World of X

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The Persistence of Memory

von Jenna Tooms

Kapitel 2

***



Das Hotel hat für weiche, flauschige Bademäntel gesorgt und er schlingt einen um sich, als er schließlich aus der Wanne steigt. Nach Tagen von steifer Baumwolle und kratzenden Hemden, fühlt sich der Mantel beinahe dekadent an. Er wischt Dampf vom Spiegel und starrt sich selbst kritisch an. Augen: blau. Leicht gejagt. Leicht verängstigt. Haare: braun, beginnen am Ansatz grau zu werden. Körper: schlank, aber stark. Zehn Finger, zehn Zehen, ein Sortiment von Narben, eine Tätowierung.



Und eine Vergangenheit, die genauso ist wie ein unvollendetes Puzzle.



Dana klopft wieder an die Tür. „John? Der Zimmerservice ist da. Möchtest du essen?“



„Ja. Ich werde gleich kommen.“



Er hört ihre leichten Schritte weggehen. Er nimmt einen tiefen Atemzug und fährt mit seiner Hand durch sein feuchtes Haar. Er wird ehrlich sein. Er will es einfach halten.



Er öffnet die Tür und tritt heraus, um zu sehen, dass Dana das Essenstablett am Fenster abgestellt hat. „Dana“, sagt er und sie schaut auf.



„Ich habe dir eine Tomatencremesuppe bestellt, hört sich das gut an?“



„Ja, Dana, wegen vorhin...“



„Das ist nichts...“



„Ich träume davon dich zu küssen.“



Sie schließt ihren Mund. Ihre Hand greift nach der Stuhllehne.



Er sagt: „Alles ist gerade jetzt so verwirrt. Ich habe Einzelteile, aber nicht das gesamt Bild. Ich nahm Dinge an, die ich nicht hätte tun sollen. Es tut mir leid.“



Sie flüstert: „Du dachtest, wir wären Liebende.“



Er nickt. Seine Ohren fühlen sich heiß an.



„Wir sind Freunde, John“, sagt sie hart. „Freunde. Früher Partner. Nichts weiter.“ Sie wird weicher und fügt hinzu: „Hier, John, setz dich. Iss. Ich wette, du hattest keine anständige Mahlzeit mehr seit du von Zuhause weg bist.“



Er hatte sogar gut gegessen - offenbar mochte er mexikanisches Essen: schwarze Bohnen und Reis, geschmolzenen Käse, weiche und knusperige Tortillas --- aber er hatte jeden Tag nichts anderes als Wasser gehabt.



Er sitzt und beobachtet Dana, wie sie den Deckel von der Suppe und dem Toast nimmt, beobachtet sie, wie sie den Plastikdeckel von einer kleinen Dose Gelee zurückzieht und ein Glas Wasser einschenkt.



„Wirst du essen?“



„Ich habe bereits gegessen.“ Er beginnt zu lächeln und sie fügt hinzu, während sie Gelee auf einem Stück Toast verteilt: „Vielleicht etwas Toast. Toast ist kaum normales Essen.“



„Nein, nicht wirklich.“ Er lächelt jetzt wirklich und sie lächelt zurück, während sie in ihrem Toast beißt. Er nimmt seinen Löffel und beginnt zu essen.





***



Er weiß, dass sie erwartet, er würde nach dem Abendessen schlafen. Er erwartet es auch – seine Augen zu schließen und wegdriften in seine Vergangenheit --- aber sobald er Skinners geliehenen Pyjama angezogen hat und ins Bett geschlüpft ist, will er nicht schlafen. Stattdessen beobachtet er Dana, als sie sich auf den überfüllten Stuhl ausstreckt, mit ihren Füßen auf dem Bett und durch ein Magazin blättert. Es ist ein dickes Magazin mit einigen Bildern und winzig Gedrucktem. Er nimmt an, dass es irgendeine Art von medizinischem Journal ist.



Die Wahrheit füllt ihn mit Bedauern. Er hat sie niemals gehalten, sie niemals in den Schlaf gesungen, niemals ihren glanzvollen Körper liebkost und sie niemals geliebt, bis sie schwach und befriedigt war. Das Kind, so nimmt er an, ist genauso nur eine Erfindung seiner Vorstellungskraft: seine Erinnerungen von Luke gemischt mit einem wunschvollen Denken. Es fabriziert einen Klumpen in seinem Hals. Er muss sein Gesicht wegdrehen.



„John?“ Sie kommt zu ihm und legt eine Hand auf seine Wange. „Was ist?“



„Nichts. Ich kann nicht schlafen.“



„Hält dich das Licht wach?“



„Nein.“ Er hält ihre Hand einen Moment lang, bevor er sie loslässt. „Es tut mir immer noch leid.“



„Oh - tu das nicht.“ Sie sagt es so, als würde es nichts ausmachen, als wäre sie überhaupt nicht gekränkt. Sie zögert, dann fährt sie mit ihren Fingern über die Haare auf seiner Stirn. „Du musst einiges verarbeiten. Ich bin nicht im Geringsten überrascht, dass du verwirrt sind.“



Vollkommen. Wenn du das noch weiter machst, denkt er, als sie fortfährt mit seinen Haaren zu spielen. „Ich bin mir nicht sicher, was real ist.“



„Ich werde dir helfen, wenn ich das kann, John. Da gibt es einige Sachen von dir, die ich immer noch nicht weiß.“ Sie hält inne. „Obwohl, jetzt weiß ich, dass du als Kind beinahe ertränkt wurdest.“



„Du weißt mehr als das. Ich weiß, ich vertraue dir. Ich weiß, dass ich von dir geträumt habe. Hast du darüber nichts zu sagen?“



Dana öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Sie zuckt mit den Schultern. „Du hast mich durch eine schlimme Zeit begleitet.“



Das beantwortet die Frage nicht, aber er akzeptiert sie. „Ist das Baby real?“



„Ja.“



„Aber es ist nicht unseres?“



„Nein.“



„Mag er es, wenn ich mit ihm auf dem Boden liege und ihm auf den Bauch blase. Oder ist das Luke?“



Sie lächelt. „Mein Sohn liebt das sehr. Du bist eines seiner liebsten Spielzeuge.“



„Erzähl mir mehr von ihm.“



„Sein Name ist William und er hat große blaue Augen. Er ist sehr süß. Sehr still. Manchmal denke ich, er beobachtet uns erst, bis er sich dazu entschließt, sich einzubringen.“



„Einbringen in was?“

„Oh, in dieses gesamte menschliche Drama. Manchmal erfinde ich Geschichten für ihn, dass er hier kurz angehalten hat, auf seinem Weg nach irgendwo anders. Er ist mein kleiner Reisender.“ Ihre ausdrucksstarken Augen glitzern und sie sieht weg.



Er setzt sich auf. Er will sie so sehr halten, dass seine Arme schmerzen. „Du hast Angst vor ihm.“



„Er ist etwas Besonderes. Ich lerne immer noch, wie eigenartig er ist.“



Eine Träne perlt an ihrem Augenlid. Er berührt sie und leckt sie von seiner Fingerspitze. Dana beobachtet ihn missbilligend. Er sagt: „Wie lange liebe ich dich schon?“



„John...“, sie klingt aufgebracht. „Du liebst mich nicht. Wir sind Freunde.“



„Deshalb kann ich dich nicht lieben?“



„Deshalb solltest du es nicht. Die Dinge sind kompliziert genug.“



„Ich fühle so, als würde mein Körper dich bereits kennen.“



„John!“ Sie steht auf und bewegt sich zum Fenster. „Sag mir nicht solche Dinge. Sag mir nicht Dinge, die du bereuen wirst. Sag mir nicht Dinge, die du zurücknehmen möchtest.“



„Wie können wir Freunde sein“, grübelt er, „wenn ich durch jeden Tag gehe und dich so sehr will? Wie verbringen wir soviel Zeit miteinander, wenn alles, was ich will, dich an mich ziehen ist, nur um zu wissen, dass ich es nicht kann? Wie kommt es, dass wir Freunde sind? Wie kann ich dich jeden Tag sehen, aber nicht dir gehören?“



„Du siehst mich nicht jeden Tag.“ Ihre Stimme wird belegter. Sie schlingt ihre Arme um sich, den Rücken ihm zugewandt.



„Noch schlimmer.“



„Was willst du, das ich sage? Denkst du, dass ich mich in deine Arme werfe und dir sage, dass ich blind gewesen bin? Du wirst deine Probleme nicht lösen, indem du mich nackt siehst.“



„Ich war mir nicht bewusst, dass das eine Lösung ist.“ Seine Stimme ist überraschend kühl, im Anbetracht der Tatsache, wie ihre Worte Blut durch seine Venen pochen lassen. Dana antwortet nicht, sich immer noch umarmend, abgewandt von ihm, als könne sie sein Gesicht nicht ertragen.

„Ich mache das nicht gerade besser. Es tut mir leid. Ich will es verstehen. Ich habe keinen Zusammenhang, Dana.“



Sie sagt steif: „Schlaf etwas. Du bist erschöpft. Desorientiert. Die Dinge werden morgen einen Sinn ergeben.“



„Werde ich jemals wieder in der Lage sein, dir in die Augen zu sehen?“



„Das liegt völlig an dir.“



Er zögert und steht dann vom Bett auf. Er platziert seine Hände auf ihrer Schulter. Sie atmet tief ein, zitternd, und bleibt steif. „Habe ich oder habe ich dich niemals in meinen Armen gehalten und mit dir Liebe gemacht, bis du vor Vergnügen geweint hast? Habe ich? Sag mir, dass ich das nicht gemacht habe. Sag mir, ich habe geträumt und ich werde dir glauben.“



Ihre Lippen teilten sich und ihre Augen schlossen sich, sie dreht ihren Kopf zu ihm.

„Nein“, flüstert sie, aber sie dreht sich um und schiebt ihre Hände in sein Haar. Ihre Lippen suchen nach seinen, als sie flüstert: „Nein, es war kein Traum. Es war real.“





***



Als sie aufhören sich zu küssen, versucht Dana es zu erklären: „Ich dachte, der Vater meines Kindes sei tot. Ich war so unglücklich und einsam, außer wenn du da warst. Du warst so nett und tröstend. Du hast nie nach etwas gefragt. Und ich wollte...“, sie kratzt mit ihren Nägeln leicht über seine Kopfhaut, „ich wollte *fühlen*…“



„Also schliefen wir miteinander.“ Seine Hand ruht auf ihrem warmen Bauch und sein Kopf an ihren Brüsten. Sie hat nur ihre Schuhe ausgezogen und nicht bemerkt – oder auch nur nicht erwähnt -, dass die Knöpfe an ihrer Bluse nicht zugeknöpft sind. Er mag es, dass er sie atmen fühlen kann.



„Ja“, sagt sie ruhig, „einmal. Ich wusste nicht, dass du verliebt in mich bist, bis du es gerade eben erwähntest. Ich dachte... am meisten dachte ich, dass du mich bemitleidet hast.“



Er gluckst und hebt seinen Kopf, um ihr in die Augen zu sehen. „Nein, ich würde es keinesfalls Mitleid nennen.“



Dana lächelt und berührt seine Wange mit vorsichtigen Fingern. „Jetzt ist es nicht einfacher als damals“, sagt sie, „der Vater meines Kindes ist am Leben, aber wir sind nicht zusammen und ich dachte, du würdest weiterziehen... und ich war froh. Ich will, dass du glücklich bist.“



„Ich wette, wir beide wären weitaus glücklicher, wenn wir zusammen weiterziehen würden", sagt er und küsst ihre Fingerspitzen.



„Vielleicht“, seufzt sie und hört auf, über sein Gesicht zu streifen. „Alles ist so kompliziert.“



„Scheint für mich ziemlich einfach“, er küsst ihren Bauch zwischen den Stellen ihrer Bluse. Sie seufzt, biegt sich gegen ihn und greift abermals mit den Händen in sein Haar.



„Du.“



Kuss.



„Ich.“



Kuss.



„Dein William.“



Kuss und ein Schnüffeln.



„Und Monica?“, fragt sie schmerzhaft. „Und der Vater meines Kindes?“



„Ich dachte, du sagtest, ihr seid nicht zusammen?“



„Nicht physisch. Ich sagte, dass es kompliziert ist. Ich *will* dich. Ich *brauche* dich.“



Sie liegt richtig – es ist kompliziert, mehr, als dass er jetzt begreifen kann.



„Was?“



„Ich kann euch nicht beide haben und das weiß ich, aber das hält mich nicht davon ab dich zu wollen und... John, bitte, sieh mich nicht so an.“



„Wie denn?“, murmelt er.



„So als hätte ich dir gerade das Herz gebrochen.“



Er reibt abwesend seine Brust: „Vielleicht hast du das.“



„John.“



„Ich denke, ich würde nach all dem lieber alleine sein.“



„John“, versucht sie es wieder, aber er dreht sich selbst weg und legt sich auf seinen Rücken, mit seinem Arm über seinen Augen.



„Bitte geh.“



Einen Moment lang bewegt sie sich nicht, bis auf, dass sie aufsteht. Sie spricht langsam, ernst. „Ich kam zu dir, weil ich dir vertraute. Ich wusste, du würdest immer vorsichtig mit mir umgehen. Ich wusste, sogar, wenn du mich nicht lieben würdest, würdest du mich so behandeln, wie du es getan hast.“ Die Stille wird nur mit seinem Atmen gefüllt. „Es tut mir leid. Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie es für dich sein könnte.“



Er sagte immer noch nichts und nach einem Moment schlüpft sie in ihre Schuhe und geht zur Tür. „Ich bin in Zimmer 419. Falls du mich brauchst“, sagt sie, „falls du irgendwelche Schmerzen haben solltest.“



Er stellt sich vor, wie er ‚Dana’ sagt und sie sich umdreht und ‚Ja’ sagt. Und wie er dann sagen kann ‚Ich habe Schmerzen. Ich brauche dich’ und wie sie zurückkommen würde und zu ihm in sein Bett steigen würde und dann...



Die Tür schließt sich klickend und er ist alleine im stillen Zimmer.






Ende







Nein, ich bin kein Fan von Valentinstagen. Kein kitschiges Zeug von mir heute.
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