World of X

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Anticipate The Unforeseen

von XS

Chapter 3

Mulder’s Büro

Als Mulder das Büro betrat, saß Scully am Schreibtisch und war in Brian Roberts‘ Akte vertieft. Sie schaute von der Akte auf und wandte sich Mulder zu: „Und, ...was sagt die Analyse?“

„Nichts. Es waren keine Spuren eines Betäubungsmittels oder ähnlichem im Wasser zu finden, aber es werden noch weitere, ausführlichere Tests mit der Wasserprobe und dem Stück Stoff gemacht. Außerdem konnten keine Fingerabdrücke, außer denen von Brian Roberts, auf dem Glas gefunden werden...“

„...was nicht unbedingt heißen muß, daß er nicht ermordet worden ist“, warf Scully ein, „schließlich wären die Mörder nicht gerade professionell vorgegangen, wenn sie ein so offensichtliches Beweisstück am Tatort hinterlassen hätten. Außerdem hat vermutlich ein Kampf stattgefunden, worauf das Stück Stoff und die Fesseln an den Handgelenken hinweisen. Das würde wiederum gegen ein Betäubungsmittel sprechen. ...Und da wäre noch etwas. Die Frage, wie sind die Mörder ins Gefängnis hinein- und wieder herausgekommen? Irgend jemand steckt da mit drin. Also hätte auch jemand Beweise verschwinden lassen können.“

Mulder nickte, denn er war ganz Scully’s Meinung, aber trotzdem war es irgendwie ungewohnt, daß diese Theorie aus ihrem Mund stammte. Vor einigen Jahren noch, hätte sie alle möglichen Erklärungen dafür gefunden, aber niemals etwas, das mit einer Verschwörung innerhalb der Regierung zu tun hatte. Bei diesem Gedanken mußte er lächeln.

„Was?“, drang Scully’s Stimme in seine Gedanken, „was ist so witzig?“

„Nichts, gar nichts“, antwortete Mulder schnell und sein Grinsen wurde immer breiter.

„Mulder, Sie machen sich doch nicht etwa über mich lustig?“, fragte Scully in einem scheinbar ärgerlichen Tonfall. Mulder schüttelte entrüstet den Kopf und sagte: „Scully, wo denken Sie hin? Das würde ich mir nie erlauben.“

Scully schnitt eine Grimasse, machte sich aber nichts weiter daraus.

„Vielleicht sollten wir jetzt Stacey und Joey einen Besuch abstatten. Roberts‘ Wohnsitz war gleich hier in Washington“, erklärte sie dann.

Mulder nickte: „Genau daran habe ich eben auch gedacht.“

„Und worauf warten wir dann noch?“, fragte Scully unermüdlich und stand auf.


Brian Roberts‘ Wohnung – 16:12 Uhr

„Stacey Roberts?“, fragte Scully eine junge Frau und zeigte ihrem verängstigtem Gesicht, das aus der Tür lugte, ihren FBI- Ausweis.

„Ja?“

Nur zögernd öffnete Stacey die Tür einen Spalt. Ihr Gesicht war von tiefer Trauer gezeichnet, eine Trauer, die so tief saß, daß sie mittlerweile keine Tränen mehr hatte, um dieser Ausdruck verleihen zu können.

„Ich bin Agent Scully und das ist Agent Mulder. Wir sind vom FBI und untersuchen den Todesfall ihres Mannes“, erklärte Scully behutsam, „Dürfen wir vielleicht reinkommen und Ihnen einige Fragen stellen?“

Im ersten Moment schien es, als ob Stacey so abwesend sei, daß sie nichts von dem mitbekommen zu haben schien, was Scully gerade erklärt hatte. Doch dann klärte sich ihr Blick, der aber immer noch tief traurig erschien.

„Ja, ...ja, natürlich“, antwortete sie und öffnete die Tür nun vollständig.

Stacey führte die beiden Agenten ins Wohnzimmer. Es wirkte hell und freundlich. In einer Ecke des Zimmers spielte ein kleiner Junge im Alter von etwa 18 Monaten auf einer Spieldecke mit seinen Spielzeugautos.

„Setzen Sie sich doch“, bot Stacey ihnen an und deutete auf das Sofa. Mulder und Scully setzten sich und wechselten einen Blick. Schließlich begann Mulder.

„Mrs. Roberts es tut uns wirklich Leid, was passiert ist. Und es tut uns auch Leid, daß wir Sie belästigen müssen, aber wir versuchen nur alle Unklarheiten zu bereinigen.“

Stacey sah ihn fragend an: „Wollen Sie denn nicht über diese CD reden?“

„Wissen Sie denn etwas darüber?“

„Nein, aber das habe ich bereits den Beamten erklärt, die vor Ihnen hier waren.“

„Eigentlich sind wir aus einem anderen Grund hergekommen“, begann Scully erklärend.

„Und welcher Grund ist das?“

„Wir haben Grund zu der Annahme, daß ihr Mann keinen Selbstmord begangen hat“, eröffnete Mulder ihr vorsichtig.

„Was?“, ungläubig starrte Stacey Mulder an, „Aber die anderen Beamten haben gesagt, daß es sich zweifelsfrei um Selbstmord handele.“

„Ja, es sah auch bis vor kurzem danach aus, aber es sind neue Beweise aufgetaucht, die darauf hinweisen, daß dies nicht der Fall ist“, erklärte Scully.

Stacey sah sie verwirrt an und knetete nervös ihre Hände.

„Mami“, drang plötzlich eine Stimme in das Gespräch. Stacey sah sich um und erblickte ihren Sohn, der, ein Spielzeugauto in der Hand haltend, neben ihr stand.

„Mami, Daddy pielen?“, mit großen, blauen und unschuldigen Augen sah Joey seine Mutter an. Tränen stiegen nun in Stacey‘s Augen auf.

„Komm her mein Schatz“, sagte sie und streckte ihre Arme aus, um ihn hochzuheben. Als Joey auf ihrem Schoß saß, erklärte sie: „Er kann nicht mehr mit dir spielen“, sagte sie leise, mehr zu sich selbst, als zu ihrem Sohn, und strich ihm dabei sanft über den Kopf. Verständnislos kaute Joey nur auf seinem Plastikauto herum. Wie konnte man einem kleinen Jungen beibringen, daß sein Vater tot sei und er niemals wiederkäme?

Scully sah Stacey mitfühlend an.

„Mrs. Roberts, ist Ihnen vielleicht kurz vor dem Tod ihres Mannes etwas Ungewöhnliches an seinem Verhalten aufgefallen?“

Stacey konnte nur den Kopf schütteln.

„War er vielleicht oft nicht zu Hause, oder hatte er plötzlich mit anderen Leuten Umgang, als zuvor?“, bohrte Mulder nach.

„Nein, er war so wie immer. Er hat jede freie Minute mit Joey verbracht“, begann Stacey, „Und sein Verhalten hat sich in keiner Weise verändert. Er hat mir..., er hat mir sogar weiterhin jede Woche frische Blumen geschenkt. Er wußte, daß ich Nelken liebe. Und jeden Sonntag hat er für uns gekocht“, Stacey schluchzte bei der Erinnerung daran.

„Danke, Mrs. Roberts. Das wäre alles. Bitte entschuldigen Sie nochmals die Störung“, begann Scully sich zu verabschieden und erhob sich langsam, „Wir müssen nur allen Hinweisen nachgehen, um die Wahrheit herauszufinden.“

Stacey hob den Kopf und sah Scully dankbar an.


Im Auto

„Was glauben Sie?“

Erwartungsvoll sah Mulder seine Partnerin an, während sie sich auf der Rückfahrt zum FBI- Gebäude befanden.

„Was ich glaube? Ich glaube, daß Brian Roberts sich auf keinen Fall umgebracht hat.“

„Es ist zwar ungewöhnlich, daß er seiner Frau jede Woche Blumen geschenkt und gekocht hat, aber sie scheinen sehr glücklich gewesen zu sein“, merkte Mulder an.

„Das denke ich auch“, nickte Scully. Sie mußte an Joey denken und daran, daß sein Vater täglich mit ihm gespielt hatte. Außerdem gingen ihr die großen, traurigen blauen Augen nicht mehr aus dem Kopf.

„Sollten jetzt nicht die Laboranalysen des Wassers und die Untersuchungen des Stoffetzen vorliegen?“, fiel Scully plötzlich ein.

Mulder warf einen Blick auf die Uhr.

„Ja, ich werde gleich mal anrufen und nachfragen“, er machte eine kurze Pause, in der er zu überlegen schien, „Wollen Sie, daß ich Sie schon zu Hause absetze, Scully?“

„Nein, ich möchte noch erfahren, was bei den Analysen herausgefunden werden konnte.“

Mulder nickte und nahm sein Funktelefon zur Hand.

„Special Agent Mulder“, meldete er sich, „Verbinden Sie mich bitte mit dem Labor. Danke.“

Nach einigen Sekunden des Wartens wurde der Hörer abgenommen.

„Hier ist Special Agent Mulder. Ich habe heute eine Probe einer Flüssigkeit und ein Stoffstück zur Untersuchung vorbeigebracht. Könnte ich davon schon die Ergebnisse bekommen?“

Nach einigen weiteren Sekunden hörte Scully eine Stimme etwas ins Telefon sagen, woraufhin Mulder schließlich das Telefon ausschaltete. Fragend sah sie ihn an.

„Nichts. In der Probe der Flüssigkeit konnte keine ungewöhnliche Substanz gefunden werden. Und bei dem Stoffetzen handelt es sich um einen teuren Stoff, der aber ansonsten nichts Ungewöhnliches aufweist. Wie wir bereits vermutet haben.“

„Also nichts Neues, das uns weiterhelfen könnte“, faßte Scully diese Nachricht zusammen.

Mulder nickte.

„Vielleicht sollten wir eine Nacht darüber schlafen“, schlug er vor.

„Wollen Sie mich etwa loswerden?“, fragte Scully empört.

„Nein, natürlich nicht. Aber wir haben nichts mehr zu tun, also können wir jetzt besser produktiv eine Pause einlegen, als unproduktiv herumzusitzen und vorgeben zu arbeiten, oder?“

Scully lächelte: „Also gut. Wer weiß, wann wir mal wieder die Möglichkeit haben so früh Feierabend zu machen.“

„Ich bleibe aber noch hier und sehe, ob mir noch etwas Wichtiges in den Akten auffällt“, merkte Mulder an, während er den Wagen auf den Parkplatz des FBI- Gebäudes zusteuerte und ihn schließlich zum Stehen brachte.

„Dann schlafen Sie gut, Mulder“, antwortete Scully mit leichtem Spott in der Stimme. Sie wußte genau, daß Mulder, wenn er einmal vor einer Akte saß, nicht so leicht ins Bett kam.

„Gute Nacht“, erwiderte Mulder nur, während Scully bereits auf ihren Wagen zusteuerte. Mulder ging in die entgegengesetzte Richtung auf das FBI- Gebäude zu.


Während der Fahrt nach Hause wurde Scully nervös. Je mehr sie sich ihrer Wohnung näherte und je öfter sie bei einer Ampel warten mußte, desto unruhiger wurde sie. Den Tag über hatte sie sich ablenken können, aber jetzt mußte sie wieder über Laura Mitchell nachdenken. Sie wollte endlich mit Sicherheit wissen, ob es ihrer Mutter gut ging. Endlich bog Scully in die Straße ein, in der sich ihre Wohnung befand. Sie stieg die Treppe hinauf. Als sie die Tür hinter sich schloß, war es verlockend sofort bei ihrer Mutter anzurufen. Aber sie wollte sich erst etwas beruhigen und machte sich aus diesem Grund vorerst eine Tasse Kaffee. Nach wenigen Minuten war der Kaffee fertig und Scully trank den ersten Schluck. Endlich nahm sie das Mobiltelefon in die Hand und schaute es abwägend an. Sie wählte die Nummer ihrer Mutter. Nach mehrmaligem Schellen kehrte das flaue Gefühl in der Magengegend wieder. Normalerweise war ihre Mutter um diese Zeit zu Hause, wie ihr ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigte. Sie ließ es noch einige Male schellen, bevor sie das Telefon ausschaltete. Sie nahm sich vor, es später noch einmal zu versuchen. Vorerst bereitete sie sich etwas zu Essen, damit die Zeit schneller vergehen sollte. Aber als sie schließlich davor saß, hatte sie keinen Hunger mehr. Die Ungewißheit schnürte ihr die Kehle zu. Also nahm sie noch einmal ihr Telefon zur Hand, um ein weiteres Mal ihre Mutter anzurufen. Seit dem letzten Anruf waren erst zehn Minuten vergangen, doch sie konnte die Ungewißheit nicht länger ertragen. Bei diesem Anruf ließ Scully es ungefähr zwei Minuten lang schellen, bevor sie das Telefon ausschaltete. Auch wenn ihre Mutter sie für verrückt halten würde, beschloß sie zu ihr zu fahren. Sie nahm ihre Autoschlüssel und warf sich ihren Mantel über. Dann verließ sie ihre Wohnung und machte sich auf den Weg zu ihrer Mutter. Jetzt war sie noch unruhiger als sie es auf dem Weg nach Hause gewesen war. Aus diesem Grund, obwohl es sonst nicht ihre Art war, ließ sie die Geschwindigkeitsbegrenzung diesmal etwas außer Acht.

„Großartig“, murmelte sie vor sich hin, als es zu allem Überfluß auch noch zu regnen anfing. Erst leise, aber schließlich immer lauter und heftiger trommelten die Regentropfen auf das Dach und die Scheiben. Scully schaltete die Scheibenwischer an und warf dabei einen kurzen Blick auf das Armaturenbrett, wobei sie auch den Zeiger des Tachometers mit aufmerksamen Blick verfolgte. Wie sie jedoch mit Schrecken feststellte, hatte sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit bereits bei weitem überschritten. Also zwang sie sich langsamer zu fahren, was ihr allerdings nicht gerade leicht fiel. Dann sprang auch noch die nächste Ampel um, so daß sie anhalten mußte. Nervös trommelte sie mit den Fingern auf das Lenkrad. Nach einer Ewigkeit, wie es Scully schien, wurde die Ampel wieder grün und sie konnte ihre Fahrt fortsetzen.

Als schließlich das Haus ihrer Mutter in ihr Blickfeld kam, atmete sie tief durch. Das Licht brannte und Scully beruhigte sich, da dies darauf hinwies, daß ihre Mutter doch zu Hause war. Vielleicht war sie in der Zwischenzeit wieder zurückgekommen und hatte nur noch schnell etwas einkaufen wollen. Scully stellte sich vor, wie ihre Mutter reagieren würde, wenn sie jetzt plötzlich vor ihrer Tür stand. Sie konnte sich mittlerweile gar nicht mehr vorstellen, warum ein Traum sie in solche Unruhe versetzt hatte. Sie parkte ihren Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite und stieg aus. Sie überquerte die Straße und stieg die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf. Dann betätigte sie die Klingel. Während sie darauf wartete, daß ihre Mutter die Tür öffnete, wippte sie nervös auf und ab. Niemand öffnete. Nach einem weiteren Versuch und wieder einer kurzen Zeit des Wartens, rührte sich immer noch nichts. Scully griff in ihre Manteltasche und zog ihren Schlüsselbund heraus, an dem sich auch ein Zweitschlüssel zum Haus ihrer Mutter befand. Mit leicht zittrigen Fingern steckte sie den Schlüssel ins Türschloß und drehte ihn herum. Wie in Zeitlupe öffnete sich die Tür und gab langsam den Blick auf das Innere des Hauses frei. Zaghaft betrat Scully das Haus und schloß die Tür hinter sich. Durch ein leises Klicken nahm sie wahr, daß die Tür ins Schloß gefallen war. Dann ging sie langsam auf das Wohnzimmer zu. Sie konnte vom Eingangsbereich nur einen kleinen Teil des Wohnzimmers sehen. Zögernd machte sie einen weiteren Schritt. Jetzt brauchte sie nur noch um die Ecke sehen, um einen Blick in das Zimmer werfen zu können. Scully beugte sich etwas nach vorne. Durch den Anblick, der sich ihr bot, krampfte sich ihr Herz zusammen und sie starrte mit vor Schreck geweiteten Augen in den Raum.


Mulder’s Büro 18:46 Uhr

Zahlreiche lose Papiere und Akten hatten sich mittlerweile auf Mulder’s Schreibtisch aufgetürmt. Dieser saß davor und las vertieft in den Akten, die für jeden anderen nur ein heilloses Durcheinander darstellten. Mulder jedoch schien immer noch einen Überblick über alles zu haben. Plötzlich wurde er durch das durchdringende Schellen des Telefons aus seinen Gedanken gerissen. Er hob den Hörer ab: „Mulder“, meldete er sich, während er seine Brille absetzte und müde seinen Nasenrücken rieb.

Am anderen Ende blieb es zunächst still. Nur ein leises Atmen war zu hören.

„Scully, sind Sie das?“, fragte er.

„Mulder, ...“, begann Scully stockend, während ihre Augen feucht wurden. Mulder wollte sie nicht unterbrechen, also wartete er, bis sie weitersprach.

„Ich bin im Haus meiner Mutter und...“

Als Scully nicht weitersprach und da er ein leichtes Zittern in ihrer Stimme bemerkt hatte, fragte Mulder besorgt: „Ist etwas passiert?“

„Mulder“, begann Scully abermals, wobei sie das Zittern in ihrer Stimme nun nicht mehr unterdrücken konnte, „meine Mutter, sie ist nicht hier und...“, bevor Scully weitersprach warf sie noch einmal einen Blick ins Wohnzimmer, dessen Anblick sie hatte erstarren lassen. Dann fuhr sie fort: „...und das Wohnzimmer ist verwüstet. Ich weiß nicht was passiert ist und ich mache mir solche Sorgen.“

Scully fing leicht an zu schluchzen.

„Scully bleiben Sie dort, ich werde gleich bei Ihnen sein. Machen Sie sich keine Sorgen, es wird sich alles aufklären“, erklärte Mulder mit beruhigender Stimme, und fügte hinzu, „Haben Sie schon die Polizei benachrichtigt, oder soll ich das erledigen?“

„Nein, ...nein, ich habe bisher nur Sie angerufen“, antwortete Scully abwesend.

„Das übernehme ich dann. Ich bin gleich bei Ihnen“, versuchte Mulder noch einmal beruhigend auf Scully einzureden. Am anderen Ende der Leitung konnte Scully nur Nicken und murmelte schließlich ein: „Bis gleich“, in den Hörer.

Mulder legte auf und war beunruhigt darüber, wie verzweifelt Scully am Telefon geklungen hatte. Auch er machte sich Sorgen darüber, was passiert war und er verstand auch, wie Scully sich fühlen mußte. Aber andererseits war Scully immer so stark gewesen und hatte sich nicht so leicht eine Schwäche ansehen lassen. Aus diesem Grunde war Mulder auch in bezug auf Scully beunruhigt. Schnell erledigte er den Anruf bei der Polizei und beeilte sich dann zum Haus von Scully’s Mutter zu fahren.


19:01 Uhr

Die Polizei schien noch nicht eingetroffen zu sein, als Mulder das Haus von Margaret Scully erreichte. Nachdem er den Wagen verlassen hatte, stieg er mit leichtem Schritt die Treppe hinauf, die zur Eingangstür führte. Als er gerade im Begriff war, auf die Klingel zu drücken, dachte er daran, daß der Kidnapper darauf vielleicht Fingerabdrücke hinterlassen hatte. Daher entschloß er sich anzuklopfen. Er hatte gerade die Hand angehoben, als die Tür bereits geöffnet wurde. Vor ihm stand Scully. Er sah, daß ihre Augen gerötet waren und sie nur schwer neu aufsteigende Tränen unterdrücken konnte.

„Scully, wie geht es Ihnen?“, fragte Mulder sanft und trat mit diesen Worten ins Haus. Dann drückte er die Tür hinter sich ins Schloß. Scully brachte kein Wort hervor und sah ihn nur mit schmerzlich verzerrtem Gesicht an, über das jetzt ungehindert Tränen liefen.

„Ich...“, begann sie, doch ihre Stimme erstarb und ein Schluchzen folgte. Mulder wußte nicht, wie er Scully trösten sollte, also ging er einen Schritt auf sie zu und schloß sie sanft in seine Arme. Scully schmiegte sich dankbar an ihn. Leise und beruhigend hörte sie Mulder auf sich einreden: „Wir finden Ihre Mutter, Scully. Ihr geht es ganz bestimmt gut.“

Ihr taten die tröstenden Worten gut, auch die Tatsache, daß sie nicht alleine war, hatte eine beruhigende Wirkung. Aber als sie kurz die Augen schloß, sah sie wieder das verwüstete Wohnzimmer vor sich, wobei sich auch vor ihrem geistigen Auge abspielte, wie die Entführung vielleicht vonstatten gegangen war. Sie wurde von einem heftigen Schluchzen geschüttelt und konnte sich nicht länger auf den Beinen halten. Sie war müde und erschöpft und der letzte Vorfall war zuviel gewesen. Mulder stützte sie sanft und ließ sich mit ihr auf den Boden nieder.

„Scully“, begann Mulder, „gleich wird die Polizei eintreffen. Möchten Sie, daß ich Sie nach Hause bringe?“

Scully schüttelte nur den Kopf und schluckte. Dann begann sie eine Antwort zu geben, wobei sie hoffte, daß ihre Stimme nicht zittern würde: „Ich möchte lieber hier bleiben. Vielleicht fällt mir etwas Ungewöhnliches auf, was sonst niemandem auffallen würde. Außerdem,...“, fügte sie hinzu, „ich glaube nicht, daß ich jetzt ruhig zu Hause bleiben oder gar schlafen könnte.“

Mulder nickte verständnisvoll. Er konnte gut nachempfinden, wie Scully sich fühlte. Auch er war der Meinung, daß Arbeit jetzt das beste Mittel war, um sich abzulenken.

Draußen hörte er einen Wagen anhalten.

„Das wird die Polizei sein“, vermutete Mulder und stand auf. Dann half er Scully sich aufzurichten. Während er zur Tür ging, warf er noch einen Blick über die Schulter und sah, wie Scully sich die Tränen trocknete. Anschließend öffnete er vorsichtig die Tür, indem er ein Taschentuch über den Türgriff legte. Aber eigentlich glaubte er nicht, daß jetzt noch andere Fingerabdrücke außer Scully’s und deren Mutter darauf zu finden wären. Gerade stiegen die Polizeibeamten die Treppe hinauf. Sie begrüßten Mulder und informierten sich darüber, was dieser bereits wußte. Scully stand unbeteiligt und abwesend daneben.

Kurze Zeit später liefen die Polizisten geschäftig durch die Wohnung, um alles gründlich zu untersuchen. Scully sah sich ebenfalls alles genau an, da ihr vielleicht leichter etwas Ungewöhnliches auffiel, als den Polizeibeamten. Ihr Blick fiel auf das Telefon. Eigentlich sah es noch vollständig funktionsfähig aus, was in dem Chaos, das im Wohnzimmer herrschte, hervorstach. Aber als sie mit ihren Augen an der Telefonschnur entlangfuhr, bemerkte sie, daß diese durchtrennt worden war. Dabei stellte sie sich vor, wie ihre Mutter in Panik geraten war, als sie festgestellt haben mußte, daß jemand versucht hatte sie von der Außenwelt abzuschneiden. Scully machte sich jetzt große Sorgen um ihre Mutter, denn es schien ziemlich offensichtlich, daß die Entführung geplant und von einem Profi ausgeführt worden war. Aber trotz der Angst war sie immer noch in der Lage vernünftig zu denken. An der Stelle ihrer Mutter hätte sie an das Mobiltelefon gedacht, das seinen Platz in der Küche hatte. Also ging sie in die Küche, um sich auch dieses Telefon anzusehen. Doch da das Mobiltelefon nicht an seinem Platz stand, begann sie danach zu suchen. Der Entführer hatte also nicht die Leitung zerschnitten, aber was war mit dem Mobiltelefon geschehen? Er machte sich schließlich nicht die Mühe, das eine Telefon funktions­untüchtig zu machen und das andere nicht. Nach einigen Minuten vergeblichen Suchens, gab Scully schließlich auf und wollte ins Wohnzimmer zurückkehren. Als sie sich umdrehte, stand Mulder im Türrahmen: „Suchen Sie etwas, Scully?“

„Ja, ...wissen Sie Mulder, die Schnur des Telefons im Wohnzimmer ist durchtrennt worden und ich dachte mir, daß der Entführer vielleicht sichergehen wollte, daß meine Mutter niemanden um Hilfe bitten konnte. Aber es gibt noch ein Mobiltelefon, das sich normalerweise in der Küche befindet. Wenn dieses auch unbrauchbar gemacht worden ist, dann wüßten wir, daß der Entführer gut über die Wohnung informiert und alles gut durchdacht und geplant war“, erläuterte Scully ihre Theorie. Sie fügte dann aber beinahe entschuldigend hinzu: „Das ist aber eigentlich eher unwichtig.“

„Das Telefon wurde gerade gefunden“, erklärte Mulder leise nach einer Pause, „Es lag zertrümmert unter dem Sessel. Der Kerl wollte wirklich sicher gehen, daß niemand die Möglichkeit hatte anzurufen, und Verdacht schöpfen konnte, oder daß jemand von hier anrufen konnte. Außerdem schien er sich tatsächlich gut ausgekannt zu haben.“

Scully nickte nur stumm zu seinen Worten.

„Die Polizei wird hier gleich sicherlich fertig werden...“, begann Mulder und machte eine kurze Pause. Scully sah Mulder abwartend an und merkte, wie sie plötzlich ein Gefühl großer Müdigkeit und Erschöpfung überkam, da sie plötzlich erkannte, daß sie hier nichts mehr erreichen konnte. Aus diesem Grunde merkte sie erst, wie der Tag sie mitgenommen hatte. Mulder fuhr fort: „...deswegen wollte ich Ihnen vorschlagen, Sie nach Hause zu bringen. Oder kann ich sonst etwas für Sie tun?“

Einen Augenblick überlegte Scully, bis sie schließlich begann: „Danke, ...ich glaube, das ist eine gute Idee“, nahm Scully sein Angebot an, obwohl sie auch alleine hätte fahren können. Aber sie hatte das Gefühl jetzt nicht alleine sein zu können. Sie wollte einfach die Sicherheit spüren, daß jemand für sie da war.

Also ließ sie sich von Mulder zu ihrem Auto begleiten. Nachdem er ihr die Tür aufgehalten hatte, stieg er an der Fahrerseite ein. Scully empfand es als wohltuend, wie Mulder sich um sie kümmerte. Gerade jetzt brauchte sie ihn, nicht unbedingt als Stütze und Partner, sondern einfach als Freund. Nach einer kurzen Fahrt erreichten sie Scully’s Wohnung. Mulder begleitete Scully noch zur Tür, um sicherzugehen, daß es ihr wirklich gut ging. Als sie an ihrer Wohnungstür angelangten, schloß Scully die Tür auf und drehte sich dann zu Mulder um, mit der Absicht sich zu verabschieden. Doch Mulder war gerade im Begriff noch etwas zu sagen.

„Scully, ...geht es Ihnen wirklich gut? Sie wissen, daß ich immer für Sie da bin, wenn Sie mich brauchen.“

Scully wußte Mulder’s Besorgnis zu schätzen. Einen Partner und Freund wie ihn würde sie nicht noch einmal finden.

„Ja, mir geht es gut. Ich möchte mich jetzt einfach nur ausruhen.“

„Vielleicht sollten Sie sich für ein paar Tage Urlaub nehmen“, schlug Mulder vor.

Scully schüttelte den Kopf: „Nein, ich muß mich jetzt mit etwas beschäftigen, um mich abzulenken. Das beste Mittel ist dabei wohl, sich auf die Arbeit zu stürzen.“

Mulder nickte verständnisvoll: „Also, dann gute Nacht, Scully.“

„Ihnen auch, Mulder“, erwiderte sie und schloß langsam die Tür. Erst jetzt drehte Mulder sich um und machte sich auf den Weg nach Hause.

Erschöpft lehnte Scully für einen Moment den Kopf an die Tür und schloß die Augen. Erst dann konnte sie sich dazu aufraffen, Schlafen zu gehen. Als sie schließlich in ihrem Bett lag, starrte sie an die Decke und konnte nicht einschlafen. Sie hatte eigentlich vorgehabt, früh schlafen zu gehen, weil sie so erschöpft war, aber jetzt hielt sie die Angst um ihre Mutter wach. Dazu kam noch die Tatsache, daß es noch nicht besonders spät war. Also beschloß sie, sich noch etwas abzulenken, damit sie anschließend zu müde war, um über ihre Mutter nachdenken zu müssen. Da sie sich die gesamten Ereignisse des Tages wieder ins Gedächtnis rief, erinnerte sie sich auch daran, daß sie ihren Obduktionsbericht noch nicht geschrieben hatte. Scully wußte zwar, daß niemand von ihr erwarten würde, daß sie diesen bis morgen fertig hatte, aber er war ein gute Möglichkeit sich zu beschäftigen. Sie nahm ihr Diktiergerät zur Hand, schaltete den Computer ein und begann damit den Obduktionsbericht anzufertigen. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, deshalb dauerte es auch länger als gewöhnlich den Bericht zu schreiben.

Als Scully ihren Computer ausgeschaltet sowie den Bericht abgeheftet hatte, schaute sie auf die Uhr. Es war jetzt 21:53 Uhr. Scully beschloß zu Bett zu gehen, obwohl sie noch immer das Gefühl hatte, nicht schlafen zu können. Doch als sie dann in ihrem Bett lag spürte sie, wie der Schlaf sie langsam übermannte. Während sie schon fast im Tiefschlaf lag, wurde sie wieder aus dieser Ebene des Schlafes hinausbefördert. Sie befand sich in einer Art Halbschlaf. Unruhig wälzte sie sich von einer Seite zur anderen, während die Regentropfen unaufhörlich gegen die Scheibe prasselten, als ob sie Scully mit voller Absicht vom Schlafen abhalten wollten. Schließlich versuchte sie nicht mehr mit aller Macht einzuschlafen, sondern ließ ihren Gedanken freien Lauf, wobei sich diese wieder um ihre Mutter drehten. Scully machte sich bittere Vorwürfe. Sie war zu der Überzeugung gekommen, daß sie die Entführung hätte verhindern können, wenn sie nur früher angerufen hätte. Sie drückte ihr Gesicht in das kühles Kopfkissen, als sie merkte wie heiße Tränen über ihr Gesicht liefen. Während sie so in ihrem Bett lag schlief sie endlich ein. Plötzlich, mit einem Schlag und scheinbar ohne Grund wurde sie wieder wach. Scully hatte das Gefühl nur zehn Minuten geschlafen zu haben, aber ein kurzer Blick auf die Leuchtziffern ihrer Uhr sagte ihr, daß es bereits 5:32 Uhr war. Eigentlich fühlte sie sich nicht viel erholter als gestern abend. Vielleicht lag das daran, daß sie schlecht geträumt hatte. Allerdings konnte sie sich nicht an die Träume erinnern, wobei sie nicht wußte, ob sie darüber erleichtert oder beunruhigt sein sollte. Da sie noch so aufgewühlt war, war sie sich sicher, daß sie nicht mehr schlafen können würde. Aus diesem Grund beschloß sie, als erstes ein Bad zu nehmen.

Langsam lief das Wasser in die Wanne. Heißer, einladender Dampf stieg auf und schien Scully dazu ermuntern zu wollen, sich gemütlich zurückzulehnen. Nachdem sie sich viel Zeit gelassen hatte, stieg sie wieder aus der Wanne. Sie fühlte sich bereits besser. Jetzt war sie bereit, um ins Büro zu gehen, Sie zog noch einmal den Autopsiebericht hervor, den sie letzte Nacht geschrieben hatte, um ihn noch einmal durchzulesen. Als sie das erledigt hatte, hatte sie noch immer etwas Zeit, bevor sie sich auf den Weg ins Büro machen mußte. Gedankenverloren starrte sie aus dem Fenster, wobei sie aber genaugenommen nichts von dem registrierte, was draußen vorging. Erst nach einigen Augenblicken konzentrierte Scully sich wieder auf das Geschehen und bemerkte erst jetzt, daß es noch immer regnete. Also beschloß sie, ihre Handschuhe anzuziehen, da es außerdem ziemlich kalt zu sein schien. Dann nahm sie ihre Schlüssel, da es mittlerweile an der Zeit war, ins Büro zu gehen. Gerade als sie aus ihrer Wohnungstür treten wollte, wäre sie beinahe auf einen Umschlag getreten, der unter der Tür hindurchgeschoben worden war. Sie bückte sich, um ihn aufzuheben und hielt ihn dann prüfend in der Hand. Der Umschlag war weder mit einer Anschrift, geschweige denn mit einem Absender versehen. Nachdem sie ihn einige Male von allen Seiten betrachtet hatte, öffnete sie ihn schließlich und zog ein einzelnes weißes Blatt Papier hervor. Als sie es umdrehte, stockte ihr für einen Moment der Atem. Sie schloß die Augen und hoffte, daß das alles nur ein Traum war, der beendet sein würde, sobald sie die Augen wieder öffnete. Aber es war kein Traum, denn ihr bot sich wieder das gleiche Bild. Auf dem Papier waren einzelne Buchstaben zu sehen, die aus einer Zeitung geschnitten und aufgeklebt worden waren. Scully las, was in dem Brief stand, während sich ihre Augen mit Tränen füllten:


WIR HABEN IHRE MUTTER UND WOLLEN DIE CD-ROM.
WEITERE INFORMATIONEN SPÄTER.
KEINE TRICKS, SONST STIRBT SIE.


Eine Träne tropfte auf das Papier, und Scully wischte sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht. Es waren nicht nur Tränen der Trauer, sondern vielmehr auch der Wut. Wieso mußte immer ihr so etwas passieren? Wie konnten Menschen nur so skrupellos sein? Obwohl sie es miterlebt hatte, konnte und vielleicht wollte sie es auch nicht glauben. Auf jeden Fall wurde ihr klar, daß sie durch diese CD- ROM in den Besitz von unglaublich wichtigen und vermutlich auch geheimen Daten gekommen waren. Scully packte den Erpresserbrief nach einigen Sekunden wieder in den Umschlag. Es war schwierig, das Blatt dort wieder hineinzustecken, da Scully’s Hände leicht zitterten. Hinzu kam noch, daß sie ihre Handschuhe trug, wodurch ihre Hände einen ziemlich ungelenken Eindruck machten. Aber andererseits war sie froh sie zu tragen, da so eher Fingerabdrücke festzustellen waren, auch wenn sie nicht wirklich daran glaubte, daß der Entführer eine so entscheidende Vorsichtsmaßnahme übersehen hatte. Nachdem sie den Brief in die Akte gesteckt hatte, die auch den Autopsiebericht enthielt, machte sie sich endgültig auf den Weg ins Büro.


Mulder’s Büro

„Guten Morgen“, begrüßte Scully ihren Partner, als sie das Büro betrat, wobei sie ihren Mantel achtlos über einen Stuhl warf. Mulder schaute von einer Akte auf, in die er vertieft gewesen war, legte sie zur Seite und wandte sich Scully zu, indem er aufstand und auf sie zuging.

„Geht es Ihnen gut, Scully?“, fragte er fürsorglich.

„Ja, ...nein, eigentlich weiß ich gar nicht, wie ich mich fühle und auch nicht, wie ich mich fühlen sollte“, antwortete Scully aufgewühlt und zerstreut. Mulder sah sie fragend an, aber sie fuhr bereits fort: „Eigentlich ging es mir heute morgen wieder einigermaßen gut, bis ich diesen Gegenstand unter meiner Tür entdeckt habe.“

Mit diesen Worten reichte Scully ihm den Erpresserbrief, den sie mittlerweile in einer Plastikhülle verstaut hatte.

„Sie können ihn ruhig herausnehmen, es wurden keine Fingerabdrücke gefunden. Außerdem ist es normales Papier und die Zeitung, aus der die Buchstaben ausgeschnitten wurden, kann so gut wie jede gewesen sein“, gab Scully mit enttäuschter Stimme Auskunft.

Mulder betrachtete erst das Stück Papier und schaute dann auf, um Scully anzusehen.

„Scully, ...es tut mir leid...“, begann Mulder mit aufrichtiger Anteilnahme, fuhr dann aber fort, um sie zu beruhigen, „...aber wenn es die CD- ROM ist, die die Entführer haben wollen, werden wir sie ihnen überlassen.“

Scully war ein wenig überrascht, daß Mulder dies sagte. Normalerweise gab er nicht so einfach scheinbar wichtige Geheimdaten aus den Händen.

„Mulder, warum sind Sie so leicht dazu bereit die CD- ROM zu opfern?“, fragte Scully leise.

„Es handelt sich hierbei schließlich um ihre Mutter, und obwohl ich Ihnen nicht unnötig Sorgen machen möchte...“, begann Mulder und legte seine Hände fürsorglich auf Scully’s Schultern, „Ich glaube nicht, daß sich die Entführer hinhalten lassen würden. Sie haben zwar ein wenig Zeit, aber sie müssen damit rechnen, daß wir jeden Moment die CD- ROM entschlüsseln können. Außerdem sieht es aus, als würden sie jeden unserer Schritte beobachten, schließlich scheinen sie genau zu wissen, wo Sie wohnen und wann Sie gestern zu Bett gegangen sind. Das läßt darauf schließen, daß sie gut organisiert sind. Es sieht außerdem so aus, als ob sie nichts zu verlieren hätten, und das macht sie gefährlich. Wir dürfen deshalb kein Risiko eingehen. Die CD- ROM werden wir schon verschmerzen können.“

Scully hatte während seiner Erklärung auf ihre Schuhspitzen gestarrt und schaute jetzt wieder auf und versuchte in Mulder’s Gesichtsausdruck zu lesen. Mit vor Angst weit geöffneten Augen sah sie ihn an und fragte: „Mulder, glauben Sie, daß meine Mutter ernstlich in Gefahr ist?“

Als Mulder gesagt hatte, daß die Entführer nichts zu verlieren hätten, und daß sie deshalb gefährlich wären, hatte ihr das einen Stich ins Herz versetzt. Mit erwartungsvoller Besorgnis wartete sie auf Mulder’s Antwort. Gerne hätte dieser ihr seine wahre Meinung über Mrs. Scully’s Entführer verschwiegen, aber er wußte, daß Scully ihm dann nicht glauben und er somit nichts erreicht hätte, außer, daß Scully sich alles viel schlimmer vorstellte. So entschied er, daß er ihr seine Meinung mitteilen sollte.

„Ich glaube, ...“, begann Mulder, doch ihm viel es schwer fortzufahren, als er in Scully’s angsterfüllte Augen sah, „...daß Ihre Mutter so lange nicht in Gefahr ist, wie wir die Anweisungen der Entführer befolgen.“

Scully nickte, während Mulder fortfuhr.

„Wenn es stimmen sollte, daß sie jeden unserer Schritte verfolgen, dann haben sie vielleicht bereits Ihre Abwesenheit benutzt, um eine neue Nachricht Ihrer Wohnung zu hinterlassen. Ich glaube jedenfalls nicht, daß sie versuchen werden uns hier eine Nachricht zukommen zu lassen. Also, ...“, schloß Mulder seinen Vortrag, während er Scully’s Mantel nahm und ihr hinein half, „...sollten wir in ihre Wohnung fahren und das überprüfen, oder andernfalls warten, bis sich die Entführer melden.“

Im ersten Moment erschien Scully dieser Plan einleuchtend, aber dann kamen ihr Zweifel.

„Mulder, glauben Sie nicht, daß die Entführer sich nur bei mir melden werden, wenn ich alleine bin? Sie werden sicherlich vorsichtig sein, und ich erscheine ihnen alleine vermutlich hilfloser“, bemerkte Scully.

„Vermutlich haben Sie recht, Scully“, stellte Mulder resignierend fest, „...aber wenn Sie Hilfe brauchen, dann rufen Sie mich sofort an, in Ordnung?“ Scully nickte dankbar und verließ dann das Büro, während Mulder noch einige Sekunden auf die Tür starrte, nachdem Scully sie bereits hinter sich geschlossen hatte. Mulder setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Er hoffte, daß er in der Lage war, falls etwas übersehen worden war, das herauszufinden, indem er noch einmal die Akten nach Hinweisen durchforstete. Er konnte sich gut vorstellen, daß in dem Durcheinander und der Aufregung gestern Abend einige wichtige Zusammenhänge übersehen worden waren. Also nahm er die erste Akte vom Stapel und begann damit, erneut alles sorgfältig durchzuarbeiten.

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