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Wir werden kämpfen

von sunshine

Kapitel 1

Sie wollte, dass ich ins Krankenhaus komme.

Nach zwei Wochen, in denen sie mich nicht sehen wollte, wollte sie nun, dass ich komme. Ich hätte sie am liebsten sofort nach der Diagnose besucht, aber ich musste akzeptieren, dass sie Zeit brauchte.

Ihre Mutter rief mich an, ich sollte schnell kommen. Es würde ihr nicht gut gehen. Was würde mich im Krankenhaus erwarten?



Als ich da war, haben wir viel geredet, nein, das stimmt nicht, eigentlich hat nur sie geredet. Sie hat über den Tod gesprochen. Sie würde es akzeptieren bald zu sterben, sie hätte keine Kraft mehr, und auch keine Lust mehr noch einmal durch die Hölle zugehen. Sie wollte keine weitere Chemotherapie… Was zum Teufel redete sie da?

Sie tat so, als wäre der Tod ihr Freund. Es ist falsch, er ist ihr Feind! Warum wollte sie nicht weiter gegen die Krankheit ankämpfen? Sie hatte es schon einmal geschafft.

Warum versteht sie nicht, dass sie weiter kämpfen muss?



Sie sprach kühl und distanziert, ließ mich nicht an sich ran. Was war bloß aus meiner Scully geworden? Ich saß da neben ihr am Bett und konnte das alles nicht verstehen. Alles was wir in den letzten Jahren aufgebaut hatten, war wie weggeblasen. Als ich ihre Hand nahm und verständnislos den Kopf schüttelte, zog sie ihre Hand bei der Berührung schnell weg. Was war bloß mit ihr los? Sie tat so, als wäre ihr alles egal.

Sie wollte sich nicht trösten lassen, wollte kein Mitleid.

Das machte mir Angst. Sie machte mir Angst.

Sie hat früher immer gekämpft, warum jetzt nicht mehr? Lass mich dir doch helfen und dir beistehen.

Ich sah nur noch eine kraftlose, mutlose Person vor mir, die der Lebenswille verlassen hat. Scully, lass mich dir helfen! Verschließe dich nicht vor mir!

Ich wollte sie anschreien, sie solle nicht aufgeben, sie solle kämpfen, doch stattdessen saß ich nur auf dem Stuhl neben ihrem Bett und sah sie fassungslos an. Ich brachte keinen Ton raus, so sehr verletzten mich ihre Worte.

Sie sah mir ins Gesicht und ich wusste, dass sie sah, dass ich nicht ihrer Meinung war. Sie kennt mich, wir kennen uns so lange, so dass jeder die Blicke des Anderen deuten kann.

Bevor ich zu Ende denken konnte, fragte sie völlig kühl:

„Mulder, ich habe mich mit dem Gedanken abgefunden, dass ich bald sterben werde, warum können Sie das nicht?“

Wie konnte sie nur so etwas sagen? Warum ich mich nicht damit abfinden wollte, dass sie starb? Hey Scully, es gibt da eine Million Gründe. Ich liebe dich, reicht das?

Ich konnte es nicht glauben, was ich da eben gehört hatte. Ich sah sie verständnislos an.

Ihr Gesicht war blass und sie hatte tiefe Augenringe. Zwei kleine Schläuche führten in ihre Nase, um ihr das Atmen zu erleichtern. Es zerriss mir das Herz, sie so zu sehen.

Ich stütze mich nach vorne auf meine Ellenbogen und vergrub das Gesicht in den Händen. Ich war den Tränen nahe. Warum kapselte sie sich so sehr von mir und ihrer Umwelt ab? Hatte sie die Diagnose, dass ihr Krebs zurückgekehrt war, so sehr geschockt?

Ich versuchte meine Gedanken zu sammeln.

Der einzige Grund, der mir außerdem einfiel war, dass sie versuchte mich von ihr fernzuhalten, damit ich sie hasste und mir ihr Tod nicht so nahe ging… Vielleicht auch für sie selber, damit ihr der Abschied nicht so schwer fallen würde.

Aber sie würde es nicht schaffen, mich gegen sich aufzubringen, das würde sie nie schaffen, egal wie sehr sie mich verletzen würde! Es tat zwar weh, aber auf eine Art konnte ich sie verstehen. Sie wollte alles von mir fern halten, damit es mir besser ging. Aber es ging mir nicht besser damit. Es ging mir schlecht.

Ich nahm die Hände vom Gesicht, stand auf und ging. Ich war so durcheinander.

Sie hatte nichts verstanden. Sie wusste doch, dass ich immer für sie da sein würde, ich würde ihr immer helfen, Kraft geben und Trost spenden… wie konnte sie das alles jetzt zurückweisen? Ihr Verhalten verletzte mich zutiefst.



Ich werde sie nicht sterben lassen, weil ich sie brauche und weil ich sie liebe!





Heute ist es zwei Tage her, dass ich sie besucht habe.

Ich weiß nicht, wie es ihr geht. Ich vermisse sie.

Ich zerbreche mir seither den Kopf. Ich kann nur noch an sie denken.



Ich habe jetzt eine Entscheidung getroffen: ich fahre zu ihr, ich werde sie fragen warum sie das alles tut. Ich werde sie ins richtige Leben zurückholen. Sie soll wieder kämpfen, kämpfen wie die Dana Scully, die ich kenne! Ich werde stark sein, diesmal werde ich nicht nur auf dem Stuhl neben ihr sitzen und wie ein Strauß den Kopf in den Sand stecken. Ich werde nicht eher das Krankenhaus verlassen, bis ich es geschafft habe, sie davon zu überzeugen weiter zu kämpfen.

Es ist spät aber es ist mir egal.



Ich öffne die Tür zu dem Zimmer in dem sie liegt. Ich schalte die Nachttischlampe an und setze mich zu ihr auf die Bettkante.

Sie schläft.

Man hört nur das leise Piepen des Monitors, an dem sie angeschlossen ist. Ihr Herzschlag ist gleichmäßig.

Ich sehe sie an und streichle ihr sanft übers Haar.

Wie kann in diesem zarten, zerbrechlichen Körper nur so ein gefährlicher, hartnäckiger Krebs wüten?



Sie schlägt plötzlich die Augen auf.



Ich muss es tun. 'Scully warum kämpfen Sie nicht mehr, warum ziehen Sie sich zurück in ihr Schneckenhaus?'

Doch stattdessen bringe ich nur dumme, belanglose Worte heraus. Warum fällt mir das alles nur so schwer?



„Hi…… Ich…… ich wollte Sie nicht wecken, geschweige denn erschrecken.“

Meine Stimme ist ganz ruhig und sanft.

„Mulder, was machen Sie hier?“



Meine Kehle ist wie zugeschnürt, alles was ich mir auf der Fahrt hierher überlegt habe, was ich ihr sagen wollte, ist wie weggeblasen.

Ich möchte weinen, weil ich traurig bin. Ich möchte schreien, weil ich wütend bin, aber ich kann mich nicht bewegen.

Ich glaube sie ist noch dünner geworden, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Aber ihre Augen… ihre Augen sind so schön blau wie immer. Klar und schön, ich könnte in ihnen versinken. Mein Gott, ich liebe diese Frau!

Erst jetzt merke ich, dass ich sie anstarre.

Mein Gehirn setzt plötzlich aus und die Wörter sprudeln nur so aus mir heraus. Ich rede ohne vorher zu denken. Es überrascht mich selber. Endlich finde ich den Mut dazu.



„Warum haben Sie das alles zu mir gesagt?“

Sie schaut mich fragend an.

„Es tat weh, diese Worte aus Ihrem Mund zu hören.“

Sie schaut mich nur an und ich sehe, dass es ihr Leid tut. Sie will es aber nicht zugeben.

„Oh Gott, Scully, warum tun Sie das? Sie wissen ganz genau was ich meine! Sie wollen mich erst zwei Wochen nicht sehen, dann auf einmal, weil… weil Sie mir sagen wollen, dass Sie sich mit ihrem baldigen Tod abfinden und dass ich das auch tun soll… und dann, dann… reden Sie so kühl, als wenn ich Ihnen völlig egal bin. Ich weiß, so sind Sie nicht, Sie haben Gefühle. Und ich weiß auch, dass Sie Angst haben, aber verdammt noch mal, die habe ich auch, Dana…“



Nicht einmal jetzt sagt sie etwas. Sie sitzt einfach nur da und schaut mich stumm an. Enttäuscht und gekränkt beginne ich wieder zu sprechen.



„…ich dachte, Sie würden mich wenigstens in diesen Momenten an Ihren Gefühlen teilhaben lassen. Stattdessen fragen Sie mich, warum ich es nicht akzeptieren kann, dass Sie lieber sterben wollen, als weiter zu kämpfen… diese Frage kann ich Ihnen ganz einfach beantworten… Sie müssten das auch können!“

Ich schaue ihr fest in die Augen und sie erwidert meinen Blick.



Ich merke wie sie einen inneren Kampf führt. Ich sehe, dass es sie schmerzt so damit konfrontiert zu werden aber ich muss weitermachen, ich muss sie dazu bringen sich mir zu öffnen. Sie muss in die Realität zurückkommen.



„Denken Sie nur mal an das Konzert von Cher, wo wir zu dem Lied 'Walking in Memphis' getanzt haben, denken Sie an den Tag, an dem wir Baseball gespielt haben, wir hatten so viele schöne Momente zusammen…“



Ihre Augen füllen sich mit Tränen.



„…Wollen Sie, dass ich das alles vergesse und Sie einfach Ihrem Schicksal überlasse? Wollen Sie diese ganzen Dinge vergessen?“

„Hören Sie auf!“, flüstert sie leise und richtet sich langsam auf.

„…soll ich so tun, als wäre das alles nicht passiert und Sie einfach vergessen?“



Nun rollen ihr Tränen über die Wangen. Es tut mir leid, Scully, aber es muss sein. Ihre Stimme geht fast in dem Schluchzen unter.



„Sie sollen aufhören, habe ich gesagt!“ Sie wird böse, ihre Stimme ist fest und leicht aggressiv, trotzdem weint sie.



„Aufhören, seien Sie still…“

Sie beginnt mit ihren kleinen Fäusten gegen meine Brust zutrommeln. Ich lasse sie, sie muss ihre Wut rauslassen, sie hat sie schon zu lange in sich hinein gefressen.

Die Schläge werden schwächer bis ihre Hände schließlich auf meiner Brust ruhen.

Nun weint sie völlig hemmungslos, ich glaube sie hat es geschafft, meine Scully ist wieder da und mit ihr der Wille zu kämpfen.



„Bitte, hören Sie auf…“ schluchzt sie.

„…wissen Sie nun, warum ich Sie nicht einfach gehen lassen kann?“



Sie lehnt sich an mich und ich schlinge meine Arme um sie, um ihr die Nähe zu geben, die sie jetzt braucht.



„Ich habe Angst… ich will nicht sterben… ich will noch nicht sterben… bitte helfen Sie mir… ich brauche Sie… es tut mir so leid…“

„Ihre Zeit ist noch nicht gekommen! Sie werden leben.“



Ich streiche ihr übers Haar und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn.



„Shhh… ist ja gut. Ich werde Ihnen helfen, ich werde immer für Sie da sein.“

„Es tut mir leid, dass ich Ihnen wehgetan habe, das habe ich nicht gewollt. Ich dachte, dass wenn ich Sie von mir fern halte, ich besser mit der ganzen Situation klar komme, aber ich habe mich geirrt, schrecklich geirrt! Ich habe mir nur etwas vorgemacht und Ihnen auch. Als ich Sie vorgestern rufen lassen habe, weil sich mein Zustand verschlechtert hatte, wollte ich eigentlich mit ihnen reden und mich verabschieden und mich für alles bedanken, was Sie für mich getan haben, aber ich konnte es nicht… stattdessen habe ich Sie verletzt, mit dem was ich gesagt habe, ich wollte damit erreichen, dass Sie mich hassen und Sie sich meinen Tod nicht so zu Herzen nehmen. Es tut mir schrecklich leid, dass müssen Sie mir glauben.“

„Ist schon in Ordnung, shhh… es ist okay.“

„Hab ich Sie sehr geschlagen, tat es weh? Ja, es tat weh, tut mir leid, ich war nur so sauer auf mich, auf Sie und auf den Krebs. Tut mir leid, dass ich Sie als Punchingball benutzt habe.“

„Ich werde es überleben…“, grinste ich sie an.

„Im Übrigen wollte ich genau das bezwecken. Ich wusste, dass Sie sich selber anlogen und ich wollte Sie aus Ihrem Schneckenhaus rausholen. Schön, dass Sie jetzt wieder kämpfen wollen.“

„Ohne Ihre Hilfe hätte ich das nie geschafft, danke.“



Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange und schaut mich an. Ich halte ihren Kopf in beiden Händen und streichle ihr die Tränen von den Wangen. Sie lächelt.

Ich sehe in ihren Augen etwas, was ich lange nicht mehr gesehen habe und vermisst habe. Sie hatte es verloren, doch nun hat sie es wieder. Ich bin froh, es wieder zu sehen. Es ist der eiserne Wille, der Wille, der sie kämpfen lassen wird.

Nun bin ich mir sicher, zusammen schaffen wir es.

Wir werden kämpfen!



Nachdem wir noch eine ganze Weile so zusammen gesessen haben, verabschiede ich mich von ihr mit dem Versprechen morgen wiederzukommen.

Ich habe sie wieder. Sie würde versuchen durchzuhalten, bis die Ärzte ein Mittel gegen ihren wütenden Krebs finden würden. Sie musste es einfach schaffen…



Gedankenverloren gehe ich die einsamen Krankenhauskorridore entlang, den Blick auf den Boden gerichtet.

Eine mir unbekannte Stimme holt mich aus meinen trüben Gedanken zurück.

„Mr. Mulder?“

Ich blicke mich um und sehe hinter mir einen Arzt aus einem der anderen Korridore kommen.

Er sieht müde und übernächtigt aus, hat kurze blonde Haare und kommt mit schnellen Schritten auf mich zu.

„Ja?“

„Mr. Mulder, wissen Sie schon, ob sich Margaret Scully für ein Hospiz entschieden hat? Es wird langsam Zeit, wir können hier nicht mehr viel für ihre Tochter tun. Ich habe versucht, heute ihre Mutter zu erreichen, doch leider vergebens, daher dachte ich, vielleicht wüssten Sie…?“

Mein Herz setzt aus. Was sagt er da?

„Was? Wie meinen Sie das?“

„Mr. Mulder, Dana Scully geht es wirklich sehr schlecht. Ich hatte mit ihrer Mutter darüber geredet, wie es weiter gehen soll. Ich empfahl ihr einige sehr gute Hospiz-Einrichtungen. Es ist so gut wie unmöglich eine schwerkranke Person rund um die Uhr zu pflegen. Es gibt Menschen, die das sehr viel besser können und dafür geschult wurden. Ich empfehle Ihnen wirklich dringend mit Mrs. Scully darüber zu reden…“

Der Pieper des Arztes meldet sich plötzlich. Er zieht das kleine, blinkende Gerät aus seinem weißen Kittel und schaut darauf.

„Ein Notfall, Mr. Mulder, ich muss leider gehen. Aber reden Sie auf jeden Fall mit Mrs. Scully! Er dreht sich auf dem Absatz um und läuft den Korridor entlang, aus dem er gekommen war. Seine Schritte hallen noch lange in meinen Ohren. Ich kann es nicht fassen.

Eben war ich noch überzeugt davon, dass Dana es schaffen würde, doch jetzt… Ich schlucke schwer.

Der Kloß, der sich seit dem Gespräch mit dem Arzt festgesetzt hat, will einfach nicht verschwinden. Ich muss mich setzen. Ich lasse mich schwer auf die kühlen Krankenhausstühle rechts von mir fallen und vergrabe das Gesicht in den Händen.

Will Margaret Scully ihre Tochter wirklich in ein Hospiz stecken? Ich kann es nicht fassen. Ich habe Scully gerade davon überzeugt, dass sie es schaffen kann und jetzt bin ich noch nicht mal selbst mehr davon überzeugt.



Erst jetzt wird mir klar, wie schlimm es um Scully wirklich steht.

Ich richte mich langsam wieder auf und entschließe mich, Mrs. Scully einen Besuch abzustatten.
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