World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Ein Neuanfang (Teil 2)

von XFilerN

Kapitel 4

Außerhalb von St. Paul
Einige Stunden später

Scully stand in der Küche, schnitt den Salat klein und dachte über den Fall nach. Sie war wieder die alte Dana Scully, die selbst zu Hause nicht von ihrer Arbeit ablassen konnte. Das Opfer ließ ihr keine Ruhe mehr, da es auf bestialische Weise ermordet wurde, und lediglich einen Bericht an Agent Bocks schicken konnte, anstatt der Sache selbst auf den Grund zu gehen. Eigentlich war sie zufrieden mit ihrem neuen Job, doch in diesem Fall wünschte sie sich ihre Marke, die Waffe und Mulder zurück. Sie kam sich nutzlos vor, da sie Bocks bisher nicht weiterhelfen konnte.

Scully wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Lucy ihr einen sanften Hieb gegen die Schulter gab. „Hey, Erde an, Dana. Wo bist du nur schon wieder mit deinen Gedanken. Ich hatte gefragt, ob du Lust hast, mit mir ins Kino zu gehen?“

Sie blickte verdattert zu ihrer Freundin auf und legte das Messer beiseite. „Wann?“

„Nach dem Essen.“

„Nein, ich meine, wann du mich das gefragt hast?“

Lucy zog ihre Augenbrauen zusammen und sah mürrisch zu Scully. „Na eben gerade, als du den Salat vorbereitet hast. Du hast es nicht mitgekriegt?“

Scully bereute diese Frage gleich, denn Lucy sah ziemlich unzufrieden aus. „Okay, lass uns gehen. Welchen Film schlägst du vor?“, fragte Dana, um wieder ein Lächeln in Lucys Gesicht zu zaubern, welches auch sofort folgte.

„Ist doch egal, was für ein Film. Hauptsache ist, dass wir mal hier rauskommen.“ Sie kicherten beide, denn Lucy hatte recht. Beiden war bewusst, dass ihnen sonst bald die Decke auf den Kopf fallen würde. Sie hatten schon seit einer Weile nichts mehr zusammen unternommen. Und mit Lucy wurde es Scully nie langweilig, denn sie schaffte es immer, diese zum Lachen zu bringen. In der kurzen Zeit, die sie sich kannten, waren sie zu den besten Freundinnen geworden.

Scully hatte, nach ihrer Kündigung beim FBI und ihrem Neuanfang nicht gedacht, dass sie je ein Privatleben haben würde. Die Arbeit war immer ihr Leben gewesen, doch Lucy hatte ihr gezeigt, dass es viel Spaß machen konnte, eben nicht nur an die Arbeit zu denken.

Das Telefon klingelte und Lucy ging ran. „Lucy Michaels“, meldete sie sich und musste ein erneutes Kichern unterdrücken, als sich ein Mann in der Leitung meldete. Scully sah sie fragend an. „Ja sie ist hier, Sekunde.“ Sie hielt den Hörer weiter weg und hob das Sprechteil zu. „Es ist dein Kollege.“

Ihr Lächeln verschwand augenblicklich, denn Scully hatte insgeheim gehofft, dass es Mulder sei. Grey fragte, ob sie Lust hätte mit ihm auszugehen, das war bereits seine zweite Einladung in dieser Woche. Sie fühlte sich geschmeichelt, denn er schien sehr an ihr interessiert zu sein. Allerdings beruhte dieses Interesse nicht auf Gegenseitigkeit. Für Scully gab es nur einen Mann. Selbst wenn dieser scheinbar ewig auf sich warten ließ. Also sagte sie Grey wieder Mal ab. „Ich gehe mit meiner Mitbewohnerin aus, tut mir leid, Jon. Vielleicht ein andermal. Wir sehen uns dann Montag wieder.“ Es lag nicht in ihrer Absicht ihn zu verletzten. Sie verdrehte ihre Augen, als sie den Hörer zurück auf die Gabel legte.

Sie mochte ihn schon sehr gerne, wie sie Lucy erklärte, aber sie vermied es stets eine Beziehung zu Kollegen anzufangen. Und dann gab es da noch Mulder, wie Lucy auffiel. Scully konnte zwar nicht sagen, was für eine Beziehung sie seit dem Kuss hatten, aber sie bekam dennoch ein schlechtes Gewissen, wenn sie einem anderen Mann Avancen machte.

Lucy gab zu, dass sie einen Kerl wie Mulder auch nicht durch einen anderen ersetzen würde, wenn er sie geküsst hätte. Er war nun mal etwas Besonderes.


Washington, D.C.
Arlington

Mulder war gerade an seinem Computer zu Gange und schickte eine E-Mail, an die Einsamen Schützen ab, als das Telefon klingelte. Es war Skinner, der sich meldete und ihm einen neuen Fall zuwies. „Es gibt wieder Arbeit, Agent Mulder.“ Dieser schickte ihm, ohne weitere Erklärung ein Fax zu.

Mulder nahm das Blatt aus dem Gerät, überflog es und fragte Skinner: „Wann soll ich dahin?“

„Ich habe schon einen Flug für Sie buchen lassen. Sie sollten morgen früh um acht Uhr am Flughafen sein. Sie wurden extra angefordert, um ein Täterprofil zu erstellen. Also machen Sie sich mit der Akte vertraut.“ Skinners Stimme klang besorgt, jedoch wollte Mulder nicht weiter nachfragen und legte wieder auf.

Erst als er den Bericht des Pathologen genauer durchlas erkannte er, das was seinen Chef beunruhigte. Es war Scullys Autopsiebericht, den sie an Bocks geschickt hatte. Der wiederum hatte ausdrücklich um Mulders Unterstützung gebeten, da sie in der Vergangenheit schon einmal einen ähnlichen Fall zusammen gelöst hatten.

Damals waren er und Scully noch nicht sehr lange Partner gewesen. Erst knapp ein Jahr, doch während des Falles waren sie sich in gewisser Weise nähergekommen. Nachdem Donnie sie gekidnappt und beinahe getötet hatte, war Scully ihm weinend und zitternd vor Angst in die Arme gesunken. Dieser Fall hatte jahrelang für Alpträume bei ihr gesorgt und nun, dass wusste er genau, würde das Opfer diese Erinnerung wieder in ihr Gedächtnis zurückrufen. Mulder machte sich schon darauf gefasst, sie als nervliches Wrack vorzufinden, wenn er in Minneapolis ankommen würde. Er hatte damals schreckliche Angst um sie gehabt und dieser Fall rief dieselbe Angst erneut in ihm hervor. Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken und er bekam Gänsehaut am ganzen Körper, als er sich der Gefahr bewusst wurde, in der sich Scully möglicherweise befand. Sie war allein, ohne ihn, ohne Waffe und ohne jeglichen Schutz. Dann fiel Mulder etwas ein und er griff zu seinem Telefonbüchlein, um eine bestimmte Nummer zu suchen. Er fand sie und hämmerte blitzschnell die Zahlenkombination in sein Telefon ein.

Es klingelte einmal, zweimal, dreimal - und dann endlich ging jemand dran. „Agent Moe Bocks“, meldete sich die Stimme gelassen.

„Hier ist Fox Mulder.“ Dringlichkeit lag in seiner Stimme. Er sprach weiter und als ob die Geschwindigkeit seiner Worte, ihr schneller helfen konnten, ratterte er sie herunter, ohne einmal Luft zu holen. „Ich möchte, dass Sie Dana Scully überwachen. Ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Bitte lassen Sie sie nicht aus den Augen. Ich denke, sie ist in Gefahr.“ Mulder rang nach Atem, nachdem er seinen Worten durch einen befehlerischen Ton Nachdruck verliehen hatte.

Auch in Bocks Stimme lag nun ein Ausdruck, der von Besorgnis und einem Hauch Neugier getragen wurde, als er fragte: „Agent Mulder, haben Sie etwa schon einen Verdacht?“

„Nein, aber eine schreckliche Vorahnung. Vertrauen Sie mir und beschützen Sie Scully, bitte.“ Furcht lag in seiner Anweisung, als er antwortete und seine Worte nun mehr nach einem Flehen, als nach einer Anweisung klangen.

„Geht klar, Mulder, ich übernehme persönlich die erste Schicht. Wir sehn‘ uns dann morgen“, sagte Bocks noch und dann war die Leitung tot.

Mulder hetzte ins Schlafzimmer, um zu packen und legte sich anschließend ins Bett. Sein Optimismus, einschlafen zu können, wechselte in Zorn um, als er nach vier Stunden immer noch wach war. Er sah etwa alle zehn Minuten auf seinen Wecker und gab die Hoffnung schließlich auf. Er quälte sich aus den Federn, holte sich frische Kleidung und ging ins Badezimmer, um sich zurecht zu machen.

xXx

Er saß an seinem Esstisch im Flur und zwang sein Frühstück in sich hinein, denn großen Appetit hatte er nicht. Doch da ihm Schlaf fehlte, musste sich Mulder auf diese Weise stärken. Seit er aus dem Bad gekommen war, hatte er schon eine Kanne schwarzen Kaffees getrunken, um den Schlaf zu unterdrücken, welchen sein Körper nun forderte. Ganz nebenbei reinigte er seine Pistole und lud sie voll, nur um sicher zu gehen. Dann tat er dasselbe mit seiner Zweitwaffe, die er für Notfälle immer bei sich trug. Allerdings wollte er sie Scully geben, damit sie nicht ohne Schutz war. Er hoffte, dass er an alles gedacht hatte, als er mit den Koffern beladen sein Apartment verließ. Ein letzter Blick in den Spiegel, verriet ihm, dass er etwas vergessen hatte. Aber er hatte keine Zeit mehr, um sich zu rasieren und es war ihm auch egal. Das einzige was zählte, war so schnell wie möglich zu Scully zu fliegen. Mulder hoffte inständig, dass es ihr gut ginge und sie wohlauf war. Er könnte es sich niemals verzeihen, wenn ihr etwas geschehen würde. Er wollte sie beschützen.


Minnesota
St. Paul
Gerichtsmedizinisches Gebäude

Scully stand vor dem Obduktionstisch, sah sich die Leiche darauf an und sprach, nach der Autopsie, in das Diktiergerät in ihrer Hand. „... das Opfer wurde mit der exakt gleichen Brutalität ermordet, wie auch Meredith Brooks. Daraus schließe ich, dass die identischen Morde von einem Serientäter begangen wurden. Melanie Stone und Meredith Brooks werden daher, höchst wahrscheinlich nicht die einzigen Opfer in dem Fall bleiben. Aus Mangel an Beweisen gelang es weder mir, noch meinem Kollegen, ein entsprechendes, nützliches Täterprofil zu erstellen. Agent Bocks hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass er diesbezüglich Hilfe angefordert hat. Das einbehalten der Herzen, lässt vermuten, dass der Täter sie als Trophäen sammelt. Was sein krankes Verhalten untermauern würde. Ende des Berichts 25 96 78.“


Minneapolis
St. Paul
International Airport

Mulder ging vom Terminal direkt zur Autovermietung Hertz und lieh sich einen Wagen. Er war froh, dass er pünktlich angekommen war, denn er hatte befürchtet, wegen des vorhergesagten Schneegestöbers in Verspätung zu geraten. Er fuhr trotz des heftigen Schneefalls nicht langsamer als sonst, um so schnell wie möglich im FBI-Büro anzukommen. Mulder hupte wie wild, als ein anderer Wagen vor ihm plötzlich eine Vollbremsung machte und tat es dem gleich, um keinen Unfall zu bauen. Das wäre das Letzte, was er jetzt brauchen konnte. Ein nervöser Blick auf die Uhr, verriet ihm, dass es schon 14:13 Uhr war. „Verdammt, verdammt, verdammt!“

Dummerweise hatte er Scullys Telefonnummer nicht im Kopf, geschweige denn, die von ihrer Arbeitsstelle. – Bocks – Mulder griff zum Handy und suchte in dem Verzeichnis nach der Nummer, als er sie endlich gefunden hatte, wählte er sie an. Die Ampel vor ihm schaltete auf Rot und er bremste. Der Wagen kam zum Stillstand, als Bocks sich meldete.

„Ich bin’s Mulder. Ist sie okay?“, fragte er unruhig und angespannt.

„Ja, natürlich. Sie ist die leitende Pathologin, wieso sollte sie in Gefahr sein?“, wollte Agent Bocks wissen. Er schien vollkommen gelassen zu sein und nahm Mulders Warnung nicht besonders ernst.

„Wird sie noch überwacht?“ Mulder konnte ein tiefes, genervtes Seufzen auf der anderen Seite der Leitung hören, bevor er eine Antwort erhielt.

„Mein Partner bewacht sie. Wann erklären Sie mir endlich, was Sie derartig beunruhigt?“

„Sobald ich bei Ihnen bin. Bis dann.“ Das Piepen seines Akkus forderte Mulder auf, das Gespräch zu beenden. Wütend schaltete er das Handy ab und warf es achtlos auf den Beifahrersitz. Sein Trommeln auf das Lenkrad kennzeichnete seine steigende Ungeduld. Die Ampel wurde grün und er konnte schließlich weiterfahren.


FBI-Außenstelle

Moe Bocks saß gelassen hinter seinem Schreibtisch, als seine Bürotür äußerst energisch aufgestoßen wurde und Mulder hereinstürmte. Moes Sekretärin folgte ihm dicht auf den Fersen und wandte ihre Entschuldigung an Bocks, der sich erschrocken in seinem ledernen Sessel aufgerichtet hatte. „Sir, es tut mir leid, aber ich konnte ihn nicht aufhalten. Ich sagte ihm ...“

„Ist schon gut, Lizzy. Gehen Sie wieder an die Arbeit.“

Mulder sah zu Lizzy und zurück zu Moe, bevor er sich auf einen der Stühle vor dem Tisch setzte.

„Dann schießen Sie mal los, Mulder. Weshalb glauben Sie, dass Scully gefährdet ist?“

Ihre Blicke trafen sich. „Ich hab nur so eine Ahnung. Beweisen kann ich es nicht.“

Moe schüttelte seinen Kopf. „Sie sind paranoid. Hat Ihnen das schon mal jemand gesagt, Mulder?“

Er nickte Bocks genervt zu. „Mag sein, aber Sie sollten mir vertrauen.“

„Wir dürfen Age... Miss Scully nicht in ihrem Privatleben stören. Ohne brauchbare Argumente muss ich die Überwachung abbrechen. Es tut mir leid, Mulder.“ Gesagt, getan Agent Bocks griff zum Telefon und setzte dem ein Ende, denn er hatte recht und Mulder konnte ihm keine Beweise geben.

„Dann passe ich auf sie auf.“ Mulder erhob sich empört über die mangelnde Kollegialität und verließ wutentbrannt das Büro.

Bei dem lauten Knall, als er die Tür zuzog, zuckte Bocks auf seinem Sessel zusammen. Dann meldete sich sein Kollege, Agent Standon in der Leitung, die sich inzwischen aufgebaut hatte. „Du kannst die Bewachung beenden. Mulder wird ab sofort übernehmen.“



Gerichtsmedizinisches Institut

„Hey Dana, hast du Lust am Wochenende mit mir auszugehen?“ Jonathan Grey schenkte ihr sein unschuldigstes Lächeln und blickte ihr fragend in die Augen. „Komm schon. Ich verspreche, dass es dir an nichts fehlen wird. Wir tun was du willst“, fügte er beinahe bittend hinzu, als sie ihm nicht gleich antwortete, sondern ihm ihren lieber-nicht-Blick entgegnete.

Sie sah nachdenklich aus und gab ihm schließlich zu verstehen: „Ich denke darüber nach. Kann ich dir morgen eine Antwort geben?“

Er nickte zustimmend, denn er würde alles tun, um eine Verabredung mit ihr zu bekommen. Selbst wenn das hieße, viel geduldiger sein zu müssen, als er es sonst war. Grey hatte sich gleich, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, in Scully verliebt. Sie gehörte zu der Sorte Frauen, die stark, intelligent und ausgesprochen attraktiv waren. Sie besaß Humor, Charme, Esprit und Ausstrahlung wie keine andere, dachte er bei sich. Diese Sorte Frau wollte man am liebsten sofort heiraten, um sie niemals zu verlieren. Selbst die Tatsache, dass Scully täglich mit Toten in Berührung trat schreckte ihn nicht ab. Schließlich war er selbst, seit einem Jahr ausgebildeter Pathologe und er mochte seinen Beruf sehr. „Gehen wir zusammen in die Mittagspause?“

Seine Fragerei schien Scully zu nerven, denn sie schüttelte energisch den Kopf und fügte ihrer Geste eine Begründung hinzu. „Ich hab noch keinen Hunger, Jon. Der Anblick des Opfers hat mir regelrecht den Appetit verdorben.“ Ein schmales Lächeln zierte ihren Mund. Er verstand ihre Aufforderung allein zu gehen und tat es zu ihrer Erleichterung.

Grey war noch nicht sehr lange weg, als ein weiterer Kollege zu ihr kam. „Ein Agent Mulder sucht Sie“, sagte er und forderte sie unnötigerweise auf, ihm zu folgen.

Sie kam sich albern vor, denn es war nicht ihre Art sich wie ein liebeskranker Teenager zu verhalten. Dennoch konnte sie ihre Freude über seinen Besuch kaum unterdrücken. Er stand mit dem Rücken zu ihr, als sie ihn im Foyer entdeckte. Das gab Scully die Gelegenheit, seinen Anblick in sich aufzunehmen, ohne dabei ertappt zu werden. Er trug wie immer einen schwarzen Anzug und dazu passende Schuhe. Seine Haltung spiegelte seinen Charakter wieder, vollkommen aufrecht. Sein dunkelbraunes Haar schien frisch geschnitten zu sein. Kurz, Mulder sah so gut aus, wie eh und je.

Scully schlich sich an ihn heran und tippte ihm auf die Schulter. Mulder drehte sich augenblicklich um. „Dana. Hey wie geht’s dir?“ Er nahm sie in die Arme, als sie ihn anlächelte.

„Gut, jetzt wo du da bist. Aber was machst du hier?“ Ihre beiderseitige Freude, ließ sie unentwegt weiter lächeln.

Dann wurde Mulders Gesichtsausdruck ein wenig ernster und Scully befürchtete das Schlimmste. Sätze wie, – Ich habe eine andere gefunden. Ich will dich nicht! – schossen ihr durch den Kopf. „Ich bin hier ... zum einen, um dich wiederzusehen und zum anderen wegen des Falls.“

Dana bemerkte erst jetzt, dass sie ihren Atem angehalten hatte und ließ erleichtert die angestaute Luft aus ihren Lungen entweichen. „Der Fall?“, wollte sie wissen und Mulder nickte ihr zu.

„Hast du Lust, das beim Essen zu besprechen? Ich bin nämlich kurz vorm verhungern.“ Mulders Blick machte seine Frage noch deutlicher und er grinste sie verschmitzt an.

„Gern. Ich hole nur noch meine Tasche.“ Sie eilte zurück, von wo sie gekommen war und tat genau dies. Ihr kam die Sache ziemlich paradox vor, ausgerechnet beim Essen über verstümmelte und geschändete Leichen zu reden, doch sie willigte ein. Hauptsächlich, um in seiner Nähe sein zu können. Auf dem Rückweg kramte sie in der Handtasche und fand endlich den ersehnten Spiegel. Ein kritischer Blick auf ihr Äußeres, veranlasste sie zu stoppen und Lippenstift aufzutragen. Sie fragte sich, seit wann sie so eitel war. Doch es war ihr eigentlich egal, denn sie wollte sich für Mulder zurechtmachen und nicht für sich selbst.

Ihr war Mulders Dreitagebart aufgefallen, als sie sein Gesicht sah und sie stellte fest, dass er ihn noch attraktiver machte. Der Bart hatte etwas Wildes an sich, das Dana geradezu anzog. Sie wurde unmerklich rot, als sie sich ihrer Fantasien bewusst wurde. Sie atmete tief durch, bevor sie zu Mulder zurückging. Er erwartete bereits sehnlich ihre Rückkehr und führte sie, ganz Gentleman, aus dem Gebäude.

Seit ihrer Abreise von Washington hatten sie nicht besonders oft telefoniert. Und keines der Gespräche konnte Scully einen Hinweis auf ihr damaliges Angebot geben. Sie tappte im Dunkeln, denn es war bei diesem einen, unschuldigen Kuss geblieben. Der Fall hatte ihn hierhergeführt, wie sie feststellen musste und nicht seine Entscheidung zu ihr zu kommen. Er hatte es zwar nicht gesagt, aber seine rein freundschaftliche Begrüßung ließ darauf schließen. Scully war ein wenig enttäuscht deswegen, jedoch zeigte sie es Mulder nicht. Sie wollte ihn nicht drängen.

„Jetzt hier links rein und die nächste rechts, dann sind wir schon da.“ Dana kannte sich inzwischen, dank Lucy ein bisschen in Saint Paul aus und lotste Mulder in eines der besten der günstigeren Restaurants. Während der Fahrt hatten sie sich kaum unterhalten. Meistens sprach Scully und es waren auch lediglich die Anweisungen, in welche Richtung, er als nächstes fahren sollte. Scheinbar war genau das geschehen, wovor sie sich immer gefürchtet und weshalb sie keine romantische Beziehung zu Mulder hatte eingehen wollen: Sie konnten nicht mehr miteinander reden, nicht so wie früher. Sie hätte es am liebsten rückgängig gemacht, doch es war nicht mehr zu ändern. Sie war nach dem Kuss so glücklich gewesen, dass sie die bedeutsamsten Worte der Welt am liebsten laut ausgerufen hätte. Es war gut, dachte sie, dass sie es ihm nicht gesagt hatte. Scully hoffte, dass ihre Freundschaft im Laufe der Zeit wieder normal werden würde.

xXx

Grey saß an seinem Tisch und wartete ungeduldig auf seine Bestellung. Er nippte an seinem Glas Wasser und ließ seine Blicke suchend durch das Restaurant schweifen. Dann endlich kam ein Kellner und servierte ihm sein Essen. „Ich bezahle gleich. Was bin ich Ihnen schuldig?“, wollte Jon von dem Kellner wissen und zückte derweil schon sein Portemonnaie. Der Kellner nannte ihm den Preis und Grey bezahlte.

Während er sein Mittagessen einnahm, schaute Grey sich in dem Restaurant um, denn er mochte es, andere Menschen zu beobachten. Es gab hier die verschiedensten Menschen, die alle eins gemeinsam hatten, sie kamen wegen des Essens her. An einem der gegenüberliegenden Tische entdeckte er ein Paar, das sich verliebt zulächelte und sich scheinbar angeregt unterhielt. Plötzlich kramte der junge, blonde Mann eine kleine Schachtel aus der Jackentasche, kniete sich vor seine Freundin und machte ihr vor all den Menschen einen Heiratsantrag. Grey lächelte unwillkürlich, als sie ihrem Freund um den Hals fiel und den Antrag annahm. Tosender Beifall begleitete die Freude des jungen Paares und Grey klatschte eifrig mit. Was konnte romantischer sein, als vor so vielen Menschen die Liebe zu offenbaren. Mut gehörte allerdings auch dazu, denn sie hätte ihn auch ablehnen können. Er beneidete dieses glückliche Paar und er fragte sich, ob er wohl auch jemals ein solches Glück in der Liebe haben würde.

Nach wenigen Momenten machte er sich wieder an sein Steak und ließ seine Blicke weiter umherwandern. Dann machte er eine weitere unerwartete Entdeckung. Seine Kollegin, die nicht mit ihm zum Essen gehen wollte, mit der Begründung keinen Appetit zu haben, saß in dem Lokal und gab eine Bestellung auf. Das wäre für ihn grundsätzlich nicht so schlimm gewesen, aber Scully war keineswegs alleine da. Ein unbekannter Mann war ihr Begleiter. Ein gut aussehender Mann, ein Konkurrent, der offensichtlich im Begriff war, um Scullys Gunst zu werben. Das war vielleicht übertrieben, aber Grey raste vor Eifersucht. Er konnte den Anblick von Scully und dem Fremden nicht länger ertragen, wischte sich seinen Mund ab und stand auf. Wenn Blicke töten könnten, hätte es den Mann an ihrer Seite voll erwischt, denn Greys fiesester Blick hing an dem Mann fest. Er ließ ihn nicht aus den Augen, bis er aus dem Restaurant verschwunden war.

xXx

„Okay, Dana, was haben wir?“ Mulder sah Scully über den Tisch hinweg an, blätterte die Akte auf und warf einen kritischen Blick auf die Fotos der Opfer.

„Wir, Mulder? Es gibt kein wir mehr. Du bist der ermittelnde Agent, ich bin nur die Pathologin.“

Er blickte sie überrascht an und musterte ihren Gesichtsausdruck. Sie hatte ihre Aussage scheinbar ernst gemeint. „Ich dachte, du würdest mir dabei helfen.“

Scully zuckte mit den Schultern. „Wie kann ich dir schon helfen? Du bist das Genie, das Bocks extra zu dem Fall hinzugezogen hat.“

Zunächst fragte Mulder sich, woher der Wind wehte und Scully sich scheinbar nutzlos vorkam, doch dann beschloss er sie einfach vom Gegenteil zu überzeugen. „Dana, ich brauche deine Hilfe. Ich habe sie schon immer benötigt und das weißt du auch.“

Einige Sekunden des Schweigens vergingen, bis Scully sich geschlagen gab. „Also, was willst du wissen?“

„Gab es irgendwelche Vorkommnisse, die möglicherweise mit den Morden in Verbindung gebracht werden können? Versuch dir die letzten Tage ins Gedächtnis zurück zu rufen.“

Sie sah Mulder fragend an und war sich nicht sicher, worauf er hinaus wollte.

„Ich habe, seit ich deinen Befund gelesen habe, ein merkwürdiges Gefühl bei der Sache“, erklärte er.

„Du glaubst doch hoffentlich nicht, dass das was mit mir zu tun hat, Mulder?“

Er machte sich große Sorgen um sie. „Ich möchte dir keine Angst machen, aber ja, ich denke, dass es was mit dir zu tun haben könnte.“

Dana begann freudlos zu lachen, schüttelte den Kopf und sah ihn dann eindringlich, aber auch belustigt an. „Das kann doch nicht dein Ernst sein?“


– Typisch, wie früher! Du machst dir Sorgen und sie nimmt dich nicht für voll. – „Bitte, Dana, denk gründlich nach. Gibt es irgendwelche Parallelen zu den Morden?

Sie sah seinen besorgten Gesichtsausdruck. Er hatte ihr Lachen einfach ignoriert und ging nicht auf darauf ein. Stattdessen fragte er selbstsicher weiter, das wiederum beunruhigte Scully dann doch. Sie überlegte eine Zeitlang, aber ihr fiel nichts ein, woraufhin sie wieder ihren Kopf schüttelte. „Nein, Mulder, es gibt keine Verbindung zwischen den Opfern und mir oder irgendeinen anderen Zusammenhang.“ Die Anspannung zwischen ihnen wurde durch die Lieferung des Essens aufgehoben. „Ich möchte gleich bezahlen“, sagte Scully zu der Kellnerin, doch Mulder hatte sein Geld schon bereit und bezahlte ihre Rechnung mit.

Beim Essen wechselten sie endlich, sehr zu Scullys Freude, das Thema. Mulder erzählte ihr von Samantha und ihrer Familie. Davon, wie er mit seiner Schwester und den Kindern regelmäßig im Park war, um Baseball, Football und dergleichen zu spielen. Er machte einen glücklichen Eindruck auf sie, denn nun hatte er seine Familie und sein Privatleben wieder. Sie freute sich mit ihm, als er ihr lächelnd von den Streichen erzählte, die er mit Sams Jungs ausgeheckt hatte, um seine Mutter zu ärgern. Es schien als würde er durch seine Neffen, seine eigene verlorene Kindheit wiederaufleben lassen. Mulder trug sogar Fotos mit sich herum und erklärte Scully genau, wer welcher Neffe war und wie sie heißen. Sie hörte ihm aufmerksam zu, bis sie sich verabschieden mussten und Scully zurück an die Arbeit ging.


Gerichtsmedizinisches Institut

Nachdem Scully sich wieder ihre Schutzkleidung übergezogen und sich die Haare zusammengesteckt hatte, ging sie entspannt zurück an ihren Arbeitsplatz. Grey war schon dabei, eine Obduktion durchzuführen als sie den Raum betrat und zu ihm trat. Anders als sonst begrüßte er sie nicht und arbeitete stumm weiter. Er ignorierte sie ganz offensichtlich, jedoch wusste sie nicht weshalb.

„Hey, Jon, bist du mir noch böse, weil ich nicht mit dir in die Pause gegangen bin?“ Das schien ihr die einzig logische Erklärung für sein Verhalten. Sie sah ihn fragend an, doch er reagierte nicht im Geringsten. „Hör mal, wir können doch morgen zusammen Essen gehen“, schlug sie als Friedensangebot vor.

Endlich nahm er Kenntnis ihr und legte das Skalpell auf ein Tablett. Grey stützte sich mit den Händen auf den Tisch und sah sie zornig an. „Es ging mir nicht um die Pause. Du sagtest, du hättest keinen Appetit, und dann sehe ich dich wenig später mit ... mit dieser … Pfeife im Truvi’s.“

„Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Außerdem ist Mulder keine Pfeife, sondern mein ehemaliger Partner. Wieso bist du so sauer?“ Ihre Stimme wurde ungewollt laut und energisch, als sie sich und Mulder verteidigte.

Grey schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch, der zwischen ihnen stand, worauf Scully erschrocken einen Schritt rückwärts machte. „Verdammt, Dana, wie kannst du mir das antun? Du musst doch bemerkt haben, dass ...!“

„Das was? Das du an mir interessiert bist!“ Scully fiel ihm ins Wort und schrie zurück. „Es tut mir ja leid, Jon, aber das beruht nicht auf Gegenseitigkeit.“ Sie senkte ihre Stimme ein wenig, um ihn zu beruhigen, doch stattdessen wurde er noch wütender.

Er stieß das Tablett um und kam auf sie zu. Sein Blick war leer, eiskalt und er wurde zunehmend aggressiver. Scully wich ihm instinktiv aus, als er mit in die Hüfte gestemmten Händen langsam auf sie zu kam. „Dana, du bist das Letzte. Seit du hier bist, flirtest du mit mir. Und jetzt da Mr. Wichtig aufgetaucht ist, bin ich nur Luft für dich“, zischte er sie an und ging weiter auf sie zu.

Scully war sprachlos. Sie fühlte sich wie gelähmt, durch seine Blicke. Sie waren hasserfüllt und kalt. Sie wollte raus, nur raus und weg von Grey. Er jagte ihr mit seiner Eifersucht Angst ein und kam unaufhörlich näher. Als sie weglaufen und ihm aus dem Weg gehen wollte, griff er nach ihrem Handgelenk und hielt sie eisern fest. Sie konnte kaum atmen, so erschrocken war sie durch sein irrationales Verhalten. Sie hatte ihm nie Avancen gemacht, dessen war sie sich sicher. „Lass mich sofort los, Jon. Du tust mir weh.“

„Du hast mir viel mehr weh getan, Dana. Wie kannst du mir das antun?“

Sie hoffte inständig, dass ihre Stimme so fest klang, wie sie es wollte. „Lass mich los, Jon. Sofort!“

Widerwillig tat er es und wurde sich ihrer Angst bewusst. Er fasste sich an den Kopf und sah ihr todunglücklich in die Augen. „Es tut mir leid, Dana. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.“ Er wusste, dass diese wenigen Worte seine Tat nicht ungeschehen machen konnten, doch ihm fiel nichts Besseres ein.

Sie sah ihn verbittert an, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, derer sie sich erst jetzt bewusst wurde und schüttelte ihren Kopf ein wenig. „Ich habe dir nichts mehr zu sagen. Ich werde um eine andere Zuteilung bitten.“ Ihre Stimme war nun fest und entschlossen. „Wenn du mich je wieder ansprichst oder mir zu nahe kommst, werde ich dich melden.“

Er nickte zustimmend, auch wenn es ihn verletzte, dass die Frau die er liebte, nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Er war sich seiner Schuld in dieser Angelegenheit bewusst und wagte es daher nicht, ihr zu widersprechen.

Scully war ohne weitere Worte gegangen und ließ Grey allein zurück. Sie bat bei ihrem Vorgesetzten darum, den heutigen Nachmittag frei zu bekommen und schilderte ihm was geschehen war.

„Wollen Sie ihn anzeigen?“, fragte er, jedoch verneinte sie es.

„Ich möchte es auf sich beruhen lassen, so lange es bei diesem einen Fehlverhalten bleibt. Aber ich kann nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten, Sir.“

Er nickte und gab ihr den restlichen Tag frei.


Scullys Haus
Einige Zeit später

„Dana, wie kannst du diesen Kerl einfach so davon kommen lassen? Du hast sie wohl nicht mehr alle!“ Lucys Stimme war energisch, denn sie verstand es nicht. Es ging über ihren Horizont hinaus. „Du kannst ihn locker wegen Belästigung am Arbeitsplatz, Körperverletzung und seelischer Grausamkeit anzeigen. Das sollte dir als Ex-Agentin doch klar sein.“

Scully nickte, während sie das Geschirr aus der Spülmaschine räumte. „Ich weiß, aber das sehe ich eher als Mobbing an. Ich will nicht, dass er meinetwegen seinen Arbeitsplatz verliert.“

Lucy starrte Scully ungläubig an. „Ich werde nicht schlau aus dir. Wie kommst du auf die Idee, Rücksicht auf diesen Kerl zu nehmen?“

Das Klingeln an der Haustür verschaffte Scully, die Gelegenheit dieser Unterhaltung ein Ende zu setzen. Sie ging zur Tür und öffnete diese. Lucy folgte ihr und sah Mulder auf der Schwelle stehen. Sie begrüßten sich und Scully bat ihn herein.

Lucy kam auf die beiden zu, begrüßte Mulder ebenfalls und fuhr rücksichtslos mit der unterbrochenen Unterhaltung fort. „Erzähl ihm davon. Ich wette, er ist derselben Meinung wie ich.“

Scullys eindringlicher Blick, als Lucy erneut das Thema zur Sprache brachte, hielt diese nicht ab. Sie meinte es nur gut mit Scully und sah ihr aufmüpfig entgegen. Mulders Neugierde war geweckt und er ließ nicht locker, bis Scully ihm letztlich alles erzählte.

Fassungslos schaute er abwechselnd von ihr zu Lucy und an die Decke. Er hatte die Brauen zusammengezogen und schaute sie ungläubig und auch verärgert an. Dann wandte er sich an Lucy: „Kannst du uns mal kurz allein lassen, bitte.“ Es klang wie ein Befehl und sie gehorchte seinen Worten.

Lucy ahnte, dass Scully jetzt in Schwierigkeiten war, doch sie wollte keinesfalls bei dem Donnerwetter dabei sein, das ihrer Freundin nun bevorstand und verließ die Eingangshalle. Von ihrem Zimmer aus konnte sie Mulders laute, aufgebrachte Stimme trotzdem gut verstehen und auch Scully war nicht gerade leise geblieben. Sie verteidigte sich heftig, während sie sich stritten. Lucy stand hinter der Tür, die einen Spalt weit offenstand und lauschte dem Streitgespräch.

„Das fasse ich nicht, Dana! Er hätte dich verletzen können und du ...!“

„Es ist nichts weiter passiert! Ich hatte und habe alles unter Kontrolle!“, schrie sie zurück und ging ins Wohnzimmer, um Mulder aus dem Weg zu gehen. Doch er folgte ihr, ergriff sie an den Schultern und drehte sie zu sich um. Sie wehrte sich energisch, doch Mulder ließ nicht los. „Lass mich gefälligst los! Du bist kein Stück besser als er!“

Er fühlte sich bei diesen Worten, als hatte Dana ihm einen Schlag unter die Gürtellinie verpasst und ließ abrupt von ihr ab. „Das meinst du hoffentlich nicht ernst. Du weißt doch, was du mir ...“ Er konnte nicht zu Ende sprechen.

„Was soll ich wissen? Du meldest dich kaum von selbst und wenn, haben wir uns meist nicht viel zu sagen. Woher soll ich wissen, was in dir vorgeht?“ Sie provozierte in weiter, aber mit einer sehr ruhigen, beinahe traurigen Stimme.

Seine Stimme war hingegen eher besorgt und unsicher. „Es hätte der Killer sein können, Dana. Ich weiß nicht, was ich tun würde wenn ... wenn dir was geschehen wäre.“

Scully konnte es in seinen Augen sehen, er meinte es ernst und machte sich große Sorgen um sie. Er hätte, wie immer, sich die Schuld gegeben, wäre etwas Schlimmes geschehen, dessen war sie sich sicher. Und dann sah sie noch was in seinen Augen, bevor er seinen Blick von ihr abwandte. – Tränen! – schoss es ihr durch den Kopf. Wie konnte sie so achtlos mit ihm umgehen? Scully hob ihre Hand, legte sie unter sein Kinn und drehte sein Gesicht wieder zu sich, so dass sie ihn sehen konnte.

Mulder war verlegen, denn er hatte seine Gefühle niemals derart außer Kontrolle geraten lassen. Scully nahm ihn in die Arme und als er die Geste erwiderte, legte sie ihren Kopf an seine Brust und konnte seinem Herzschlag lauschen. „Es tut mir leid, Mulder“, flüsterte sie, durch die Dämpfung seines Mantels kaum hörbar.

Er drückte seine Lippen auf ihr Haar. „Mir tut es auch leid. Ich werde zu schnell wütend, wenn es um deine Sicherheit geht. Da schaltet mein Verstand ab.“

Dana hob ihren Kopf und sah in Mulders nussbraune Augen. „Ich weiß, es ist im Grunde, okay.“ Sie standen reglos da und schauten sich an, während die Minuten verstrichen. Plötzlich senkte Mulder seinen Kopf zu ihr runter und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Einen Moment lang war er unsicher, dachte darüber nach, ob es richtig wäre, doch Danas Blick verriet ihm, dass sie nur darauf wartete. Sie hielt den Atem an, als Mulder ihr Gesicht in beide Hände nahm, mit den Daumen über ihre weichen Wangen streichelte und schließlich seinen gesammelten Mut aufbrachte. Sie lächelten einander schüchtern an, dann schlossen sie ihre Augen und ließen sich gehen. Ihre beiden Herzen rasten, als sich ihrer Lippen berührten und sie sich küssten. Zuerst zaghaft und zurückhaltend, dann öffneten sie ihre Münder und ihre Zungen berührten sich zum ersten Mal. Alles um sie herum verschwand. Es gab nur noch sie und sonst niemanden. Einen endlosen Augenblick lang waren sie fest davon überzeugt. Sie küssten sich leidenschaftlicher und liebevoller, als es sich Scully jemals erträumt hatte. Sie genoss es und wollte dieses berauschende Gefühl nie mehr verlieren, doch genau in diesem Moment, als sie sich das wünschte, beendete Mulder den Kuss und sah sie an. Er leckte sich über seine Lippen, hob seine Augenbrauen ein wenig an und grinste verschmitzt.

„Wenn ich geahnt hätte, dass du so gut schmeckst, hätte ich dich schon viel früher geküsst.“

Dana erwiderte sein zufriedenes Lächeln und biss sich sanft auf die Unterlippe. Er bückte sich erneut und küsste sie noch gefühlvoller als zuvor. Mulder hatte sich seit langer Zeit nach diesem Gefühl gesehnt, sie zu küssen, sie berühren zu dürfen und somit die Mauer zu sprengen, die zwischen ihnen gestanden hatte. Noch nie zuvor hatte er sich behaglicher gefühlt, als in diesem Moment. Dieser Kuss vereinte sie, nicht nur körperlich. Vielmehr waren ihre Seelen eins geworden. Zusammen geschweißt für immer in alle Ewigkeit. Nichts und niemand könnte sie jemals wieder voneinander trennen.

Lucy grinste freudig überrascht vor sich hin, als sie es sah. Sie stand an den Türrahmen gelehnt und konnte es kaum fassen, dass sie es endlich geschafft hatten. Ihrer Meinung nach gab es kein Paar auf der Welt, das so gut zusammenpasste, sich so perfekt ergänzte wie Mulder und Scully. Sie räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. Die beiden ließen voneinander ab und schauten verlegen grinsend in ihre Richtung. „Hey, Lucy“, grüßten sie sie unisono.

Das Grinsen verschwand nicht aus Scullys Gesicht. Sie war viel zu glücklich, um sich zu schämen.

„Na endlich“, lächelte Lucy, „das wurde auch allerhöchste Zeit.“ Sie zwinkerte ihnen zu und nahm sie abwechselnd in die Arme. Nach allem was Scully ihrer Freundin im Laufe der wenigen Monate erzählt hatte, waren sie schon öfter kurz davor gewesen, sich zu küssen. Und nun nach mehr als acht Jahren, war es passiert. Lucy hoffte inständig, auch eines Tages auf eine solch überwältigende Liebe zu treffen, da sie eine ausgesprochene Romantikerin war. Sie wollte ihre Freunde nicht weiter stören und sagte, mit einem Augenzwinkern: „Ich gehe ins Kino. Viel Spaß euch beiden.“ Sie ging in die Eingangshalle zurück, holte ihren Mantel und verschwand. Scully und Mulder hätten, selbst wenn sie gewollt hätten, keinen Widerspruch einlegen können, so schnell war sie weg.

„Sie ist eine tolle Freundin“, stellte Mulder fest und strich mit seinen Fingerspitzen durch Scullys Haar.

Sie lächelte ihn an und fügte hinzu: „Lucy ist die Beste.“

Es half alles nichts, sie mussten sich an ihre Arbeit machen und das Private vorerst ruhen lassen. Sie gingen zum Esstisch, da sie dort mehr Platz zur Ausbreitung der bisher gesammelten Indizien hatten. Scully fiel plötzlich ein möglicher Hinweis, eine Verbindung, zu den Morden auf. „Mulder, ich ... vielleicht hattest du mit Jon recht.“

„Inwiefern?“, fragte er neugierig und schaute sie über den Rand seiner Brille hinweg an.
„Seit ein paar Tagen hat er mich immer wieder, um ein Date gebeten ... und einen Tag nach meiner Ablehnung, ist jedes Mal ein Opfer gefunden worden.“

„Bist du dir da auch ganz sicher?“

Dana nickte nur, als Antwort auf seine Frage. Sie dachte einen Augenblick nach. „Wir haben aber keine Beweise, dass er es sein könnte.“ Mulder entschloss sich dennoch, Grey in Untersuchungshaft zu nehmen. Er wollte ihn befragen und mögliche Hinweise sammeln, schließlich war er Scully gegenüber handgreiflich geworden, das würde fürs erste genügen. „Ich werde mit Bocks darüber sprechen.“

Sie nickte wieder und Mulder holte etwas aus seiner Jackentasche. „Ich möchte, dass du die nimmst.“ Er hielt ihr seine Zweitwaffe entgegen. „Mach niemand die Tür auf. Außer Lucy und mir.“

Scully nickte wieder. „Und wenn jemand außer euch kommt?“

„Lass einfach niemanden rein, der dir ein ungutes Gefühl gibt. Verteidige dich, wenn nötig.“

Scully atmete tief durch, bei dem Gedanken allein zu sein, bekam sie Angst. Mulder zog sich an, gab ihr einen flüchtigen Kuss und verschwand.

Scully legte die Waffe auf ein Schränkchen im Flur und ging in die Küche, um sich einen Kräutertee zu machen. Sie hoffte, dass dieser ihre Nerven ein wenig beruhigen würde.

Eine Stunde nachdem Mulder gegangen war, kam Lucy zurück und erzählte von dem Film, den sie sich angesehen hatte. Doch sie unterbrach sich selbst, als sie Scullys besorgten Ausdruck in ihren Augen sah. Nachdem sie die neuen Erkenntnisse erklärt bekommen hatte, verstand sie. Aber es war nicht Lucys Art Trübsal zu blasen, daher wollte sie ihre Freundin ein wenig ablenken. Sie sah auf ihre Armbanduhr, überlegte welcher Tag war und sagte zu Scully: „Wir sollten unserer Tradition nach in fünf Minuten vor dem Fernseher sitzen. Wir machen wieder mal einen Ausflug in den Delta-Quadranten.“

Scully nickte schmunzelnd und ging auf die Idee ein. Früher, bevor sie Lucy kennen gelernt hatte, hätte sie sich eine solche Serie nie angesehen, doch es war zu einem Ritual geworden. Sie schaltete den Fernseher ein, während Lucy Eis mit Popcorn und Löffel für sie beide holte, bevor sie es sich gemeinsam auf dem Sofa bequem machten. Lucy hatte ihr schon früh gestanden, ein unverbesserlicher Trekkie zu sein, worauf hin Scully sie zunächst ausgelacht hatte. Doch seit sie sich einmal eine Episode ‚Star Trek - Voyager’ angesehen hatte, fand sie es nicht so schlecht, wie sie zunächst angenommen hatte. Sie sah sich selten etwas im Fernsehen an, was auch an ihrer mangelnden Zeit lag, aber diese Serie hatte sich zu einem festen Bestandteil des Abendprogramms entwickelt. Es war vor allem an diesem Abend eine willkommene Ablenkung für Scully.
Rezensionen