World of X

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Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Erinnerung und Gegenwart

Kurze Zeit später verließen sie sein Apartment. Er war bemüht langsam zu gehen, da Amber noch immer Schmerzen im Fuß hatte und ihre Absatzschuhe keineswegs zur Besserung dieser beitrugen. Er drehte sich zu ihr um und reichte ihr die Hand. Mit gesenktem Kopf und schüchternd müdem Blick sah sie ihn durch ihr Haar an, das ihr ins Gesicht fiel. Alex schenkte Amber den Hauch eines sanften Lächelns, um ihr die Nervosität zu nehmen, die sie ausstrahlte, seit sie davon ausgehen konnte schwanger zu sein. Viel war an jenem Morgen geschehen. Vieles was vielleicht nicht nur ihr Leben grundlegend verändern würde.

Sie fuhren mit seinem Auto und Amber navigierte Alex zielsicher ans andere Ende der Stadt. Während der Fahrt sprachen sie nur wenig miteinander. Unruhig durchsuchte sie immer wieder ihre Handtasche nach dem Wohnungsschlüssel und ihrem Telefon. Es gab zahlreiche Anrufe in Abwesenheit, doch anstatt zurück zu rufen, entschloss sie sich diese vorerst zu ignorieren.

Amber bat Alex in die Tiefgarage unterhalb des Gebäudekomplexes zu fahren.

Das Licht war diffus und es dauerte eine Weile bis sich ihre Augen daran gewöhnt hatten. Sie sah zu ihm und musterte den Ausdruck seines Gesichts. Dieser hatte etwas, was ihr bislang unbekannt war. Furcht.

Langsam streckte sie ihre Hand aus und berührte mit dem Zeigefinger seine Wange.

,Was ist, Alex?' fragte sie mit leiser Stimme.

Er wandte seinen Blick zu ihr und schüttelte kaum merklich den Kopf.

,Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.' ergänzte Amber auf eine Antwort wartend.

Alex zögerte einen Augenblick bevor er ihr entgegnete: ,Ich fühle mich nur an Orten wie diesen nicht sonderlich wohl.'

,Ich verstehe. Diese Dunkelheit kann manchmal schon recht unheimlich und bedrückend sein.'

,Nein, das ist es nicht.' antwortete er ihr und sie bemerkte einen leichten Seufzer und Bruch in seiner Kehle.

,Was dann?' wollte Amber wissen und beugte sich ein Stück weiter vor.

Alex schluckte und plötzlich hatte sie das Gefühl alte Wunden aufgerissen zu haben. Er wollte ihr nicht antworten, da sie das, was sie erfahren würde, vielleicht erschrak.
Er holte tief Luft, dann entschied er sich seine Vergangenheit mit ihr zu teilen. Sie wusste nun schon so vieles, gravierendes von ihm. Etwas, von dem Alex anfänglich erwartet hätte, dass es Amber abschrecken würde. Jedoch schien es fast so, dass seine Offenheit ihre Verbundenheit zu ihm schürte.

Es war etwas, das ihm durchaus gefiel, wenngleich es ihn verwirrte. Er hatte viele Frauen kennengelernt, doch mit keiner hätte er jemals über solche ernsten Dinge sprechen können. Nein, eine solch dunkles Geheimnis hätte die Meisten von ihnen abgeschreckt und sie wären fluchtartig aus seinem Leben verschwunden. Zurück geblieben wäre ein tiefe Leere. Eine Leere, die ihn verletzte und an dem Sinn seines Daseins hätte zweifeln lassen. Alex wollte nicht länger der Lügner und Mörder sein, für den ihn viele noch immer hielten.

Er starrte kurz vor sich her, als ihm jene Erinnerungen durch den Kopf rassten, bevor er Amber mit zerbrechlichem Klang in der Stimme entgegnete:

,An einem Ort wie diesem hätte ich fast mein Leben verloren. Durch einen Kopfschuss. Der Lauf einer Pistole, das kalte Metall, ganz dicht an meiner Schläfe. In diesem Moment wurde mir die Vergänglichkeit bewusst.'

Ihr Magen zog sich, nachdem er dies gesagt hatte, schmerzhaft zusammen und ihr Herz setzte für einen Moment aus.

Nachdem sie sich wieder einigermaßen besonnen hatte, fragte Amber erstickt:

,Wer hat versucht dich umzubringen?'

Sein Blick wurde wässrig und Alex hielt seine Hand auf ihren Mund.

,Nicht jetzt.' entgegnete er ihr unsicher und verletzlich.

Sie verharrten noch eine Weile im Schweigen. Dann sah Amber auf die Uhr.

,Ich gehe jetzt nur schnell meine Sachen packen und bin gleich wieder da, okay?'

Sie entschied sich mit dem Aufzug in die achten Etage zu fahren.

Langsam und schleichend, als hätte sie etwas zu verbergen, pirschte sie sich an die Tür des Apartments. So leise wie sie konnte steckte sie den Schlüssel in diese und drehte ihn um.

Es war abgeschlossen, also brauchte sie nicht zu befürchten ihren Eltern zu begegnen.

Alle Räume waren von einem tristen Tageslicht erhellt. Amber ging durch das Wohnzimmer direkt zu ihrem Raum. Sie suchte eine große Reisetasche aus einem der hölzernen, weißen Schränke heraus und begann so viele Kleidungsstücke wie sie konnte in diese zu packen. Zwischendurch streckte sie ihren Kopf immer wieder durch die Tür ihres Zimmers, um sicher zu gehen, dass sie alleine war.

Sie war noch immer so unglaublich wütend auf ihre Eltern und fühlte sich missverstanden, auch wenn etwas in ihr sagte, dass sie nur aus der besten Absicht geschwiegen hatten. Je weniger sie wüsste, desto ungefährlicher würde ihr Leben möglicherweise verlaufen.
Aber sie wollte verstehen. Erkennen, was damals so gravierend war, dass es vielleicht auch sie noch immer in Gefahr bringen konnte.

Wenn sie das Kind behielt, würde ihre Schwangerschaft in wenigen Monaten offensichtlich werden. Sie war sich sicher, dass dadurch neue Probleme entstehen würden und Amber dann mit jemandem reden musste. Augenblicklich fühlte sie sich dieser Hürde jedoch nicht gewachsen. Sie konnte sich in der momentanen Situation noch nicht einmal vorstellen selbst Mutter zu werden. Hin und wieder hatte sie das Gefühl aus ihrem Körper heraus zu treten und sich von außen selbst betrachten zu können. Sie nahm wahr, was um sie herum geschah und doch war sie oft ohnmächtig um abwägen zu können, ob es richtig oder falsch war, was sie tat.

Und Alex?

Sie hatte in den letzten Monaten so viel über ihn erfahren.

Intuitiv wusste Amber, dass er die Wahrheit gesagt hatte. All die Tatsachen wären Grund genug gewesen ihn als menschliches Monster zu hassen und zu verabscheuen. Aber sie konnte es nicht. Durch ein Gefühl inniger Zuneigung und der Verbundenheit von Liebe, handelte sie entgegengesetzt jeglicher Vernunft. Er konnte ihr etwas geben, dass der Tristesse ihres Lebens zumindest ein Schmunzeln ins Gesicht zauberte.

Nachdem die Reisetasche prall gefüllt war, verschloss sie sie. Mit Kraft zog Amber diese über den hell-beigen, weichen Teppich des Wohnzimmers. Vor der Eingangstür des Apartments blieb sie kurz stehen und hielt inne. Es war noch immer still. Sie hörte nur das Rauschen ihres Blutes in den Ohren und vernahm das dumpfe Pochen ihres Herzens in eiligen Schlägen. In Sekundenbruchteilen grübelte sie darüber, ob sie ihren Eltern eine Nachricht hinterlassen sollte. Ein Lebenszeichen ihrerseits. Amber biss sich auf die Unterlippe und ließ den Griff der Tasche langsam aus ihrer Hand gleiten. Dann ging sie in die Küche und suchte nach einem kleinen Notizblock sowie einem Kugelschreiber, der auf dem milchig, gläsernen Tisch lag.

Langsam ließ sie sich auf einen der Küchenstühle sinken. In ihrem Kopf rasten so viele Gedanken durcheinander und in ihr wüteten die Emotionen wie ein Gewitter. Sie hätte versuchen können sich zu erklären und doch war sie dessen inzwischen müde geworden. Deshalb entschied sich Amber in kurzen liederlichen Lettern folgende Worte auf das Papier zu kritzeln:

'Verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen, ist eines der schwierigsten Dinge auf Erden. Ihr ahnt wo ich bin. Sucht mich nicht! Ich hoffe wir finden uns eines Tages wieder... '

Diese Zeilen schienen zerrissen und chaotisch zu sein und doch spiegelten sie hinter den maskierten Worten genau das wieder, was sie empfand.

Angestrengt zog sie die Tasche mit ihren knochigen Händen weiter über den Boden, nachdem sie die Tür des Apartments wieder verschlossen hatte. Sie stieg in den Aufzug und lehnte sich an dessen Spiegelwand, streckte den Kopf nach oben und schloss die Augen für einen Moment.

Alex erahnte in der Ferne einen Schattenriss. Da er, während er auf Amber wartete, seinen Körper unterhalb des Lenkrads hatte sinken lassen, richtete er diesen nun wieder auf. Sie war es! Er stieg aus und half ihr beim Tragen.

,Wie geht es dir jetzt?' wollte er wissen, nachdem er die Autotür geschlossen hatte.

Sie zuckte zunächst nur mit den Schultern und antwortete dann heiser: ,Ich musste nur mit mir ins Reine kommen.'

,Und wohin fahren wir jetzt?'

,Weg von hier, Alex. Ich fühle mich an diesem Ort genau so unwohl wie du.'
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