World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

9x04 - Silence

von Lhutien, Stefan Rackow

Kapitel 2

J. Edgar Hoover Building, Washington, D.C. , früh am nächsten Morgen



John Doggett legte seine Beine auf den Schreibtisch, welcher von am Boden liegenden Akten umsäumt war. Schwach fiel ein Sonnenstrahl durch die kleine Fensterluke des Kellerzimmers, ein Anzeichen dafür, dass ein neuer Tag anbrach.

Doggett gähnte.



„Haben Sie die Nacht durchgemacht?“



Monica Reyes trat in das kleine Zimmer, unter dem Arm eine Landkarte. Lächelnd legte sie diese auf den Schreibtisch und blickte in dem Raum umher. „Haben Sie nichts Besseres zu tun, als anstatt Schlafen zu gehen das halbe Gebäude auf den Kopf zu stellen?“, sagte sie schnippisch und bewegte sich hinter den Agenten, welcher sichtlich verzweifelt im Schreibtischstuhl zusammensackte und mit den Händen seine Schläfen massierte.



„Ich dachte mir, unserem Büro könnte mal eine Aufräumaktion ganz gut tun, Monica.“



„Ja“, erwiderte Reyes lachend und kniff ein Auge zu. „Jetzt!“



„Lachen Sie nur...“, erwiderte Doggett launisch und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ich habe genauer gesagt nach etwas gesucht.“



„Wonach?“, fragte Reyes und begann, die Landkarte auszubreiten. „Lassen Sie sich nicht durch mich irritieren. Ich bin ganz Ohr.“



„Es geht um Seth Masters“, erklärte Doggett und stand vom Stuhl auf. „Ich habe die ganze Nacht durch nach Infos gesucht. Nach Anhaltspunkten. Nach Anhaltspunkten dafür, dass...“



Weiter kam er nicht.



„John, das meinen Sie nicht ernst!“, fuhr ihn Reyes an. „John, er, Seth Masters, ist ein alter Studienkollege von Agent Scully! Mehr nicht! Ein alter Studienkollege, der vor kurzem nach Washington gekommen ist und sich dazu entschlossen hat, einer alten Kommilitonin einen Besuch abzustatten. Warum wühlen Sie in seiner Vergangenheit?“



„Wenn ich das wenigstens könnte“, sagte der Agent seufzend und schnipste eine Papierkugel in Richtung Papierkorb. „Ich finde nichts über ihn! Nirgendwo, in keiner Akte!“



„Weil es nichts zu finden gibt, John!“, herrschte ihn Reyes an. „John, sehen Sie doch nicht hinter allem und jedem eine Verschwörung... man kann sich auch verrückt machen.“



„Ich traue ihm eben nicht...“



„Sie trauen niemandem, Agent Doggett“, murmelte Reyes leise seufzend und rollte die Landkarte wieder ein. Die Agentin senkte den Blick. „Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe...“



„Monica...“



„Nein“, begann sie und drehte sich noch einmal kurz im Türrahmen um, „nein, Sie sollten erst einmal richtig ausschlafen, damit Sie in der Lage sind, wieder klare Gedanken zu fassen.“



„Sind Sie jetzt eingeschnappt?“, fragte Doggett leicht mürrisch und verschränkte die Arme. „Erkennt denn hier keiner außer mir die Wahrheit? Dieser Seth Masters ist mir nicht koscher, das sage ich ganz offen. Aber dass Sie nicht einmal den Versuch unternehmen, mich zu verstehen, Monica, das verbittert mich. Sie wissen doch gar nicht, wer...“



„Ja, genau, ich weiß nicht, wer Seth Masters ist. Weil es mich nichts angeht. Das ist Teil von Scullys Vergangenheit, und die steht nur ihr zu.“ – Sie wandte sich zum Gehen – „Bohren Sie nicht in jemandes Stollen, ohne vorher sichergegangen zu sein, dass er auch wirklich gesichert ist. Sonst kann leicht was einstürzen...“ – Sie sah John an und blickte in verständnislose Augen. „Zerstören Sie nichts, das es nicht wert ist, zerstört zu werden.“



Daraufhin verschwand sie aus dem Kellerraum und ließ Doggett mit seinen Gedanken alleine. Merklich angespannt hob der Agent den Kopf, griff nach einem zerknüllten Blatt Papier und besah es sich eingehend von allen Seiten. „Einsturzgefährdete Stollen...“, grummelte er kopfschüttelnd und warf die Papierkugel zielsicher in den an der Wand stehenden Papierkorb.



*



Mulder gähnte einmal, bevor er aus dem Fahrstuhl stieg und in Richtung seines ehemaligen Büros ging. Er setzte seine Schritte langsam, beinahe schlurfend und blickte mit müden Augen auf seine Uhr. „Kurz nach 6“, murmelte er seufzend und ließ durch eine unbedachte Bewegung seinen Nacken knacken, was den Agenten gezwungenermaßen das Gesicht verziehen und die Augen schließen ließ.

Als er sie wieder aufmachte, stand jemand vor ihm.

„Heute scheinen alle irgendwie schlecht geschlafen zu haben...“ – Reyes lächelte ihn an. „Wie kommt’s, dass ich Sie hier so früh antreffe, Mulder?“



Mulder war den X-Akten nicht mehr zugeteilt, nachdem er seinen Job beim FBI quittiert hatte, da er nun eine Familie hatte, die es zu schützen galt. Ihm kam nun noch zeitweise die Funktion eines Beraters zu, was unter anderem daran liegen mochte, dass in FBI – Kreisen Mulder als der geborene – wenn nicht sogar der – Analytiker galt. Er hatte einen Großteil seines bisherigen Arbeitens dem FBI und den X-Akten mit ihren paranormalen Fällen zugebilligt, deshalb überkam ihn jedes Mal wieder ein seltsames Gefühl, wenn er den Keller des J. Edgar Hoover Buildings betrat. Ein Gefühl, das zugleich Geborgenheit, aber auch etwas Fremdes, Unnahbares, Geheimnisvolles widerspiegelte. Die X – Akten waren sein Leben gewesen, und genauso wie das Leben war auch die Arbeit hier unten: jeden Tag überraschend und unvorhersehbar.



Mulder lächelte.



„Manchmal kehrt der Täter zum Tatort zurück. Das ist kein ungeschriebenes Blatt.“ – Er lachte etwas. „Um genau zu sein, wollte ich etwas aus meinem alten Büro abholen.“



„Was haben Sie denn hier noch vergessen?“, fragte Reyes freundlich und faltete die Landkarte zusammen, um sie in der Jackentasche zu verstauen.



„Nichts Wichtiges im Grunde“, antwortete Mulder schnell und machte Anstalten, sein ehemaliges Büro zu betreten. „Es ist nur mein „I want to believe“ – Poster, welches mich all die Jahre immer bei der Arbeit begleitet hat. Sie mögen sich wundern, Monica, warum ich gerade an diesem Poster hänge. Aber ich kann das schwer erklären.“ Mulder seufzte einmal und blickte nach oben an die Decke. „Ich“, begann er leise, „ich hatte schon einmal so ein Poster, welches aber infolge des Brandes, der hier vor Jahren stattgefunden hat, zerstört wurde. Wie so vieles. Doch dann bekam ich eines Tages Post. Scully übereichte mir eines Tages eine Paketrolle, aus welcher ich dieses Plakat herauszog.“ Er blickte Reyes mit seinen haselnussbraunen Augen an. „Verstehen Sie? In diesem Augenblick habe ich einen Teil meiner Vergangenheit wieder zurückbekommen. Und wo ich nun lediglich noch hie und da als Berater fungiere, möchte ich dieses Stück Geschichte, das mich an so vieles erinnert ... wie soll ich sagen? ... ich möchte es gerne in meinen vier Wänden aufhängen.“



„Das kann ich nur zu gut nachvollziehen...“, erwiderte sie und steckte die Landkarte in ihre Jacke. „Aber ich würde momentan nicht in das Büro gehen, Agent Mulder.“



„Wieso?“, fragte dieser verwundert und richtete seinen Blick auf die soeben in der Jacke der Agentin verstaute Landkarte. „Ein neuer Fall?“



„Ja“, erklärte Reyes und fügte hinten dran: „Agent Doggett steht momentan ein wenig neben sich, steigert sich in Dinge rein und macht sich bei all denen, die ihn schätzen, unbeliebt. Ich denke, Sie sollten da jetzt nicht reingehen...“



„Also keine Veränderung“, erwiderte Mulder sarkastisch und legte seine rechte Hand auf Reyes’ Schulter. „Ich verstehe zwar nicht, wieso ich da jetzt nicht reingehen sollte, zumal ich nicht denke, dass Agent Doggett in der Lage wäre, trotz seines Nachnamens einen eintretenden Agenten zu zerfleischen ...“



„Das habe ich gehört...“, kam es aus dem kleinen Büro.



„ ... aber ich denke, ich tu’ Ihnen den Gefallen, Monica“, beendete Mulder seinen Satz, „vorausgesetzt, Sie bringen mir das Poster bei Zeiten zu Hause vorbei.“ Er lächelte und zuckte plötzlich zusammen, als ein zusammengerolltes Etwas vor seinen Füßen landete.



„Gern geschehen...“, hörte man Doggetts grummelnde Stimme aus Mulders ehemaligem Büro ertönen. „Nicht dafür!“



Mulder nahm sein Poster auf und blickte Reyes mit hochgezogenen Augenbrauen an. Vorsichtig schob er sie in Richtung des Fahrstuhls, drückte den Knopf und wartete, bis sich die Tür öffnete, woraufhin die Agentin und er eintraten.



Mit einem „Bing“ schlossen sich die Türen.



„Sie haben es selbst gehört, Mulder“, sagte Reyes nachdenklich, als der Fahrstuhl langsam nach oben fuhr, und sie seufzte. „Ich habe keine Ahnung, was mit John los ist“, log sie und zog es vor, die Sache mit Seth Masters zu verschweigen. Sie wollte das Familienglück nicht unnötig zunichte machen. Nicht nach alledem, was Mulder und Scully durchgemacht hatten.



„Auch ich hatte solche Phasen, wenn sie es genau wissen wollen, Monica“, murmelte Mulder leise und sah auf sein zusammengerolltes Poster. „In solchen Momenten kann man dankbar sein, wenn man alleine gelassen wird.“



„Das Problem ist nur, dass ich heute morgen einen neuen Fall zugeteilt bekommen habe, den ich zusammen mit Doggett untersuchen sollte.“



„Hat die Landkarte damit zu tun?“ Mulder deutete auf Reyes’ rechte Jackentasche.



„Ja, eine ziemlich merkwürdige Angelegenheit, die ich alleine wohl nicht bewerkstelligen kann“, antwortete Monica und verstummte, als sich die Fahrstuhltüren öffneten. Zwei Bundesagenten traten herein, grüßten die beiden anderen Personen ( „Agent Mulder, schön, Sie mal wieder hier anzutreffen.“ – „Ich bin kein Agent mehr, lediglich Berater. Habe nur alte Sachen abgeholt und kümmere mich zur Zeit hauptsächlich um meine Familie. Das nimmt genügend Zeit in Anspruch.“ – „Ach, sieh’ mal einer an...“ ) im Raum und stellten sich daraufhin stumm vor Mulder und Reyes.



Mulder tippte Reyes plötzlich kurz an und ließ sie durch eine Augenbewegung wissen, dass sie kurz auf ihre Uhr blicken sollte. Die Agentin tat, wie ihr wortlos befohlen wurde und blickte daraufhin wieder zu Mulder, welcher in dem Moment seine rechte Hand zu einer Faust ballte und drei Finger abspreizte. Reyes sah noch mal auf ihre Uhr und nickte verstehend.



Nach kurzer Zeit kam der Fahrstuhl zum Stehen und die vier Personen traten hinaus. Reyes verabschiedete sich von Mulder, welcher daraufhin am Pförtner vorbei („Das ging ja schnell. Einen schönen Tag noch.“ – „Den wünsch ich Ihnen auch!“ ) durch den Ausgang ins Freie trat.



Es vergingen noch gut und gerne 3 Minuten, bis auch Reyes sich langsam in Richtung des Ausgangs bewegte.



*

Reyes begab sich schnellen Schrittes zum Parkplatz des J. Edgar Hoover Buildings und machte erst Halt, als sie eine große Eiche erreichte, in deren Schatten sich der Umriss eines Mannes abzeichnete.



„Sie sind gut in Zeichensprache“, sagte dieser lachend und setzte sich auf den grasbewachsenen Boden.



„Warum so geheimnisvoll, Mulder?“, fragte Reyes verwundert und setzte sich hin. Ihr Antlitz warf einen langen Schatten auf den Stamm des Baumes.



„Weil ich nicht wollte, dass der Eindruck entsteht, ich könne von alten Traditionen nicht wegkommen. Nach dem Motto: einmal Agent – immer Agent“, erklärte Mulder flüsternd und blickte um sich. „Um diese Zeit kann man sich hier fast ungestört unterhalten, ohne dass man von jemandem gesehen wird. Ich habe in der Vergangenheit oft diesen Platz aufgesucht.“ Auf seinem schattigen Gesicht zeichneten sich die Züge eines Lächelns ab. „Und nun erzählen Sie mir mal, um was es in ihrem neuen Fall geht, den Sie nicht mit Agent Doggett zusammen behandeln wollen. Ich bin nur neugierig...“, sagte Mulder ironisch angehaucht und beugte sich nach vorne.



„Mulder, Sie können und dürfen Agent Doggett in diesem Fall nicht ersetzen. Sie sollen beraten, nicht ermitteln.“



„Sie kamen vor kurzem zu mir und baten mich um Hilfe, welche ich Ihnen fast verwehrt hätte. Und nun biete ich sie Ihnen an und Sie wollen sie ablehnen?“ Fox Mulder verschränkte die Arme und senkte seinen Kopf. „Außer uns beiden weiß niemand davon. Für Ihren Vorgesetzten sind Sie alleine unterwegs. Warum, denken Sie, habe ich zuerst das Gebäude verlassen und Sie noch ein paar Minuten warten lassen? Damit niemand auf die Idee kommt, dass Sie mit mir losziehen. Ich war doch nur da und habe ein Poster abgeholt. Der Pförtner hat’s gesehen. Sie können ihn gerne fragen!“ Er machte eine Pause. „Und Sie gehen Ihrem Fall nach. Ohne John Doggett, der gerade mehr mit sich als mit der Arbeit zu kämpfen hat. Ich weiß also nicht, wovor Sie Angst haben, Monica.“



„Davor, dieses Mal etwas falsch zu machen, Mulder.“ Reyes seufzte. „Ich möchte Sie nicht in Gefahr bringen. Nicht jetzt. Nicht in ihrer jetzigen Rolle als Familienmensch. Niemals! Ich würde es mir nie verzeihen, wenn Ihnen etwas zustoßen würde.“ Ihr Tonfall schlug um in tiefstes Unbehagen. „Ich kann Ihnen jetzt nichts Derartiges zumuten...“



„Doch.“



„Aber...?“



„Sehen Sie“, begann Mulder einfühlsam, „ich habe schon so vieles erlebt, dass mich im Grunde nichts mehr schocken kann. Es mag sarkastisch klingen, aber viel schlimmer als das, was ich schon erlebt, kann dieser Fall kaum sein. Und jetzt schlagen Sie mir nicht die Bitte ab, Ihnen zu helfen. Es ist eine einmalige Sache. Versprochen. Keiner erfährt davon. Wenn es mir zu viel wird, kann ich ja immer noch aufhören. Monica...“ – Er sah ihr tief in die Augen. „Monica, ich bin ein erwachsener Mensch. Sie sind ein erwachsener Mensch, und als solcher meine ich mir anmaßen zu dürfen, einem Freund einen Gefallen zu tun.“



Reyes nickte sachte, und der Schatten in ihrem Gesicht wurde verdrängt von aufkommendem Lächeln.



„Sie sollten Überredenskünstler werden...“, sagte sie scherzhaft und zog die zusammengefaltete Landkarte vorsichtig aus ihrer Tasche hervor. „Kennen Sie das Dorf Lost Way?“



„Lost Way?“ - Mulder zog die Stirn kraus. „Erinnert mich an einen David Lynch – Film, den ich letztens gesehen habe ... wo soll das denn sein?“



„“Lost Highway“ meinen Sie. Den hab ich auch gesehen“, erwiderte Reyes lachend und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf einen kleinen Fleck auf der Landkarte. „Nein, ich rede von Lost Way. Es muss sich hier irgendwo befinden.“ Ihr Finger kreiste suchend über den Bundesstaat Texas.



„Den Namen habe ich noch nie gehört“, wunderte sich Mulder und zog die Landkarte näher zu sich. „Gibt’s das Dorf überhaupt?“



„Die texanische Polizeidienststelle hat das FBI heute morgen um 4:30 Uhr kontaktiert“, erklärte Reyes und zog einen Computer-Ausdruck hervor, welchen sie sodann Mulder zeigte. „Das hier ist ein Ausdruck aus der texanischen Datenbank des Rathauses. Dort zu finden sind alle Eintragungen ins Grundbuch, Auflassungen, Bebauungspläne und Vergleichbares der letzten Jahrzehnte.“



„Wie sind Sie da rangekommen?“



„Staatsgeheimnis“, erwiderte Reyes ironisch und nahm den Zettel wieder an sich. „1951 wurde, der Quelle nach, im Bundesstaat Texas ein Dorf überfallen“, begann sie plötzlich zu erzählen. „Dort wohnten zumeist Einsiedler, welche von den Leuten in der Großstadt immer mit skeptischen Blicken bedacht wurden. Man sagte ihnen nach, sie würden schmarotzen und auf Kosten der texanischen Bevölkerung leben, da die Stadt das Dorf gewissermaßen subventionierte, indem sie dafür sorgte, dass die Leute dort genug zu essen hatten.“



„Noble Geste“, konstatierte Mulder.



„Schon“, sagte Reyes leise und nachdenklich, „ jedoch gab es einen Verräter unter den Einwohnern, dem das bezahlte Leben wohl nicht genug war. Ein Einsiedler wurde nämlich dabei erwischt, wie er eines Abends in der Großstadt zwei Hühner stahl. Sofort war die ganze Stadt in Aufruhr und machte den Fehler, von dem Verhalten eines Menschen auf das der übrigen zu schließen. Was die Folge war, können Sie sich denken.“



„Es gab eine Revolte der Geldgeber...“, murmelte Mulder seufzend und nickte. „Es kam zu einem Überfall.“



„Ja, wie gesagt im Jahre 1951. Die Einsiedler wurden gefoltert, und viele wären zu Tode gekommen, wenn nicht der Bürgermeister im letzten Moment einen Entschluss gefasst hätte“, fuhr die Agentin fort und tippte auf die Landkarte. „Die Leute sollten weiter in ihrem Dorf leben, jedoch ohne Hilfe aus der Großstadt. Sie sollten mit ihren eigenen Mitteln klarkommen. Zu dem Zwecke wurde in einem offiziellem Brief an die Stadtverwaltung klargestellt, dass dem Dorf jegliche Gelder und Hilfeleistungen für die nächsten 50 Jahre untersagt werden. Brief und Siegel, und fertig war die Chose.“



„Ich ahne, was jetzt kommt...“



Reyes nickte. „Man meinte, die Einwohner und ihre Nachfahren könnten niemals so lange alleine überleben und das Problem würde sich bald von selbst lösen.“ Die Agentin machte eine Pause und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Doch die Leute haben falsch gedacht. Das Dorf existierte weiter über all die Jahrzehnte. Und schließlich kam der Zeitpunkt, an dem das Ultimatum abgelaufen war.“



„Das heißt, Lost Way – jetzt verstehe ich auch, wie das Dorf zu seinem Namen kam – gibt es wirklich, und die Leute außerhalb Texas’ wissen nichts davon, weil dieses Ereignis einen Tiefpunkt in der Geschichte des Bundesstaates darstellte, den die Leute so schnell wie möglich vergessen sollten.“ Mulder blickte nach oben in die Sonne und kniff die Augen zusammen. „Es wurde nicht darüber geredet, weil es in Vergessenheit geraten sollte.“ Er setzte sich auf und verschränkte die Arme auf seiner Brust. Sein Schatten traf die Landkarte. „Bis vor wenigen Monaten. Bis das Ultimatum ablief und dem Dorf nach dem offiziell 1951 unterzeichnetem Dokument wieder Fördergelder zugebilligt wurden.“



„Ganz genau“, pflichtete Reyes ihm bei und rollte die Karte wieder ein. „Ich habe mir diese Infos von „Freunden“ vom Zentralrechner des Rathauses in Texas „besorgen“ lassen.“ Die Agentin lächelte leicht, setzte sich auf und blieb neben Mulder stehen. „Damit wir wissen, wo wir genau zu tun haben.“



„Heißt das...?“



„Ja“, erklärte Reyes und zog mehrere zusammengeheftete Zettel mit eingescannten Fotos aus der inneren Jackentasche. „Wir fliegen nach Texas, genauer gesagt nach Lost Way. Denn es gilt die Umstände des mysteriösen Todes von Henry Miller aufzuklären.“
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