesicht der alten Frau und ihre Augen schienen einen Punkt am Horizont zu fixieren.
"So hat man mich schon seit vielen Jahren nicht mehr genannt!"

*****

Als das Kaffeegeschirr wieder im Schrank verstaut war, griff Clarissa nach ihrer Tasche und gab der alten Dame die Hand. "Auf Wiedersehen, Mrs. Winters. Kann ich noch irgend etwas für Sie tun?"
"Nein. Oder doch? Warte mal... " Die Falten auf Mrs. Winters' Stirn vertieften sich und sie dachte nach. "Hm. Ich weiß zwar, dass es ganz unmöglich ist, aber solltest du jemals einen John Doggett treffen..."
"John Doggett?"
"Hatte ich seinen Namen denn nicht erwähnt? Das ist einer der tapferen FBI-Agenten, von denen ich dir erzählt habe. - Solltest du also jemals einen John Doggett treffen, dann grüße ihn bitte von einer alten Freundin." Sie seufzte. "Ach, wenn ich nur wüsste, wie es ihm ergangen ist und wo er jetzt ist! Ob er wohl noch lebt?"
"Was würden Sie ihm denn sagen?"
"Ich würde ihm alles Glück dieser Welt wünschen. Ihm... und seiner Monica."

*****

Als Clarissa Burns wieder auf der Straße stand, beeilte sie sich mehr als sonst, in ihren Wagen zu steigen. Auch der Verkehr erschien ihr dichter als an anderen Tagen. Stockend schob sich die Autoschlange durch die Straßen und schien sie heute besonders langsam an ihr Ziel bringen zu wollen.

Als sie das Auto endlich parken durfte, sprang sie zum Eingang des Mehrfamilienhauses und drückte auf den Klingelknopf. Das Gesicht einer alten Frau erschien im Übertragungsterminal und begann zu strahlen, als sie ihre Besucherin erkannte. "Clarissa! Das ist aber eine Freude!"
"Ist Großvater John auch zuhause?", fragte die junge Frau neugierig.
"Aber sicher. Wo sollte er denn schon sein?" Aus dem Hintergrund der Wohnung erklang eine dünne Stimme: "Monica? Wer ist an der Tür?"
"Es ist Clarissa!", rief die Großmutter. "Ach, was bin ich für ein Trampel, Liebes. Da lasse ich dich unten auf der Straße stehen! Komm doch hoch!" Der Summer ertönte und die Haustür sprang auf.
Clarissa wippte fröhlich mit den Füßen auf und ab. "Mach ich", schmunzelte sie. "Heute möchte ich euch einmal eine Geschichte erzählen!"


Ende.




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