World of X

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Dead

von Konstanze Faust

Kapitel 2

Washington D.C.

Innenstadt

16:45 Uhr



Es war eine bedrückende Stille. Die harte Sonne prallte auf den roten Ford, ein altes Modell ohne Klimaanlage. Scully blickte strickt auf die Straße. Sie konnte nicht glauben, was eben passiert war. Sie wußte, was Mulder jetzt dachte. Dass sie auch ein Privatleben hatte und er nur einen Platz in ihrem Berufsleben einnahm. Es war wahr. Kristian war nicht ihr Neffe. Er war auch nicht ihr Bruder oder Halbbruder oder Cousin. Er war überhaupt nicht mit ihr verwandt. Und Dana konnte die heftige Begrüßung, mit der er sie überrumpelt hatte, ja auch nicht erahnen. Er war nur ihr Brieffreund. Er hatte sie einmal durch ihre FBI-Email-Adresse kontaktiert, Scully wunderte sich heute noch, woher er die hatte, und dann war Dana neugierig geworden. Er war immerhin fast zehn Jahre jünger, nicht gerade das Alter eines Liebhabers für Scully. Aber Neffe..! Mulder wußte doch, dass Melissa, ihre Schwester, tot war, ihr Bruder Charles keine Kinder hatte und William und seine Frau bekamen erst letztes Jahr Nachwuchs. Es war eine dümmliche Ausrede und das wußte sie. Außerdem: Aus was sollte sie sich denn ausreden! Es war doch nicht ihre Schuld gewesen. Was mußte er jetzt denken.. Plötzlich schaltete Kristian das Radio an. Es lief gerade Everything but the Girl mit "Missing". Die Zeilen rauschten durch Scullys Kopf: "And I miss you, like the deserts miss the rain..and I miss you.." `Oh mein Gott`, dachte sie erschreckte vor ihrer eigenen Reaktion,` wie kann ich jetzt nur an Mulder denken?` Sie schaltete das Radio ab.

"Hey, wieso machst du das denn?", fragte Kristian Stanley genervt.

"Weil..weil.." Sie blickte hilflos umher, um nur einen Grund zu finden, irgendeine kleine Sache, die die wahre Ursache verbergen würde. `Es war doch so lächerlich`, fand sie. Ein kurzer Blick auf die Uhr gab ihr den Grund.

"Wir haben nur noch zehn Minuten. Ich will mich konzentrieren!", fauchte sie ihn an.

`Was ist heute nur in mich gefahren?`, dachte sie und raste über die Straße, in der Hoffnung, den Flug noch zu erwischen. Ihre Nerven lagen sowieso irgendwo in der Weltgeschichte verstreut. Als sie zur Flughafeneinfahrt einbog, riß sie fast noch das Anzeigeschild mit.

`Jetzt bau nicht auch noch einen Unfall, Dana,` sprach sie sich in Gedanken zu. Ihr Druck aufs Gaspedal lockerte sich, als sie den Parkplatz erreichten. 16:53. Sie könnten es noch schaffen. Hastig nahmen Scully und Stanley das Gepäck aus dem Kofferraum, Dana schloß das Auto zu und sie rannten in das Gebäude. Die Erlösung klang aus den Lautsprechern:

"Flug 51, Washington D.C.-Las Vegas trifft leider mit zehn Minuten Verspätung ein."

Dana Scully lächelte ihren Brieffreund an und sie kamen zu einer brünetten Frau am Flugticketschalter.

"Ich hatte zwei Tickets reserviert."



Washington D.C.

21:54 Uhr



Mulder saß gelangweilt in dem kleinen Cafe in der 43sten Straße. Er wollte nicht mehr daran denken. Nicht, dass er sich betrank oder sich wieder diese verbotenen Videos, die in Massen in seinem Apartment vorhanden waren, anschaute, nein. Er wußte, dass Scully das nicht mochte und mit einem Mal merkte er, wie sehr sie schon auf ihn Einfluß genommen hatte. Sie machte ihren Job gut. Aber nicht freudige Gefühle, zumindest nicht ausschließlich freudige Gefühle, quollen in ihm auf, als er zum x-ten Male an sie dachte. `Wie kann ich auch nur im entferntesten Sinne daran denken, dass ich eine Chance gehabt hätte?` Er holte sein Handy aus seiner Jackentasche und tippte ihre Nummer ein. `Verdammt, ich will sie nicht noch in ihrem Urlaub stören.` Ihr `Neffe` war ihm aber zu rätselhaft. Gut, er sah noch sehr jung aus, aber war das wirklich ein Hindernis.. Fox nahm einen Schluck des alkoholfreien Drinks und wartete, dass sie abnahm. Zu seiner Erleichterung hatte Dana ihr Handy nicht abgestellt. "Scully." Unwillkürlich schrak Fox zusammen, als er ihre Stimme hörte. Er wußte nicht, ob er sie schon einmal wegen einem privaten Grund angerufen hatte.

"Scully, ich bin’s." Der Satz kam schon automatisch über seine Lippen. Was sollte er denn sonst sagen? `Scully, nun verraten Sie mir mal, wer Ihr geheimer Liebhaber ist, ich bin Ihr Partner, ich hab ein Recht, es zu erfahren?` Er hätte sich nie wieder unter ihre Augen getraut.

"Mulder, was ist denn? Ist es wegen dem Fall?" Sie klang müde, das war auch kein Wunder, sie hatte ja schon einen fünfstündigen Flug hinter sich und befand sich nun in der Flughafenhalle in Las Vegas.

"Nicht direkt..." Wie immer hörte Scully alles aus dem Klang seiner Stimme heraus.

"Mulder, es ist nicht so, wie Sie denken. Kris ist nicht mein Liebhaber."

Mulder glaubte ein beleidigtes Schnaufen im Hintergrund zu hören und mußte schon bei der Vorstellung beinahe grinsen.

"Ich hab nicht das Recht, mich in Ihr Privatleben einzumischen, ich weiß."

"Mulder, das ist nicht der richtige Zeitpunkt!" Ihre Stimme wurde sanfter. "Schlafen Sie sich aus und lassen Sie uns später darüber reden. Ich ruf Sie an."

"Ist okay, Scully. Bis dann." Sie hatte aufgelegt. Das war es nun mit der tollen Klärung des Problems. Er vertraute Scully, aber nicht ihrem Begleiter. Er hatte erwartet, dass sie allein nach Las Vegas fliegen würde. Und es passierte wirklich selten, dass er sie falsch einschätzte. Aber es passierte.



Las Vegas

22:46 Uhr



Dana Kathrine Scully war unheimlich glücklich darüber, sich endlich in das weiche Himmelbett des Hotelzimmers zu legen und nur noch zu schlafen.. sie hatte schon mehrere solcher Flüge hinter sich, aber nie war sie so geschafft danach gewesen, wie sie es heute war. Nun ja, sie war immer mit Mulder geflogen oder allein, aber Kristian redete schon viel. Sie konnte ihn ja auch nicht ignorieren. `Jetzt sei mal nicht ungerecht,` dachte Dana im Liegen,` es hat dir auch Spaß gemacht und Kris ist wirklich nett.` Mehr aber auch nicht, fügte sie lautlos hinzu. Im Gegensatz zu ihr war er noch gar nicht müde und kam aus seinem Zimmer direkt in ihr Schlafzimmer hereingestürzt. Er lächelte.

"Müde?"

"Sieht man das etwa?", lachte Scully, als sie sich wieder hinsetzte und sich die Augen rieb. Sie musterte ihn kurz.

"Nun, gefällt dir dein Schlafzimmer nicht?" Sie zog die Augenbrauen hoch und bekam als Antwort nur ein breites Grinsen von Stanley. "Wir sind hier in Las Vegas. Da schläft man nicht in der Nacht!" Sie stand langsam auf und stemmte die Hände in die Hüften, als sie verwundert meinte:

"Willst du etwa heute noch weg?"

"Aber nicht allein." Sie konnte nichts machen. Sie hatten drei Jahre schon eine Brieffreundschaft und wenn sie sich schon mal sahen, wollte Dana das doch nicht verschlafen. "Na gut, in Ordnung, ich zieh mich nur schnell um. Okay?" Kristian Stanley nickte zufrieden und verließ das Schlafzimmer.



Washington D.C.

FBI-Hauptquartier

22:54 Uhr



Es war sinnlos. Überall hatte Mulder nach Meldungen nach einem Mann mit einer Tätowierung auf der rechten Gesichtshälfte gesucht, sämtliche größere Tattoostudios in Kalifornien angerufen.. doch kein Erfolg. Es war doch so ein markantes Merkmal! Mulder tat die Akte beiseite und legte die Beine auf seinen Schreibtisch. Von dort nahm er seine Geldbörse und holte ein kleines Paßfoto aus der Innentasche heraus. Fox mußte lächeln. Er hatte das Paßfoto von Scully bekommen, angebliche für etwas offizielles, Papierkram hatte er gesagt. In Wahrheit hatte er es in seinem Portemonnaie aufbewahrt und nie benutzt. Es war eine Art Beschützer, der ihn von sinnlosen, überstürzten Handlungen abhielt, wenn die leibliche Scully einmal nicht da war. Doch ein Bild konnte ihm jetzt auch keine Tip geben, was er noch tun sollte. Er hatte nur einen Bericht der Autopsie der Leiche Carol Samuels, einige Berichte von Augenzeugen, die jedoch auch sehr spärlich ausfielen, und ein paar unscharfe Fotos. Es war also fast nichts da. Abermals blickte er auf Scullys Foto. Was war denn das..? Ein roter Tropfen befand sich darauf. Er roch daran. Es war Blut. Frisches Blut. Mulder untersuchte seine Finger nach Schnittwunden. Gar nichts. Er beschloß, schnell zu handeln. Er ging in das medizinische FBI-Labor und fragte eine der als Ärztin ausgebildeten Special Agents: "Können Sie mir sagen, wessen Blut das ist?" "Auf Agent Scullys Paßbild?" Amanda Grant lächelte Mulder an. Sie war eine Kameradin von ihm, auch wenn er sonst nicht viele hatte.

"In Ordnung." Sie nahm mit einer Pipette den Blutstropfen ab und legte ihn auf ein Glas unter ein Mikroskop. Grant blickte hinein und begab sich sofort zu einem der Computer und tippte etwas ein.

"Wie ist das Blut denn darauf gekommen, Agent Mulder?"

"Ich habe keine Ahnung", antwortete Fox und schaute interessiert auf den Computerbildschirm. Grant drehte sich um und sagte: "Es ist eindeutig Agent Scullys Blut."

"Was..? Ich meine, sind Sie sicher?"

"Felsenfest." Mulder schüttelte den Kopf, als ihn plötzlich ein schreckliches Gefühl packte und er aus dem Labor eilte. Agent Grant zuckte nur mit den Schultern. "Keine Ursache."



Las Vegas

23:04 Uhr



"Fertig." Scully trat aus dem Zimmer in den Wohnraum, wo Kristian Stanley auf dem roten Sessel saß.

"Wow!" Mehr konnte er nicht herausbringen. Er lächelte und stand auf. "Mann, du siehst toll aus."

Scully hatte ein langes, ärmelloses Glitzerkleid an, es war silber und darüber trug sie noch ein weißes, hauchdünnes Seidentuch. Ihre Schuhe waren schwarz und die Absätze der Pumps fast acht Zentimeter hoch. Sie erwiderte das Lächeln ihres Brieffreundes und warf sich ihren Mantel über.

"Dann laß uns Millionäre werden."

"Du siehst schon aus wie eine Millionärin", lachte Kristian. Gemeinsam verließen sie das Hotelzimmer.



Washington D.C.

23:06 Uhr



"Verdammt, verdammt", flüsterte sich Mulder ständig zu, als er die nachtschwarze nasse Straße entlang raste. Er fühlte etwas sehr Schreckliches in ihm aufkeimen, er wußte nicht, was es war, nur, dass er nur noch wenig Zeit hatte, es zu verhindern. Mit einer scharfen Kehre bog er in die Einfahrt ein. Er mußte es schaffen. Brennende Spannung quoll in seinem Hals empor. Er stoppte und sprang aus dem Auto, ohne sich den Luxus zu nehmen, es zuzuschließen. Was war ein Auto gegen, er mochte gar nicht daran denken, was alles passieren könnte.



Las Vegas

3:45 Uhr



Die Müdigkeit hatte sich schnell gelegt. Die grellen Farben dieser bunten Stadt weckten Dana Scully unheimlich schnell auf und sie war wieder vollkommen fit. Der Abend, besser gesagt die Nacht, machte wirklich Spaß. Nicht, dass die FBI-Agentin ständig spielte, nein, die meisten der Spiele beherrschte sie ohnehin nicht, aber jetzt befanden sich Kristian und sie in einer dieser Nobeldiskos. Es machte wirklich Spaß. Dana Scully fand zwar, dass Kristian Stanley oft zuviel redete und manchmal nicht ganz bei der Sache war, aber er verstand es, sie mitzureißen. Er kam gerade auf sie zu, als sie zu Chers "Believe" tanzte.

"Es ist toll, nicht wahr?", rief er, um den Krach zu übertönen. Scully nickte und lächelte. Dann, mitten in ihre ausgelassene Stimmung herein, drang nur ein Gedanke in ihren Kopf: "Was macht Mulder jetzt bloß?" Ein stechender Schmerz stach auf einmal durch ihren Kopf und ihre Seele. Irgend etwas passierte. Etwas bedeutendes, gefährliches.

"Was ist?", fragte Stanley besorgt. Der Schmerz ließ nach und Dana rang sich ein Lächeln ab. "Nichts."

"Bist du dir da so sicher?", Kristian grinste und verschwand wieder in der Menge. Die Worte ließen ein kaltes Schaudern über Danas Rücken tanzen. Sie setzte sich an die Theke.

"Ein Mineralwasser, ohne alles." Als sie die kühle Flüssigkeit in ihrem Hals kribbeln fühlte, glaubte sie daran, dass alles nur Einbildung gewesen war. Es war sehr spät... trotz dass sie wach war, spürte Scully, dass ihre Aufnahmefähigkeit beträchtlich gesunken war. Sie strich sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht.

"Mulder geht es gut", sagte sie sich, "er kann gut auf sich allein aufpassen." Wie eine Maske setzte ein Lächeln auf und ging wieder auf die Tanzfläche.



Boing 747

Flug 53

4:37 Uhr



Die Stunden des Flugs kamen ihm unendlich vor. Könnte es Mulder, würde er sich selbst sofort dorthin begeben. Die Gefahr würgte ihn und seine Gedanken trübten sich in der Angst um Scully. Er hatte keine Zeit, die Gründe seiner Furcht zu analysieren, aber er wußte, wenn er jetzt nicht handelte, würde es kein Entrinnen mehr geben.. `Dana Scully, was passiert mit Ihnen?`

"Ich bin verrückt", schoß es plötzlich aus ihm heraus. Die Frau, die neben ihm saß, schaute ihn verwundert an: "Haben Sie was gesagt?"

"Ach, nein", murmelte Fox Mulder und schaute aus dem Fenster heraus. Vielleicht war er wirklich verrückt. Verrückt genug um aus einem puren Gefühl heraus mitten in seiner Nachtschicht in ein Flugzeug zu steigen und fast bis an die Westküste zu fliegen. Doch was war es, was ihn antrieb? Wie kam Scullys Blut auf das Paßfoto, das er die ganze Zeit in seinem Portemonnaie aufbewahrt hatte? Dana Scullys hätte jetzt bestimmt eine wissenschaftliche Erklärung parat gehabt, aber es war ganz frisch gewesen. Amanda Grant hatte ihm gesagt, dass es höchstens fünf Minuten alt war, zu dem Zeitpunkt, als er ihr es gezeigt hatte.

"Schnallen Sie sich bitte an. Ich wiederhole, wir landen, schnallen Sie sich bitte an..." Die Durchsage lief noch in fünf anderen Sprachen, als Mulder den Gurt befestigte. Ein neuer Gedanke schoß in sein Bewußtsein. Was war, wenn sie schon tot war? Wenn das Blut eine Botschaft dafür war? Fox Mulder schloß die Augen und versuchte sich krampfhaft auf etwas anderes zu konzentrieren. Er öffnete sie wieder und blickte starr auf die grauen Streifen des Sitzes vor ihm. Sie schienen ihm röter und röter zu werden, `Scully, bitte nicht, tun Sie mir das nicht an!` Die Boing 747 landete röhrend auf der regenfeuchten nachtschwarzen Landebahn.
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