World of X

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Es ist vorbei

von Andrea Muche

Kapitel 3

Im Wüsten-Gewächshaus stolperte sie wenig später und fiel in einen Kaktus.

„Hast du dich verletzt?“ fragte Mulder erschreckt.

„Nein“, sagte Kate.

„Warum habe ich das dumme Gefühl, daß jetzt ein Aber kommt?“

Sie deutete auf ihre Hose. „Darum. Entweder ich werfe diese Hose zu Hause weg – oder ich pule mindestens eine Stunde lang haarfeine Widerhaken raus!“



Sonst ereignete sich nichts von Bedeutung, es fraß auch keine Pflanze einen Obdachlosen. Doch als Mulder und Kate zum Anlegeplatz der Themseschiffe zurückgeschlendert waren, warteten sie lange, ohne daß ein Schiff auftauchte. Kate sah auf die Uhr und auf den Fahrplan. „Ist das Schiff etwa schon durch?“ Sie schüttelte ihren Arm und hielt die Uhr ans Ohr, um festzustellen, ob sie vielleicht stehengeblieben war.

„Kann nicht sein, meine Uhr zeigt das gleiche.“

„Wo bleibt der denn dann?“

„Er wird schon noch kommen. Ist doch romantisch hier am Fluß.“

„Ja sehr. Vor allem, wenn ich gleich erfriere.“

Mulder lachte und nahm sie in die Arme. „Besser?“

„Mhm.“

In dem Moment klingelte sein Mobiltelefon. Es war Scully. „Genießen Sie Ihren Urlaub schon, Mulder?“

Er verlagerte verlegen das Gewicht auf seinen anderen Fuß und spürte eine leichte Röte aufsteigen, während er auf Kate hinuntersah. „Äh... wir waren gerade in Kew.“

„Darf ich Sie James nennen?“

„Wie bitte?“

„Bond.“

„Wieso das denn?“

„Sagten Sie nicht gerade was von Q?“

„Sind Sie sicher, daß Sie wach sind, Scully? Wie spät ist es denn bei Ihnen? Kew Gardens. Die botanischen Gärten.“

„Oh.“ Es herrschte kurz Stille. Dann fragte seine Partnerin: „Was wollten Sie denn da? Heimlich von der Engelstrompete naschen?“

„Warum?“ gab er schlagfertig zurück. „Sie halten mich doch auch ohne schon für durchgeknallt.“

„Ich enthalte mich des Kommentars.“

„Okay, also zur Sache: Haben Sie etwas für mich, Quincy?“

„Ja und nein. Ich habe meine Verbindungen spielen lassen. Liz Kramer hatte keine bewußtseinsverändernden Substanzen im Blut, als sie starb. Allerdings hatte sie Antidepressiva genommen. Was natürlich zu erwarten war.“

„Können die die Wahrnehmung beeinträchtigen?“

„Nein, Mulder. Antidepressiva erhöhen die Verfügbarkeit von wichtigen Botenstoffen im Gehirn. Serotonin, zum Beispiel. Oder Noradrenalin. Sie machen nicht abhängig und haben keine Persönlichkeitsveränderung zur Folge. Allerdings kann es passieren, daß durch die Medikamente Aktivität und körperliche Leistungsfähigkeit bereits wieder verbessert sind, die Stimmung und Denkmuster aber noch nicht ausreichend ausgeglichen sind. Mit anderen Worten: Es besteht die Gefahr, daß Patienten aufkommende Selbstmordgedanken in die Tat umsetzen.“

„Okay“, sagte Mulder. „Danke.“ Er klappte sein Telefon zu und fragte Kate: „Nimmst du eigentlich Medikamente?“ Doch sie schüttelte zu seiner Erleichterung den Kopf.



„Dann war es nichts anderes als ein stinknormaler Suizid, möglicherweise mit ausgelöst durch Pillen, die ihr eigentlich gegen die Depression hätten helfen sollen?“ Kate schüttelte den Kopf, während sie mit Mulder endlich an Bord des Schiffes ging, das mit einer halben Stunde Verspätung doch noch angelegt hatte. „Das erklärt all die Mißgeschicke und sonstigen Dinge nicht, die passieren. Und die sind schließlich real, keine Phantasieprodukte.“

„Guten Abend, Ladies und Gentlemen“, quakte der Lautsprecher los, bevor Mulder etwas darauf erwidern konnte. „Verzeihen Sie die Verspätung, aber wir mußten erst einen weiteren Helfer suchen, der das durch unser Leck im Rumpf eindringende Wasser wieder herausschaufelt, einer allein hätte es nicht geschafft. – Nein, Leute, das war natürlich ein Witz, hehe. In Wahrheit mußten wir erst unseren betrunkenen Kapitän soweit wachkriegen, daß er wenigstens wieder wußte, wo Bug und Heck sind und wie man das Schiff auf Kurs hält. Hehe. – Also gut, jetzt mal zu den ernsthaften Ansagen. Die Bar ist geöffnet. Falls sie sich nach dem Drink übergeben müssen: immer mit dem Wind und nie dagegen...! Sollten Sie ein anderes dringendes Bedürfnis verspüren: Wenn Sie vom Oberdeck die Treppe herunterkommen, ist der Topf für die Ladies auf der rechten Seite, der für die Gentlemen auf der linken. Sollten Sie von unten kommen, ist es umgekehrt...“

Kate und Mulder sahen sich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Also“, sagte Mulder, „ich würde mal sagen, wer immer diese Durchsagen macht, hat mit mangelnder Phantasie jedenfalls kein Problem!“



Als sie sich wenig später der Hammersmith Bridge näherten, schien der Abstand zwischen Wasseroberfläche und Brückenunterseite rapide zu schrumpfen, je näher sie dem Bauwerk kamen. „Uh-oh“, machte Kate.

„Was?“ fragte Mulder.

„Erinnerst du dich, wie der Kapitän auf der Hinfahrt erzählt hat, daß manche Schiffe, die zu hoch sind, bei Flut nicht mehr unter der Brücke hindurchpassen?“

Der Agent erinnerte sich. Die Themse ist ein Strom im Einflußbereich der Gezeiten, und während des Niedrigwassers bei der Hinfahrt hatten sie zu beiden Seiten des Flusses Hausboote im Schlick liegen sehen können.

Kate sagte: „Jetzt ist Flut.“

Allmählich erkannten auch andere Passagiere das auf sie zukommende Problem. Der Schiffsführer hielt jedoch unverdrossen auf die Brücke zu. Das grün gestrichene Metall der Brückenstreben kam näher und näher.

Mulder und Kate musterten das Dach des Steuerhauses und die Unterseite der Brücke vor ihnen.

„Das klappt nicht. Er paßt nicht drunter durch.“

„Und die Flut strömt noch immer herein. Siehst du? Das Wasser wirkt, als ob die Themse anders herum fließt.“

Bong!!!

Es rummste, und ein Ruck ging durch das Schiff, als die Dachkante des Steuerhauses auf die Brückenstrebe traf. Das Dach war etwa zwei Zentimeter zu hoch.

Gurgelnd setzte das Schiff ein Stück zurück, der Kapitän versuchte offenbar nun, exakt den Mittelpunkt anzupeilen, an dem der Abstand zur Wasseroberfläche am größten war. Sie näherten sich der Brücke erneut.

Bong!!!

Wieder zurück. Nächster Versuch.

Bong!!!

Auf der Brücke sammelten sich die ersten Zuschauer und sahen grinsend auf das Schauspiel herab.

„Wie gesagt sind wir leider zu spät dran“, meldete sich der Lautsprecher wieder zu Wort. „Die Flut ist dadurch jetzt sehr hoch.“

„Ach nein“, ätzte Kate. „Also, darauf wären wir jetzt nie gekommen.“

Das Schiff unternahm erneut einen Versuch.

Bong!!!

Die Menschen auf der Brücke lachten und riefen hämische Kommentare nach unten.

Ein Besatzungsmitglied kam aufs Oberdeck, um die Oberkante des Steuerhauses ins Visier nehmen zu können und die beste Stelle für einen erneuten Versuch zu erfassen. Der Mann brüllte Anweisungen nach unten, während das Schiff ein weiteres Mal zurück und wieder nach vorne stieß.

Bong!!!

„Äh, hm“, kam es aus dem Lautsprecher. „Können bitte alle Passagiere ans Heck kommen? Vielleicht liegen wir dann hinten tief genug im Wasser, so daß wir es doch noch schaffen.“

„Sollen wir euch ne Strickleiter runterlassen?“ fragte ein Passant von oben, „damit ihr zu Fuß weiterlatschen könnt?“ Währenddessen sammelten sich alle Passagiere am Heck. Das Schiff setzte zurück. Es näherte sich der Brücke.

Bong!!!

Endlich gab der Kapitän auf und teilte mit, man müsse wohl eine halbe Stunde oder so warten, bis der Flutscheitel vorbei sei und das Wasser anfange, wieder abzulaufen.

„Ob wir wohl heute überhaupt noch zurückkommen werden?“ fragte Kate und seufzte.

„Ach, es geht doch nichts über eine romantische Fahrt beim Mondschein“, gab Mulder mit Blick auf die fast hinterm Horizont verschwundene Sonne zurück und zog Kate im Scherz an sich. „Sag nicht, daß man mit dir keine Abenteuer erlebt...!“



Kate tauchte ihr Gesicht in das kalte Wasser in ihren Händen, fuhr sich nochmals über die Stirn und drehte dann den Hahn am Waschbecken zu. Sie stützte sich auf den Beckenrand und sah hoch, in den Spiegel. Das Gesicht, das ihr entgegenblickte, wirkte so müde, wie sie sich fühlte. Die heitere, abenteuerlustige Stimmung des Vorabends war verflogen. Wieder einmal hatte sie kaum Schlaf gefunden, schließlich am Computer weitergearbeitet. Aber auch die Übersetzung, an der sie saß, erfüllte sie nicht mit Freude.

Sie fühlte sich ausgelaugt, nutzlos und am Ende. Tiefe, dunkle Ringe schienen durch die fahle Haut unter den Augen. Die Augen selbst waren rot und entzündet, das Grau ihrer Augen kam ihr matt vor. Die rötlich-blonden Haare wirkten stumpf, ohne Glanz. Und obwohl sie normalerweise einen leicht gebräunten Teint und Sommersprossen hatte, sah sie blaß aus wie ein Gespenst. Ihre Gesichtsfarbe pendelte zwischen kreideweiß und leicht grünlich, fand sie.

Als sie so in den Spiegel sah, öffnete sich hinter ihr die Tür zum Badezimmer. Mulder stand da, die Haare noch von der Nacht zerzaust, den Blick leicht vernebelt, das Hemd des Schlafanzugs nur lässig geknöpft, in der Hand seinen Kulturbeutel. Kates graue Augen trafen im Spiegel seine blau-grauen. Er fuhr sich mit der freien Hand über seine deutlich sichtbaren Bartstoppeln. „Ähm, Entschuldigung. Ich wußte nicht, daß du hier drin bist. Ich wollte nur...“

Daß Kate keinen Ton sagte und sich bislang auch nicht umgedreht hatte, irritierte ihn. Sie sah ihn nur weiter unverwandt über den Spiegel an. Er trat hinter sie und streckte vorsichtig die Hand nach ihrer Schulter aus. „Kate?“ fragte er besorgt. „Alles in Ordnung?“

Da erst löste sie sich vom Bild im Spiegel und blickte nach unten. Sie schluckte und sagte dann mit belegter Stimme: „Nichts ist in Ordnung.“

Er stellte den Kulturbeutel auf den Badewannenrand und faßte sie nun auch an der zweiten Schulter. „Kate, laß dich von der Geschichte nicht unterkriegen. Laß diese Dinge nicht die Oberhand gewinnen.“ Er fühlte, wie sie sich leicht gegen ihn lehnte. Einen Moment schloß sie die Augen. Dann fühlte Mulder, wie sie wieder von ihm weg strebte, sie öffnete die Augen und starrte erneut in den Spiegel, erst ihn an, dann wieder sich selbst: „Dann sag du mir doch bitte, was du hier siehst. Das bin doch nicht ich; das ist ein verdammter Zombie. Was immer ES ist: Es hat doch schon längst die Oberhand gewonnen!“

„Nein, das hat es nicht!“ erwiderte er trotzig – und fürchtete dabei einerseits, sie könnte recht haben. Doch andererseits... Er dachte an den trotz aller Unannehmlichkeiten lustigen Tag, den sie gestern gehabt hatten, und er weigerte sich, einen anderen Gedanken wirklich zuzulassen. Daß ein Fluch auf Kate liegen könnte. Daß, was immer es war, das ihr so übel mitspielte, ihre Persönlichkeit fraß. Die lebenslustige, patente, fröhliche Kate verschlang, die er gestern wieder hervorblitzen gesehen hatte und die einst eine seiner engsten Vertrauten gewesen war. Sie hatte immer logisch und streng rational gedacht – und ihm manchmal gehörig den Kopf gewaschen, wenn er sich wieder in eine seiner fixen Ideen vergaloppiert und mit ihr darüber gesprochen hatte. Sie war immer eine starke Frau gewesen, eine geradlinig Denkende, jemand, der mit beiden Beinen mitten im Leben stand. Darin war sie Scully so ähnlich, wie ihm wieder auffiel.

Und er konnte es einfach nicht ertragen, diese zarte, rotblonde Frau, der er einst so nahegestanden hatte wie einer Schwester, nun so kummervoll und niedergedrückt zu sehen, so, als sei ihr eigentlicher Lebensfunke schon erloschen. Zombie war in der Tat eine Bezeichnung, die einem in den Sinn kommen mochte.

„Kate“, flüsterte er in ihr Haar und sah sie im Spiegel an, „wenn ich in diesen Spiegel sehe, dann sehe ich eine wunderschöne, junge und intelligente Frau, die sich nicht kleiner machen sollte, als sie ist. Das schuldest du dir selbst.“ Er rieb ihre Oberarme, faßte sie dann um die Taille, zog sie an sich und schmiegte seine Wange von hinten an ihre. „Gib nicht so einfach auf!“

Sie stand erst stocksteif, doch dann entspannte sie sich, legte ihre Hände auf seine, die er vor ihrem Bauch ineinander verschränkt hatte. Die intime Art der Umarmung jagte ihr einen wohligen Schauer den Rücken hinunter, auch seine flüsternde Stimme an ihrem Ohr. Nie hatte er sie so gehalten, als sie noch auf der Uni waren.

Sie wandte sich zu ihm um, legte ihm eine Hand auf die teils entblößte Brust und sah mit traurigem Blick zu ihm hoch. „Stehst du jetzt neuerdings auf Zombies, Marten?“

In dem Moment fühlte er auf einmal nicht nur Sorge und Mitleid, sondern auch ein erotisches Knistern. Er konnte nicht anders, als ihr eine Hand in den Rücken, die andere um die Taille zu legen, sie noch fester an sich zu ziehen und seine Lippen auf die ihren zu pressen. Er sah die Überraschung in ihren Augen, das Zögern, die Frage. Dennoch wehrte sie sich nicht, küßte ihn mit leicht geöffneten Lippen zurück. Es lag keine Leidenschaft in der Berührung, kein wildes Verlangen. Aber Trost – und ein gewisses Prickeln...

Bevor mehr daraus werden konnte, lösten sie sich jedoch voneinander, Mulders Hände lagen nur noch leicht um Kate. Sie sah kurz zu Boden, dann wieder ihn an, mit großen Augen, fragend, aber nicht fordernd. Er bedachte sie mit einem innigen Blick. Mit einem leichten Schmunzeln sah er zu ihr hinunter, als er aufzählte: „Zombies, Außerirdische, Geister... Klar, das weißt du doch!“



Es herrschte seltsam gedrückte Stimmung, als sie sich am blankgescheuerten, hölzernen Eßtisch zum Frühstück gegenübersaßen. Sie sprachen wenig. Als ob sie vermeiden wollten, in Worte zu fassen, was sich zuvor zwischen ihnen abgespielt hatte. Oder was sich hätte abspielen können. Kate fragte sich, ob es klug war, an Marten anders zu denken als all die vielen Jahre hindurch. Er wohnte weit entfernt. In seinem Leben war außerdem nicht wirklich für jemand anderen ein Platz, wie sie sehr wohl wußte. Sie erinnerte sich gut an seine Obsessionen, für die er mit ganzem Herzen lebte. Und außerdem... Sie war ein Wrack. Sie wollte ihn in ihre Verzweiflung nicht mit hineinziehen. Gut, sie hatte ihn um Hilfe gebeten und ihn nach London geholt. Aber sie hatte dabei an seinen professionellen Beistand gedacht – nicht an persönliche Betroffenheit. Doch als er sie vorhin berührt hatte...

Mulder sah immer wieder einmal von seinem Tee auf und Kate an. Er machte sich größere Sorgen um sie als je zuvor. Irgend etwas hatte sich plötzlich verändert, ohne daß er es genau in Worte hätte fassen können. Und er wußte nicht, ob es ihm gefiel, oder was daran ihm nicht gefiel.

„Vielleicht hatte Liz recht“, sagte Kate endlich und sah ihn unsicher an. „Vielleicht endet wirklich erst alles mit dem Tod. Bloß mit ansehen sollte ihn wohl keiner... Wenn keiner dabei ist, ist der Fluch möglicherweise durchbrochen.“

Nun wußte er, was ihm nicht gefiel. Sein Gesicht blieb stoisch, doch im Inneren war der Agent in hellem Aufruhr. „Kate, du willst doch sicher nicht sagen, daß du mit derselben Möglichkeit spielst wie Liz?“

Sie schenkte ihm ein trauriges Lächeln. „Nein, Marten. Vom Dach zu springen, dazu bin ich, glaube ich, zu feige. Und sich mit Tabletten umzubringen und dann tagelang in der Wohnung vor sich hin zu verwesen, das hat doch irgendwie keinen Stil, nicht?“ Sie zog die Nase kraus. Das war wenigstens wieder ihr schwarzer Humor, das war die Kate aus Studientagen, die er kannte, die Kate, die so leicht nichts aus der Bahn warf...

„Wir werden eine andere Möglichkeit finden, den Fluch oder was immer es ist, wieder loszuwerden“, murmelte er. Er langte über den Tisch nach ihrer Hand und hielt sie fest, als er weitersprach: „Es muß eine geben.“



Zunächst mußte Kate jedoch zu einem Vorstellungsgespräch. Es ging nur um einen möglichen Sekretärinnenposten, aber sie hätte auch den genommen. In einem dunklen Kostüm mit wadenlangem Rock – „du siehst aus, als wolltest du beim FBI anfangen“, scherzte Mulder – machte sie sich auf den Weg. Er hatte versprochen, zu Hause auf sie zu warten und geisterte unruhig durch die Wohnung. Als er vor der Wohnungstür ein deutlich vernehmbares „Miau!“ hörte, öffnete er, sah sich einer graugetigerten Katze gegenüber, die eintrat, als sei sie hier zu Hause, und sich sogleich interessiert den verlockenden Düften in der Küche zuwandte. „Guten Appetit, Rose“, wünschte er, da er in der Katze zu Recht Kates Besuchs-Mieze vermutete, bevor er sich schließlich aufs Bett warf und sich Kates „Pepys“ schnappte. Tagebücher aus dem 17. Jahrhundert...



Er sah von der Lektüre hoch, als er hörte, wie sich ein Schlüssel in der Wohnungstür drehte und Schritte auf das Schlafzimmer zukamen. Langsame Schritte, keine freudigen. Also hatte es mit der Stelle nicht geklappt.

„Marten?“ fragte Kates Stimme.

„Ich bin hier.“

Sie klopfte an ihre eigene Schlafzimmertür und trat langsam ein.

Er hob das Buch hoch, als er ihren fragenden Blick auffing. „Da du keinen Fernseher hast und ich keine Pornos glotzen kann, mußte ich mich anderweitig beschäftigen.“

Sie mußte schmunzeln.

„Kein Glück, was?“ fragte Mulder sie dann.

Kate schüttelte den Kopf und ließ sich auf die Bettkante nieder. „Nein. Alle sind sie immer beeindruckt von meiner Laufbahn. Und dann stellen sie mich nicht ein, weil ich überqualifiziert bin. Wahrscheinlich hätte ich noch eher eine Chance, wenn ich statt des Hochschulstudiums behaupten würde, ich hätte im Knast gesessen.“ Sie ließ sich zurückfallen, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte an die Decke.

Mulder rückte näher, strich ihr eine goldene Locke aus dem Gesicht und fragte: „Soll ich mich mal bei unserem Verein erkundigen, ob sie jemanden brauchen können?“

Sie sah ihn mit einem Ausdruck an, den er nicht deuten konnte. Dann drehte sie sich auf die Seite, schüttelte den Kopf und stützte sich auf ihren linken Ellenbogen. „Du meinst wohl, weil ich eh schon so angezogen bin, was? Aber ich möchte nicht auch noch London verlieren. Obwohl... Mit dir zu arbeiten, wäre schon eine interessante Aussicht.“

Bei diesen Worten mußte der Agent an seine Partnerin Scully denken. Und er fühlte sich nicht ganz wohl dabei.

„Und? Wie findest du ihn?“ Bevor er sich zu irgend einer Bemerkung hatte durchringen können, wechselte Kate das Thema und deutete mit ihrer rechten Hand auf den Pepys, den Mulder noch immer aufgeschlagen vor sich liegen hatte.

„Naja... Kann stellenweise ja eigentlich mit jedem Porno mithalten, würde ich mal sagen.“

Kate lachte laut auf. „Ich sehe, du hast dich mit dem Werk schon gut vertraut gemacht!“

Er blickte ins Buch, suchte eine bestimmte Stelle auf der Seite und begann vorzulesen: „Ich nahm eine andere Kutsche nach Westminster Hall, wo ich mit Mister Burroughs verabredet war, ihn aber bis zum Abend nicht traf. Statt dessen ging ich in den ,Schwan‘ und begegnete dort der Bedienung Sarah, die jetzt frisch verheiratet ist, und fädelte eine Liebschaft mit ihr ein, mit der Aussicht, daß sie mich bestimmte Sachen mit ihr machen läßt. Spät aufgebrochen und bei Mrs. Burroughs Mutter vorbeigeschaut, die zu mir herauskam und mich machen ließ, was ich wollte, und mit ihrer Hand mein Ding streichelte. Nach Hause, mit meiner Frau Karten gespielt, zu Abend gegessen und zu Bett.“ Er endete und sah auf. „Jedenfalls heißt es das alles, falls ich richtig übersetzt habe, er verklausuliert delikate Passagen französisch und spanisch. Junge, Junge, der hat ja wohl nichts anbrennen lassen.“

Kate schmunzelte und griff nach dem Buch. „1666 – und du liest ausgerechnet solche Stellen und nicht die Passagen über das große Feuer, wie sonst jeder immer gleich? Ts, ts...! Was soll ich nun davon denken, Herr Agent?“

Ohne nachzudenken beugte sich Mulder über sie, legte eine Hand an ihre Wange und küßte sie auf den Mund. Er fühlte, wie ihre Hand seinen Nacken umfing. Sie drehte sich zurück auf den Rücken und zog ihn mit. Ehe er sich versah, war er dabei, die Knöpfe ihrer weißen Bluse zu öffnen und nach dem Verschluß ihres Büstenhalters zu tasten, während er mit der anderen Hand ihren weißen Bauch streichelte und dann die Hand tiefer gleiten ließ. Er dachte an alles, was Samuel Pepys mit seiner Hand so angestellt haben mußte, und fühlte, wie Kate sich an ihn schmiegte – bis sie ganz plötzlich hochschreckte und laut „Aua!“ schrie.

Mulder setzte sich auf und sah sie verwirrt an. Allerdings erfaßte er die Szene rasch, als er ein deutliches „Miau!“ vernahm: Vor dem Bett saß Rose, die soeben Kate, deren Füße aus den Pumps geschlüpft waren, in den großen Zeh gebissen hatte, um sich die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn ordentlich vor dem Bett abgelegt lag Roses Geschenk: die soeben erlegte Maus.
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