World of X

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Miracles do happen

von Konstanze Faust

Kapitel 1

1.März 2000

Mulders Apartment

Arlington Road

Washington D.C.



Das Sonnenlicht drang durch die Fenster von Fox Mulders Apartment, als er erwachte. Sein Radiowecker war ausgeschalten, da er - zum ersten Mal seit fast zwei Jahren - frei hatte. Die Digitalanzeige stand auf 10:23, doch Mulder beachtete sie nicht. Er hatte seine Daunendecke fest um sich gewickelt und lag weit ausgestreckt auf seiner Couch. Er atmete tief durch und drehte sich noch einmal um. Plötzlich klingelte es an der Tür. Mulder brummte und wollte sich schon genervt seine Decke um die Ohren binden und weiterschlafen, als er erneut klingelte.



Und wieder.



Und wieder.



Resignierend streckte er seine Glieder und gähnte mit vorgehaltener Hand. Es klingelte erneut. Schnell schlüpfte Mulder, noch etwas vom Schlaf benommen, in Jeans und T-Shirt und stolperte zur Tür. Er fuhr sich noch mal durch die Haare und lugte durch den Spion.



Es war Scully.



Mulder lächelte leise. Sie war wohl die Einzige, die ihn an seinem freien Tag aus dem Schlaf reißen durfte. "Guten Morgen, Sonnenschein. Woher habe ich die Ehre?" fragte er schelmisch grinsend.



Sie erwiderte sein Lächeln und reichte ihm einen Brief. "Morgen, Mulder. Ich war heute früh noch mal im Bureau, weil ich noch ein paar Dinge wegen dem letzten medizinischen Bericht erledigen musste. Und dann hab ich das hier auf Ihrem Schreibtisch entdeckt." Sie reichte ihm einen weißen Briefumschlag. "Und da dachte ich, dass Sie das interessieren dürfte."



Mulder drehte den Briefumschlag in seinen Händen. "Danke, dass Sie es vorbeigebracht haben."



"Schauen Sie mal auf den Absender."



Mulder blickte erstaunt auf, als er die Adresse gelesen hatte. "Vom Notar? Wieso schicken sie mir das ins Bureau?"



Scully zuckte mit den Schultern. Er öffnete den Umschlag und überflog die Zeilen. Plötzlich wurden seine Augen größer und Scully legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Was ist es?"



"Ich kenne diese Frau gar nicht, die da gestorben ist. Eine Urgroßtante von mir... Meredith Körner, geborene Mulder."



"Eine Tante Ihres Großvaters?"



Mulder nickte. "Ja, es scheint so, aber ich kenne sie nicht. Woher soll sie mich also kennen?"



Scully zog eine Augenbraue hoch. "Ihr Ruf scheint Ihnen ja weit vorausgeeilt zu sein."



Mulder lachte leise auf. "Aber ganz schön weit. Diesen Informationen zufolge ist sie mit 20 nach Deutschland emigriert. Das war 1898."



"Dann hat sie ja ganz schön lange gelebt," meinte Scully.



"Der Termin beim Notar ist morgen um 16:00 Uhr."



Scully seufzte. "Mulder, ich würde sie ja zu gerne begleiten, aber ich bleibe eine Woche bei meiner Mutter und fahr auch gleich los. Ich hoffe, Sie haben Glück." Sie klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken.



"Dann grüßen Sie Ihre Mutter von mir. Und nochmals danke."



"Nichts zu danken. Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen können. Ich würde zu gerne wissen, was dabei herauskommt."



"Klar." Er strich ihr kurz über die Schulter. "Viel Spaß noch."



Scully schloss die Tür hinter sich. Mulder lauschte, wie ihr Auto startete und langsam leiser wurde.



Er blickte gebannt auf den aufgefalteten Briefbogen vor ihm. Was konnte es wohl sein? Mulder machte sich keine großen Hoffnungen. Er konnte sich nicht vorstellen, was ihm eine ihm völlig fremde Person vererben sollte. Nur aus purer Neugierde beschloss er, dorthin zu gehen.



XXX



2.März 2000 Büro des Notars 15:48 Uhr



Mulder nahm in dem kleinen Raum auf einem der hellen Holzstühle Platz. Um sich beobachtete er mindestens zwei Dutzend Personen, die wohl alle mehr oder weniger mit ihm verwandt waren. Er erkannte kaum jemanden wieder; die Beziehungen zu der Verwandtschaft waren von seinen Eltern nie besonders gepflegt worden. Er war sich sicher, dass ihn hier niemand wiedererkannte. Insgeheim hoffte es fast, Samantha in der Menge zu entdecken. Doch er schob diesen Gedanken schnell beiseite.



Immer mal betrat noch eine Person den Raum. Die Tür öffnete sich erneut und Fox drehte sich schon rein reflexartig um. Im Türrahmen stand eine junge dunkelhaarige Frau, die einen marinefarbenen Hosenanzug trug. Sie blickte durch den Raum und wirkte, als würde sie jemanden suchen. Mulder verspürte den Drang, aufzustehen und ihr zu helfen - immerhin waren sich auf irgendeine Weise Verwandte - als sich ihre Blicke trafen und die junge Frau ein Lächeln aufsetzte. Mulder lächelte - wenn auch etwas verwirrt - zurück und sah wie sie auf ihn zukam.



Als sie ihn erreichte, begrüßte sie ihn mit einem starken deutschen Akzent. "Hallo, ich bin Anja Möller, die Urenkelin von Meredith Körner. Sie sind Fox Mulder?"



Mulder nickte und bot ihr den Stuhl neben sich an. Sie setzte sich und er fasste sich endlich wieder. "Sie kennen mich?"



Möller nickte. "Ja, ich war es auch, der meine Urgroßmutter dazu gebracht hat, Ihnen einen Teil des Erbes zu überlassen."



"Aber...?"



"Ich weiß, was Sie jetzt denken. Woher ich Sie kenne, richtig? Ich kenne viele meiner Verwandten in den USA. Und ich bin auch sehr an den Stammbaumforschung interessiert; ich habe vier Semester Geschichtswissenschaften studiert, müssen Sie wissen. Als ich bei Ihrem Namen angekommen war, fand ich heraus, dass Sie FBI-Agent sind. Und somit für das Gesetz kämpfen..."



Mulder blickte Sie erstaunt an. "Und das war der Grund, warum Sie mir einen Teil des Erbes vermachten? Ich bin geschmeichelt, aber..."



Möller blickte kurz verlegen zum Boden und schaute ihm dann wieder in die Augen. "Nicht ganz. Ich habe gelesen, dass Sie in einer Sektion dort arbeiten, die sich ungewöhnlichen Fällen zuwendet..."



"Die X-Akten." Mulder spürte Aufregung in sich aufkommen. Die gleiche Aufregung, die er immer verspürte, wenn ihm eine genau dieser Akten in die Hände fiel. "Das Erbe hat damit etwas zu tun."



"Inwiefern?"



"Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich es selbst nicht so genau weiß. Ich habe damals Meredith den Stammbaum gezeigt, und weil Sie beim FBI arbeiten, dachte ich, es würde sie interessieren. Aber sie fand etwas sehr ansprechendes an den X-Akten..."



Mulder war noch aufgeregter und er beschloss - was auch immer es war, dass er erben sollte - dass er nach der Ausrufung der Erben sofort Scully anrief. Sie wollte ja sowieso wissen, was er bekam.



Der Notar betrat den Raum und Mulder nickte Anja zu, als Bestätigung dafür, dass sein Interesse geweckt war. Die Gespräche in dem kleinen Saal verstummten und der Notar erhob sich: "Guten Tag, meine Damen und Herren. Danke, dass Sie so vollständig erschienen sind. Ich verlese nun die Namen der Erben."



Er stellte sich hinter eine Art von Pult und holte ein großes, schwarzumschlagenes Buch heraus.



"Anders, Sandra..." Ungeduldig lauschte Mulder den meist deutschen Namen der Erben. Er fragte sich, warum die Veranstaltung in Washington stattfand, obwohl der Großteil der Erben aus Deutschland zu kommen schien. Natürlich war es auch möglich, dass viele wieder zurück in die USA emigriert waren, aber die Verstorbene hatte den Großteil ihres Lebens in Deutschland verbracht.



"Mulder, Fox William..."



Sein Herz klopfte lauter, als der Notar seinen Namen ausrief und er hob eine Hand als Zeichen, dass er anwesend war.



Der Notar blickte wieder in sein Buch. "Sie bekommen laut Abschnitt 5 des Testaments von Meredith Edith Körner, geborene Mulder, ein Apartment in einem Haus am Rande von Bad Leuten, im deutschen Bundesland Hessen, vererbt. Sie haben 6 Wochen Zeit..."



Mulder merkte plötzlich, dass sein Mund offen stand und er schloss ihn ruckartig wieder. Ein Apartment? Was sollte ein Apartment mit den X-Akten zu tun haben...? Er sah, wie ihn Anja von der Seite anlächelte und grinste kurz zurück. In ihrem Blick lag etwas, dass er nicht deuten konnte. Etwas, dass ihm sagte, dass sie mehr wusste, als sie vor ihm zugeben wollte....



XXX



Nach der Verhandlung bekam Mulder noch einige Unterlagen vom Notar ausgehändigt, mit einer Fotografie des besagten Hauses und einen Zettel mit äußerst dürftigen Informationen darüber.



Aber es war das Foto, das Mulder interessierte. Es war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme aus dem Jahre - Mulder musste mehrmals nachschauen, bevor er es glaubte - 1910! Wieso hatte er keine aktuelle Aufnahme des Gebäudes bekommen? Auch ohne die Andeutung von Merediths Urenkelin hätte Mulder spätestens jetzt erkannt, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte. Er hatte so ein dumpfes Gefühl in der Magengrube; eine Art Intuition. Eine Vorahnung.



Mulder musste grinsen, als er an Scullys typische Reaktion denken musste, die sie immer zeigte, wenn er eine dieser "Vorahnungen" hatte. Sie würde die Augen verdrehen und so etwas wie "Mulder, Sie deuten sich da zuviel hinein" sagen.



Scully....er wollte sie ja anrufen! Er verließ das Notariat und holte sein Handy aus der Innentasche seines Jacketts. Nachdem er ihre Nummer im Speicher angewählt hatte, hörte er das bekannte Tuten. Wenigstens hatte sie es nicht ausgeschaltet. Er konnte es regelrecht nicht mehr erwarten, es ihr zu erzählen.



Nach dem dritten Tuten nahm sie schließlich ab. "Scully."



"Hi, Scully, ich bins. Ich komme gerade vom Notariat."



"Und? Was ist dabei herausgekommen?" In ihrer ruhigen Stille schwang eine Spur helle Neugierde mit.



"Die Urenkelin meiner Urgroßtante hatte durch Ahnenforschung herausbekommen, dass ich fürs FBI bei den X-Akten arbeite, hatte mich vor der Verhandlung angesprochen. Sie hat gesagt, dass sie Meredith davon erzählt hatte und diese mir das Erbe deshalb vermacht hatte, weil es etwas mit den X-Akten zu tun hatte."



"Mulder....?" fragte Scully ungeduldig.



Mulder grinste. Er wusste, dass sie es hasste von ihm auf die Folter gespannt zu werden. Sie hasste es auch, weil sie wusste, dass daraufhin immer irgendetwas Unangenehmes folgte.

Aber dieses Mal war ihre Angst unbegründet. "Na ja, ich habe eine Wohnung in einem ziemlich alten Haus in Deutschland geerbt. Am Rande einer Stadt Namens Bad Leuten, in Mitteldeutschland."



"Eine Wohnung?" Sie klang überrascht.



"Ja, genau, und es gibt da etwas sehr Merkwürdiges..." Mulder glaubte, Scully am anderen Ende der Leitung seufzen zu hören. Bei der Vorstellung musste er sich ein Lachen verkneifen. "Das Foto, das ich von dem Haus erhalten habe, ist von 1910."



"Was? Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht verlesen haben?"



Mulder nickte, auch wenn Scully es nicht sehen konnte. "Absolut sicher. Ich wollte es auch erst nicht glauben."



"Das ist ja schon fast ein Museumsstück. Sind Sie sicher, dass es keine Fälschung ist?"



"Warum sollte jemand so etwas fälschen?"



"Wer weiß... vielleicht um den derzeitigen Stand des Hauses zu verheimlichen."



"Und mir die Kosten für den Abriss an den Hals zu hängen."



"Exakt."



"Das glaube ich nicht, Scully. Da ist irgendetwas anderes..."



Scully seufzte. "Irgendwie habe ich erwartet, dass Sie so etwas sahen würden... Was haben Sie vor zu tun?"



"Ich werde meine freie Woche nutzen und nach Deutschland fliegen."



"Da kriegen Sie wahrscheinlich am ehesten die Antworten auf Ihre Fragen. Halten Sie mich auf dem Laufenden, okay?"



"Okay, bis dann."



XXX



3.03.2000 Über Mitteldeutschland



"Wir setzen zur Landung an. Bitte schnallen Sie sich an und machen Sie sich bereit für den Aufprall. Ich wiederhole..."



Mulder schreckte auf. Die Ansage des Piloten hatte ihn aus seinem Schlummer gerissen. Er sah aus dem Fenster und entdeckte schon die sich ihnen nähernde Landebahn. Schnell befestigte er seinen Gurt und bereitete sich auf den stets bei der Landung eintreffendes Stoß des Aufpralls vor.



XXX



Nun stand er da. Mit einem Photo von 1910, von einem Haus, von dem er nicht wusste, ob es noch existierte noch wo es sich befand - in einer Stadt, in der er noch nie war, die in einem Land lag, in dem er noch nie war.



Er wollte es sich nicht eingestehen, aber trotz seiner Neugierde für das Mysterium seines Erbes kam er sich verlassen vor. Wer würde dieses Haus wiedererkennen? Er parkte sein Auto in dem Parkhaus und trat hinaus in die Innenstadt. Alles was er wusste war, dass sich das Gebäude am Rande der Stadt befand.



Er hoffte inständig, dass die Leute hier etwas Englisch verstanden. Er hatte Deutsch damals an der High School nicht gewählt, was er jetzt bitterlich bereute. Er holte noch einmal tief Luft und ging dann zu einer Familie, die vor einem Kaufhaus stand.



"Entschuldigung," fragte er den Vater, der ihn, wie auch seine zwei Kinder und seine Frau, aufmerksam anblickte.



"Ja?"



Mulder atmete innerlich erleichtert aus, dass der Mann englisch sprach. "Können Sie mir sagen, wo ich dieses Haus finde?"



Er kramte das Foto aus seiner Tasche und überreichte es seinem Gegenüber. Die Frau, eine große Brünette, blickte ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Schockiertheit an. Der Ausdruck in ihren Augen löste etwas Unbehagen in Mulder aus.



"Sind Sie von der Abrissfirma?" wollte sie wissen.



"Was?" stieß Mulder überrascht aus. "Ich meine... nein.... ich habe einen Teil des Hauses geerbt."



"Bleiben Sie lieber davon weg. Besonders um diese Zeit." Die Stimme des Mannes klang eisig. "Es ist gut, dass das Ding endlich abgerissen wird."



Und wie gejagt flüchtete die Familie in die Menschenmassen der Einkaufspassage. Ihre Reaktion schürte Mulder Neugierde, aber das was der Mann gesagt hatte, ließ ihm eine Gänsehaut über den Rücken laufen.



`Bleiben Sie weg davon, besonders um diese Zeit.`



Plötzlich legte sich von hinten eine kalte Hand auf seine Schulter. Aufgeschreckt drehte er sich um, das Herz klopfte ihm bis zum Hals.



Vor ihm stand eine kleinwüchsige alte Frau, deren Körper in dunkle Tücher verhüllt war. Um ihren Kopf war ein ebensolches gebunden und ihre Haut war bleich und blaue Aden schimmerten hindurch. Mit einem undefinierbaren Blick in ihren traurigen, blass-grauen Augen schaute sie Mulder an.



"Fox, da bist du," sagte sie mit einem Lächeln, dass gelbe, schiefgewachsene Zähne freilegte. "Folge mir."



Mulder fühlte sich durch die ungewöhnlich klare, helle Stimme der Alten wie in Trance versetzt. Die Welt um ihn begann sich zu drehen und er musste die Augen schließen, um einen klaren Gedanken fassen zu können.



"Mein... Wagen," presste er hervor.



"Mach dir keine Sorgen, Fox. Folge mir."



Er fühlte sich immer schummriger und hatte plötzlich keine Kraft mehr zu widersprechen. Seine Umwelt schien auf einmal stillzustehen; die Menschen waren wie eingefroren, und sie bewegten sich doch. Als sie weiterliefen, schien alles Streifen zu ziehen, wie als würde man etwas vor seinen Augen zu schnell hin-und herbewegen. Aber es wirkte trotzdem, als würden sie schleichen.



Umso mehr erstaunte es Fox, als sie plötzlich die Stadt verlassen hatten und auf einem schmalen Waldweg entlang liefen. Das Sonnenlicht blendete ihn, doch er hörte weder Tiere noch den Wind, den er deutlich wehen spürte.



Er hörte sich fragen, wo sie sich befänden. Die alte Frau lachte nur und zeigte auf das große Haus, das vor ihnen plötzlich wie von Geisterhand erschien. Es sah genauso aus wie auf dem Foto, das Mulder in der Hand hielt. Drei Stockwerke, blankgeputzte, weißumrandete Fenster, eine hellblaue Fassade und ein mit dunkelgrünen Ziegeln bedecktes Dach. Er dachte daran, was die Familie ihm erzählt hatte und konnte keinen offensichtlichen Grund entdecken, warum das Gebäude abgerissen werden sollte. Die alte Frau klopfte an die rustikale, dunkle Eichentür.



Ohne auf eine Antwort zu warten, geleitete sie Fox hinein. Das schummrige Gefühl, das ihn auf ihrem Hinweg begleitet hatte, verschwand mit einem Schlag, als sie die hellerleuchtete Eingangshalle betraten.



Mulder glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Um ihn herum standen überall dunkle, antike Holzmöbel. Er selbst stand auf einem glänzenden Fußbodenbelag der, wie es schien, frisch gewienert war. An den Wänden hingen Ölgemälde, die Landschaften zeigten und über denen in regelmäßigen Abständen golden-eingefasst Lampen angebracht waren. Am Empfangsschalter, der genau wie die Tür aus glattem Eichenholz bestand, stand ein sympathischer junger Mann in der Uniform eines Hotelportiers.



"Fox Mulder, nehme ich an?" fragte er höflich. Mulder nickte nur - zu einer anderen Reaktion war er nicht mehr fähig -und der Junge reichte ihm einen goldenen Schlüssel, an dessen Bund sich eine dunkelrote Kordel befand. Mulder streckte langsam seine Hand aus und nahm ihn an.



"Ich hoffe, Sie haben einen schönen Aufenthalt, Mister," säuselte der Portier und Mulder nickte ihm mit einem schmalen Lächeln zu. Er hatte so viele Fragen, doch er konnte sie nicht stellen. Er war einfach zu verwirrt. Das Haus hatte von außen überhaupt nicht den Eindruck eines so luxuriösen Hotels vermittelt. Es waren weder Schilder oder Hinweise angebracht, noch passte die Architektur zu einem Hotel.



"Fox, findest du dein Zimmer?" fragte ihn die Alte.



Mulder nickte, auch wenn es glatt gelogen war. Er wollte nicht noch einen "Spaziergang" mit der Greisin erleben. Aber etwas bereitete ihm noch Sorgen.



"Was ist mit meinem Gepäck?"



"Mach dir keine Sorgen, Fox. Mach dir keine Sorgen."



Und damit war sie verschwunden. Mulder blickte verwirrt sich um. Auch der Hotelportier war nicht mehr da und er hätte schwören können, dass sich der Raum verdunkelt hatte.



`Mulder, du wirst langsam verrückt!`



Gegen seinen Willen musste er schmunzeln. Er war sicher schon längst verrückt. Er hörte einige Holzdielen über ihm knarren, und vermutete, dass es Schritte waren. Er drehte sich um und sah auf die Tür. Von der anderen Seite war sie, wie die Wände, mit einer goldenen Hängelampe ausgestattet, unter der ein Gemälde einer Meereslandschaft hing. Links von ihr befand sich eine Garderobe, rechts ein Brett mit Informationen über das Hotel. Mulder versuchte erst gar nicht, sie zu lesen, weil sie in altdeutscher Schrift und dazu nicht in Englisch verfasst waren. Das einzige, was sie ihm sagten, war, dass das Hotel `Zur guten Hoffnung` hieß. Er näherte sich der Tür noch ein Stück und drückte die Klinke herunter. Er zog daran - er wusste, dass die Tür nach innen aufgegangen war - doch nichts tat sich. Er zog fester, rüttelte an der Klinke und drückte die Tür, doch außer der Klinke ließ sich nichts bewegen.



"Verdammt!" zischte er mit zusammengepressten Zähnen. Er fühlte Panik in sich aufsteigen. War es das, wovor die Familie ihn gewarnt hatte? Hätte er bloß...



"Das wird Ihnen nicht gelingen." Fox zuckte bei dem Klang einer dünnen Frauenstimme hinter ihm zusammen. Er lockerte seinen Griff um die Klinke und fühlte sich auf eine merkwürdige Art und Weise ertappt.



Er drehte sich langsam um und eine junge brünette Frau neben dem Empfangsschalter stehen. Sie blickte ihn mit großen blauen Augen an. Doch in ihrem Blick lag nichts, das Fox beunruhigte. Im Gegenteil, sie war die erste Person, in deren Gegenwart er sich - seit er in Deutschland angekommen war - wohl fühlte.



Sie lächelte und kam auf Fox zu. "Sie sind neu hier, he? Es existiert kein Weg, um nach draußen zu kommen. Sie müssen sich wohl oder übel erst mal mit unserer Gesellschaft begnügen."



In ihrer Stimme war nicht die geringste Spur von Zynismus oder Schadenfreude zu hören. Sie klang ehrlich und Fox glaubte ihr trauen zu können. Er war von Natur aus misstrauisch, aber dieses Geschöpf vor ihm durchdrang diese Mauer von Skepsis.



"Ich bin Meredith," sagte sie freundlich und reichte ihm ihre Hand hin.



Er schüttelte sie langsam und lächelte leicht, obwohl er sich in seinem Innersten von Erstaunen aufbäumte. "Meredith Körner?"



Sie nickte. "Woher wissen Sie das? Ist mein Ruf mir so weit vorausgeeilt?"



Was für ein Ruf? "Ich..." Er stockte. Wenn er jetzt sagen würde, was er wusste, würde sie ihm nichts glauben. Es... war es überhaupt wahr? "Ich hab geraten," log er schließlich. "Ich kenne jemanden, der auch so heißt." Das war zumindest keine wirkliche Lüge. Er wollte sich hier - wo auch immer "Hier" war - nicht gleich unbeliebt machen.



"Dann haben Sie ja gut geraten, Mr....?"



"Mulder," sagte er, erleichtert dass sie ihm glaubte. Er entfernte sich langsam von der Tür. "Fox Mulder. Nennen Sie mich Mulder. Wo bin ich, in einem Hotel?"



Meredith schüttelte den Kopf. "Nein, Sie wollten hier mal ein Hotel bauen, aber eigentlich ist es eine Art Wohnheim. Ich hoffe, Sie erwarten nicht so eine luxuriöse Ausstattung von dem Rest des Hauses wie sie hier ist."



Mulder winkte ab. "Ich bin Schlimmeres gewöhnt. Aber wo bin ich? Und wieso ist die Tür plötzlich verschlossen?"



"Ruth ist die einzige, die das Heim verlassen kann. Sie bringt manchmal Neuankömmlinge mit."



"Ruth? Die alte Frau, die mich hergebracht hat?"



Meredith nickte. "Wollen Sie Ihr Zimmer sehen?" Mulder überlegte kurz und kramte dann den Schlüssel aus seiner Tasche. "Es wäre mir lieber, als hier herumzustehen."



Meredith nahm ihm den Schlüssel ab und ihn an der Hand. "Ich war genauso verwirrt, als ich hier ankam. Das legt sich." Sie gingen zum anderen Ende des Raumes, an dem sich ein Lift befand. Meredith öffnete das Gitter.



"Woher kommen Sie?" fragte Mulder, als sie den Fahrstuhl betraten.



Meredith schloss das Gitter, überprüfte die Zimmernummer, die an dem Schlüssel eingeritzt war und drückte auf den Knopf mit der Nummer 2. Erst dann antwortete sie. "Ich komme aus Chicago, das ist in den Vereinigten Staaten, wissen Sie?"



Er bestätigte ihr mit einem Nicken, dass er das bereits wusste.



"Ich bin mit 20 hier her gezogen, mein Mann wohnt auch hier. Ich bin nur seinetwegen her gezogen. Aber ich mag es. Wir haben hier alles, was wir brauchen."



Der Lift stoppte und sie stiegen aus. Der Flur, der vor ihnen lag, war nicht annähernd so nobel bestückt wie die Eingangshalle. Der Boden, der mit dunklen Linoleumplatten ausgelegt war, quietsche unter ihren Schuhen. Von den weißen Wände begann schon der Putz abzubröckeln und die schlichten Lampen an der Decke waren verstaubt und zum Teil schon kaputt, so dass sie kaum Licht schenkten. Die Luft war trocken und am Ende des Flurs sah Mulder ein Fenster mit milchigem Glas. Er bedeutete Meredith mit einem Fingerzeig, dass er dorthin gehen wollte.



Als er hindurchsah, glaubte er einmal wieder seinen Augen nichts zu trauen. Auch wenn er nicht viel erkannte, reichte ihm das, was er sah, um ihn in Erstaunen zu versetzen.



`Scully, Sie würden staunen, wenn Sie das nur sehen könnten...`



"Was ist los?" fragte seine Begleiterin besorgt.



Er schüttelte ungläubig den Kopf und deutete mit dem Zeigefinger nach draußen.



"Was?"



"Oldtimer," sagte er," und Kutschen. Pferdekutschen. Findet da unten... eine Art Feier statt?"



Er glaubte seinen eigenen Worten nicht. Allein die Kleidung der Menschen, die Architektur... das konnte keine simple Altstadt sein.



"Eine Feier?" Meredith musste lachen. "So sieht es da draußen doch immer aus. Woher kommen Sie? Aus Afrika?"



"Nein," Mulder schüttelte den Kopf. "Aus Washington D.C."



"Aus Washington?" Sie blickte ihn ungläubig an. "Hey, kommen Sie. Sie können mich nicht reinlegen. Ich war selbst schon da, so anders ist es da auch nicht."



"Es war auch nur Spaß!" zog sich Fox aus der Affäre, bevor er sich noch mehr darin verstrickte und warf noch einen letzten Blick nach draußen, bevor er sich umdrehte und wieder dem Flur zuwandte.



"Kommen Sie, Meredith, zeigen Sie mir mein Zimmer."



"Sie sind ja merkwürdig. Aber in Ordnung. Folgen Sie mir."
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