World of X

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9x04 - Silence

von Lhutien, Stefan Rackow

Kapitel 1

~“Die beste Wärterin der Natur ist Ruhe.“~



( William Shakespeare )



~*~




PROLOG





Irgendwo im Bundesstaat Texas, 19:44



Er sah sich einmal kurz um. „Schatz, bist du das?“, fragte der alte Mann und ließ die Fernbedienung sinken. „Schatz?“



Henry Miller erhielt keine Antwort, stattdessen war unaufhörlich das Bellen des Hundes draußen vor der Türe zu hören. Nein, sie konnte noch gar nicht zurück sein, war sie doch erst vor einer knappen Viertelstunde runter in die Stadt gelaufen. Verwundert stand er auf und ging in Richtung des Eingangsbereiches des alten Hauses. Vorbei an den Bildern seiner Urenkel und Enkel. „Harry, es ist gut! Was ist denn los?“, rief der alte Mann dem Hund entgegen und zog die Stirn kraus, als plötzlich das Bellen verstummte. „Harry?“ – Sein Hund antwortete nicht mehr.



Henry griff instinktiv sein Gewehr, welches nahe des Treppengeländers stand und lud es durch. „Verdammte Großstadtgören!“, grummelte er vor sich hin und stieg in seine braunen, von Matsch besudelten Stiefel.



Die Uhr im Eingangsbereich zeigte 19:46 Uhr.



„Diese verdammten Bälger!“, schimpfte Henry. „Sollen sie doch unten in der Stadt bleiben und uns hier oben in Ruhe lassen ... Schert euch zum Teufel!“ Mit diesen Worten öffnete er die eichebeschlagene Eingangstür des Hauses und trat nach draußen in die Kälte.

„Wo seid ihr?“, schrie er wütend und schritt vorsichtig, immer einen Blick nach links und rechts gewandt, Meter für Meter von dem Haus weg. Nebel umspielte die stattliche Statur des Mannes und manifestierte sich in Form von feinen Tropfen an seiner Brille, so dass er sie kurz abnehmen und säubern musste.



Da überkam ihn das Gefühl. Ein Gefühl, welches er nicht beschreiben konnte. Es übermannte ihn, ergriff Besitz von dem alten Mann und ließ ihn nach unten blicken. Vor seinen Füßen lag Harry.

Steif.

Kalt.

Die Pfoten gen Himmel gerichtet.

Ausdrucksleere Augen blickten Henry glasig an.

Er lag da.

Einfach so.

Ganz ruhig.



Nicht begreifen wollend, was er da sah, kniete der Mann sich nieder und streichelte seinen treuen Freund. Eine Träne verließ sein Augen. Diese Schweine, dachte er und schloss die Augen. Diese verdammten Schweine! Die Träne benetzte das Fell des Schäferhundes, erwirkte jedoch keinerlei Regung. Verständnislos schüttelte Henry den Kopf und begrub sein Gesicht in seinen Händen. Er wollte schreien. Er wollte seiner Stimmung Ausdruck verleihen. Doch als er seinen Mund öffnete, war es wieder da, dieses seltsame Gefühl.

Ein Gefühl von Hilflosigkeit. Kälte. Gefahr. Oder auch einfach nur Stille. Erst jetzt erkannte der alte Mann: es war ruhig! Zu ruhig. Eiskalte Stille herrschte um ihn herum und rief eine Gänsehaut hervor, welche sich allmählich einen Weg über den von harter Arbeit geschundenen Körper des Mannes bahnte. Das dumpfe Pochen seines Herzens in seinen Ohren war das Einzige, was er vernahm. Es schlug schnell. Es hatte Angst. Als wäre er von einem auf den anderen Moment taub geworden, stand Henry Miller entsetzt auf und lauschte.

Er hörte nichts.

Kein Geräusch.

Keinen Lärm aus der Großstadt.

Nichts.



... und es entglitt ihm auch kein Schrei, als sich jemand von hinten näherte und ihn niederstieß. Er landete hart auf dem Rasen und verlor dabei sein Gewehr, welches in einigen Metern Entfernung auf den Boden aufschlug.



Ein Schuss ging los. Man sah die Rauchschwaden aus dem Rohr empor steigen. Henry erblickte sie noch, wie sie sich mit den Schwaden des immer dichter werdenden Nebels vermischten und eins mit ihm wurden. Dann wurde ihm schwarz vor Augen und er verlor das Bewusstsein. Sein letzter Gedanke war, dass jemand schon den unfreiwillig losgegangenen Schuss gehört hätte und ihm bald zur Rettung herbeieilen würde.



Doch in dieser Nacht konnte ihn keiner hören.
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