World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Familienbande

von Dawn

Kapitel 5

Raleigh-Durham International Airport

Donnerstag

11:15 Uhr



„Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, bis wir an Bord dürfen“, sagte Scully und beobachtete Mulder, wie er sich vorsichtig in einen der Plastikstühle setzte. Sie sah, dass er müde, aber weitgehend schmerzfrei war, und sie fuhr fort. „Ich werde mir ein paar Zeitschriften und etwas Kaffee besorgen. Ich guck mal, ob die Sonnenblumen­kerne haben.“



„Scully, Sie *wissen* was ich mag“, erwiderte Mulder und wackelte mit den Augenbrauen.



Scully verdrehte die Augen und wandte sich an Grey. „Passen Sie auf ihn auf. Ich kann mir zwar nicht vorstel­len, was er anstellen könnte, aber er hat immer eine Überraschung parat. Mulder, lassen Sie bloß die Arme nicht hängen.“



„Ich würde ja salutieren, aber mein Arzt hat mir alles anstrengende untersagt.“



Grey sah ihr nach, und sah, wie sie in der Menge verschwand. Dann drehte er sich kopfschüttelnd zu seinem Bruder um. „Ich raff das immer noch nicht. Ich habe noch nie gesehen, dass zwei Menschen so oft das Wasser geprüft haben und dennoch davor Angst haben, nass zu werden.“

„Ich hab dir doch gesagt, dass es kompliziert ist“, knurrte Mulder und zupfte an seinem Ärmel. Flanellshirts, die an den Ärmeln nicht zugeknöpft waren, waren alles, was er über den bandagierten Armen im Moment duldete.



„Ja, ich erinnere mich daran. Trotzdem denke ich, dass du einfach reinspringen könntest. So wie ich Dana kenne, würde ich sagen, das Wasser hat gerade die richtige Temperatur.“



Mulder antwortete nicht und so setzte sich Grey einfach in den Stuhl neben ihm. Er holte tief Luft, denn er wusste, dass es höchste Zeit war, die unausgesprochenen Dinge zwischen ihnen zu klären. Über die letzten zwei Tage hinweg hatten er und Fox daran gearbeitet, ihr Verhältnis zu erneuern, aber seine in Wut gesprochenen Worte standen ihnen immer noch im Weg, wie ein Möbelstück, welches so unglücklich plaziert worden war, dass man sich immer das Schienbein anstieß. Er war sicher, dass Danas Mission sich einen Kaffee zu besorgen ein absichtliches Manöver ihrerseits war um sie allein zu lassen, damit sie sprechen konnten.



„Fox, es tut mir Leid“, sagte er leise und wünschte sie, die Worte kämen ihm leichter über die Lippen. „Du hat­test Recht und ich wollte nicht hören. Wegen meiner Sturheit hättest du fast dein Leben verloren.“



Während er sprach hatte Mulder sich ihm zugedreht, aber jetzt starrte er durch das große Fenster auf das Flug­zeug, welches gerade betankt wurde. „Es war nicht nur dein Fehler. Ich habe alle falschen Knöpfe gedrückt. Da hab ich ein Talent für.“



Grey blinzelte ihn ungläubig an. „Ich kann nicht glauben, dass du dir auch nur einen kleinen Teil der Schuld aufhalsen willst! Fox, ich habe die qualifizierte Meinung eines Kollegen ignoriert, weil ich nicht darüber hinweg sehen konnte, dass er zufällig mein kleiner Bruder war!“ Er hielt einen Moment inne und fügte noch etwas hinzu. „Ich denke, das eifersüchtige Kind, das Bill immer mit seinem Sohn angeben hörte, ist nie wirklich ver­schwunden. Zu hören, dass du so überzeugt warst, alle Antworten zu haben, hat das alles wieder zurückge­bracht.“



Langsam lenkte Mulder seinen Blick auf Greys Gesicht. „Das war alles nur eine Illusion, Grey. Du warst derje­nige, mit einer *richtigen* Familie. Unsere war nur eine Show, wie eine Sitcom im Fernsehen. Wenn die Zu­schauer weg waren, ist die Fassade zerbröckelt und auseinandergefallen. Wenn jemand eifersüchtig sein sollte, dann sollte ich das sein, denke ich.“



Grey dachte einen Augenblick über seine Worte nach und grinste dann. „Ich denke mal, wir müssen uns gegen­seitig *vertrauen* und akzeptieren, dass keiner von uns eine idyllische Kindheit hatte.“



Mulder zog eine Augenbraue hoch, als er hörte wie Grey das Wort „vertrauen“ betonte.



„Dana hat mir gesagt, dass ihr beide so immer einen Kompromiss findet“, erklärte Grey.



Mulder sah auf und bemerkte Scully, die sich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnte, in der einen Hand den Kaffee, in der anderen einen Tüte. Als sie ihn anblickte und lächelte, erwiderte er die Geste und seine Züge wurden sanfter. „Ja, ich denke so könnte man es sagen.“



Grey verfolgte das Lächeln auf seine Bruders Lippen zu dessen Quelle zurück und lehnte sich dann zu ihm hin, um ihm verschwörerisch etwas zuzuflüstern. „Weißt du, nass werden kann eine Menge Spass bedeuten.“



Mulder verdrehte die Augen, grinste aber. „Ich wird’s im Hinterkopf behalten.“



Über die Lautsprecher erklang der Aufruf für ihren Flug und sein Bruder packte ihn am Oberarm, um ihm aufzu­helfen. Scully überraschte sie beide, als sie Grey in eine Umarmung zog und ihn auf die Wange küsste.



„Vielen Dank – für alles!“



Grey hatte ein dämliches Grinsen im Gesicht als er zurücktrat, und Mulder unterdrückte die aufsteigende Eifer­sucht ich ihm. Jeglicher Ärger, den er empfand, verschwand, als Grey ihn anblickte und ihm wissend zuzwin­kerte.



Scully strich mit ihrer Hand Mulders Arm entlang und nickte zum Gate. „Ich stell mich in die Schlange.“



Als sie fort war fiel eine unangenehme Stille über die beiden und Mulder scharrte verlegen mit den Füßen. „Das gilt auch für mich“, sagte er schließlich. „Danke, dass du nach mir gesucht hast.“



Grey machte den Eindruck als ob er protestieren wollte, lächelte aber nur. „Immer gerne. Weißt du, ich war nicht mehr in DC seit ich ein kleiner Junge war. Vielleicht kann ich ja bald mal zu Besuch kommen.“



„Das würde mich freuen“, lächelte Mulder. Dann wurde er ernst und jegliche Animation verließ sein Gesicht. „Aber es ist ein Risiko, Grey. *Die* finden das früher oder später heraus, und es könnte dich in Gefahr bringen.“



Er war sich noch nicht sicher, ob Grey viel von dem, was er ihm über das Konsortium erzählt hatte, glaubte, aber sein Bruder schob stur sein Kinn vor. „Zum Teufel mit denen. Wenn es wahr ist, was du sagst, dann haben diese Männer mich vor 43 Jahren in gewissem Sinne meinen biologischen Eltern entrissen. Ich werde nicht zulassen, dass sie mir auch noch meinen Bruder wegnehmen – nicht jetzt, wo wir so weit gekommen sind.“



Mulder schluckte und verkniff sich ein paar Tränen, die nach seines Bruders Aussage rollen wollten. Er nickte im Einverständnis und streckte seine rechte Hand aus. Grey sah sie an, schüttelte den Kopf und zog ihn dann, wie Scully ihn selber vorhin, in eine Umarmung. Zuerst war Mulder vor Überraschung wie versteinert, aber dann brachte er seine Arme dazu, die Geste zu erwidern.



„Pass auf dich auf“, sagte Grey leise als er ihn los ließ. „Ich melde mich dann.“



Scully war schon an Bord und saß am Fenster, was Mulder den begehrten Platz am Gang ließ. Sie sah ihm zu wie er sich niederließ und ignorierte seinen leidenden Blick als sie ihm mit dem Gurt half. Er konnte fühlen, dass sie ihn studierte, neugierig zu erfahren wie der Stand der Dinge zwischen ihm und Grey war ohne ihn drängen zu wollen. Er achtete darauf, dass sein Gesicht neutral blieb, denn er wusste, dass er sie damit verrückt machte. Dann sah er wie sie die Backen aufblies und wusste, dass sie es nicht länger aushalten konnte.



„Wie fühlen Sie sich, Partner?“, fragte sie und in dieser einfachen Frage hörte er all die Zuneigung und Sorge, die sie nicht aussprechen wollte.



Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und lächelte, dann drehte er den Kopf, so dass sie ihn sehen konnte. „Als ob ich einen Bruder habe.“



Scullys Lächeln war dem seinigen ebenbürtig und sie verschränkte ihre Finger mit seinen. Der Eindruck dieser Aussage war offensichtlich. Es gab wirklich nicht mehr dazu zu sagen.





ENDE
Rezensionen